Sarah Maria Koban

Dunkle Seite

Die Tür fiel zu.
Heftig atmend schaute ich mich um, das heißt, ich versuchte es.
Meine Augen gewöhnten sich nur schwer an die Dunkelheit, doch mein Puls
normalisierte sich wieder.
Ich hatte sie abgehängt! All diese bösen, kleinen Dämonen, die sich auf
mich zu stürzen schienen um mich um den Verstand zu bringen, oder Schlimmeres, meine
zerbrechliche Seele völlig zu zerfetzen.
Die Augen geschlossen, damit sie sich schneller an die Dunkelheit gewöhnten,
stand ich mit dem Rücken zur Wand und erleichtert stellte ich fest, dass sich
vor der Tür tatsächlich nichts regte.
Langsam rutschte ich die Wand hinunter in die Hocke, vergrub das Gesicht in
den Händen und begann leise zu weinen.
Womit hatte ich das verdient? Habe ich nicht immer nur versucht, mich richtig
zu verhalten? Anscheinend war das nicht der Grund.
Als ich mich beruhigen konnte, nahm ich durch einen Tränenschleier den Rest
des Raumes wahr. Schwach schien das Mondlicht durch Fensterritzen und erleuch-
tete den Raum schwach.
Mein weisses Kleid war total verdreckt! Erde, Blut... ich hatte mich irgendwo
verletzt und meine Füße waren kalt und nass vom Gras. Draußen regnete es.
Wie eine alte, abgelegte Puppe saß ich auf diesem verstaubten Dachboden mit vom Weinen
geröteten Wangen und ließ meinen Blick umherschweifen. Erschrocken fuhr ich zusammen.
Ich war nicht allein! Dort! In einer Ecke wurde schwach eine Gestalt beleuchtet,
die zusammengekauert da saß.
Die dunklen Haare fielen dieser ungewöhnlichen Gestalt ins Gesicht und helle Augen
blitzten hervor - je nachdem wie das Mondlich einfiel.
"Du brauchst keine Angst zu haben..." hörte ich ihn leise, fast flüsternd,
sprechen. Ihn... ja, es war ein Mann - oder zumindest schien es so.
Er stand auf und ging zum Fenster, und das Licht ließ sein Gesicht bläulich
weiss erscheinen. Er war jung, sein Gesicht war fast noch das eines Jungen,
mit großen, hellen Augen und einem sinnlichen Mund.
"Diese dummen Kreaturen. Sie haben ja gar keine Ahnung, was sie getan haben."
Der schlanke, sehnige Körper drehte sich zu mir. Er trug schwarze, Lack- oder Leder
ähnliche Hosen und ein zerschlissenes Oberteil, dessen Material man nur zu ahnen
vermochte und in seinen vollen Lippen glänzte Metall.
So ein Anblick war mir nicht fremd, doch hatte ich eine derart überirdische
Ausstrahlung noch nie bei jemandem zuvor gesehen. Was meinte er nur?
"Sie wissen, dass du hier bist - jedoch wissen sie nicht, dass ICH hier bin."
Letzteres betonte er leicht gehsässig.
Ein hämisches Grinsen huschte über sein Gesicht, als er sich wieder abwandte.
"Komm her und sieh..." er deutete durch einen Riss, den die dunkle Folie, die
auf das Fenster geklebt worden war, aufwies und aus der das Licht drang.
Zögernd stand ich auf und ging zu ihm hinüber und schaute durch durch den Riss.
Draußen stoben die Dämonen schreiend auseinander und schienen nur darauf zu
warten, dass ich das Haus verlies um mich erneut zu attackieren.
Plötzlich spürte ich seine Hand auf meiner Schulter die mich sanft aufforderte,
mich zu ihm umzudrehen. Etwas scheu drehte ich mich zu dem mir so fremden Mann
um. Seine Augen leuchteten hell wie Sterne und sein Haar glänzte wie schimmernde
Federn eines Raben. "Es ist an der Zeit..." Ich erschrak. Sein Körper näherte
sich, während er mich gleichzeitig zu mir heranzog. Er war so kalt, so kalt!
Was auch immer er war, er war nicht irdisch. Fest drückte er sich an mich und
war wie hypnotisiert, als ich seine kalten Lippen ganz sanft auf meinen spürte.
Kalt waren sie, ja, doch es schien als würden unsere Lippen an den Stellen wo
sie sich berührten anfangen zu glühen. Auch da, wo sein Körper ich an den meinen
schmiegte, verwandelte sich das Frostige Empfinden in glühende Hitze.
Wie gebannt ließ ich es zu, doch spürte ich wie der Druck nachgab und wie seine
Gestalt immer blasser wurde. Was passierte hier? Die Hitze breitete sich über
meinen Körper aus, als wandere er mit seinem Geist durch mich hindurch, doch
er verließ mich nicht! Statt dessen spürte ich diese Hitze in jeder meiner Zellen.
Es war ein wohliges Gefühl, Geborgenheit, Wärme und eine gewisse Schläfrigkeit
übermannten mich und ich sackte benommen zusammen, suchte nach seiner Hand,
doch fand ich sie nicht. Er war verschwunden. Obwohl ich mich wehrte, schlief ich ein.
Das Morgenlicht fiel durch den Riss in der Folie und kitzelte meine Haut als ich erwachte.
Ich fühlte mich immer noch benommen und begann leicht zu frieren.
Als ich die Augen öffnete, war ich allein. War das alles nur Einbildung oder
eine Art bizarrer Traum gewesen? Ich musste grauenhaft aussehen, nach dieser
kurzen Nacht hier im Staub. Lustlos stand ich auf, klopfte mir den Staub aus dem
Kleid und lugte durch den Riss in der schwarzen Fensterfolie.
Die Landschaft lag ruhig da, als wäre nie etwas geschehen.
Als ich mich umdrehte, schaute ich unweigerlich in eine große Spiegelscherbe,
die an einem Balken festgemacht worden war und erschrak:
Meine Augen strahlten hell wie Sterne und meine Haut in reinem Weiss. Die dunklen
Haare fielen mir in langen Strähnen ins Gesicht und Metall glänzte in meinen
Lippen. Es gab keine kleine Puppe mehr auf diesem Dachboden.
Neben der Scherbe steckte ein handgeschriebener Zettel.
"Du brauchst keine Angst mehr vor deinen Dämonen zu haben, wir sind nun vereint.
Sie kommen nicht wieder. - Deine dunkle Seite."

Nicht alles was düster und bedohlich erscheint, bringt Angst und Zerstörung - nicht alles was hell und freundlich erscheint, bringt Hoffnung und Glück.
Nichts ist so wie es scheint...
Sarah Maria Koban, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.06.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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