Petra Virbinskis

Nati´s Großvater

Wie schon so oft in ihrem Leben, saß Johanna gedankenverloren auf ihrem Schaukelstuhl, auf der Veranda vor ihrem Haus und dachte über das Vergangene nach. Es war ein lauer, wunderschöner Frühlingstag und die Vögel zwitscherten um die Wette. Schmetterlinge flogen in Scharen um den Sommerflieder herum und die Rosen um den Springbrunnen, blühten in einer nie da gewesenen Pracht. Wie sie doch das Farbspiel zwischen den dunkelroten großblumigen Rosen und der zartrosa kleinblütigen "Fairy" liebte. Und wie schon so oft, schweiften ihre Gedanken zu ihrer geliebten Enkelin, die sie nur auf Fotos gesehen hatte. Wieder und wieder, fragte sie sich, warum alles so gekommen ist...
Damals, als das Schicksal seinen Lauf nahm, war sie sich noch gar nicht so bewußt, welche Tragweite die Geschehnisse der Tage haben sollten.
Sie wuchs in einem kleinen Ort in Deutschland auf, der in der Nähe eines US Stützpunktes lag. Dort lernte sie ihren Tom kennen. Ein großer, gutaussehender junger Amerikaner, mit roten Haaren. Es war Liebe auf den ersten Blick und von Anfang an, stand fest, daß sie eines Tages heiraten und nach Amerika gehen würden. Wie glücklich sie doch war. Und als dann 2 Jahre später die kleine Tochter geboren wurde, schien das Glück perfekt zu sein. Sie kauften sich eine kleine Farm in der Nähe von Lubbock / Texas.
Tom arbeitete hart, um seine kleine Familie durchzubringen. Und das Glück, wie es schien, war mit ihm. Durch Zufall stieß er bei Grundwasserbohrungen auf Öl und das Schicksal nahm seinen Lauf.
Zuerst war es ein wunderbares Gefühl, nicht mehr jeden Cent umdrehen zu müssen, aber mit der ständig wachsenden Menge des Geldes, wuchs auch die Veränderung, die in Tom vor sich ging. Er wurde hart und Johanna kannte ihren Mann kaum wieder. Aus einem sorgenfreien Leben, entwickelte sich ein goldener Käfig, aus dem sie nicht auszubrechen vermochte. Sie hatte ja alles und die Tochter wuchs in einer sicheren, geordneten Familie auf. Tom interessierte sich schon immer sehr für Politik und so arbeitete er an seiner Karriere. Senator wollte er werden... und er schaffte es auch. Mit seinem Einfluß, kaufte er mittlerweile die halbe Stadt und er war sehr angesehen. Zu Hause war er allerdings immer seltener und wenn er von seinen zahlreichen Tagungen kam, dann hatte alles nach seiner Nase zu tanzen.
Die Tochter fing an unter der Herrschsucht ihres Vaters zu leiden und so riß sie mit 15 Jahren von zu Hause aus. Das mußte natürlich geheimgehalten werden, daher beauftragte Tom einen Privatdedektiv, der Tamy suchen sollte. Sie wurde gefunden und nach Hause zurück gebracht. Jedoch war sie schwanger. Welch ein Skandal für Tom. So eine Schande!! Er sah seine Karriere als Senator gefärdet und so schickte er sie zu einer alten Tante von ihm. Johanna hatte keine Chance sich gegen ihren Mann zu wehren und alles Bitten und Betteln nützte nichts. Selbst Drohungen blieben erfolglos, ja im Gegenteil. Er lachte sie bloß aus und verspottete sie. Wo sollte sie auch hin? Ihre Verwandten in Deutschland bestanden einzig und allein aus ihren Eltern, die mittlerweile gestorben waren. Alles, was sie hatte, war hier in Lubbock.
Heimlich besuchte sie hin und wieder ihre Tochter, doch sie mußte sehr aufpassen, daß Tom nicht dahinter kam. Für ihn war Tamy gestorben. Er hatte keine Tochter mehr und er wollte auch nie wieder auch nur ein Wort über sie reden.
Dann kam der Tag der Entbindung und Johanna reiste zu der alten Tante um bei ihrer Tochter zu sein.
Als sie dort ankam, kam ihr die alte Frau mit Tränen im Gesicht entgegen und Johanna fühlte sofort, daß etwas nicht in Ordnung war.
"Tamy ist unter der Geburt gestorben", schluchzte Tante Martha... Johanna wurde kreidebleich und wollte zu ihrem Kind, doch genau in diesem Moment fuhr der Wagen ihres Mannes die Auffahrt des kleinen Anwesens hinauf. Mit hochrotem Kopf und prustend vor Zorn, schrie er seine Frau an.
"Was hast du hier zu suchen"? Fragte er in scharfen Ton. "Tamy ist meine Tochter und du kannst mir nicht verbieten mein Kind zu sehen", schleuderte Johanna ihm entgegen." Und sie ist auch deine Tochter. Wie kann ein Vater nur so herzlos sein"... Tränen rannen ihr Gesicht hinunter und fast kaum zu hören sagte sie mit tränenerstickter Stimme:" Tamy ist tot... Tamy ist tot...
Zum ersten Mal in ihrem Leben sah sie eine Träne die Wangen ihres Mannes hinunter rollen, die er sich sogleich energisch weg wischte. Bleich stand er da, unfähig für einen Moment etwas zu sagen.
Zwei Männer stiegen jetzt aus dem Wagen und fragten Tom nach dem Baby. Erschrocken sah Johanna ihren Mann an und fragte ihn gefährlich leise: " Was hast du vor?" Er gab ihr keine Antwort, sondern wandte sich, mit einem befehlsmäßigem Ton, an die beiden Männer. " Warten sie im Auto, ich regel das hier"! Wortlos ging er an Johanna und Tante Martha vorbei ins Haus und kam etwas später mit einem kleinen Bündel im Arm wieder heraus. Es war Tamys Baby. Johanna wollte es ihm aus dem Arm nehmen, doch ging er mit energischem Schritt an ihr vorbei, um gleich darauf ins Auto zu steigen und los zu fahren...
Johanna und Tante Martha sahen sich an und sie konnte es nicht fassen, was sie da eben erlebte. Sie fiel ohnmächtig zu Boden.
Als sie wieder erwachte, fand sie sich im Krankenhaus wieder und eine freundliche Schwester stand neben ihrem Bett." Frau Casey, der Doktor wird gleich zu ihnen kommen", sagte sie mit warmer Stimme. Die Ereignisse spiegelten sich in ihren Gedanken wider und erneut drohte sie in Ohnmacht zu fallen. Sie mußte sich übergeben und die Schwester reichte ihr schnell eine Schüssel.
Dann trat der Arzt ein und bat die Schwester draußen zu warten.
"Ihr Mann steht draußen und fragte nach, wie es ihnen geht. Ich weiß nicht, was passiert ist und ich will es auch nicht wissen, aber ich muß ihnen sagen, daß wir ihnen ein starkes Beruhigungsmittel geben mußten. Sie hatten einen Nervenzusammenbruch. Leider ist ihre Tante kurz nach ihrer Einlieferung verstorben. Herzinfarkt. Wir konnten ihr nicht mehr helfen. Es tut mir leid..."
Johanna blickte durch den Arzt hindurch... alles war mit einmal so leer und sie nahm nicht mehr richtig wahr, daß ihr Mann nun ins Zimmer trat. Sie wollte ihn gar nicht sehen, doch ihr fehlte die Kraft, sich dagegen aufzulehenen.
Die nächsten Tage wurde sie unter starke Beruhigungsmittel gesetzt und nach etwa einer Woche konnte sie das Krankenhaus verlassen.
Der Chauffeur ihres Mannes kam sie abholen und brachte sie nach Hause.
Sie fühlte sich so einsam und hätte am liebsten nur noch laut aufschreien können, da fiel ihr Blick auf eine Tageszeitung, die neben dem Sofa lag.
"Senator Casey´s Tochter bei einem Verkehrsunfall getötet..." Lautete die Überschrift. Was las sie da? Welches Spiel trieb ihr Mann nun schon wieder. Sie las den Artikel weiter "... seine Frau mußte mit einem Schock ins Krankenhaus gebracht werden."
Nun wurde ihr klar, warum der Artzt im Krankenhaus nicht näher auf die Ursache ihres Nervenzusammenbruches einging. Ihr Mann hatte ihn bestochen, damit er das uneheliche Kind seiner Tochter und die Umstände ihres Todes geheim halten konnte. Oh, was für ein mieses Schwein war er doch nur geworden. Besessen von Machtgier und ohne jedes menschliche Gefühl.
Am Abend stellte sie ihren Mann zur Rede, doch alles was er sagte, waren diese Worte:" Glaub mir, ich habe auch unter Tamys Tod gelitten, aber sie ist tot und nichts kann sie wieder lebendig machen. Was schadet es da schon, wenn ich die Tatsachen etwas verdrehe? Warum soll ich meine Karriere aufs Spiel setzen, für den kleinen Bastard, den Tamy zur Welt gebracht hat? Sie hätte das Kind sowieso nicht großziehen können. Ich habe dafür gesorgt, daß das Kind nach Deutschland in eine Pflegefamilie kommt". - "Du hast was??? schrie sie ihren Mann an. Wie eine Furie ging sie an diesem Abend auf ihren Mann los und hämmerte mit ihren Fäusten auf seinen Brustkorb ein. Er nahm sie ganz fest in seine Arme und sie hatte keine Chance sich aus seiner Umklammerung zu lösen. Gefährlich leise zischte er sie an:" Wenn du nicht augenblicklich Ruhe gibst, dann laß ich dich in eine Anstalt einweisen..."
Sie wußte, daß er es wahrmachen würde und so ließ sie von ihm ab. Für seine Karriere ging er über Leichen. "Ich werde in unser Ferienhaus ziehen", sagte sie ruhig. "Ich kann nicht mit dir unter einem Dach leben."

Ihre ganze Kraft und ihren Einfluß gebrauchte sie, um die kleine Nati in Deutschland ausfindig zu machen. Viel Geld brachte sie dafür auf, um das Kind in eine gute Pflegefamilie zu geben, aber sie hatte Freunde, die ihr dabei halfen. Zweimal im Jahr erhielt sie Post von den Pflegeeltern mit Bildern ihrer kleinen Enkelin und jedesmal liefen ihr die Tränen hinunter, wenn sie die Bilder in ihren Händen hielt. Sie war so wunderschön geworden und sah ihrem Großvater so ähnlich. Die gleichen roten unbändigen Haare und diese wundervollen grünen Augen... Er hatte es nicht verdient, so eine wundervolle Enkelin zu haben.
Sie lebte Jahre lang in dem Ferienhaus, denn eine Scheidung kam für den Herrn Senator ja nicht in Frage. Zu öffentlichen Veranstaltungen mußte sie mit ihm mit und gute Mine zum bösen Spiel machen. Doch der Glanz ihn ihren Augen war erloschen und sie fieberte der Post aus Deutschland entgegen. Kein einziges Wort fiel mehr über Tamy und die kleine Nati, so als würden sie nie existiert haben.
Die Jahre vergingen und ihr Mann wurde noch mächtiger. Er genoß sein Leben in vollen Zügen und sein Lebenswandel machte sich langsam an seinem Körper bemerkbar. Eines Tages rief die Haushälterin ihres Mannes an und teilte Johanna mit, daß Tom ins Krankenhaus gebracht wurde und daß er sie schnell dort erwartet. Es macht ja auch keinen guten Eindruck, wenn die Frau des Senators, in dieser Zeit, nicht an seiner Seite ist, dachte Johanna bitter und machte sich auf den Weg.
Im Krankenhaus angekommen, kamen gleich zwei Ärzte auf sie zu. Sie teilten ihr mit, daß der Herr Senator voller Krebsgeschwüren sei und daß eine Operation aussichtslos ist. Der Krebs war schon zu weit fortgeschritten und ihm blieb nicht mehr allzu lange zu leben.
Etwa drei Wochen später zog Johanna wieder ins gemeinsame Haus und pflegte ihren mittlerweile sehr schwach gewordenen Mann.
"Was hat du nun vom Leben gehabt"? fragte sie ihn eines Tages. Du bist ein einsamer, alter Mann geworden. Wo sind deine reichen Freunde nun alle? Niemanden hast du mehr. Deine Tochter hast du vertrieben und dein Enkelkind hast du verstoßen. Meine Liebe hast du mit Füßen getreten und zerstört. Sag mir: was hat dir deine Macht gebracht? Einen kranken Körper und den vorzeitigen Tod. Einsam, alt und verbittert. War es das wert? Du bist so von der Macht zerfressen... " Sie mußte sich abwenden, denn er widerte sie an. "Hast du Fotos von Nati"? Hörte sie Tom fragen. Erstaunt drehte sie sich zu ihm um. Das erste Mal seit 20 Jahren sprach er von "Nati". - "Ja", antwortete sie. - "Darf ich sie sehen"? röchelte er schwach. Johanna überlegte kurz, denn er hatte es eigentlich nicht verdient, sich die Bilder der Enkelin anzusehen, aber nun fühlte sie großes Mitleid mit ihrem Mann. "Ich werde sie holen", sprach sie und ging aus dem Zimmer.
Wenig später kam sie mit einem dicken Fotoalbum in der Hand zurück, um das liebevoll eine rosa Schleife gebunden war und auf dem mit goldenen Buchstaben das Wort " Natalie" zu lesen war.
Wortlos reichte sie es ihrem Mann und verließ das Zimmer.
Als sie nach einer halben Stunde wieder das Zimmer betrat, fand sie ihren Mann tot in seinem Bett vor. Gestorben an seiner Machtgier, zerfressen von seiner eigenen Härte und Lieblosigkeit.... in den Händen das Fotoalbum seiner Enkelin haltend. Sie blickte auf das Album und sah dort eine wunderschöne, junge Frau mit roten Haaren und grünen Augen, die sie anzulächeln schien. Ja, Nati sah ihrem Großvater so ähnlich...
Einem Großvater, der von seiner eigenen Macht aufgefressen wurde und es nicht verdiente, eine solch wundervolle Enkelin zu haben...

Das Telefon riß Johanna aus ihren Gedanken. Der Familienanwalt meldete sich an um das Testament festzulegen. Den gesammten Besitz, sollte Nati erben, wenn Johanna nicht mehr ist und das würde bald sein, denn vor etwa einer Woche hatten die Ärzte auch bei ihr Krebs im Endstadium diagnostiziert.
Müde setze sie sich an ihren Schreibtisch um einen Brief an Natalie zu schreiben. Den ersten persönlichen Brief, den sie an ihre geliebte Enkeltochter schrieb und gleichzeitig auch der Letzte....

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.09.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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