Birgit Wolf

Experten

 

Wer sagt, dass wir nicht genügend qualifizierte Fachkräfte haben???

Ich finde es unglaublich, was Leute alles wissen. Während der Übertragung einer Fußball-Weltmeisterschaft gibt es Millionen von Bundestrainern. Lassen Sie eine Quizshow laufen, und Sie erfahren, welch faszinierendes Potential in ihren Bekannten steckt. Chefs wissen immer ganz genau, dass man ihnen wichtige Informationen vorenthält („Das haben Sie mir nicht gesagt!!!“), und Mitarbeiter wissen mit absoluter Sicherheit, wie Ihr Chef seine Arbeit besser machen könnte, aber sie werden ja leider nicht gefragt. Heerscharen von Muttis erklären uns, wie wir unsere Kinder besser erziehen sollten. Männer sind absolute Fachleute, wenn es um das Innenleben ihrer PKWs und die Eroberung von Frauenherzen geht. Ja!

Einer hat auf der vorletzten Weihnachtsfeier unseres Betriebs gesagt, sein neuer Wagen läuft 195 Sachen. Bedauerlich, dass seine Gattin ihm ins Wort fiel und die Behauptung mit den offenen Worten „Aber dein Tacho geht doch nur bis 170!“ korrigierte. Er rettete die Situation mit der knappen Äußerung, die Nadel ging ja weit darüber hinweg und das könne er aufgrund langjähriger Erfahrung zuverlässig schätzen. Dabei bedachte er seine Liebste mit einem vernichtenden Seitenblick.

Wie ungeschickt, seinen Gatten so zu diffamieren, das würde mir im Traum nicht einfallen. Allerdings weiß ich auch nicht genau, wie schnell sein Auto läuft, denn er tritt nur richtig drauf, wenn ich nicht drin sitze. Außerdem guck‘ ich nur auf seinen Tacho, wenn es blitzt, ansonsten gilt meine Aufmerksamkeit interessanteren Objekten. Den Leuten in anderen Autos zum Beispiel.

Interessant war zum Beispiel eine Fahrt vor einigen Wochen, die uns an Berlin vorbei führte – es war in der Woche vor der Love Parade. Die geparkten Autos am Straßenrand wackelten zum Teil bedenklich, auf einige Heckscheiben war „Ficken!  0172-....“ zu lesen. Nein, ich verrate die Nummern nicht, hat viel Benzin gekostet, da hinzufahren.

Außerdem ist die Autobahn fast genauso gut, jedenfalls für den Beifahrer. Was Leute alles während der Fahrt tun – Popeln, bis der Zeigefinger in der Nase abbricht, Gähnen mit weit aufgerissenem Mund voller Bananenpampe, Grimassen schneiden, als würden sie in Hagenbecks Zoo mit den Schimpansen kommunizieren, lauthals deutsche Kultschlager singen („Hossa“ und „Höllehölle“ kann jeder von den Lippen ablesen. Letzte Woche plärrte da einer „...sagt die Biene zu dem Stachelschwein“, habe ich genau erkannt. Mir wäre das peinlich.) und noch viele sehenswerte Dinge mehr.

Jedem das Seine, sollen sie doch.

Meinem Fahrer (solange wir sein Auto benutzen), also meinem Ex-Verlobten, macht es besondere Freude, Daimler zu überholen, dabei in der Nase zu bohren und ein möglichst debiles Gesicht zu machen. Das gilt nicht für Smart-Fahrer, da macht es keinen Spaß.

Damit wären wir fast beim Thema.

Ich bin nämlich auch mal Mercedes gefahren. Nicht mein Auto, wo denken Sie hin, das kleine graue Fahrzeug, das ich sonst verwende, war leider defekt. Ich hasse es, wenn mein graues Auto nicht fährt, wozu zahlt man denn Steuern und Versicherung, kann doch nicht wahr sein, dass man trotzdem zu Fuß gehen muss! Tja, der Kühler leckte, und es kam schon ziemlich viel Wasser unten raus, so dass ich tagelang vorher immer eine Colaflasche voll Wasser mitnehmen musste und leer nach Hause brachte. Eine Zweiliterflasche.

So ging es nicht weiter, mein kleiner Liebling musste also zur Reparatur, und da ich ihm mit hysterisch rotgeränderten Augen nachblickte, erklärte sich mein Kumpel Lennart spontan bereit, mir an dem Tag seinen PKW zu leihen. Er konnte es nicht mit ansehen. Und außerdem muss man gerade an solchen Tagen immer dringend zu einem auswärtigen Facharzt oder zu Aldi. Der Mensch ist ohne Auto einfach nicht vollständig. Ich sagte also „Klasse, danke!“ und holte mir kurz darauf ein paar Häuser weiter seinen Wagen ab – einen olivgrünen Mercedes. Einen Diesel. Ach du dicke Müllern.

Na ja, Lennart behauptet, den kann man so klasse einparken, weil man am Stern genau sieht, wo das Auto zu Ende ist. Wahrscheinlich zielt er damit auch auf Kaninchen, die über die Straße hopsen, oder auf Fußgänger, die er nicht leiden kann. Okay, Letzteres nehme ich zurück.

Ich habe dann erstmal überlegt, wohin ich damit denn nun fahren könnte. Vielleicht zur Post, Briefmarken holen, ja, das war eine gute Idee.

Als sich das Gefährt in Bewegung setzte, dauerte es nur wenige Sekunden, bis ich mich als Herr des Sternchens fühlte. Und dann begann die unheilvolle Veränderung.

„Ein Mercedes hat eingebaute Vorfahrt!“ hat mein Fahrlehrer (also ein echter Experte) mal gesagt, um mich darauf hinzuweisen, dass man Gegner mit Stern an der Kreuzung vorsichtshalber immer zuerst fahren lassen soll. Ein diebisches Hochgefühl bemächtigte sich meiner. Nix mehr defensives Verhalten.

Fürs erste bin ich ohne Hinzugucken über drei Kreuzungen gefegt mit dem ketzerischen Gedanken „da kam gestern auch keiner“, dann habe ich einen Kleinwagen angehupt, der erschrocken rechts `ran fuhr, und zum Abschluss stellte ich die Sternkutsche vor der Post direkt an der Bushaltestelle ab, genau in der Mitte.

Natürlich dauerte es lange, bis ich mit den Briefmarken wiederkam, aber es war kein Bus gekommen. Schade eigentlich, wieder ein Experiment ohne Erfolg.

Auf dem Rückweg stand ich dann vor der einzigen Ampel, die es in der Nähe gibt. Ausgerechnet als ich kam, musste sie auf rot umspringen, hatte die dämliche Ampel nicht registriert, dass ich einen Mercedes fuhr? Hinter mir bildete sich eine kleine Schlange.

Jetzt erst recht, dachte ich grinsend, lehnte mich gegen die Kopfstütze und trommelte während der gesamten Grünphase ungerührt gegen das Armaturenbrett.

Wieder schaltete die Ampel auf rot. Es klopfte unwillig an die Türscheibe.

„Hä?“ stieß ich unwillig hervor und riss die Tür ein Stück auf, wobei ich den Klopfer unsanft gegen die Schulter stieß.

„Sag mal, du blindes Huhn, kannst du deinen Bauernadler mal in Gang setzen, oder ist dir das Heizöl ausgegangen?“

Ja, das war nun die Strafe. Mein Gesicht nebst Ohren färbte sich tiefrot, ich murmelte so leise wie möglich „Ich mach´ ja“ und wollte den Wagen anlassen. Dazu brauchte ich dann auch noch drei Versuche. Auf den ersten Metern habe ich Sternchen in einer leichten Schlangenlinie vorwärts bewegt, denn der Blick in den Rückspiegel hat mich abgelenkt. Ich hasse es, wenn jemand hinter meinem Rücken über mich den Kopf schüttelt.

Zu Lennart war es nicht mehr weit, ich habe das Auto gleich bei ihm stehen lassen, denn meine wichtigen Briefmarken hatte ich ja jetzt. In der Tageszeitung war nämlich eine Karte mit einem Preisausschreiben, bei dem man ein Mercedes Coupé gewinnen konnte, und das wollte ich unbedingt noch abschicken.

Schließlich bin ich erfahrungsgemäß ein echter Glücksritter, und falls es wider Erwarten nicht klappen sollte mit dem Gewinn, bekomme ich zumindest ein paar neue Werbeblättchen.

Das ist besser als gar keine Post.

Ich will mich ja nicht langweilen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.06.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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