Kristina Korus

Sturmreiter

Tief im Wald, wo die Lärchen wachsen und die Lerchenhähne auf ihnen krähen, saß ein verwurzeltes altes Männlein. Es war etwa 13 Dezimeter groß und aß gerade eine alte gekochte Kartoffel.
Das Männlein aß sie mit Genuss. Dann sprang es von Stein zu Stein über einen Bach, der leise vor sich hinsäuselte, während der plätschernde Regen die Pflanzen labte. Es waren viele Blumen dort im Wald: Gänseblümchen, Narzissen, Nelken, Rosen und Erdbeeren. Das Männlein pflückte sich ein paar Blüten um sich später Tee zu machen.
Tobender Wind kam auf.
Das Männlein rannte und rannte, doch der Wind kam mit rasender Wut immer näher. Seine Vorreiter zerschmetterten die alte Linde, die schon seit Jahrhunderten dort stand. Als sie umfiel krochen fette Käfermaden aus ihr heraus: Sie war von innen ausgehöhlt, nichts weiter als ein Rindenrohr. Die altehrwürdige Linde war verfault.
Das Männlein stieg auf die Überreste des Baumes. Es wandte sich dem Sturm zu, schmiß seine gesammelten Blütenblätter in die Höhe, breitete die Arme aus und erwartete den Sturm.
Er kam mit tosender Geschwindigkeit, und mit unberechenbarer Wut brach er über der Linde zusammen, zerschmetterte nun persönlich was noch von ihr übrig war.
An dem Männlein jedoch zerschellte seine Kraft.
Es verwandelte sie für sich und wurde in die Luft erhoben.
Es zähmte den Sturm.
Die fetten Maden unterdessen zerfraßen weiter die alte Linde.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.09.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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