Mario Hedemann

Die Insel der Verlorenen - Teil 2

 

Es war sechs Uhr dreißig, als mein Wecker mich aus den Bett schmiss. Meine Frau hatte ihre warme Koje schon längst verlassen und bereitete, wie ich vermutete, dass Frühstück vor. Zumindest hörte ich aus unserer Küche klappernde Geräusche, die meine Hoffnung auf ein frisches Brötchen weckten.
Verschlafen und etwas neben mir stehend stand ich auf und machte mich auf dem Weg ins Bad. Mit einen „Hallo Schatz,“ torkelte ich an der Küche vorbei ins Bad. Ich zog meine Unterhose aus und stellte mich unter die Dusche. Das warme Wasser lies mich allmählich klare Gedanken fassen und es tat gut, wenn man morgens aufstand und sich schlaftrunken unter die Dusche stellen konnte.
Nach einer halben Stunde kam ich fertig angekleidet und frisch und munter aus dem Bad und ging in die Küche. Meine Frau hatte schon den Tisch mit den herrlichsten Frühstückssachen dekoriert und der Duft des Kaffees lies mich in einer harmonischen Stimmung sinken.
Ich setzte mich an meinem Platz und stellte fest, dass die Hoffnung auf Brötchen mich nicht im Stich gelassen hatte. Es war ein herrlicher Morgen. Draußen schien die Sonne, im
Radio trillerte Jackie Wilson sein „Lonley Teerdrops“ und meine Frau saß mir gegenüber. Das Lied von Jackie Wilson passte eigentlich nicht so recht zu dieser Stimmung.
„Hallo Schatz,“ sagte sie. „Hast du gut geschlafen?“                                                        
"Wie ein Stein,“ erwiderte ich „bis mich dieser blöde Wecker aus meinen Träumen holte.“
„Das tut mir leid, aber du musst nachher den Zug bekommen, sonst kannst du kein Urlaub machen.“
„Tjaaa, ich weiß, dann geht es nachher los. Es ist nur gut, das ich meine Sachen schon Gestern gepackt hatte, denn sonst wäre es mir heute zu stressig geworden.“
Meine Frau setzte sich mir gegenüber und sah mich mit einem Grinsen an. Ich nahm die Kaffeekanne und schenkte uns eine Tasse ein. Der Duft des Kaffees machte mich nervös und ich konnte es kaum abwarten, den ersten Schluck zu mir zu nehmen.
Wie eine Katze nach einer Maus schnappt, nahm ich den ersten Schluck Kaffee gierig aus der Tasse und verbrannte mir sogleich meine Lippen so stark, dass ich aufsprang und zum Spülbecken lief, um mir die Brandstelle mit kaltem Wasser zu spülen. Der Schmerz  ließ nach ein paar Sekunden nach und ich setzte mich wieder am Tisch.
„Das kommt davon, wenn man so unbeherrscht ist,“ lächelte mich Loren (das ist der Name meiner Frau) an.
„Hier nimm dir ein frisches Brötchen und trink deinen Kaffee langsam. Dein Zug fährt erst in fünf Stunden. Oder kannst du es nicht mehr abwarten, bis du endlich alleine bist?“ fragte sie lächelnd.
„Nein, ich meinte, doch, natürlich kann ich es noch abwarten, aber es ist nur so, dass ich mich schon seit dem aufstehen vorhin auf eine schöne Tasse Kaffee und ein frisches Brötchen gefreut habe und es kaum noch abwarten konnte, endlich am Tisch zu sitzen und mir die Köstlichkeiten ein zu verleiben.“
Loren grinste mich an, nahm sich ebenfalls ein Brötchen aus dem kleinen Rattankorb und teilte es in zwei hälften. Die eine hälfte bestrich sie mit Butter und Marmelade, während ich mit brennender Zunge den zweiten Versuch wagte, ein Schluck Kaffee zu nehmen. Ohne Eile und Hast gelang es mir den zweiten Schluck herunter zubekommen, ohne mich zu Verbrennen.
„Was werden wir in den Fünf Stunden noch anstellen, in denen du noch hier bist?“ 
Loren schaffte es immer so wunderbar die Fragen zu stellen und einen dabei anzusehen, dass mir nie etwas anderes übrig blieb, als nach zu geben, obwohl sie mir manchmal gewaltig auf die Nerven ging. Oh ja, wenn Loren ein Thema fand, über das sie mit jemanden diskutieren konnte, dann konnte sie unendlich viele Stunden nur an diesem einen Thema kauen. Loren ist zwar jünger als ich, aber Geistig doch viel gewandter.
Manche Situationen hat es schon gegeben, da kam ich mir wie eine Frau vor, die nichts bei ihren Mann zu melden hat, weil er die ganzen Handwerker und Gartenarbeiten zu machen hat und die Frau in der Küche stehen muss. Ich muss ehrlich sagen, dass es mir eigentlich immer Egal ist, wer was macht. Die Hauptsache ist, dass nicht alles an einer Person hängen bleibt. 
"I
ch weiß nicht. Schlag was vor,“ erwiderte ich.
„Ich könnte meine neuen Dessous anziehen und dich vielleicht noch mal richtig einheizen. Wir könnten aber auch noch einen kleinen Spaziergang machen und uns noch unterhalten. Oder wir fahren deine Mutter noch besuchen und du verabschiedest dich von ihr, wie es sich für einen braven Sohn gehört.“
Ich sah Loren etwas ungläubig an und sagte: „Das mit den Dessous ist eine Sache, ebenso wie Spazieren gehen, aber meine Pflicht nachkommen und mich bei meiner Mutter ordnungsgemäß abzumelden ist eine ganz andere Sache. Aber wenn du deine Dessous anziehst, fände ich das eigentlich gar nicht fair, weil ich dann meinen Zug verpassen werde und dann kann ich meinen Urlaub abschminken.“ Grinsend sah mich Loren an und spottete: Oooh, das tut mir aber leid. Und dann bekommst du nicht die Ruhe vor mir, die du gerne hättest oder?“
„Ich fürchte nein,“ antwortete ich.
Ich nahm mir ein Brötchen und schnitt es ebenfalls in zwei Hälften, die ich mir mit Salami belegte. Stumm aßen wir einen Augenblick weiter, als Loren plötzlich aufstand und die Küche verlassen wollte.
„Wo willst du denn hin?“ wollte ich wissen. Doch Loren grinste mich an und sagte:
„Ich bin gleich wieder zurück. Tu mir einen Gefallen und bleib einfach sitzen ja?“
Überraschungen konnte Loren immer schon sehr gut hinbekommen und so entschloss ich mich einfach auf meine Platz sitzen zu bleiben und auf die Dinge zu warten, die da kommen würden. Ich biss genüsslich in mein Brötchen und trank in aller ruhe meinen Kaffee, währen hinter mir die Schlafzimmertür zuging.
Loren hatte also wieder etwas vor. Da war ich aber mal wieder Gespannt.
Und wenn sie nun doch ihre neuen Dessous anzog? Ich wusste genau, dass ich ihr da nicht widerstehen konnte und über sie herfallen würde. Ich würde also mein Bus verpassen, der mich nach Kiel zum Hafen bringen sollte und aus meiner Urlaubsreise würde nichts werden. Dann würde ich hier wieder mit Loren zusammen sitzen und wir würden uns über Kleinigkeiten streiten, so wie es in der letzte Zeit öfter vor kam.
Ihr älterer Bruder Dan ging bei uns ein und aus, und er bekam öfters Streit zwischen uns mit. Er riet mir, dass einer von uns, also Loren oder ich  ganz allein Urlaub machen sollte.
Dan war Bauarchitekt und besaß in ganz Deutschland, aber auch Australien und Amerika einige Häuser. Uns wollte er auch schon ein Haus andrehen, doch ich sagte ihm, dass wir es nicht finanzieren können.
Dan war in meinem Alter und sah recht gut aus. Ich hatte niemals Probleme mit ihn gehabt und es brauchte seine Zeit, bis man Dan aus der Ruhe  bringen konnte.
Wir beschlossen also, dass irgend jemand von uns auf Reise geht. Loren und ich brauchten gar nicht lange zu diskutieren, wer hier auf Reisen geht, denn ich gab mich sofort geschlagen und hielt es von Dan eine hervorragende Idee.
Auch Loren fand den Vorschlag angemessen, dass wir uns für ein Weilchen aus dem Weg gehen sollten. 
Die Schlafzimmertür ging hinter mir wieder auf und ich hörte, wie Loren mit ihren hochhackigen Stiefeln übers Laminat im Wohnzimmer trampelte. Ich hatte gerade mein letzten Bissen vom Brötchen getan und kaute noch an ihm herum, als ich sie in die Küche kommen hörte. Der Schlag mit ihren Stiefeln auf den Boden verriet mir eine gewisse Vorstellung, wie Loren ungefähr  gekleidet war. Eine rote Strapse mit ihren schwarzen Schnürstiefeln, die ihr bis zu den Knien gingen, Schwarze Strümpfe und oben herum einen schwarzen BH in dem ihre Brüste von Körbchengröße D hin und her schaukelten.
Gemütlich nahm ich noch einen Schluck Kaffee (verbrannte mich aber diesmal nicht) stellte dann die Tasse hin und spürte gleichzeitig, wie Loren ihre Hand auf meiner Schulter legte. Adios Zug, dachte ich nur.
„Na mein Süßer? Wie gefällt dir das?“ sagte sie. Aus ihrer Stimme konnte ich eine kleine Erregung hören. Ich drehte mich um und starrte sie mit offenem Mund an.
Sie war genauso gekleidet, wie ich mir Loren eben noch vorgestellt hatte. Öfters hatte sie diese Kleidung an, meistens Provozierte sie mich damit, wenn ich schlafen wollte und jedes Mal schaffte sie es dann, mich um meinen Schlaf zu bringen. Diese Kleidung war nicht neu, so wie Loren eben sagte.
Aber was dann geschah, muss hier nicht erwähnt werden. Jeder wird es sich denken können.


Unser Sexackt dauerte ungefähr drei Stunden. Danach konnte ich wieder  Duschen gehen und musste mich ein bisschen beeilen, um meinen Zug noch zu bekommen.
Es blieben mir noch zwei Stunden. Tja, was sollten wir in diesen zwei Stunden noch tun? In zwei Stunden kann man viel erledigen, zum Beispiel könnte man noch aufräumen oder Spazieren gehen, oder ich könnte doch noch meine Mutter besuchen und mich von ihr verabschieden.
Aber nichts von alle dem wollte ich tun, denn bei mir machte sich so etwas wie Heimweh breit. Ich konnte es nicht glauben, aber es war so. Am liebsten hätte ich meinen Koffer wieder ausgepackt und hätte Loren gesagt, dass ich doch nicht fahre und bei ihr bleiben würde. Ich kannte Heimweh von Früher her. Meine Mutter musste mir immer eine Entschuldigung schreiben, wenn wir von der Schule aus eine Klassenfahrt machten. Ich hasste Klassenfahrten. Eine einzige von insgesamt zehn hatte ich mitgemacht und obwohl es für drei Tage in den Hatz ging, bekam ich schon am ersten Tag Heimweh. Die anderen aus meiner Klasse lachten mich aus, als ich anfing zu heulen. Dadurch wurde alles nur noch viel schlimmer. Meine Lehrer redeten mir ein, dass es doch nichts schöneres gäbe, als von zu Hause weg zu kommen. Ich sah das nicht so. Die gesamten drei Tage die wir im Hatz waren, hatte ich keinen Hunger und jeden Tag verspürte ich einen dicken Klos im Hals. Ich wollte nur noch nach Hause, mich in meinen Zimmer aufs Bett legen und mir meine Manfred Mann Platten anhören. Ich kann mich auch nicht mehr genau daran erinnern, wie es im Hatz war. Sicherlich war es schön, für die Leute die kein Heimweh hatten.
Und nun verspürte ich Heimweh nach Loren. Obwohl sie mir manchmal auf die Nerven ging, so war sie doch immerhin noch meine Frau und ich liebte sie. Auch wenn ich es ihr nie so recht zeigen konnte. Ich setzte mich im Wohnzimmer am Tisch und grübelte. Ich spürte plötzlich diesen dicken Klos wieder im Hals, genau wie damals auf der Klassenfahrt. Loren setzte sich neben mir und fragte: „Was ist denn los mit dir? Hast du jetzt auf einmal keine Lust mehr zu fahren?“
Ich schaute sie an und merkte, wie sich meine Tränendrüsen öffneten. Einiges von der Flüssigkeit lief an meinen Wangen herunter und ich musste mich sehr zusammen nehmen, um nicht vollends ein Heulkonzert zu geben. Loren kam zu mir rüber und setzte sich neben mir, legte den Arm um meine Schultern und musterte mich traurig an.
„Hey, was ist denn auf einmal mit dir los?“ fragte sie mitleidig.
„Ach nichts. Es ist nur, dass du mir sehr fehlen wirst und ich nicht einmal weiß, ob es dort ein Telefon gibt, von dem aus ich dich anrufen kann.“
„Weiß du was? Ich gebe dir eine Kette von mir mit und jedes mal, wenn du Sehnsucht bekommst, schau dir die Kette an und denke immer daran, dass ich dich liebe.“
Damit drückte sie mir ihre Halskette in die Hand und gab mir einen Kuss.
Es war vorbei. Der Wasserstau in meinen Augen ließ sich nicht mehr aufhalten. Loren drückte mich an sich und versuchte mich alte Heulboje zu trösten. Ich schluchzte in ihrem Pullover rein was das Zeug hielt und nahm gleichzeitig ihr Parfümgeruch war, der süßlich nach Vanille duftete.
„Vielleicht wäre es besser, wenn du deine Koffer wieder auspackst und hier bleibst,“ sagte Loren.
Mit verheulter Stimme sagte ich: „Nein nein, las gut sein. Ich fang mich gleich schon wieder.“
Wir hielten uns in den Armen und sagten uns beide, dass wir uns liebten.

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.04.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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