Bettina Alexandra Benzmann

Ein Wintermärchen

Die kluge Tanne...

Es war einmal vor gar nicht langer Zeit eine wunderschöne kleine, zarte Tanne. Diese stand, ein wenig abseits von all den anderen, großen, starken und kräftigen Tannen in einer Gemeinschaft namens Wald. Nun geschah es, dass es draußen viele Tage und Nächte lang geschneit hatte, und die Schneeflöckchen hatten sich wie dicke Zuckerwatteberge auf ihre Arme, namens Zweige gelegt. So standen sie da, die Tannen, und wenn abends das Mondlicht auf sie schien, sah es aus als wären lauter unterschiedlich große glitzernde Sterne kometengleich auf die Erde gefallen.
Nun, sie hatten ein schönes, fast sorgloses Leben über all die Jahre hinweg geführt. Doch plötzlich berichtete der ältesten und weisen Obertanne ein Eichhörnchenkurier von der herannahenden Katastrophe. In diesem Jahr hatte der Menschenwald, der ganz in der Nähe von den Tannen lebte, Abgesandte losgeschickt, um einige Tannen für das bevorstehende Weihnachtsfest zu schlagen!
Man stelle sich vor, was für eine schreckliche Nachricht das für den friedlichen Tannenwald bedeutete!! Die Obertanne hatte schon von anderen Kousinentannen gehört, daß sich die Menschen immer die kleinen, hübschen und frischen Tannen heraussuchen, diese umhacken und auf motorigen Zugeseln davontragen! Sie dekorieren damit ihre Nester, um das nahende Christkind willkommen zu heißen. Nachdem die Obertanne diese furchtbare Botschaft vom Eichhörnchen gehört hatte, rief sie die drei ältesten Tannen aus dem Tannenrat zusammen und gemeinsam beschlossen sie, vorerst keine Panik im Wäldchen zu verbreiten, wenngleich auch die Obertanne die anderen schon kritisch ermahnte: „Hört zu, Ihr lieben Freunde, wie ihr wißt, steht in unserer Nähe unsere kleine, zerbrechliche „Tannina“. Wir müssen sie unbedingt vor diesen Mördern schützen, denn ihre Schönheit wird die Förster mit Sicherheit betören. Nur wie?? Wir können uns doch nicht einen Zentimeter weit bewegen und sie steht soweit abseits von uns.“ Ein Raunen und Ratlosigkeit herrschte nun bei den Tannenältesten. Stundenlang überlegten alle vier Tannen hin und her und kamen doch zu keinem befriedigenden Ergebnis. Bis die Obertanne wieder das Wort ergriff: „Liebe Freunde, ihr seht ja selbst, so sehr wir uns auch bemühen, WIR können gar nichts ausrichten, außer das die eine oder andere von uns vielleicht vor lauter Angst auf der Stelle umfällt und somit vielleicht einen Förster trifft. Doch wenn sie zu mehreren in den Wald kommen, wird uns immer noch Gewalt angetan werden, selbst wenn sich eine von uns opfert. Es gibt nur eine Möglichkeit: Die kleine Tanne wird erwachsen werden müssen und versuchen, sich selbst zu schützen. „Wie soll sie das denn machen, sie ist doch so zierlich und klein?!“, riefen die Alten wie aus einem Munde. „Nun“, sprach die Obertanne, „sie ist wahrlich klein - aber sie ist klüger als wir alle zusammen. „Aber was nutzt ihr denn Klugheit, wenn sie nicht weglaufen kann?“ schüttelten alle einstimmig und ungläubig die Köpfe. „Wahrlich ich sage Euch, es wird ihr etwas einfallen, wenn sie nur mutig genug ist“, erwiderte die Obertanne beharrlich. „Eine Idee zur rechten Zeit - das zeichnet wahre Klugheit aus.“ Ich werde mit ihr morgen über die bevorstehenden Ereignisse sprechen und bitte bewahrt dieses Geheimnis vor den anderen, vielleicht sehen wir uns die nächsten Tage alle ein letztes Mal, so lasset uns noch einmal gemeinsam den Tannenblues singen und die uns verbleibende Zeit fröhlich sein. Wir werden um unserer selbst willen schön sein, aufrecht stehend singen - bis wir in den Tod gehen.“
So geschah es. Die Obertanne befahl einem an ihr sich genüsslich kratzenden Hirschen die Nachricht der kleinen Tannina zu überbringen. Oh weh!

Als die Kleine die unheilvolle Nachricht vom Hirschen zu hören bekam, fing sie an jämmerlich zu weinen und zu klagen und zitterte so erbärmlich, dass die dicken Schneehäubchen wie Puderstaub von den Ästen fielen. Alle Tannen verharrten stumm und tief traurig beim Schluchzen der kleinen Tannina. Und sie schluchzte ununterbrochen 2 Tage und 2 Nächte lang.
Von fern ertönten plötztlich am 3. Tage laute Stimmen, Gelächter und Menschen-gesang. Da waren sie nun die Unholde und das Ende der einen oder anderen Tanne schien nah!! „Heihooo, Heihooo was sind wir heute froooh! Wir sind des Waldes Förster und schlagen nun die Bäume! Ein jeder Mensch, der will das sooo, sonst gäb es keine Weihnachtsträume...!!!
„So, alle Mann ausschwärmen und haltet nach mittleren und jungen Tannen Ausschau, die Alten fangen zu schnell das Nadeln an, die Kundschaft will lieber kleine frische Tännchen!“ Die Förster schwärmten aus und machten sich an die Arbeit. Buusch! Da fiel Onkel Sokrates. Tannina konnte nicht glauben was sie sah. Mit schockgeweiteten Augen sah sie, wie diese entsetzlichen Wesen ihren Patenonkel einfach abholzten und auf einen dieser Stahlesel schnallten. „Leb wohl, Tannina“ säuselte eine Windböe durch Onkelchens Zweige „nimm auch du leicht was sein muß, wir werden uns wiedersehen“ und seine Augen schlossen sich für immer.
Nun war es soweit. Ein junger Förster hatte Tannina erspäht. „Huhu, was haben wir denn hier für ein schönes Tännchen, du kommst mit zu mir nach Hause! Das wird ein schönes Fest mit dir werden!“ „Oh du lieber Gott, bitte lass mich jetzt mutig sein“. Tannina betete. Der junge Förster hob die Axt und wollte gerade ausholen - und hielt plötzlich wie angewurzelt inne!!! „Warum willst du mich töten, ich habe dir doch nichts getan?!!“ Uaaaarrrrh. Was war geschehen ??? Tannina konnte plötzlich menschliche Worte sprechen - ein Baum der sprechen konnte!!! Ja, wo gibts denn sowas! Von diesem Augenblick so erschrocken wich der Förster sofort 5 Schritte zurück und lauschte. Sollte ihn etwa der Verstand verlassen haben...?! „Genügt es Euch Mörder nicht, dass ihr wesentliche Teile meiner Verwandschaft bereits ausgerottet habt, müsst ihr euch nun auch noch an Kindern vergehen?! Tannina war so außer sich vor Wut, dass sie gar nicht mitbekam, daß sie in Menschen- und nicht in Baumsprache reden konnte.
„Öhhhh, tut mir leid, tut mir ganz herzlich leid“ stammelte der junge Mann. „Ich glaube, mir wird schlecht, der Glühwein...“ Er ließ kreidebleich die Axt fallen und lief wie ein Wahnsinniger zu den anderen. „Hey Leute, hört sofort auf, die Bäume zu fällen, sie leben, sie können sprechen!“ „Waaaas?“ Der Oberförster schaute auf seinen jungen Azubi, der nun genauso aussah wie die Schneedecke unter seinen Füssen.“Hannes, dir gehts wohl nicht gut - Leute, wir brechen hier ab, dem Hannes gehts schlecht, der fantasiert irgendwie!!“ Die anderen Förster kamen nun aus allen Winkeln des Tannenwaldes. Aber keiner von ihnen hatte auch nur eine einzige Tanne mehr dabei. Aber sie schauten allesamt gleich bleichgesichtig erst auf Hannes und dann auf den Försterchef. Was war geschehen? In dem Moment, als Tannina anfing lauthals zu protestieren, schlugen sämtliche ihrer Verwandten und andere Tannenfreunde unbewußt ihren Tenor an. Alle Tannen konnten auf einmal Menschensprache sprechen, nur weil eine, Tannina, den Mut fand, dies als erstes zu tun.
Von diesem Tage an, konnten alle Tannen auch in der Weihnachtszeit friedlich und in Harmonie ihr Dasein fristen, denn nie wieder kehrte auch nur einer der Förster in diesen Zauberwald zurück. Auch der Oberförster nicht, denn 10 Leute konnten nicht gelogen haben. Und wenn sie nicht abgestorben sind, so leben sie noch heute...


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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.04.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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