,,Benimm dich ja ordentlich’’, ruft der Vater dem halbwüchsigen Sohn noch hinterher. Ob er heute mal ohne Blessuren nach Hause kommt, denkt der Vater. Es vergeht kein Tag an dem der Junge nicht mit gesenktem Kopf und roten Augen nach Hause kommt. Ob er es je versteht. Diese Entscheidung.
Es ist doch das Beste für uns gewesen. Trägt er zu schwer an dieser Last. Seine Freunde weinten beim Abschied, jeder wünschte uns alles erdenklich Gute. Es war eine lange Reise voller Entbehrungen und Hoffnungen.
Wird alles besser? Wird man uns akzeptieren? Ich denke schon. Nur gutes hört man über dieses Land und seine tollen Menschen. Weltoffen sollen sie sein, tolerant und arbeitsam.
Keine Minute zögerte ich, um mich für dieses Land zu entscheiden. Dieses Land, erbaut aus harter Arbeit. Auch ich kann arbeiten, man wird mich brauchen, dachte ich. Ich wollte mithelfen dieses Land, meine neue Heimat, noch schöner zu machen. Aber, genug geträumt.
Ich mache mich auf den Weg zur Arbeit. Seit kurzem bin ich bei einer Reinigungsfirma beschäftigt. Wir kümmern uns um die Sauberkeit der öffentlichen Toiletten. Ja, sauber muss es hier sein. Ein sauberes Land. Am Anfang wunderte ich mich, jeder meiner Kollegen war alles andere, nur nicht - deutsch. Komisch, aber es hat mich nur kurz beschäftigt. Ich mache diesen Job gerne. Es muss ja alles sauber sein. Jedenfalls äußerlich.
An diese komischen Blicke jedoch werde ich mich, glaube ich, nicht gewöhnen können. Sie sehen irgendwie nach Hass aus. Sie starren mich förmlich an und das tut irgendwie weh. Ich lächele meist freundlich zurück, aber es bleibt bei diesem eisigen Blick. Egal.
Meist hole ich mir noch schnell eine Bratwurst, gleich an der Imbissbude neben meiner Arbeit. Natürlich nicht während der Arbeitszeit. Das dürfen wir nicht, sagt der Chef. Dort sehe ich meist auch nur griesgrämige Gesichter.
Was ist nur los, denke ich. Dieses Wetter macht den Leuten doch sehr zu schaffen. Sie meckern dann meist noch über ihr eigenes Land. Dieses schöne, saubere Land. Ich lächele dann meist immer.
Aber nur allein.
Aber dieser Tag heute ist irgendwie komisch. Ich kenne dieses Gefühl von damals, wenn Schlangen sich näherten. Diese Gefahr war es. Ich spürte sie. Mein Herz pocht wie wild und meine Hände schwitzen. Wo war sie. Wo war die Gefahr. Ich renne so schnell ich kann die Straße entlang, welche zu unserer Wohnung führt. Ich komme näher und näher, meine Brust schmerzt.
Ich sehe in einiger Entfernung eine riesige Menschenmenge. Oh Gott, was ist da nur los, direkt vor unserer Wohnung. Es müssen die Schlangen sein. Ich werde langsamer, gehe jetzt fast. Mich erfasst ein ungutes Gefühl. Unsere Fensterscheiben sind eingeschlagen und mit roter Farbe steht an die Wand gesprüht <<SCHEIß NEGER>>.
Ich bahne mir einen Weg durch die Menschenmenge und sehe, was ich niemals sehen wollte.
Mali liegt zusammengekauert auf dem Asphalt und ein leises, gluckerndes Wimmern ist zu hören.
Und da waren sie wieder, diese eisigen Blicke der Menschen. Niemand hilft.
Ich knie mich zu meinem Sohn herunter und nehme ihn ganz fest in den Arm.
,,Papa’’ sagt er. ,, Warum hast du mich die ganze Zeit angelogen. Du sagtest, die Leute sind so gut hier. Ich habe dir geglaubt. Jeden Tag wurde ich bespuckt und geschlagen. Warum wolltest du es nicht sehen.
Du hast stets an das Gute der Menschen geglaubt. Ich habe jeden Tag gelächelt, wie du gesagt hast. Sei immer freundlich, hast du gesagt. Ich war es. Ich lag auf dem Boden des Klassenzimmers und habe gelächelt.
Sie riefen: ,,Ihr nehmt uns die Arbeit weg.’’ Sie riefen: ,, Scheiß Neger’’ und ,,Abzocker.’’
Ich habe weggehört und dachte, die meinen es nicht so.
Immer musste ich mir überlegen, wo die Schürfwunden herkamen.Es passte nicht zu deinen Worten.
Ich stammelte: ,,Entschuldige, mein Sohn.’’
Ich hörte eine Sirene und spürte gleich darauf einen unbändigen Hass. Ein Gefühl das ich vorher nicht kannte. Die Fahrt zum Krankenhaus schien eine Ewigkeit zu dauern. ,,Eine türkische Familie aus ihrem Haus hat uns alarmiert’’, sagten sie.
Tagelang wache ich am Bett meines Sohnes, halte seine Hand und trockne seine und meine Tränen. Habe ich mich selbst belogen? Es ist laut im Zimmer. Zwei ältere Herren meckern über die schlechte Behandlung im Krankenhaus. Ich blicke aus dem Fenster und sehe Regentropfen die Scheibe herunterlaufen.
Ich will lächeln und kann nicht.