Viktor Prieb

Die Brüder-Gegner


oder
darüber, warum man Geschichte lernen soll, bevor man in den Krieg zieht


(Aus dem Buch "Der Zug fährt ab“
www.literatur-viktor-prieb.de


Einer aus Vaters Verwandtschaft war in diesem Bruderkrieg als Artillerieoffizier mit seiner Batterie an Brusilows Frontdurchbruch und an der darauffolgenden kurzzeitigen Offensive beteiligt. Nach einer gewonnenen Schlacht musste er seine Batterie nach vorne bringen. Er ging durch den von toten und verwundeten deutschen und russischen Soldaten überfüllten Wald, um eine neue Position für seine Batterie zu orten, und stieß auf einen schwer verwundeten deutschen Unteroffizier.

„Kann ich Ihnen mit irgendetwas behilflich sein?“ – fragte er vornehm.

„Sanitäter! Bitte schicken Sie mir Sanitäter, ich sterbe.“ – flehte ihn die schwache, klagende Stimme des Verwundeten.

Der Offizier rief die Sanitäter her und blieb, auf die Sanitäter wartend, stehen.

„Woher sprechen Sie so gut Deutsch?“ – fragte plötzlich der verletzte Unteroffizier.

„Ich bin Deutscher.“ – war die ruhige Antwort.

„Wie Deutscher?“ – staunte der Verletzte – „Warum, zum Teufel, kämpfen Sie dann gegen uns?“ – das blasse Gesicht zeigte äußerste Aufregung.

„Weil ich Offizier der Russischen Armee bin, mein Land in Russland habe und auf diesem Lande geboren bin.“

Die Sanitäter kamen und er ging weiter.

„Das arme Schwein stirbt für sein Reich auf dem Boden des Russischen Reiches und kennt dabei weder eigene Geschichte noch die Geschichte seines Gegners.“ – grübelte der deutsche Offizier der Russischen Armee nach, durch den Zwischenfall ebenfalls betroffen und aufgeregt – „Wofür kämpft er denn überhaupt hier? Wenn ihm in seiner Heimat das Land fehlt, hätte er zu uns in unsere Kolonien kommen können. Wir haben reichlich davon und kaufen für die Neuankömmlinge immer neues Land, falls es doch nicht reicht.“

Er selbst wusste, warum und wofür er kämpfte. Er wusste es damals und wusste es auch später im Bürgerkrieg, der für ihn als Weißgardisten ebenfalls im Ausland endete, und zwar in Deutschland – in Berlin.

Das wussten vielleicht noch die russischen Kosaken, die freie Bauern waren, ihr eigenes Land auch hatten und es auch bebauten – das bindet an. Sonst wusste das kaum einer der russischen, oder der deutschen, oder noch irgendwelchen in diesem Krieg beteiligten Soldaten und nicht jeder von ihren Offizieren.

Die Frage war nicht gegen wen kämpfen, sondern wofür kämpfen. Dies wurde deutlich im Bürgerkrieg, der diese Frage stellte und klar beantwortete. Hier kämpften die Russen wie die Deutschen – all diejenigen, die etwas besaßen – gegen die Russen und all diejenigen, die nichts besaßen und das, was sie nicht besaßen, den anderen wegnehmen wollten.

Der Bürgerkrieg wurde nicht von den deutschen Kolonisten und russischen Kosaken verloren. Er wurde von professionellen russischen Offizieren der Weißen Garde verloren, die für ihre Privilegien, ihre Ehre und für die Russische Krone als professionelle Söldner so lustlos diesen Krieg führten. Sie verloren den Bürgerkrieg, weil sie mit ihren Privilegien, ihrer Ehre und ihrer Professionalität ihrem Land entwurzelt waren. Die Ehre und die Privilegien kann schließlich ein Söldner auch in jedem fremden Lande erkämpfen, wie es auch deutsche Söldner schon immer in der Geschichte bewiesen[1].

Als den deutschen Kolonisten nach der Revolution und nach dem Bürgerkrieg alles weggenommen wurde, war alles vorbei: Keiner von ihnen hätte aus Überzeugung gegen ihre deutschen Brüder, gegen Deutschländer, in Zweitem Weltkrieg gekämpft, den der Georgier Stalin auf der russischen Seite so großmäulig zum Vaterlandskrieg erklärte. Nicht umsonst verfasste Stalin seinen berüchtigten, tödlichen Deportations- und Vertreibungserlass gegen alle deutschen Kolonisten. Er wusste genau, wie schwer und kompliziert er in all diesen Jahren diese Vaterlandsfrage für die deutschen Kolonisten gemacht hatte.

*


[1] Franz Fabian. „Steuben. Ein Preuße in Amerika“, Vision Verlag,Berlin, 1996

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.05.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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