Stefan Nowicki

Ankunft

Er war gern gesehen, und doch wäre niemand auf die Idee gekommen, auf ihn zu warten.

Es war zu der Zeit, da man vereinzelt schon wieder Frauen sehen konnte, die weit ausschreiten, ungehindert, die Beine nur locker von schwingenden, bunten Stoff umhüllt.

Das Grün der Kleinstadtbäume hätte sich ein Beispiel daran nehmen können. Noch wagte es sich nur mit kleinen Spitzen, scheinbar vorfühlend, aus den zum Bersten vollen Knospen hervor. Es langte gerade aus, um die Äste in einer gelb-grünlichen Aura zart leuchten zu lassen. Die Leute in der für Autos gesperrten Einkaufsstraße sahen nicht nach den Ästen. Ihre Blicke galten ausschließlich den verführerisch angerichteten Auslagen in den Schaufenstern; den nun niedrigen Preisen von Mänteln und Mützen. Allenfalls einander beäugend ließen sie den Blick vom Angebot abschweifen. Genau das war recht bemerkenswert an diesem Jungen, der so wie die anderen Jugendlichen des Straßenbildes mit bleichgewaschenen Jeans und Pullover zwischen Geschäften und Einkäufern zu sehen war. Er hatte kein Auge für Sonderangebote und die anderen Menschen. Und so bewegte er sich schon eine Zeitspanne, die allerdings auffällig war, da sie im Widerspruch zu dem ständig wechselnden Publikum stand, die Straße auf und ab. Immer wieder aufs neue, mit nur kleinen Pausen dazwischen, hob er den leicht schräg gehaltenen Kopf, wischte auch dann und wann eine blonde Strähne aus seiner Stirn, und schaute über das allgemeine Treiben hinweg, nach oben. Schon waren einige Vorübergehende, die jene Blicke bemerkten, seinem Beispiel kurz gefolgt, konnten aber offensichtlich nicht erfassen, wonach der Kerl sah, und gingen ohne ihren Blick weiter auszudehnen ihrer Wege. Was hatten sie auch schon gesehen? Einen nordischen Backsteingiebel, wie auf den Postkarten vor dem Schreibwarenladen oder, höher hinauf schauend, das glasige Blau mit ein paar zögernd dahinziehenden Kondenswasserschafen. Kein Flugzeug, das einen Strich zog, kein Zeppelin oder Ballon der Reklame flog. Da war nichts zu sehen.Doch unbeirrt hob dieser eine immer wieder den Kopf ins Blaue. Er tat gut daran, nicht unentwegt nach oben zu sehen. Er hätte dazu stehen bleiben müssen und wäre dann bestimmt sehr viel mehr Leuten aufgefallen. Die wären dann alle ebenfalls stehengeblieben und hätten auch nach oben schauend das Interesse von noch mehr Menschen auf sich gezogen. Es wären immer mehr geworden. Und das wiederum hätte bestimmt einiges an Aufregung verursacht. Man hätte gefragt, was denn los sei, was es da zu sehen gäbe. Man hätte dann auf den Nächsten und zuletzt auf den Jungen verwiesen und der hätte Rede und Antwort stehen müssen oder wäre vielleicht sogar davon gejagt worden, in der Überzeugung es wäre ein dummer Jungenstreich. So, oder ganz ähnlich mußten die Gedanken des Jungen sein, die ihn handeln ließen, wie er es tat: Nicht vollkommen unbemerkt, das Schlimmste jedoch erfolgreich verhindernd. Ein alleine Schauender, von dem keiner wußte, was er sah oder suchte, verrchte so schon den vierten Tag. Es war sonderbar, daß er nicht die Geduld verlor, nicht nervös wurde, sondern gleichmütig seiner Beschäftigung ohne eine Miene zu verziehen. Wieder hob er die Stirn und senkte sie erneut, um ein paar Schritt weiter zu gehen, da zuckte er zurück, warf den Kopf in den Nacken und kniff die Augen zusammen. Er war stehen geblieben, zeigte die Spitzen seiner oberen Schneidezähne, als er sich auf die Unterlippe biß, konzentriert auf einen Punkt. Schon blieben die ersten Passanten stehen und versuchten seinem Blick zu folgen. Anscheinend mit Erfolg, denn auch sie blieben stehen und schauten sichtlich gebannt zum Himmel empor. Ein dunkler Punkt im Blau war immer größer geworden. Ein Augenblick später war bereits zu erkennen was da vom Himmel herab auf die Stadt zukam. Ein ungewöhnlich großer Vogel segelte mit ausgebreiteten Schwingen und langen, gestreckten Beinen Schleife um Schleife und kam dabei immer tiefer herab. Ein Stück weit über den Dächern begann er mit gemächlichem Flügelschlagen abzubremsen. Schneller sinkend, weiß und schwarz, die langen, roten Beine nun schräg nach unten vorgestreckt, verschwand er hinter den Giebeln der Geschäfte. Dort in einem Garten, neben einem alten Schuppen, auf einem Mast, gab es Wagenrad groß ein Nest. Die meisten Leute in der Stadt wußten davon, aber keiner hatte nach dem langen Winter noch daran gedacht, außer einer. Die entstandene Menschentraube da in der Fußgängerzone begann sich wieder langsam aufzulösen. Ein paar Leute unterhielten sich noch, offensichtlich dankbar erfreut über das neue Gesprächsthema. Alle schauten nun ein bißchen mit sonnigerem Gemüt ausgestattet aus, aber das war alles nichts gegen das Strahlen des blonden Jungen. Er hatte daran gedacht, daß es an der Zeit war, gebetet, gehofft, daß dem Vogel auf der langen Reise nichts zugestoßen sei und er war da gewesen, rechtzeitig, den Storch zu begrüßen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.11.1999. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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