Mario Hedemann

Die Insel der Verlorenen - Teil 4

 

 

Einen Platz zu finden war gar nicht so schwer, denn der Zug war noch nicht so voll. Ich suchte mir ein Fensterplatz aus, so das ich Loren noch auf dem Bahnsteig sehen konnte. Sie stand da und sah mich durchs Fenster an.
 Verdammt noch mal, was musste ich mich zusammennehmen, dass ich nicht wieder anfing zu heulen und diese Neu modernen Fenster ließen sich nicht öffnen.
Neben Loren sah ich, das sich nun eine menge Leute in den Zug drängten. Loren winkte mir zu und warf mir einen Handkuss zu. Ich erwiderte ihren Handkuss, in dem ich die Fensterscheibe küsste. Just in diesen Moment kamen einige jüngere Leute herein und mit der noch eben herrschenden Ruhe im Abteil war es vorbei.
 Einige Zeit sahen Loren und ich uns noch an. Es tat mir weh, sie da so stehen zu sehen und wenn ich daran dachte, dass sie gleich allein zurückfahren musste.
 Hinter meinem Sitz setzten sich zwei junge Leute hin, die etwas ungewöhnlich aussahen. Es waren ein Mädchen und ein Junge. Beide schienen ihre Haare in einen grünen Farbeimer getaucht zu haben, sofern sie noch Haare auf dem Kopf hatten, denn es sah so aus, als hätten sie ihren Frisör sehr schlecht bezahlt. Ein grüner Haarstreifen überquerte bei dem Jungen die Mitte des Kopfes. Die Seiten waren Kahl geschoren. Die dicke Lederjacke, die geradezu unpassend für diese Jahreszeit war, war übersät mit Nieten und irgendwelchen Aufnähern und Buttons. Das Mädchen hatte ein hübsches Gesicht und machte den Eindruck, als ob sie von Sauberkeit auch nicht viel hielt, denn immerhin trug sie eine kaputte und verdreckte Jeanshose  und lange grüne verfilzte Haare, die aussahen, als hätten sie schon Monate keine Bürste mehr gesehen. Sie trug ebenfalls eine dicke Lederjacke mit einigen Buttons und Aufnähern. Der junge hielt eine Dose Bier in der Hand und nahm einen großen Schluck daraus. Dann holte er eine Zigarette heraus und steckte sich eine an.
 Mein Blick fiel wieder durchs Fenster zu Loren, die immer noch da stand und mir ihr reizendes Lächeln schenkte.
 Dann kam noch einmal eine Durchsage durch den Lautsprecher und im nächsten Moment schlossen sich die Türen. Dann gab es einen kleinen Ruck und der Zug setzte sich langsam in Bewegung. 
 Loren und ich winkten uns zu und ich konnte sehen, wie sie sich immer weiter entfernte und der Zug an Geschwindigkeit zunahm.  
Schießlich war meine Liebe nicht mehr zu sehen und in Zeitraffer rauschten nur noch irgendwelche Häuser an mir vorbei und kurz darauf verließen wir scheinbar die Stadt, denn dann flogen nur noch Sträucher und Wiesen an mir vorbei. Die grünen Menschen hinter mir unterhielten sich über irgendwelchen anderen Leuten. Jedes mal wenn das Mädchen etwas erzählte, ( und sie erzählte so laut, als ob der gesamte Zug ihr Geschwätz mitbekommen solle ) kam von dem Jungen nur „Boa echt ey?“ 
Anfangs ging es ja noch, aber nach einer ganzen Weile nervte es. Ich weiß nicht mehr, wie lange der Zug schon unterwegs war, aber irgendwann ging während der Fahrt die Tür auf und der Schaffner kam herein.
 „Guten Tag, die Fahrausweise bitte,“ sagte er und sah mich an. Ich griff in die Innentasche meiner Jacke und holte meinen Fahrausweis heraus. Voller Zuversicht hielt ich ihn den Schein hin und sah dabei zu Boden. Hinter mir fing der Junge tierisch an zu lachen. Der Schaffner warf ihn einen ernsten Blick zu und das Lachen verstarb sofort. Dann stempelte er meinen Fahrausweis ab und gab ihn mir zurück. Ernst ging er zu dem Sitz hinter mir und verlangte die Fahrausweise. Gelassen lehnte ich mich in den Sitz zurück und schaute aus dem Fenster. Meine Gedanken waren sofort wieder bei Loren, wie wir uns heute morgen geliebt hatten und wie ich in ihren Armen wie ein Schlosshund geheult hatte. Und jetzt, wo ich wieder gedanklich bei ihr war,  wäre ich beinahe wieder angefangen zu heulen. Wenn ich mich nicht lächerlich machen wollte, musste ich mich zusammennehmen.
 Hinter mir ging eine Diskussion mit dem Schaffner und dem Jungen los.
 „Tut mir Leid, dass Sie jetzt durch mich Arbeit haben, aber Ihre Kollegin hatte vor meiner Nase eben den Schalter geschlossen und gesagt, dass wir hier bei ihnen eine Karte lösen können. Von Nachzahlung hatte sie nichts gesagt.“ Seine Stimme klang ein wenig Ängstlich.
 „Wir sind dazu verpflichtet Nachschlag zu nehmen mein Freund,“ hörte ich den Schaffner mit ernstem Ton sagen.
 „Wenn Sie kein Geld für Nachschlag haben, dann müssen Sie an der nächsten Station aussteigen.“
 „Das wird eine Beschwerde bei ihren Obersten geben,“ mischte sich das Mädchen ein. „Das ist eine absolute Frechheit, dass uns Ihre Kollegin nichts davon gesagt hatte, dass die Deutsche Bahn ihre Kunden so übers Ohr haut.“
 „Wenn Sie anfangen wollen hier einen Aufstand zu machen, dann las ich den Zug anhalten und Sie können die Restliche Strecke laufen.“
 In dem Moment waren meine Gedanken an Loren weggewischt, als ich mich umdrehte und sah, dass der Junge drohend aufstand und den Schaffner finster ansah.
 „Was ist los? Ich hab mich wohl verhört Alter,“ drohte er dem Schaffner.
 Der Junge hatte den Platz am Fenster, so das das Mädchen noch vor ihn saß.
 „Hör auf Olaf, das bringt doch nichts,“ flehte sie. 
 „Pass bloß auf Freundchen, dass ich dir nicht gleich den Hintern versohle,“ warf der Schaffner ein.
 Ich wendete meinen Blick wieder dem Fenster zu und lauschte dem Gespräch.
 „Was ist? Stellst de uns jetzt eine Karte aus, oder muss ich erst sauer werden?“
 „Ich werde ihnen keinen Ausweis ausstellen, denn bald kommt die nächste Station und da steigen Sie bitte aus.“
 „Waaas?“ rief das Mädchen. „Komm Olaf nun setz du dich mal wieder hin und halt die Klappe.“ Auf den Befehl des Mädchens setzte sich der Junge glaube ich wieder, denn nun diskutierte das Mädchen mit dem Fahrkartenkontrolleur.
 „Hören Sie, wir haben wirklich nicht mehr Geld dabei, als uns die Karte gekostet hätte. Wir können keinen Nachschlag zahlen.“
 „Dann steigen Sie bitte an der nächsten Station aus.“ Der Tonfall des Schaffners klang nun sehr Ernst.
 „Das werden Sie noch bereuen, denn wir...,“ 
 „Sagen Sie,“ unterbrach ich das Mädchen, stand auf und sah sie an. Sie hatte ein Bildhübsches Gesicht, was mir beim hereinkommen der beiden nicht so auffiel. „Wie viel bekommen Sie von den beiden?“ fragte ich den Schaffner. Der sah mich verwundert an, ebenso wie das Mädchen und Olaf.
 „Als Zuschlag bekomme ich noch zehn Euro,“ sagte er.
"Das ist reiner Wucher, finden Sie nicht?“ fragte ich den Schaffner.  Ich holte mein Portmonee aus meiner Gesäßtasche und suchte nach einem zehn Euro Schein.
 „Hören Sie, wir brauchen keine Almosen,“ sagte  Olaf und sah mich aus seinem Sitz heraus  an. Schließlich fand ich ein zehn Euro Schein und gab ihn den Schaffner. Der Steckte das Geld in ein großen Lederbeutel, den er bei sich trug und stellte dem Pärchen zwei Fahrausweise aus. Nachdem er dem Mädchen die Fahrausweise überreichte, verschwand er Wortlos. Ich wollte mich gerade wieder an meinem Fensterplatz begeben, als das Mädchen sich bei mir bedankte und mir anbot, doch bei ihnen Platz zu nehmen.
 „Ach, las gut sein,“ sagte ich. „Ich habe einen Bekannten bei der Bahn, der bei einer höheren Position beschäftigt ist und wenn ich ihn das erzähle, dann kann der Kerl (Ich deutete mit dem Kopf in die Richtung, in der der Schaffner gerade verschwunden war ) mit einer Abmahnung rechnen.“
 „Haben Sie trotzdem Herzlichen Dank,“ sagte Olaf. „Sagen Sie, wollen Sie nicht wirklich bei uns Platz nehmen? Immerhin müssen wir doch wissen, wer uns gerettet hat.“
 Ich schüttelte den Kopf und setzte mich wieder hin. Ruhe herrschte nun eine ganze Weile, eh der Junge wieder anfing zu sprechen. Sie unterhielten sich, sofern ich das mitbekam, wieder über irgendwelche Leute. Ich sah wieder  aus dem Fenster und Wiesen und Äcker flogen an mir vorbei. Die Geräusche des Zuges und die Gespräche der anderen ließen mich bald schläfrig wirken. 

 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Mario Hedemann).
Der Beitrag wurde von Mario Hedemann auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.04.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Mario Hedemann als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Initiation und Liebe in Zaubermärchen: Eine Brücke zu dem alten Wissen von Jürgen Wagner



9 europäische Initiationsmärchen über die Einweihung in wesentliche Aspekte des Lebens, vorgestellt und ausgelegt

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Sonstige" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Mario Hedemann

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Vorletzter Teil Die Insel der Verlorenen Teil 23 von Mario Hedemann (Sonstige)
Omas Pflaumenkuchen von Heideli . (Sonstige)
Drei Minuten nach Fünf von Klaus-D. Heid (Satire)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen