Anke Ritter

Hee, alte Frau

Er kam langsam den Weg entlang, seine Schuhe schlurften im Staub. Mit jedem Schritt stiegen kleine Staubwolken auf. Er ging gebückt und hinkte leicht, seine Uniform hatte ein undefinierbares grau angenommen und sein Rucksack hing nur noch an einem Riemen. Als er fast an meinem Haus ankam stockte sein Schritt, er hob den Kopf und sah zum Haus, sah mich an, schaute auf die Maisfelder rechts und links. Ich konnte sehen, wie er aus seiner Trance erwachte. Er sah mich mit wachsendem Interesse an, straffte die Schultern, und kam langsam auf mich zu, als er rief: „Hee, holla, alte Frau, haben Sie vielleicht einen Schluck Wasser für einen müden Soldaten?“ Ich legte mein Strickzeug auf den Tisch neben mir und stand langsam aus meinem Schaukelstuhl auf. Ich nickte und zeigte mit der Hand in Richtung des Brunnens, der zwischen Haus und Scheune stand und ging dann langsam zum Stall rüber. „Danke“ sagte der Soldat und schlenderte zum Brunnen, während er mir immer wieder kurze Blicke zuwarf.
 
 Neben dem zirpen der Grillen war leises scharren aus der Scheune zu hören und ich ging zögernd über den Hof, in der Hoffnung, dass nur ich dieses Geräusch gehört hatte. Ich lauschte auf das Rattern des Seils, das Aufklatschen des Eimers auf dem Brunnenwasser als ich in aller Ruhe zum Stall ging und die Tür schloss. „Hee, alte Frau“, rief der Soldat wieder hinter mir her, „das ist gutes Wasser, was Sie da haben“. Ich nickte ihm zu und ging wieder zurück zur Veranda, setzte mich in meinen Stuhl und nahm das Strickzeug in die Hand. Er schlenderte mir träge nach und stellte sich vor die Veranda: „ganz schön heiß heute, wohnen Sie hier allein?“ „Ich hoffe, das Wasser hat Sie erfrischt. Machen Sie sich doch die Feldflasche voll bevor sie weiterziehen“, sagte ich ihm.
 
 Was sollte ich ihm antworten? Er musste verschwinden, dies war kein Ort für ihn. „Hee, ja, klar, warum nicht“, er nahm sich die Mütze ab und kratzte sich im Nacken, „warum so schnell? Sie haben doch bestimmt noch n Maisbrot für einen armen Soldaten wie mich.“ Sein Gesichtsausdruck war nicht mehr ganz so freundlich, er starrte mich an. Ich sprach kein Wort. „Hee, alte Frau“, er kam die Verandatreppe hoch als ich ihm nicht sofort antwortete, „hee, ALTE  F_R_A_U“ seine Stimme wurde immer lauter, „ich rede mit dir“. „Sie sollten lieber gehen“ sagte ich ihm leise. Er beugte sich zu mir hinab und stütze sich auf den Stuhllehnen auf. „Klar, alte Frau, gehe ich. Aber erst wenn es MIR passt. Und mir passt es erst, wenn ich alles habe was ich brauche“. Er stieß sich vom Stuhl ab, so dass ich unsanft nach hinten geschubst wurde. Er grinste mich an: „Na, alte Frau, hast Du nicht doch was zum mitnehmen für mich?“ Er schaute zum Stall rüber und wieder zu mir. „Nein“, sagte ich „ich habe nichts und es wäre besser für Sie wenn Sie jetzt gehen“. Plötzlich packte er meinen Oberarm und drückte fest zu. Er kam nun nah an mein Gesicht, unsere Nasen berührten sich fast. „Besser du gibst mir dein Pferd freiwillig, dann bin ich auch bald weg“ flüsterte er mich nun an. Wir starrten uns an. „Ich habe kein Pferd und Sie sollten jetzt gehen“ erwiderte ich. Abrupt ließ er mich los, „hee, alte Frau, wer soll denn das glauben? So dumm bin ich nicht“, drehte sich um und ging in Richtung Stall davon. `Nun gut´ dachte ich noch, `er will es nicht anders`.
 
 Ich schaute ihm nach wie er an der Tür rüttelte, diese schwerfällig aufzog und in den dunklen Stall ging. Dann hörte ich ihn rufen: „Hee, alte Frau, das ist ja gar kein richtiges Pferd! Was hast´n da versteckt?“ Einen Herzschlag lang war alles ruhig, man hörte keine Grillen mehr und selbst der Wind war abgeflaut. Dann hörte ich ihn wieder. „Das ist . . . das kann doch . . . heeee, alte Frau . . . neiiiiiiiinnnnn . . . waaaaaaaaaaaa . . . “ seine Schmerzenschreie, die langsam in gurgelnde Laute übergingen, zerrissen die Stille. Es dauerte nicht lange und es wurde wieder ganz ruhig, ein paar schmatzende Geräusche waren noch zu hören.
 
 Ich schüttelte mit dem Kopf und seufzte. Ach ja, nun muß ich zusehen, dass ich den Ackertroll schleunigst wieder in seinen Verschlag sperre. Aber eins war sicher, er war erstmal satt für ein paar Tage. 
 
 Ärgerlich schob ich langsam die Maschen von meiner Stricknadel. ´ich sollte mir doch mal ein paar vernünftige Stricknadeln kaufen´ dachte ich noch bevor ich den Zauberstab aus der Wolle befreite, hochhob, um wieder alles fest zu verschließen

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.06.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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