Edgar Feigenbutz

Netlife ...

Rick fuhr am Hafen vorbei. Rechts das weite Meer, am Golf von Saloniki, links der endlos erscheinenden Straße die unzähligen Cafés und Bars mit den vielen, jungen Leuten, meist Studentinnen und Studenten, die ihren Hörsaal ins Leben verlagert zu haben schienen. Angeregt unterhielten sie sich alle, die Mädchen mit ihrem rassigen Erscheinungsbild, ihrer faszinierenden Individualität, keine glich der anderen, jede war eine Schönheit für sich, ein Universum der Bilder und Farben und der Gerüche...und die Männer, keiner war trotz der vielerorts zu beobachtenden Armut schlecht gekleidet, nein im Gegenteil, selbst der einfachste unter ihnen trug einen Anzug, "dressed to impress"...

Rick hatte merkliche Schwierigkeiten, seine Blicke der Fahrbahn zu widmen. Überall, wohin er nur schaute, Frauen, Frauen, Frauen. Eine schöner als die andere, wie sie sich bewegten, ob Arm in Arm mit ihrem Geliebten oder alleine. Alle waren einfach anmutig schön, individuell, geschmackvoll gekleidet und gestylt, keineswegs aber aufdringlich oder tussihaft, nein, fraulich und damit sehr eindrucksvoll, faszinierend, einfach stark! Rick spürte und roch überall Frauen, aber es waren einfach andere Frauen, als er von seiner Heimat her kannte, dachte er jedenfalls...

Rick erreichte sein Ziel, diese coole Bar am Ende der Straße, nahe am Meer gelegen. Er betrat diesen stimmungsvollen Raum, wählte einen Platz nahe der Fensterfront. Er hatte einen fantastischen Blick auf den Golf von Saloniki. Der dunkelblaue Himmel, es war wie ein Sommer im Frühling. Die Bar war geräumig, mit Tanzfläche. Leise, inspirierend und ohne aufdringlich zu sein, spielte die Musik: Technova (La em Copacabana)...Rick klatschte seine Handflächen im Rythmus dieser Musik auf seine Schenkel, sein ganzer Körper schwinkte mit, er schlürfte einen O-Saft nach dem anderen und genoß einfach den Augenblick, er war nicht auf der Suche und wollte auch nicht gefunden werden, einfach da sein und genießen, das war sein Sinn nach einem harten Arbeitstag...

So saß er auf diesem Sofa, in dieser fantastischen Bar, als seine Blicke auf eine schöne Griechin an einem Nachbartisch fielen. Sie erinnerte ihn an jemanden aus seiner Heimat. Ja, diese Ähnlichkeit, es war verblüffend! Rick begann in einem Tagtraum an seine Bekanntschaft aus seiner Heimat zu denken, diese ungewöhnliche Frau, die er auch in einem Café, allerdings in einem "virtuellen" Café kennengelernt hatte. Ob diese schöne Frau am Nachbartisch auch so war wie seine Chatfreundin? Für Rick war in diesem Moment Wirklichkeit und Fiktion wie verschmolzen, er sah diese fremde Frau, wie sie in einer für ihn fremden Sprache sich mit ihrer Freundin am Nachbartisch unterhielt, aber er sah in ihr "Paradisia", das war das Pseu seiner holden Schönheit aus dem Chat, er schien jedes Wort der Fremden am anderen Tisch verstehen zu können, weiße Magie, wer weiß??? Er glaubte jedenfalls, in ihr seine virtuelle Freundin zu erblicken. Doch Rick überkam Wehmut, denn vor seiner Abreise meldete sich eben diese besagte Paradisia von dem Chat ab, in welchem sie gemeinsam so oft so schöne Gespräche führten. Sie war zutiefst verstört, verließ diesen verrückten Chat-Treff, gefrustet, enttäuscht, nicht von den Männern dort, nein, von den Frauen , abgestoßen von den neurotischen, frustrierten Xanthippen dort! Rick war sehr traurig. Just in dem Moment, in dem er diese Frau im Chat kennenlernte, verabschiedete sie sich, für immer...Rick hatte solange nach ihr gesucht, sie gefunden und gleich wieder verloren...wie diese Griechin am Nachbartisch ihr doch glich: Dieses schöne Gesicht, die Sommersprossen auf der Nase und den Armen, dieses freche und fordernde Lächeln, diese funkelnden Augen, der makellose, weibliche Körper, diese Rundungen, diese Weichheit!...

Wie Verlust und Gewinn im Leben doch beieinnanderliegen, wie Wirklichkeit und Fantasie doch ineinander verschmelzen.
Rick war verwirrt, enttäuscht, wütend, er blickte auf das Meer hinaus, seine Gedanken wollten fliehen, und seine Gefühle taten es ihnen ebenso nach...
Als am Nachbartisch die schöne Griechin von ihrem Freund abgeholt wurde und es leer wurde im Café und Rick da alleine saß, in dieser wunderschönen Kulisse, am Meer, da fühlte er sich irgendwie doch wieder besser: Auch seine Freundin aus dem Chat hatte ihre Liebe wie diese schöne Griechin gefunden. Trotz des Verlustes freute sich Rick irgendwie, für sie, für die Schöne in der Heimat wie für die anmutige Griechin. Es gab doch noch die Liebe, die Liebe zwischen Mann und Frau, trotz aller Kämpfe und Wirrungen!
Leise, inspirierend und ohne aufdringlich zu sein, spielte die Musik wieder und wieder: Technova (La em Copacabana)...Rick war ausgepowert, er hatte viel investiert, nichts gewonnen, aber halt, war das wahr? Nein! Rick saß am Meer, seine Blicke schweiften weit hinaus in die Ferne, dort draußen, irgendwo, war auch seine Liebe, ganz weit entfernt, aber er war sich sicher, dass sie dort war, wartend, gepflückt zu werden, von ihm und nur von ihm...für diese Erkenntnis war er dankbar, seiner entschwundenen Freundin aus der Heimat, den schönen, lustigen Mädchen aus Saloniki und auch den Xanthippen, die im Grunde genommen wie die Leuchttürme am Meer waren, notwendige Beleuchtung für das schönste Spiel im Leben...

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.09.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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