Germaine Adelt

Das Versprechen

 
Der Anblick war schrecklich. Als er noch an der Beatmungsmaschine hing, war trotz allem noch Hoffnung. Jetzt aber sah ein fremdes Wesen durch mich durch, was nichts im Entferntesten mit Jacques zu tun hatte.
„Es kann sein, dass er wieder wird.“ sagte der Arzt. Er war einer dieser Typen die immer erst einmal über alles reden wollten. Aber mir war nicht zum Reden.
Die Augen von Jacques starrten ziellos geradeaus, wie die einer Puppe. Der Blickwinkel änderte sich nur, wenn man den Kopf in eine andere Position brachte. Die Hände waren verkrampft und noch innen gebeugt, wie die Pfoten eines Hundes. Sein Mund stand etwas auf und er sabberte wie ein Kleinkind. Der Arzt redete auf mich ein. Aber für mich war es nur zusammenhangsloser Wortsalat. Ich hörte gar nicht hin. Nach den Formulierungen: Hoffnung, lebenswert und Wunder hatte ich nur noch auf Durchgang geschaltet. Ich sah nur noch Jacques. Der einst so große, starke Mann war nur noch eine willenlose Hülle. Ein unkoordinierter Körper, ohne jeden Willen. Eigentlich hatte er nichts menschliches mehr an sich, so dass ich mich fragte, ob das Versprechen noch immer galt. Paradoxer Weise hätte ich es schon lange getan. Aber das Versprechen brachte mich dazu alles zu hinterfragen.
 
„Sie können noch nicht allzu große Fortschritte erwarten,“ fuhr der Arzt fort und ich biss mir auf die Lippen und verschränkte meine Arme auf dem Rücken um ihn nicht verbal oder gar körperlich anzugreifen und ihn so endlich zum Schweigen zu bringen. „aber durch den immensen Blutverlust ist es ein Wunder dass er überhaupt überlebt hat.“
‚Immenser Blutverlust.’ Das hörte sich so banal an, fast verniedlichend. Ganz so wie die Soldaten im Krieg ‚fallen’. Als würden sie umfallen wie kleine Kinder bei ihren ersten Gehversuchen und nicht auch verbluten, nachdem sie erschossen oder gar von Bomben auseinandergerissen worden waren.
‚Blutverlust’ klang auch ganz anders wie: ‚als Ersthelfer bei einem Auffahrunfall von einem betrunkenen Raser überrollt.’  Aber wen interessierte das jetzt noch.
„Sie müssen sich um einen Reha-Platz für ihren Bruder kümmern.“
Ich sah ihn nur an und es war als verstand er.
„Natürlich können wir das auch übernehmen.“
Meine Augen waren wieder an Jacques geheftet. Die Hände noch immer auf dem Rücken, krallten sich meine Finger ineinander, bis es schmerzte. Ich ließ es zu, in der Hoffnung dies alles hier so irgendwie zu überstehen.
„Denk an unser Versprechen.“ hörte ich die Stimme von Jacques in meinem Ohr mahnen.
„Natürlich.“ flüsterte ich und der Arzt sah mich verständnislos an.
„Ich lass Sie dann mal allein.“ murmelte er und verließ endlich den Raum.
Verunsichert sah ich mich im Krankenzimmer um.
„Hilf mir,“ flehte ich, „Wie soll ich es tun?“
Doch die Puppe, die den Name von Jacques hatte sah teilnahmslos durch mich hindurch.
Ich schluchzte leise, ich wollte nicht dass er mein Weinen hören konnte. Machte ihn das doch immer fast hilflos. Bis mir klar wurde, dass es den Jacques nicht mehr gab und so weinte ich hemmungslos in den Armen eines Mannes, den das alles nicht interessierte.
Nie hatte ich mir vorgestellt, dass ich übrigbleiben würde. Dass ich diejenige sein würde, die diese Entscheidung treffen musste. Damals als Mutter an dem Krebs regelrecht eingegangen war, hatten wir uns geschworen, dass es bei uns nie soweit kommen würde. Dieses Leiden, diese Hilflosigkeit nichts mehr selbst bestimmen zu können. Derjenige, der noch entscheiden könnte, sollte dann den Dingen ein  Ende bereiten. So wie Vater ganz allein auf dem Dachboden. Einen Tag vor Mutters Beerdigung.
Ich würde es tun. Hatte ich es ihm doch versprochen. Vorerst musste ich mich aber daran gewöhnen, allein zu sein. Niemanden mehr zu haben, der immer alles in die Hand nahm.
 
Und bis dahin würde ich ihm Märchen vorlesen. So wie er es immer getan hatte, wenn ich als Kind Angst vor der Dunkelheit hatte.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.06.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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