Dieter Kamensek

WINTER

 
 
Wir schreiben das Jahr 2987 n.C.. Die Erde ist eine lebensfeindliche Eiswüste, Stürme toben an ihrer Oberfläche und lassen die grimmige Kälte der Tagesdurchschnitttemperaturen von -46°C noch tiefer sinken
Die Menschen haben sich in den Schoß der Mutter Erde zurückgezogen und dort riesige Metropolen gebaut. Unermüdlich trieben die Menschen Jahrhunderte lang Stollen und Hallen in die Berge und dem Boden. Der Wille zum Überleben ließ alle gemeinsam an einem Ziel arbeiten.
 
Nur wenige schafften es die Führung der Menschenmasse zu übernehmen. Einige wenige konnten die Kräfte und die Träume der Menschen bündeln und einsetzen. Nur wenige verstanden diese Kunst. Daraus entwickelten sich die Führer und aus ihrer Linie entstanden die Priester.
 
Der Alltag war gefährlich und mühsam. Um das tägliche „Brot“ zu verdienen, musste man hart arbeiten. Entweder in den Minen, um Mineralien oder Erde abzubauen, in den Gewächsanstalten um das kostbarste was der Mensch noch besaß zu hegen und zu pflegen – die Pflanzen und die wenigen Tiere, in den kleinen Krankenrevieren, oder die anderen Sparten die es gab. Viele Berufe gab es nicht mehr – weil man sie einfach nicht mehr benötigte. Geld und Besitz war seit Jahrhunderten nicht mehr notwendig.
 
Der Mensch lernte – gezwungenermaßen – in der feindlichen Umgebung zu überleben. Warum die Erde eine globale Eiswüste wurde weiß niemand mehr. Es war und ist auch nicht wichtig! Die großen Dummheiten wie Krieg, Machtstreben, Reichtum ansammeln gab es schon so lange nicht mehr dass nur mehr einige wenige davon überhaupt noch wussten.
 
Das Leben wurde überwacht und geleitet – von früh bis spät. Genaue Rationen an Essen, Wasser, Kleidung und Arbeit sowie an Freizeit wurden jedem Menschen zugeteilt. Sogar wann und mit wem man Geschlechtsverkehr hatte wurde überwacht, denn sonst könnte man, verbotener weise, zuviel Energie verbrauchen. Auch wurden die menschlichen Ausscheidungen kontrolliert – in Menge und Qualität! Denn auch hier überprüfte die Verwaltung, ob und was der Mensch gegessen und getrunken hatte. So konnte man einem „Schwarzmarkt“ vorbeugen. Die Strafen waren allesamt hart und endeten meist mit der Freisetzung des Geistes.
 
Dadurch, das es wenig zu essen gab, wenig Sonne (hauptsächlich künstlich), wenig Flüssigkeit und wenig geistige Nahrung, wurden die Menschen nicht mehr alt. Die Augen waren groß, die Haut faltig und weiß. Haare und Zähne sehr selten vorhanden.
In jeder Wohnkammer gab es zwei Schächte, einen für die Ausscheidungen und zum Waschen, und einen, in der die Menschen die tägliche Ration bekamen. Die Rationen wurden automatisch verteilt. Man stellt seine Platte in die Öffnung des Schachtes und kurz darauf befindet sich auf der Platte die Tagesration. Es war ein grünlicher – brauner Brei, manchmal waren auch Fasern dabei. Niemand hat jemals gefragt, woraus diese Ration eigentlich bestand! Manche haben, so hörte man nur, aus Hunger ihre eigenen Finger oder Zehen gegessen, oder sie haben sich auch selbst oder anderen ein Stück heraus gebissen um es zu essen! Sie schliefen im Sitzen, denn das brauchte weniger Platz.
Das Begräbnis war ebenso einfach wie das Leben – um Energie und Kraft zu sparen kam niemand zu einer Beisetzung. Wächter schoben den Leichnam in eine Tunnelöffnung der heiligen Kammern. Diese Öffnungen gab es in jedem Gang und in jeden Block. Wohin sie führten interessierte niemanden. Hier ist alles einfach – überall gilt: „Aus den Augen – aus dem Sinn!“
 
Es gab den Glauben und die Religion der heiligen Blume. Die Blume als Sinnbild des Lebens ohne wirklichen Wert für das Leben, der Schönheit und des Überflusses. Einfach existierend ohne einen Nutzen zu erfüllen, Luxus! Da fast niemand der Menschen eine wirkliche Blume jemals gesehen hatte, war die Vorstellung einer Blume sehr mystisch. Niemand der normalen Bürger wusste, ob es wirklich überhaupt jemals eine Blume gegeben hat. Doch auch das war für viele Leute uninteressant, es war unnütz es zu wissen. Und ob wir- nach der Freisetzung des Geistes- zur Blume kommen oder nicht, war eine Frage deren Antwort  jeden egal war. Denn gab es eine Existenz nach der Entkörperlichung, konnte man sich später noch Gedanken darüber machen, gab es keine – na dann war es erst recht dumm darüber nachzudenken.
Da wir alle gleich lebten und arbeiteten gab es auch hier keine Unterschiede. Doch war die Aufgabe der Priester der Blume jene, uns leben zu helfen!
 
Die Priester haben über die Jahrhunderte enorme geistige Kräfte entwickelt. Der Preis dieser Kräfte war die Mutation. Ihre Augen waren ohne Funktion, die Haut schneeweiß, der Kopf groß, der Körper schmächtig, die Gliedmaßen lang und schlank. Ohne einen künstlichen Stützapparat konnten sie sich nicht bewegen, nicht sitzen oder stehen. Diese Schicht hatte es aber auch nicht nötig manuell etwas zu tun. Sie mussten auch nicht sprechen – man verstand ihre Gedanken.
Sie vermehrten sich nur untereinander, und dies auf künstlichem Weg. Sie waren aber auch die weltlichen Herrscher der einzelnen Metropolen und hielten daher die Macht in ihren Händen.
Manche behaupteten zwar, dass diese Wesen niemals Menschen waren, aber etwas Genaues wusste man nicht und auch hier würde niemand eine Antwort ernsthaft interessieren. Warum auch?
 
Der Kontakt zu anderen Metropolen war sehr selten wie der Kontakt zu anderen Menschen in den großen unterirdischen Städten. Man vegetierte dahin. Überall in der Stadt waren Lautsprecher angebracht aus denen leise Musik kam, Botschaften und Gebete wurden gesendet und anderes Zeug das oftmals nicht wirklich verstanden wurde.
Aber man fühlte sich  – besonders nach dieser unsinnigen Berieselung– ruhiger, gelassener!
 
So verging ein Tag nach dem anderen. In den Tunnels hatte man oft mit den Omorks zu kämpfen, den Mannsgroßen Spinnen, oder den Umulus, den gleichgroßen Schaben. Die wollten auch überleben, deshalb fielen viele Menschen diesen Tieren zum Opfer. Aber auch umgekehrt. Die Beute wurde zu den Aufsehern gebracht. Sie lobten und – man fühlte sich dabei gut!
 
Immer wieder wurden uns Aufseher vorgeführt, die besondere Leistungen vollbracht hatten. Ihr Team war schneller beim Tunnelbau, oder ihr Team hat weniger Essen verbraucht,… und wir mussten sie verehren.
Wir verehrten auch Aufseher, die Jagd auf die Omorks und Umulus machten. Sie taten den ganzen Tag nichts anderes. Für diese Jagd wurde trainiert. Ihre Waffen waren für diesen Kampf ausgerichtet, von den Tieren blieb aber wenig übrig, dass noch verwendet werden konnte.
Aber wir verehrten sie. Sie waren toll. Wir verzichteten manchmal auf unsere Rationen – nur damit sie stärker und besser wurden! Wir arbeiteten auch mehr – nur für sie!
 
Das Lernen dauerte nur mehr einige Stunden. Mit dem „Wissenshelm“, einer uralten Technologie,  wurde Wissen direkt im Hirn gelagert. Jeder erhielt so nur das für ihn nützliche Wissen innerhalb kürzester Zeit. Keine unnötigen Belastungen, keine Verschwendung!
 
Jede Schicht und jedes Team lebte ein isoliertes Leben. Man sollte nicht zuviel fragen, nicht zuviel wissen und nicht zuviel vermuten, denn sonst wurde man, wie auch bei anderen Gelegenheiten, der heiligen Blume geopfert und diente somit der Gesellschaft.
 
Die Opferung war nicht ein verschwenderisches Fest bei dem der Körper einfach verloren ging. Er wurde als Gabe den Priestern gegeben, die stellvertretend für die Göttlichkeit dieses Opfer wohlwollend annahmen oder auch nicht.
 
Die Priester sollten lange und gut leben, denn sie waren unsere Hoffnung und unsere Stütze.
Manchmal aber – so sagte man – mussten einige Teile ihres Körpers ausgewechselt werden. Denn der Körper war verkümmert und die Organe manchmal krank. Wir waren viele – sie nur wenige. Wir waren da um zu dienen, zu geben und um Opfer zu bringen. Sie hatten viel größere Aufgaben.
 
So gab es ein Opferfest des Gebens. Das Opfer lag auf einem Tisch. Die Hände und Füße waren seitlich weggestreckt und festgebunden. Nun wurde der Körper aufgeschnitten und die Haut aufgezogen, sodass sie eine Wanne bildete. Kaltes Wasser wurde eingefüllt, gleichzeitig wurde das rote Blut gegen ein anderes weißes Mittel ausgetauscht.
Je mehr das Opfer schrie und je länger es am Leben war desto günstiger war dies für die Göttlichkeit. Alle freuten sich, und anschließend erwiesen die Priester dem Opfer noch die Gunst
das sie das Muskelfleisch und die nicht benötigten Organe des Opfer aßen.
 
Die Menschen lebten ein Leben der Einfachheit und der Genügsamkeit. Man dient mit Freude und Hingabe den Priestern und auch ihrem Verwaltungsstab.
 
Der Stab bestand aus Ärzten, aus Wächtern und Aufsehern. Sie waren es welche die Metropolen verwalteten, im Auftrage der Priester und unter deren Kontrolle.
 
Alles ging wie immer seinen Gang. Im Allgemeinen war der nächste Tag der kam so identisch mit dem heutigen Tag und dem Tag zuvor, wie auch das Leben der Einzelnen identisch war. Man redete selten mehr als fünf bis sechs Sätze pro Woche, denn – was sollte man auch sagen??
 
Vor 12 Jahren wurden Zwillinge geboren. Ein Mädchen und ein Junge. Sie gehörten der Minenarbeiterschicht an.
Diese Kinder aber unterschieden sich wesentlich von den anderen Kindern. Sie hatten starke geistige und körperliche Kräfte, und viele sagten, bei ihrem Lernen gab es einen Zwischenfall – der Wissenshelm gab ihnen zu viele Informationen.
So waren sie bei ihresgleichen gefürchtet und wurden gemieden. Doch an ihrem zwölften Geburtstag gab es ein Fest zu Ehren der heiligen Blume dass sich nur alle 15 Jahre wiederholte. Es war das beliebteste Fest, dass es bei uns gab. Man bekam Fleisch zu essen und brauchte an diesen Tag nicht zu arbeiten.
 
Die Götter zeigten uns ihre Herrlichkeit und ihre Größe. Eine Woche zuvor wurden in der ganzen Stadt Frauen, Männer und Kinder zusammengeholt die  an diesen Tag ihre Körperlichkeit  an die Gesellschaft geben durften.
Diese auserwählten Menschen wurden eine ganze Woche auf dieses Fest vorbereitet und schließlich auf den Altären zerstückelt. Auch hier versuchte man sie so lange wie möglich am Leben zu lassen. Denn gerade bei dieser Zeremonie war es ein Zeichen der Segnung durch die Götter, wenn die Gebenden, so lange wie nur möglich, am Leben blieben und mit ihrem Schreien den Göttern huldigten.
Das Blut wurde in Töpfen aufgefangen und – verdünnt mit Wasser – getrunken.
Die Wächter sind sehr geschickt im Zerteilen, im Aufbereiten und bei der Portionierung.
Die Menge war immer ruhig, die Priester ebenfalls und so auch ihr Stab. Nur das Schreien der Opfer gellte durch die Hallen und Gänge!
 
Diesmal aber war es anders. Als man mit der Zeremonie beginnen wollte, sagten die Zwillinge eines von den unartigen und bösen Worten die niemals jemand in der Anwesenheit der Priester sagen durfte.
Sie sagten: „HALT!“ Es war seltsam. Sie sprachen wie die Menschen und wie die Priester gleichzeitig. Man hörte es im Kopf und mit den Ohren. Die Menge erschrak.
Die Priester drehten sich zu den Störenfrieden um soweit es ihre Stützapparate zuließen. Dies war selten.
Mit Gedankenkraft versuchten die Priester nun die Zwillinge zum Schweigen zu bringen. Sie wendeten soviel Energie auf, das die unmittelbar neben den Zwillingen stehenden Personen wie mit einem großen Hammer getroffen auf die Seite geschleudert wurden. Nur die Zwillinge blieben stehen und lächelten.
Es entbrannte ein Kampf. Doch dieser war sehr einseitig und kurz. Die Zwillinge verfügten nicht nur über die Macht des Geistes – sondern auch über körperliche Kräfte. Es gab einige Opfer im Stab und auch zwei Priester starben.
Alle anderen Priester und Wächter, der ganze Stab floh  – ratlos, denn seit Jahrhunderten gab es nichts Vergleichbares. Niemand, der dem Glauben entgegentrat, niemand der sich auflehnte und der die Macht und die Entscheidungen der Priester anzweifelte.
 
Die Menschen gierten nach Fleisch, sie gierten nach Nahrung. Sie wollten sich auf die Toten und den Verletzten stürzen, doch die Zwillinge geboten Einhalt.
 
Sie fingen an zu sprechen – sie sprachen zu uns allen. Es kostete sie viel Kraft zu uns allen zu sprechen.
Sie erzählten von einer Zeit vor unserem Denken, einer Welt voller unbekannter Dinge. Sie erzählten von Tieren, Pflanzen und Menschen. Alles was sie erzählten sah man in seinen Gedanken. Es war schön. Grün und blau sind die Farben der Natur, man sah Menschen die sich etwas bedeuteten und Stellen wo man zu Hause war. Man spürte das Erzählte, man spürte die  wundervollen Worte körperlich.
Man sah einen blauen Himmel, Bäume und Blumen, Tiere und Häuser,….
 
Da erstarben die Bilder. Wir suchten den Grund – und sahen… Einige Menschen hatten so sehr Lust auf Fleisch und, getrieben von dieser Lust und dem Hunger, getrieben von der Furcht nichts zu bekommen erschlugen sie die Zwillinge. Die Gierigen sind nicht so empfänglich für die Bilder in den Gedanken, deshalb sind sie nicht so abgelenkt wie die meisten anderen Menschen!
Sie schlugen solange auf die Köpfe ein bis diese nur mehr aus Brei bestanden. Danach kehrten auch die Priester und ihr Stab wieder zurück.
 
Alles war wieder so wie es sein soll. Die Priester sagten uns – diese Zwillinge sind das Böse, sie sind das personifizierte Unkraut. Ich hatte nicht wirklich den Eindruck -
aber ehrlich – was soll man denn auch schon machen?
 
Bei dem Fest wurden alle satt, es war ein deutliches Zeichen dafür dass wir nur den Priestern folgen mussten um ein gutes Leben zu führen!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 13.04.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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