Mario Hedemann

Die Insel der Verlorenen Teil 12

Ich weiß nicht, wie lange ich durch Heidekultur und Graslandschaften gelaufen bin, aber ich war heilfroh, als ich den nächsten Ort vom weiten vor mir sah. Vom weiten hörte ich das Meer rauschen und meine Hoffnung ging dahin, dass ich dort im nächsten Ort eine Übernachtungsmöglichkeit fand, denn meine Füße wurden bald von den Bleistellzen, in die sich meine Beine mit der Zeit verwandelt hatten, im Boden gedrückt.
 Immer näher kam der Ort und ich konnte jetzt schon erkennen, dass dieser Ort total anders aussah, als der Ort in dem ich ankam.
 Das Meeresrauschen kam mit dem Ort auch immer näher und irgendwie, muss ich einen Bogen gelaufen sein, denn am Anfang, hatte ich das Meer noch hinter mir und nun hörte ich es plötzlich links von mir rauschen, so dachte ich zumindest. Wie gut, dass einigermaßen Wind herrschte, denn sonst wäre ich von der Hitze längst erschlagen worden. Sie war einfach unerträglich und mein T-Shirt war auch schon fast durch geschwitzt.
 Dieser Ort sah wirklich anders aus und es war hier auch nicht so viel Betrieb und die Bauweise der Häuser war etwas anders. Die meisten Häuser hier bestanden aus Holz und hatten nach hinten ( soweit ich sehen konnte ) alle kleine Gärten. Ich dachte immer, auf einer Insel wären die Orte alle gleich, aber um das wirklich zu beurteilen, war ich vorher noch nie auf einer Insel gewesen.
 Ich hörte immer nur von anderen davon, dass sich auf manchen Inseln die Orte gleichen würden. Auch hier hingen Schilder im Fenster mit der Aufschrift Zimmer frei.
 Als ich bei dem ersten Haus klingelte und nach einer Übernachtung fragte, wollten diese Leute genau so viel haben, wie die erste Person, bei der ich geklingelt hatte.
Also blieb mir nichts weiter übrig, als es weiter zu versuchen. Die nächsten drei Leute bei denen ich klingelte, waren auch nichts billiger und so viele Häuser gab es hier nicht mehr, bei denen ich es versuchen könnte.
 Ich stand vor ein schönes schnuckeliges Häuschen, mit einem blauen Vorgartenzaun, hinter dem sich in der Mitte zum Haus hin ein kleiner etwa fünf Meter langer Trampelpfad befand und Links und Rechts Blumenbeete. Hinter den Blumenbeeten war jeweils ein Stück Rasen angelegt, der aber auch etwas verwildert aussah. Über der Haustür war eine kleine Überdachung angebracht, so dass man bei Regen nicht nass werden konnte.
 Am Vorgartenzaun war ebenfalls ein Schild mit dem, was ich heute schon so oft gelesen hatte und immer wieder vom Preis umgehauen wurde, angebracht.
 Warum hätte ich hier mehr Glück haben sollen?
 Trotzdem versuchte ich es und ging durch eine kleine Pforte den Trampelpfad entlang zur Haustür.  In den Giebel befanden sich zwei kleine Flügelfenster. Hinter den Fenster hingen Gardinen, die nach Links und rechts zusammengerafft waren. Jedenfalls konnte ich es von hier Draußen erkennen. Aber was interessierte mich das? Ich würde hier klingeln, und erfahren, dass der Preis den anderen angepasst war und ich weiter suchen musste. Schade, denn dieses Haus hatte mir von allen am meisten zugesagt.
 Am Zaun liefen einige Fußgänger vorbei und einige Frauen trugen lange alte schwarze Kleider und ich fragte mich, ob ihnen die Hitze nicht zu Kopf gestiegen war? Immerhin war die Hitze unerträglich.
 Auf der Klingel die sich rechts neben mir befand, stand Fam. Sander.
 Ich drückte auf dem Knopf und im nächsten Moment ertönte ein schrilles Grrrr von innen.
 Eine Tür fiel ins Schloss und Schritte kamen zur Haustür geeilt. Ich wusste schon, wie dieses Gespräch ablaufen würde. Zuerst würde jemand die Tür aufmachen und mich fragend ansehen. Dann würde ich meinen gewöhnlichen Text herunter rattern und zu hören bekommen, dass ich mindestens fünfundzwanzig Euro pro Nacht zahlen müsse. Ich sah mich schon in Strandnähe übernachten und völlig durchgefroren am nächsten Morgen wieder aufstehen, trotz der Hitze.
 Die Haustür ging auf und eine Frau die genauso alt sein musste, wie die erste Person bei der ich mich vorgestellt hatte, öffnete die Tür.
Im Vergleich  zu der ersten Person, grinste diese Frau wie ein Honigkuchenpferd.
 „Ja, Sie wünschen bitte?“ fragte sie grinsend.
 „Äh, ich wollte mal fragen, wegen dem Zimmer, dass Sie zu vermieten haben was es kosten würde?“
 Ich kannte die Antwort der Frau schon. Sie brauchte sie gar nicht erst auszusprechen. „Das Zimmer kostet fünfundzwanzig Euro pro Nacht und fünf Euro für die Bettwäsche. Nehmen Sie das Zimmer oder verduften Sie.“ 
„Also wir haben Drei Fremdenzimmer, wobei eines ein Doppelzimmer ist. Ein Einzelzimmer kostet Zehn Euro pro Nacht, inklusive Frühstück.“
 Ich war von den Socken. Zehn Euro pro Nacht und Frühstück inklusive. Vor Freude wäre ich der Frau beinahe um den Hals gefallen, konnte mich aber dennoch beherrschen und versuchte ganz lässig zu bleiben.
 „Ich denke, ein Einzelzimmer reicht mir,“ sagte ich der Frau.
 „Gut, dann kommen Sie herein.“
 Sie öffnete die Tür so, dass ich durchgehen konnte. Hinter mir schloss die Frau die Tür und ich stand hier in einem kleinen Vorraum, der nach Sandelholz stank. Der Raum war nicht groß und viel Licht fiel auch nicht herein. Nur durch das kleine Fenster in der Haustür.
 Vor mir befand sich eine Tür, hinter der sich die Wohnräume der Frau befinden mussten, vermutete ich. Rechts von mir führte eine Holztreppe nach oben. Links von mir hing ein Bild an der Wand, dass offenbar ein altes Familienbild darstellte.
 „Sie müssen nach oben gehen,“ sagte die Frau und deutete mit dem rechten Zeigefinger auf die Treppe. „Oben befinden sich die Gästezimmer.“
 Die Stufen knarrten leicht unter mir, als ich die Treppe hinauf ging.
 Die Frau ging vor mir her. Oben angelangt, blieb ich einen Augenblick stehen. Die Etage war ein kleiner Raum, in deren Wände sich Links und Rechts von mir jeweils zwei Türen befanden. Mir gegenüber befand sich ein kleines Fenster, dass ein bisschen Licht spendete.
 „Welches Zimmer wollen Sie haben?“ fragte die Frau hinter mir.
 „Ich darf mir eins aussuchen?“ fragte ich beinahe begeistert.
 „Na klar, der Gästetrackt steht ja noch leer.“
 Die Frau ging an mir vorbei und öffnete die erste Tür auf der rechten Seite.
 „Sie müssen schon herkommen, wenn Sie sich das Zimmer ansehen wollen,“ rief sie und Verschwand in dem Zimmer.
 Also folgte ich ihren Anweisungen und ging zu ihr. Als ich in den Raum hereinkam, sah ich, dass das Zimmer eher Lang als Breit war. Auf der rechten Seite war eine Dachschräge und an der Linken Seite stand ein Tisch an dem ein Stuhl stand. Daneben stand ein kleiner aber massiver Kleiderschrank, der scheinbar aus dem letzten Jahrhundert stammten musste, denn dieses Design kannte ich nur aus alten Filmen oder aus Schlossmuseen. Auf dem Tisch befanden sich eine kleine Decke und eine Vase mit einer  gelben Chrysanthemenblüte.
 Mir gegenüber befand sich ein kleines Fenster, dass durch die Zusammengerafften Gardinen etwas Licht spendete. Auf den Tapeten waren irgendwelche Blumenmuster eingearbeitet und der Geruch von Sandelholz lag auch hier in der Luft. Das Zimmer sagte mir sofort zu.
 „Ich nehme dieses Zimmer,“ prabelte ich los.
 Die Frau stand am Fenster und sah mich an.
 „Aber Sie haben die anderen Zimmer ja noch nicht gesehen.“ 
 „Ich habe mich schon entschlossen, ich bleibe bei dem hier.“
 „Na, wie Sie meinen,“ sagte sie, ging an mir vorbei und  aus dem Zimmer hinaus auf dem Flur. „Stellen Sie ihren Koffer da ab, ich zeige ihnen jetzt das Badezimmer,“ rief  die Frau.
 Ich stellte meinen Koffer vors Bett und ging zu ihr. Sie hatte bereits die Tür, die meiner Zimmertür gegenüber lag, geöffnet und grinste mich erneut an. Ich ging an ihr vorbei und stand in einem nicht gerade hochmodernen Badezimmer. Der Tür gegenüber befand sich, wie in meinem Zimmer eine Dachschräge, nur war hier noch ein kleines Dachfenster eingebaut, dass dem Raum, der auch nicht viel größer war als mein Zimmer, etwas Licht spendete. Rechts an der Wand befand sich ein Waschbecken, deren Armatur etwas lose darüber hing. Über dem Waschbecken befand sich ein Spiegel der in einem massiven Holzrahmen angebracht war. Links befand sich unter der Schräge eine Blechwanne, die auf vier Metallfüßen lag. Viel Platz war zwischen der Wanne und der Schräge nicht. Wenn man zwei Meter groß war, hatte man scheinbar Mühe, in oder aus der Wanne zu kommen. Seitlich der Blechwanne ragte ebenfalls ein Wasserhahn aus der Wand. Nur gab es wohl ein Problem, denn die Badewanne hatte kein Abfluss.
 „Wie bekomme ich hier das Wasser aus der Wanne?“ fragte ich die Frau.
 „Tja,“ sagte die Frau. „Das ist allerdings etwas altmodisch. Dort stehen einige Eimer hinter der Wanne.“
 Ich erblickte drei grüne Plastikeimer, die auch schon mal bessere Zeiten gesehen haben mussten. Bei dem einen fehlte sogar schon der Bügel, womit man den Eimer anheben konnte. 
 „Mit denen müssen Sie das Wasser aus der Wanne schöpfen und zum Fenster heraus kippen. Es läuft dann die Dachrinne entlang bis zum Fallrohr, wo sich unten eine Regentonne befindet, in der dann das Wasser für unser Garten gesammelt wird.“
 Mir gegenüber befand sich ein Klo. Dies schien allerdings noch nicht so alt zu sein, denn immerhin befand sich über dem Klo ein Spülkasten.
 „Ja also, dass wäre das Badezimmer. Auch wenn es nicht den gewöhnlichen Maßstäben dient, aber Sie können sich immerhin hier etwas frisch machen.“
 „Das ist doch völlig in Ordnung,“ sagte ich und merkte, wie meine Begeisterung über die günstige Übernachtung sich bemerkbar machen wollte.
 „Ich lasse Sie jetzt erst mal allein. Wenn Sie Lebensmittel brauchen, unten um die Ecke ist ein Laden. Sie können ihn von ihrem Fenster aus sehen. Vielleicht sollte ich ihnen sagen, dass meine Mutter den Laden besitzt.“
 „Ihre Mutter?“ fragte ich sie und dachte daran, dass ihre Mutter mindestens schon über siebzig sein musste.
 „Ja. Sie hatte den Laden damals von meinem Onkel übernommen und lässt sich nicht vertreiben. Der Laden ist noch das einzige, was sie bei Laune hält.“
 „Ich werde ihre Mutter mal besuchen,“ sagte ich mit einem grinsen im Gesicht.
 „Sollten wir uns heute nicht mehr sehen, dann kommen Sie morgen früh um neun Uhr einfach unten in die Küche. Dort gibt es dann Frühstück.“
 Damit verschwand die Frau und ließ mich allein.
 Ich verließ das Badezimmer und ging in meinem Zimmer zurück. Dort öffnete ich das Fenster um etwas Luft herein zu lassen, denn die Luft hier drin war ein wenig abgestanden.
 Dann schmiss ich meinen Koffer aufs Bett, öffnete ihn um mir ein paar frische Sachen heraus zu nehmen- denn ich war von dem Wandern in der prallenden Sonne ganz schön durch geschwitzt - und räumte die restlichen Sachen in den Kleiderschrank.
 In Gedanken erschien mir Loren wieder. Mit der Kaffeekanne in der Hand und einem Lächeln auf den Lippen kam sie zum Frühstückstisch in unserer Küche.
 „Möchtest du noch Kaffee, bevor du abreist?“ fragte sie mich. „Oder soll ich vielleicht eine Modenschau mit meinen neuen Dessous vorführen?“
 „Lass das lieber mit den Dessous, sonst verpass ich noch meinen Zug.“
 „Meinst du etwa, dass die Modenschau sonst ausarten könnte?“
 Der Kaffee, den sie mir in die Tasse goss, verursachte bei mir eher ein Harmonisches Gefühl, als das Verlangen nach Leidenschaft.
 Ach, wie sehr ich mir wünschte, dass sie hier wäre und alles mit mir erleben könnte.
 Es klopfte an meiner Zimmertür.
 „Ja bitte,“ rief ich.
 „Ich habe ihnen eine Tasse Kaffee aufgebrüht. Falls sie ihn möchten, stell ich Ihnen den Kaffee vor die Tür. Es ist auch ihr Zimmerschlüssel dabei,“ rief meine Gastwirtin.
 „Kommen Sie ruhig herein und stellen den Kaffee doch auf den Tisch,“ rief ich zurück.
 Die Zimmertür ging auf und die Frau kam mit einem silberfarbenem Tablett herein, auf dem ein silberner Becher und eine kleine Kanne standen. Sie stellte das Tablett auf den Tisch und wollte gleich  wieder verschwinden.
 „Haben Sie recht Herzlichen Dank,“ sagte ich.
 „Ist nur ein Willkommenstrunk,“ sagte die Frau und verschwand.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.05.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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