Gabriele Singer

Traum vom SEIN

 
 
Der Deckel wurde über ihm geschlossen. Finster war es nun hier. Zuvor hatte man all die vielen Teile zusammengestellt, die eines Tages das ergeben sollten, was es in Wirklichkeit war. Manche waren mit Gummiringen zusammengefasst, andere größere lagen unten in der Schachtel allein, viele waren Paare – eins rechts eins links. Kleine Dosen mit Farbe standen am Rande, fein von hell nach dunkel sortiert, dort noch einige Pinsel, da eine Flasche feinsten Klebers. Zuoberst einige Tütchen aus Plastik mit Kleinteilen, welche notwendig waren dem Ganzen stabilen Halt zu geben, einige davon aber enthielten auch Teile zur Zierde. Zum Schluß erhielt es aussenrum eine schöne, glänzende Folie, sein Kleid, welches jedoch den Blick auf das Innere verriet. Alles zusammen sollte einen Menschen glücklich machen. Erst die Vorfreude, wenn er den Deckel sah und sich ausmalte, was einmal aus ihm werden konnte. Dann das Begehren, genau diese eine Schachtel zu besitzen. Dann die Überlegung, ob die Gegenleistung, die er zu bringen hatte, mit dem Wert des Inhalts und dem seiner Träume übereinstimmten. Schließlich der Stolz, es erworben zu haben und mit sich nehmen zu könnten. Die Träume und Gedanken, welche es begleiteten, Vorstellungen, welche es in den Gefühlen des Menschen würde sehen können, Freude auf den Moment, der auch seine tiefste Freude sein würde...
Dazu war es da! Alles machte Sinn!
Nach und nach wurden noch viele Kartons, ihm ähnlich zu ihm gestapelt und es hörte die Vorfreude der Anderen in ihrem Wispern: BALD....
Eines schönen Tages sah es dann die Sonne: Mit vielen anderen zusammen wurde es gepackt und verschickt. Inzwischen waren einige hinzugekommen, die fast genauso aussahen wie es selber, Geschwister, aber nicht gleich. Ein jedes hatte zwar ähnliche Vorstellungen von seinem Leben, aber auch hier gab es Unterschiede: Eines wollte zu einer Familie mit vielen kleinen Kindern, eines als Ausstellungsstück in einer Galerie stehen, eines zum Betrachtungsgegenstand für Träume eines Rentners werden, ein anderes irgendwann einmal auf einem Wasser schwimmen und wieder ein anderes es seinen Vorbildern nachtun: Aufs Meer... Ihm selber hatten es die Augen von Menschen angetan, Ausdruck ihrer Herzen, Gefühle und Gedanken in denen es sich zu Hause fühlen konnte. Es wollte nur eines: Angenommen sein als das, was es wirklich war: Ein Modellbauschiff. Und es wollte Träume wecken. Und irgendwann mit diesen verschmelzen – mit und in den Menschen sein, die es liebten und die es liebte.
So geriet es in einen großen Laden inmitten einer großen Stadt und wurde von einem freundlichen Mädchen in ein Regal gesteckt, wo es besonders gut zu sehen war. Das Mädchen ging hier in die Lehre; sehr aufmerksam studierte sie alle Einzelteile, welche dem Katon innewohnten und sagte zum Schluß zu ihm: Du wirst einmal ein wunderschönes Schiff sein und bei lieben Menschen für den Rest Deines Lebens glücklich sein. Sie werden Dich lieben.... Und es träumte noch eine Weile weiter, während es die anderen einsortierte. Wieder glitt der Blick des Mädchens zu ihm und dann sagte es: Weißt Du, ich würde Dich ja gerne mitnehmen, mit zu mir. Aber ich habe noch nicht soviel Geld, Du bist bestimmt wert, was ich eben auf Dein Kleid kleben mußte, aber soviel habe ich nicht.... und es träumte weiter davon, dieses Schiff in ihrem Zimmer aufzubauen, zu bemalen, zu verzieren und sich am Ende an seiner schönen Gestalt zu freuen. Im Laufe der nächsten Tage konnte es noch oft dieses Mädchen sehen, ihre sehnsuchtsvollen Augen, doch nie – nie wieder – nahm sie es in die Hand und sprach zu ihm. Traurigkeit überkam es, denn es wäre gerne bei diesen Augen geblieben, in ihren Träumen und Gedanken, und das Herz dieses Mädchens hörte es klopfen, immer wieder, bis zu jenem Tag...
 
Ganz viele Menschen waren in den Tagen und Wochen an ihm vorbei gegangen, Menschen, die noch spielen konnten, andere, die etwas zum Spielen schenken mußten, manche die es als Ehre empfanden zu schenken, manche blieben eine Weile stehen, manche träumten auch, andere beachteten es kaum. Wieder andere Menschen betrachteten es wohlwollend, legten es dennoch wieder weg, weil ihre Börsen nicht mit ihrem Wunsch übereinstimmten. Kinder kamen und in ihren Augen konnte es noch alle Träume dieser Welt lesen. Aber auf seiner Packung stand mit schwarzen Zeichen etwas, dass Kinder es nicht haben durften. Manchmal hörte es ein Herz ganz arg schlagen...
Es stand also in einem großen Spielwarenladen. Hierhin kommen bestimmt viele Menschenaugen, dachte es und irgendwann....
Es lernte die Gefühle der Menschen zu unterscheiden, in ihre Augen und Herzen zu sehen und viele Herzen in die es sah, machten es traurig. Aber schlimm war dieses: Manchen Menschen war die Gier in den Augen abzulesen, das Habenwollen um jeden Preis.... nur diesen, den Preis, wollten sie nicht zahlen. Geben wollten diese Menschen nicht, nur nehmen. Aber es dachte in diesen Momenten oft an das Mädchen, dass sich nun nicht mehr so oft mit verstohlenen Blicken nach ihm umsah, ob es denn noch dort liegen würde.
An diesem einen bestimmten Tag merkte es bereits als die Sonne aufging und es wußte, dass gleich aufgeschlossen wurde, dass es ein ganz besonderer Tag werden würde: Sein Tag. Voller Freude dachte es daran, dass heute sein größter Wunsch in Erfüllung gehen würde: Es würde gekauft und seinem Wert entsprechend geachtet werden! Den ganzen Tag über knisterte vergnügt sein Kleid, und es wartete. Es wartete auf die Augen, die es erkennen würden. Aussen war es ein Tag wie immer. Menschen kamen und gingen. Sahen es und verliessen es wieder. Fassten es an und ließen es wieder ins Regal fallen. Doch dann diese Augen. Und kurz darauf noch zwei. Vier Augen, die es anstrahlten: Zwei einer Menschenfrau, die es entdeckt hatte und deren Herz sofort weit aufging und zu träumen anfing, und zwei eines Menschenmannes, der es entstehen lassen wollte, der das aus ihm machen wollte, was es ist, im Innersten seines Herzens wirklich ist.... Einige Minuten des Hoffens und Bangens mußten noch vergehen. In diesen Minuten würde es sich entscheiden. Die beiden Augenpaare der Menschen unterhielten sich, wie ihre Herzen die füreinander schlugen. Ja, genau so sollte es sein. Bei diesen Herzen, die Sehnsucht noch kannten und zu würdigen wußten was ‚miteinander’ hieß, würde es gewiß glücklich, wie das Mädchen prophezeit hatte. Mädchen. Nun heißt es vielleicht Abschied nehmen. Was war das? Jaaaa, er hat gesagt, er nimmt es mit. Er will es bauen.  Vor lauter Freude machte es einen Satz und wäre schier fast aus seiner Hand gefallen. Da waren zwei Menschen, die seinen Wert erkannt haben in sich selber, na wenn das kein Grund zur Freude ist! Es wurde in eine Tüte gesteckt damit man es recht tragen konnte und sein Gegenwert wurde über die Verkaufstheke geschoben damit es endlich bei diesen Menschen bleiben durfte. Sie gingen raus, auf die Straße, durch Häuser und Gassen, über Wiesen und durch Parks, und es sah so viel Schönheit – aber das Schönste von allem konnte es fühlen: Es waren ihre Herzen, die gerade so wie eines klangen....
Dann kam der Abend und die Beiden gingen in ein Haus. Warum sein Haus. Nicht ihrer beider. Das verstand es nicht. Aber es schien alles in Ordnung, und das war es für es auch noch, als es zur Seite gelegt und nicht mehr beachtet wurde. Es war gewohnt, die rechte Beachtung erst zu erhalten, wenn die Sonne wieder aufging und machte sich nichts weiter daraus. Es hörte noch viele Worte, es fühlte noch viele Gefühle, Gedanken und Träume, nein, es schlief nicht, es war bei ihnen, den Menschen, die sich für es entschieden hatten. Es war glücklich.
Der nächste Morgen schien bedrückt. Nicht das Wetter. Das da draussen konnte nicht die Ursache sein, irgendwas anderes – nur WAS? Und warum weinten die Beiden immer wieder? Was machte sie so traurig? Warum waren sie so stumm und zum Teufel, warum beachteten sie mich nicht mehr und ließen mich einfach liegen? Was hatte diese Nacht gemacht? Es war irgendwann eingeschlafen. Was ist in der Zeit passiert? Ihre Herzen schlugen doch immer noch im gleichen Takt, trotzdem hatte sich etwas geändert! Weg? Was heißt weg? Sie mußte weg? Warum? Das wollte es nicht, denn es wollte wieder in ihre Augen sehen, wollte sich in ihnen spiegeln, wenn er es erschuf! Wieso weg? Aber sie kommt doch wieder?! Gleich?!
Der Tag verging. Er hatte die Tüte genommen und in sein Zimmer gebracht, es herausgenommen und zu vielen andern Schachteln gelegt. Moment mal, war es in einem anderen Laden gelandet? WAS WAR HIER LOS? Trubel entstand in dem Haus, Menschen kamen herein, andere Menschen, die zu ihm gehörten. Augen betrachteten es kurz. Ein Augenpaar blieb etwas länger an ihm haften, doch etwas lenkte sie ab. Dann war es allein, ohne Menschen, am hellichten Tag, keine Augen, nichts ....
Das ging nun Tagelang so. Und dann, endlich nahm er es wieder in die Hand, betrachtete es, fing an es in seinen Gedanken zusammen zu bauen.
Doch wo waren die anderen Augen? Waren sie in einer Tüte gelandet, wie es selbst? Und anschließend in irgendeiner Ecke abgestellt, wie er es abgestellt hatte? Es versuchte um sich zu sehen, umzuschauen, ob es irgendwo diese Augen, diese hoffnungsvollen Augen entdecken konnte, das Herz dass doch so für ihn und mit ihm schlug  – doch nirgendwo auch nur eine Spur  von ihnen – außer in seinen Gedanken. Erst ganz oft, später manchmal. Und manchmal konnte es fühlen, dass sie an es dachten, sah das vollendete Bild in seiner Vorstellung und es schöpfte wieder Mut, diese Augen  einmal leuchten zu sehen – und dann immer wieder. Doch was es sah, das waren nur seine Augen, die manchmal zu ihm hinsahen. Manchmal nahm er es in die Hand, träumte – und legte es wieder weg. Seine Augen waren traurig, wenn er das tat, das sah es. Und es spürte auch die Sehnsucht die oft in ihnen  lag. Vermisste er ihre Augen auch? Wollte er mit ihnen zusammen es wachsen sehen? Wartete er deshalb so lange? Diese Fragen konnte es nicht beantworten, aber es wurde zunehmend trauriger. Immer seltener schaute er zu ihm hin. Mittlerweile hatten sich einige andere Kartons auf ihm gestapelt, denen es auch nicht viel anders ging. Tage, Wochen, Monate gingen ins Land. Es lag und wartete. Eine Staubschicht hatte sich bereits auf ihm gebildet. Mit jedem Tag der verging, sank seine Hoffnung, seine vollkommene Schönheit in den Augen dieser beiden Menschen oder wenigstens dieses Einen strahlen zu sehen.
Nach Monaten langen Wartens griffen seine Hände dann wieder nach ihm. Freude schoß durch jedes seiner Teile. Endlich!!!! Jaaaa!!! Jetzt fängt er an – wenigstens seine Augen, nur ein einziges Augenpaar betrachteten es aufmerksam. Es versuchte in seine Gedanken zu fühlen, doch was es fühlte machte es nicht glücklich. Er konnte es auch nicht mehr sehen, wie es mal sein würde. Er hatte nicht einmal mehr ein rechtes Bild! Und auch die anderen Augen waren aus ihm verschwunden! Statt dessen waren da in ihm ganz viele andere Augen, trostlose, traurige, manchmal tote Augen! Und was er dachte, machte ihm Angst! Was er dachte war: Keine Zeit! Dabei hatte er so viel Zeit in den Zeiten, wo er einfach nur da saß um die Zeit totzuschlagen. Zugegeben nicht so viel, dass es reichte in kurzer Zeit fertig zu werden, aber immerhin soviel Zeit, endlich zu beginnen, wenigstens anzufangen, damit die Freude im Herzen wieder von ihm Besitz ergriff. Sein Herz war blind geworden. Er hatte sie sich versagt, diese Freude. Dafür wollte er anderes. Er wollte mehr. Immer mehr. Von solchen wie ihm, von solchen wie ihr und von anderm. Mehr. Mehr. Mehr. Aber es machte ihn nicht satt. Wenn er doch nur endlich beginnen würde – das würde ihm den Hunger wenigstens ein wenig nehmen. Und wenn er weitermachen würde.... könnte er wirklich...... vielleicht..... vielleicht mit ihr..... eines Tages...... Nein, es mochte nicht mehr daran denken, es spürte was er jetzt gleich tun würde: Er legte es wieder zu anderem in den Stapel. Jetzt glaubte es sein Schicksal besiegelt zu sehen: Tage, Wochen, Monate, Jahre... Und es wünschte sich so sehr zurück in das Regal, als noch viele Augen es betrachteten, zurück zu dem Mädchen, zurück zu dem Augenblick, als es in zwei Paare strahlend schöner Augen gesehen hatte – und noch Hoffnung spürte. Nichts geschah.
Und es war müde.
Es war so müde......
Müüüüdeeeee.
Mit einer letzten, nicht sichtbaren Träne schloß es die Augen, nein, es wollte nicht mehr sehen.
Müüüüdeeeeeeeeeee.
Und es schlief .............
Mitten am hellichten Tag....
 
Eiiiiiiiiiiiiiiinnnnnnn.
 
GS221002
 

Traum vom SEIN 2

Es war als ob ihm das Herz zerriss, sein Atem ging schwer und es wachte auf aus diesem Alptraum. Der Raum war warm und ruhig. Ja, er saß wieder da, an dem Gerät, welches er Computer nennt und spielte. Er hämmerte auf den Tasten rum, als würde er um sein Leben rennen. Langsam begriff es, dass es geträumt hatte und versuchte sich zu erinnern, was Traum und was Realität war. Es fühlte sich alles so fürchterlich an in diesem Traum, doch was für ein Tag war heute? Wann war es eingeschlafen und vor allem, wie lange hatte es geschlafen. Es schienen Ewigkeiten vergangen, länger als die Zeit im Laden wo es darauf gewartet hatte mitgenommen zu werden. Ja, da war sein Leben noch spannend – und es dachte an das junge Mädchen zurück, an den Tag, an dem es mitgenommen wurde, an die leuchtenden Augen, die nachher soo traurig schauten und in denen Tränen schimmerten..


Und bald....
Gabriele Singer, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.05.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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