Walter Günther

Hilfshölle (oder die Gedanken eines Alleinunterhalters)

 

HILFSHÖLLE

(oder die Gedanken eines Alleinunterhalters)



PPPOLTERABEND (Dorf)


Am Abend 'vorher' findet ein gewaltiges Gepolter statt. Keine Bedenken könnten jemals so laut sein, werden einfach zugepoltert.. Sie poltern sich den Frust von den Seelen und aus den Sinnen, wie von Sinnen.

Vor meiner Hochzeit wurde auch gepoltert. Aber als wir dann aus dem Kino kamen, hatten die Nachbarn ihre Scherben schon selber weggefegt – Ich bin heute 38 Jahre lang verheiratet.

- Prost -

Da kommen so ziemlich verschiedene Vertreter der heimischen und unheimischen Dekadenz zusammen. 'Sie' trägt heute die neueste 'Frisursitztheutnichsogut' und außerordentlich modische Kleidung, bedrohlich modisch, voll gestylt. Was man in so einer Kleinstadt kriegen kann, wird sich auf den mehr oder weniger durchgejoggten Konsumkörper gezogen. 'Er' kommt betont lässig, jovial bis trivial, mit Sacko und Schlips, passend zu Gesicht. Er hat sein erstes Pils fest in der Hand. Die Alten sind wie immer, neutral und unmodern.

Das Buffet wird aufgebaut, der Wirt flötet das Lied vom Umsatz und endlich fängt die Lalla* an und alle glotzen doof rum.Tante Mariechen und Onkel Kurt sind schon ganz am Anfang peinlich fröhlich und schwofen über den knarrenden Bretterboden des Festzeltes. Die anderen müssen erst noch'n bißchen fressen, damit das Saufen nich' so reinhaut und weil heut' alles für lau gibt.

Onkel Kurt geht jetzt auch fressen und die Lalla spielt Fressmusik. Dann sind alle müde und der Tastendrücker ist schuld. Der Sound ist überhaupt wieder sehr neutral heute – keiner hört hin!

Ich glaub' jetzt muß ich wat Flottes spielen, solange es noch möglich ist, denn die Definition des Wortes 'flott' ist dem Durschnittsgehalt an Blutalkohol direkt proportional. Also los! Fingerspitzengefühl, die Lachfalten reingezogen und außerdem hast du nach dem Fressen erst drei Stücke gespielt und schon 85 Maak inne Tasche und nur so geht dat!

Ah, da hinten die kleine Schwarze mit den hübschen Augen und Beinen könnte mir gefallen, nicht übel. Jetzt schaut sie zu mir herüber, oder nich', nee, nich' natürlich! Ich bin ja bloß die Lalla und dafür ist sie viel zu jung. Jetzt tanzt sie mit dem professionellem Schlipsgesicht vonne Theke, verdammte Krempenfresse. Na ja, was soll's, die Welt ist eben ungerecht und außerdem bin ich sowieso nur wegen der Kohle hier, wat soll's – und überhaupt, keine schlechten Modelle hier heute, na ja fragt sich nur – wahrscheinlich wie immer, geschminkte Kleiderständer.

Endlich wird der Schneewalzer fällig. Reichlich spät heute. Die Meute humpelt im Gegentakt umeinander, ihre Auffassung von Walzer.

Jetzt müßte ich eigentlich schon 100 Mark im Sack haben.

Oh, da vorne die Techno-Typen kucken so komisch. Die wollen doch wohl nich', nö, geht sowieso nich'.

Jetzt stehen fast alle anner Theke, alle Männer natürlich, wer sonst. Zwei Frauen (alte) tanzen zusammen. Zwei andere Frauen (junge) sehen dat und tanzen auch zusammen. Jetzt nur kein Bossa Nova und nix Langsames. Wie lautet doch gleich der letzte Schweinehit von diesen Zillertaler Gummischürzen. Na klar! Sieh doch! Den kennense – Stimmung!

- Pause -

Alles klatscht und ist happy, außer mir natürlich, denn ich hab' ja noch vier Stunden – mindestens.

Trinke ich heute? Was meinst du? Klar!! Ist ja nicht zum Aushalten hier! Fetzen von Musik, ich meine von richtiger Erwachsenen-Musik, drängen sich in meinen Kopf und dabei grinse ich die Typen an wie ein professioneller Blödmann. Mensch Junge, beherrsch' dich! Mach' bloß keinen Scheiß. Schon beobachte ich meine linke Hand bei einem unkontrollierteten Blues-Riff. Sofort aufhören! Die Zeit dehnt sich wie Kaugummi und mein Kreuz tut weh. Was?! So früh noch?! Ich laß' drei Cognac und ein Pils kommen. 'Was? Drei?!' fragt die plumpe Schleppmamsell. 'Klar!' sag' ich 'Klar drei!' Ich rauche die fünfte Zigarette, denn wieder ist Pause. Was soll man sonst machen, in den Pausen.

Weiter geht's. Mit ultra dümmlichen Partyspielen sorge ich dafür, daß denen auch das Kreuz weh tut. Das habt'er davon! ...und sie freuen sich kaputt. Die Stimmung überschlägt sich. Das Zelt siedet. Gut ne?! Schlipse und Jackets behindern den Schweißausbruch erheblich. Sie werden echt locker und jemand meint, ich soll ma' 'ne Polonaise machen. Wat? Jetzt schon?! Hab' kein' Bock und außerdem bestimm' ich dat.

Endlich wirkt der Alkohol und mir geht es entschieden besser. Mein Verständnis für die Wünsche der Polterabendgesellschaft steigt von Glas zu Glas, wobei die kleinen Gläser mit der –braunen Flüssigkeit den höchsten Verständnisfaktor erzeugen. Gerade war ich sogar so richtig drauf, ungefähr so für neun Sekunden, jedenfalls im Ansatz, da kommt jemand und fragt mich, ob ich wat kann, waddich natürlich kann, doch niemand fragt na' Jupp Schmitz oder Jimmy oder wie die Teerpappe heißt. Ich sag' nur 'Mercy mercy......'

Nach sechs großen und sieben kleinen Gläsern der Verständnisflüssigkeit beginnen die People mich zu akzeptieren – oder ist es umgekehrt? Schrecklich! Den genauen Feinpegel kann ich jetzt jeweils mit einigen Pils nachregeln. Hilft das nicht, gibt es immer noch die 'Coarse'- Funktion, oder wie der Synthesizer sagt. Take it easy ole boy or you go for the dogs. Allerdings könnte man sich auf diese Weise schon mal einen kleinen intimen Leberschaden zulegen. Die Frage ist lieber physisch krank als psychisch....?

Jetzt gebe ich so richtig Stoff.

Eine ganze Schweineseite aus meinem Polkaprogramm wird gnadenlos runtergezogen. Die Leute japsen fröhlich und Tante Klärchen fächelt sich mit einer belegten Schnitte Luft zu. Alle sind glücklich bis zur Erschöpfung. Mir tu'n die Finger weh und der Rücken und ich denke über die Relativität der Zeit nach.

Jetzt tanzen die sympatischen Pummel und der alte Bock dahinten. Die Greisin am ersten Tisch tanzt nie, aber sie macht auch kein böses Gesicht. Wahrscheinlich ist sie gerade beim neunten Verständnisversuch oder vielleicht schläft sie nur. Sie hat jedenfalls 'ne unheimliche Ausdauer.

Jetzt darf ich Disco machen. Welch eine Ehre. Ich gebe Gas, versuche drauf zu kommen, doch es will nie so recht gelingen. Routine allerdings genügt vollkommen. Sie kommen richtig drauf, alle – auch die Oma. Ich gebe ihnen etwas von mir – auch der Oma. Sie versuchen es zu fühlen. Bei einigen entdecke ich den Ansatz von Feeling – ein schöner Erfolg..

Dann fress ich wat.

Mit dem Rücken zur Gesellschaft, denn sonst schmeckt es nicht. "Na, Herr Musiker auch Hunger?" "Na, Schmeckt's? Guten Appetit." "Hau rein Junge! Mach', ruhig mal 'ne Pause........." Die Kommentare sind endlos und immer gleich. Hastig dreh' ich mir zwei drei Mettbrötchen rein mit viel Zwiebel, dann geht es weiter, muß spielen, hab' keine Zeit. Schnell noch'n Pils und zwei Klare, wer sagt's denn.

Langsam aber sicher fahren sie voll auf mich ab, toll toll. Was soll man machen? Die checken absolut überhaupt nix. Nix minus tausend! Nicht meine Schuld. Ab und zu kommt die Musik wieder hoch, wie ein angenehmer Brechreiz. Nein! Du mußt Disziplin halten. Bist eben nun mal so ein gottverdammter Lalla-Keyboarder und die müssen so wat können. Da geht kein Weg dran vorbei....oder?

Mensch! Denk' wat anderes! Will'sse nur vom Stempelgeld leben oder wat?! Aber wart' ab Jung, ich werd' 'ne Band aufmachen, da peitscht du dir ein'n. Fragt sich nur wer mit wem. Verzweifeltes Wunschdenken, Alleinunterhalter-Psychose. Immer nach zwei Stunden.

Jetzt kommt der lustige Opa. Sehnig sag' ich, sehnig und sympathisch. Er ist echt cool, gibt mir Auftrieb, einer der wenigen. Die Jungen saufen sich die Finen schön und quatschen spätpubertäre Scheiße. Außerdem tanzt er am liebsten mit den hübschesten Mädchen und sie mit ihm. Die alten Schwarten knacken vor sich hin und linsen neidisch. Einige haben jetzt begriffen, daß sie zum Feiern hergekommen sind.

Ich versuch' 'ne tierische Samba. War wohl nix......

- Pause -

Mehr Schnaps! Mensch du mußt noch fahren! Ach fahr' zur Hölle!! Wie soll ich das hier sonst durchhalten?! Mensch Junge dat iss doch'n total laffer Job hier. Stell' dir vor du müßtest halbe Schweine schleppen oder so. Fragt sich was besser ist. Manchmal möchte ich lieber ganze Schweine schleppen.

Dann wird es richtig gut. Die Penner werden langsam besoffen. Ich soll Techno spielen. Typisch Halbzeit. Ich erkläre den Gesichtern, daß davon meine Orgel kaputt ginge, weil sich die eine Taste, mit der man sowas macht, zu sehr abnützen würde. Kam nich' gut an – und immer noch fast doppelt so lange zu spielen. Noch'n Schnappes für de Kapelle. Die ersten Besserwisser mit Wersi-Infektion sehen sich meine Orgel an. 'Dat iss doch nich' alles life, oder? Wo schiebt man denn die Disketten rein?' Hau' ab du Arsch, denk' ich ziemlich leise, denn schließlich zahlt er dafür, der Schwiegervater in spe.

Die hübsche Schwarze geht nach Hause. Sie lacht mich an oder aus und ist höchstens neunzehn. Am liebsten würde ich mitgehen, doch ich bin doppelt so alt und muß hier in der Hilfshölle schmachten. Selber schuld!

Jetzt kommt Don Importante, der zukünftige Brautvater mit einigen sehr wichtigen Musikwünschen, die man möglichst geschickt abwehren muß. Ich habe auch Wünsche. Ich wünsche ihm z.B. Sackratten und es wäre Feierabend.

Es kommt die Zeit, wo man anfangen muß etwas 'Flottes' zu spielen. Was das genau ist, weiß keiner, doch jeder will es hören. Es ist keine Samba, kein Disco, erst recht kein Rock, Boogie Woogie weit gefehlt, kein Pop, kein Rap und auch kein Soul. Auf jeden Fall ist es ein Foxtrott Tempo 130 mit Betonung der eins, im treuen teutschen Marrrschrhythmus von irgend einem der musikalischen Schwerverbrecher wie Wolfgang Petry , Dieter Bohlen .........usw.

Aus Stunden werden Jahre, Jahrhunderte, Ewigkeiten. Ich kann mit keinem sprechen, denn ich kenne ja keinen. Dann spiele ich etwas sanftes, ein wenig Musik und plötzlich hören sie zu, finden es gut, wollen mehr und dann kommt einer und sagt: 'Kannze nich' ma' wat Flottes spielen, dat klingt ja wie inne Kirche!'

Das reicht! Ich zieh' mich zu. Scheiß auf den Führerschein! Scheiß auf alles! Die Fußbässe klappen auch nich' mehr so richtig. Mit anderen Worten ich spiel' Scheiße.

Dann, plötzlich und unerwartet – der Zeitsprung. Auf einmal ist Feierabend. Das hätte ich nicht gedacht, so schnell. Jetzt lieben mich alle, auch der Geldgeber. Wir sind alle eine große Familie. Sie tanzen und ich spiele, wo liegt da der Unterschied. War doch gar nicht sooo schlimm, oder?

Durch geschicktes Timing und jahrelange Erfahrung verhindere ich eine unbezahlte Zugabe.

Dann: "Können se nich' nonne Stunde dranhängen , wird auch bezahlt?" (Dat sowieso!)

"Nee, sag' ich nee, es ist zwei Uhr und ich will nicht mehr, basta!" Nicht sehr umsatzfördernd, aber die Wahrheit. Der Wirt kuckt komisch.

Jetzt schnell abbauen, schleppen, kassieren und weg hier. Irgend jemand fährt mein Aauto nach Hause. Kann ich nich' gewesen sein, wüßt' ich doch und vor dem Schlafengehen noch schnell ein bißchen Musik hören.


*Lalla = ausschließlich am Publikumsgeschmack orientierte Tanz- und Unterhaltungsmusik


Aus dem Zyklus 'Der Tod der Musik' von Walter Günther.


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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.04.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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