Claudia Lichtenwald

Verwandlung

Mein Atem stockte. Mit gemischten Gefühlen sah ich an diesem riesigen haarigen Etwas herunter, das nun mein Körper war : Mit einem Menschen hatte das keine Ähnlichkeit mehr. Ich war ein Monstrum, ein Tier. Zögernd hob ich eine meiner schweren, bekrallten Pranken und strich damit über meinen neuen Körper. Ein seltsames Gefühl stieg in mir hoch, als ich mein verfilztes, braunes Fell mit der ebenfalls von dichten Haaren bewachsenen Klaue berührte. Ich fühlte kaum etwas durch meinen dicken Pelz, aber trotzdem spürte ich die unbekannte Berührung sehr deutlich. Mein im Verhältnis zum Körper überdimensionaler Schädel war so schwer, daß ich Mühe hatte ihn aufrecht zu halten. Meine Augen waren teilweise von Haaren überwuchert, meine Ohren völlig von ihnen bedeckt und so sah und nahm ich alles nur durch einen trägen Schleier wahr. Alle meine Sinne waren gedämpft.
Es kam mir vor, als wäre mein ganzer Körper eine leblose Puppe. Aber ich lebte doch! Mir war schrecklich heiß in dem winterlich geheizten Raum. Ich stand auf und ging langsam auf des winzige Fenster zu, das glücklicherweise auf der Seite des selten betretenen Hofes lag und die einzige natürliche Lichtquelle in dem ebenso winzigen Raum war. Es war nicht einfach, den schmalen Griff mit der unförmigen Pranke zu umfassen und das Fenster zu kippen. So schnell wie es mit meiner schwerfälligen Figur möglich war, wich ich zurück und verbarg mich wieder auf der Seite des Raumes, die von aussen nicht einsehbar war. Daß mich jemand von den Bewohnern des Nachbarhauses sehen würde, fehlte mir gerade noch! Sie würden mich noch früh genug zu Gesicht bekommen, das konnte ich nicht verhindern.

Trotz der nun hereinströmenden frischen Luft schwitzte ich fürchterlich. Ich setzte mich direkt unter dem Fenster auf den Boden, so daß ich nach außen durch die Mauer verborgen blieb. Mein Atem ging schwer und unregelmäßig, nicht nur von der Hitze, sondern auch vor Aufregung. In meinem Kopf fing sich alles zu drehen an. Als hätte ich einen Schlag auf den Hinterkopf bekommen, kreisten winzige Lichtsterne in meinen Gedanken umher. Nein! Ich durfte nicht ohnmächtig werden! Ich atmete tief ein und begann im Raum auf und ab zu gehen. Nach einigen lächerlichen Runden ging es mir besser. Auch die Bewegungen fielen mir nun immer leichter.

Dumpf trommelten meine schwieligen Füße auf den Boden. Das monotone Geräusch verdrängte alle meine Gedanken. Von dem Gewicht meiner schweren Pranken, wurden meine Arme immer weiter nach unten gezogen. Unwillkürlich senkte sich mein Oberkörper und ich begann, ganz nach affenart mit den Händen am Boden zu laufen. Jeder Schritt war mit vier Beinen, viel weniger anstrengend als mit zwei. Ich hüpfte übermütig über den glatten Laminatboden und begann zu schlittern, verwundert darüber, wie weit ich mit meinem Fell rutschte. Mit Leichtigkeit kletterte ich auf den Stuhl, ohne mich vor den Nachbarn zu fürchten, die mich ohne weiteres hätten sehen können. Als Gorilla hatte ich das Recht dazu, zu tun was alle Gorillas taten. Oh, wie fühlte ich mich frei ! Beim Versuch mich von einem Vorhang zum anderen zu schwingen, riß der zarte Satin-Stoff aus seiner Befestigung und ich fiel erschrocken zu Boden. Ich setzte mich auf mein breites Hinterteil und begann laut grunzend, auf meinen Brustkorb einzuhämmern, um meinen Unmut über das verpatzte Spiel kundzumachen. Aber der Ärger war bald vergessen.

Plötzlich fühlte ich in meinem Nacken einen Luftzug, verbunden mit einem gefährlichen Knarren. Meine Nackenhaare sträubten sich und knurrend drehte ich langsam den Kopf nach hinten. Nichts. Nach wenigen Sekunden, widmete ich mich weiter meinem Spiel.

Gerade als ich zum Sprung auf den Schrank ansetzte holte mich ein leises Kichern abrupt in die Wirklichkeit zurück. „Wie ich sehe , hast du dein Affenkostüm fertig . Übertreib’s nicht beim Einüben! Der Faschingsball beginnt in zehn Minuten !" Ich fuhr herum. In der offenen Tür stand mein Freund Toni - verkleidet als Wildschwein.

Claudia Lichtenwald / 1998

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