Birgit Wolf

In vino veritas

Allgemein gelten die Norddeutschen als eher ruhige, introvertierte Menschen, nicht so temperamentvoll wie Leute aus dem Süden, weniger kontaktfreudig und verschlossen.
Sie grüßen nur knapp, oft mit einer Pfeife im Mundwinkel, vermeiden lange Gespräche und starren gerne schweigend auf die Nordsee – oder die Ostsee, kommt drauf an, wo man sich befindet. Außerdem trinken sie lieber Bier als Wein, und davon verstehen sie auch in der Mehrzahl nicht viel, am besten ist die Flasche, auf der „lieblich“ steht, und die kostet auch am wenigsten, also bitte.
Ich sage Ihnen: Vorurteile, nichts als Vorurteile.
Widerlegt in meinem Beisein (wenn auch nicht immer bei vollem Bewusstsein) während einer Fahrt an die Mosel mit unserem Kegelclub. Eine Gruppe von fünf Paaren hatte sich zu dieser Reise entschieden, Winnie und seine Frau Helga kannten da so eine nette, kleine Pension auf einem Hügel, und ganz in der Nähe plümperten die Mosel und die Saar vor sich hin. Nette Ecke, sagten sie uns während eines Kegelabends, das könnte lustig werden, denn im Herbst ist da immer so ein Weinfest. Also los. Nun liegt die spektakuläre Reise auch schon etliche Jahre zurück, deshalb kann man inzwischen auch darüber reden, ohne rot zu werden, denn die Ereignisse dürften mittlerweile verjährt sein.
Außer uns zehn Kegelbrüdern und –schwestern traf kurz nach uns noch ein einziger Gast ein, und zwar ein bayrischer Tiefbauunternehmer mit einem beachtlichen Auto. „I bin der Frank“, teilte er uns beim Frühstück mit, okay, Frank also. Nordfriesland meets Bayern, da stimmte die Chemie auf Anhieb, obwohl einige unserer Männer mit zusammengekniffenen Sehschlitzen hochkonzentriert aufpassen mussten, um Franks Äußerungen richtig zu übersetzen. Am Abend des ersten Tages hatten wir uns aneinander gewöhnt, ja mei, und dann kam die Inhaberin der netten Pension am Berg zu uns an den Tisch. „Ich hab‘ Euch für morgen Abend bei meinem Weinlieferanten zur Weinprobe angemeldet, das macht der richtig gut. Um halb acht, ist es Euch recht?“
Wir nickten synchron, nicht wissend, wer von uns die Dame um diese Gefälligkeit gebeten hatte. Allerdings ahnten wir, dass sie selbst diese unschlagbare Animation ausgebrütet hatte, denn der Weinhändler soll ja von irgendetwas leben, nicht wahr.
Am folgenden Abend pressten sich also sechs Personen in Franks Motzauto, was eine inspirierende Enge auf den Rücksitzen mit sich brachte, und der Rest der Meute fuhr mit einem Großraumtaxi hinterher. Es war nicht besonders weit.
Der Winzer erwies sich als ein untersetzter, älterer Herr mit weißem, spärlichen Haarwuchs und einer großen, roten Nase. Wir durften an einem langen Holztisch, auf dem Schalen mit Weißbrotscheiben standen, Platz nehmen, und als erstes erzählte er uns: „Der Arzt hat mir das Trinken verboten. Aber ich lebe ja vom Wein, und das Arbeiten kann er mir ja nicht verbieten.“ Mit einem leisen Plopp öffnete er eine grüne Weinflasche und goss uns eine Probe in die kleinen Testgläser. Dass in der Flasche ein Rest zurück blieb, den er aufmerksam im Auge behielt, entging uns nicht. Prost, runter damit.
Während dieses ersten Versuchs leerten sich die Brotschalen bereits bis auf einige einsame Krümel, ungeachtet dessen, dass dieses Brot zum Neutralisieren des Geschmacks zwischen den verschiedenen Proben gedacht war. Natürlich wussten wir das, wir trinken zwar überwiegend Bier und Korn, aber Deppen sind wir nicht. Unseren Gastgeber schien dieser Fauxpas auch nicht sonderlich zu berühren, er zog im Fünf-Minuten-Takt Korken aus grünen Buddeln, ließ sein Begleitsprüchlein hören und dann ein gelassenes „Zum Wohl“. Zwischendurch beging er den fatalen Fehler, aufzustehen und um ein Regal herumzugehen, um die jeweils nächste Flasche zu holen. Ha! Was für eine göttliche Gelegenheit, die Reste aus der aktuellen Probe hastig auf unsere Gläser zu verteilen und wegzuschlucken. Von wegen übrig, nix dergleichen, oller Schluckspecht.
Die Winzernase glühte schon rötlich, denn er kostete natürlich jedes Mal mit, und wahrscheinlich waren wir nicht die erste Gruppe an diesem Tage. Irgendwann begann er dann auch, misstrauisch die leeren Flaschen zu mustern, aber er protestierte nicht. Als wir den abschließenden Sekt hinter uns hatten und eine fröhliche Leichtigkeit verspürten, kam Helmut (einer unserer pfiffigen Jungs) auf die Idee, ihn Folgendes zu fragen: „Sag‘ mal, könnt Ihr auch `n richtigen Schnaps machen? Das ist ja alles Sprit für Weicheier hier, ich meine, so was Ordentliches, für echte Kerle.“ Er knuffte den Weinhändler burschikos in die Seite und fuhr fort: „Bei uns machen wir Korn, das ist Klasse, mein Lieber, kein Kopfweh am nächsten Tag, garantiert!“
Rotnase nickte bedächtig, ein seliges Lächeln umspielte seinen Mund, in dem offensichtlich das Wasser zusammen lief. Oh ja, das waren die richtigen Worte.
Er stand auf, etwas unsicher, aber zielstrebig, hob den Zeigefinger der rechten Hand, lächelte Helmut listig an und sagte „Moment!“.
Er ging nach unten in seinen Keller, Helmut und Jens folgten ihm neugierig. Dort unten befand sich hinter einigen gefüllten Regalen ein überdimensionales Holzfass. „Seht Ihr!“ triumphierend hielt er ein Wasserglas unter einen Messinghahn, drehte auf und ließ das Glas bis zum Anschlag mit einer glasklaren Flüssigkeit voll laufen. „Da hab‘ ich meinen Schnaps drin. Das ist das Allerbeste. Den mach‘ ich für mich selber, schade, das Fass ist schon wieder halb leer. Probieren!“
Er hielt Helmut das Glas unter die Nase.
Todesmutig setzte dieser zum Trinken an, ganz lässig, und schluckte. Weit kam er nicht.
Genau genommen hielt er das Glas nach dem ersten Schluck mit angewinkeltem Arm vor seinen Bauch, lief dunkelrot an und rang mühsam nach Luft. Der Winzer grinste zufrieden, dann gab er das Glas weiter an Jens. Und es war noch ziemlich voll.
Jens wollte keinesfalls Schwäche zeigen und sich blamieren, kam gar nicht in Frage. Er holte Luft, so tief er konnte, und leerte den Zahnputzbecher in einem Zug. Unmenschlich.
Nein, Jens ist nicht rot angelaufen, ehrlich, die Atemnot und das Brennen im Magen müssen so immens gewesen sein, dass sein Kreislauf ein Erröten nicht mehr hingekriegt hat. Zumindest für ihn trat an diesem Punkt die komatöse Phase ein. Für andere später, das kommt am Schluss der Geschichte, Geduld bitte.
Das Trio eierte die Steintreppe wieder hinauf, zurück in den gemütlichen Raum, in dem wir inzwischen hinterlistig eine Flasche Trockenbeerenauslese geköpft hatten, die nicht auf der Karte gestanden hatte. Aber die hatte da halt so einsam im Regal herumgelegen, das kann man ja gar nicht mit ansehen, und geschmeckt hatte sie auch, so richtig schön süß, wie die Norddeutschen es lieben. Die Bayern übrigens auch, Frank nickte zufrieden und streichelte die braune Flasche.
„Du“, er deutete mit der Hand auf den Winzer, der sich gerade setzen wollte, und zeigte dann auf die leere Trockenbeerenauslese. „Pack‘ mer 10 Kartons vo dem Zeug do i mei Kofferraum, is‘ net abgschlossn. Dös schmeckt scho besser ols dös saure Geficke da!“ (Bitte bedenken Sie bei meiner Bayrisch-Interpretation, dass ich der Sprache im Grunde nicht mächtig bin). Die Sammlung der anderen leeren Flaschen bedachte Frank mit einer abfälligen Wegwisch-Handbewegung. Er legte einige große Scheine auf den Tisch, Rotnase nickte eifrig, steckte ein und eilte zur Auftragserfüllung. Erstaunlich schnell für sein Alter, das sprach eindeutig für den Treibstoff.
Während des Beladevorgangs kicherten wir noch eine Weile albern herum, einigten uns dann, wer mit Frank in die Pension zurückfahren durfte – Jens war wegen seines Zustands dabei, und dann nur noch Mädels) -, die anderen wollten zu Fuß zurück gehen. Und dann machten wir uns auf die Socken, rein in den dicken Merzer, das Fußvolk hinterher. In der Pension wartete unsere freundliche Wirtin bereits neugierig auf uns. „Wie wars denn?“ wollte sie wissen und stellte sich geschickt quer in den Flur, so dass wir nur noch in ihren Frühstücksraum ausweichen konnten. Frank erzählte und ließ sich auf einen Stuhl fallen, wir drängelten uns auf eine Eckbank. Nur kurz darauf traf der Rest der Gruppe ein, und unsere Wirtin erklärte: „Übrigens, ich heiße Evelyn.“ Soso. „Und nun hab‘ ich was für euch.“ Sie zog aus einer Kommode eine Flasche mit giftgrünem Inhalt, verteilte Gläser, die sie offenbar bei einer dieser Weinproben geklaut haben musste, und füllte sie damit. „Das ist Pfefferminzlikör, den hab‘ ich selbst gemacht, die Minze hab‘ ich im Garten.“
Ups. Ich hasse Getränke, die mir nicht geheuer sind, wir sahen uns tief seufzend an, denn das hier, das war uns klar, bedeutete den ultimativen Verlust der Muttersprache.
Evelyns erwartungsvoll strenger Blick ließ uns jedoch keine Wahl. Und – Ex.
Wie gesagt, es blieb an diesem denkwürdigen Abend keiner verschont.
Am nächsten Morgen, so gegen 12.15 Uhr, schlich Marga als erste ins Frühstückszimmer. Gähnende Leere weit und breit. Vorsichtig betätigte sie die dort angebrachte Rufklingel.
Es dauerte einige Minuten, dann schlurfte Evelyn im Bademantel heran, ihr Gesicht war in etwa so grün wie der Pfefferminzlikör. Sie zog einen Zwanziger hervor, drückte ihn Marga in die Hand und erklärte heiser, während ihre Linke auf der pochenden Stirn ruhte: „Sei so nett, hol‘ euch die Brötchen. Ich muss mich legen.“
Weg war sie. Wahrscheinlich war es auch in diesem Fall nicht bei einem Likörchen geblieben.
Wie auch immer, die restlichen Tage verbrachten wir dann recht nett, aber weniger spektakulär, wenn man davon absieht, dass wir am Mittwoch eine Pizza serviert bekamen, die eine Rekordmenge Knoblauch enthielt. Einige von uns mussten in der Nacht mehrfach ihr Schlafzimmer verlassen, weil sie den eigenen Dunst nicht ertrugen.
Alles in allem war diese Reise schon ein denkwürdiges Erlebnis, wir hatten einen neuen Freund in Bayern, und inwiefern wir uns blamiert haben, kann uns ja auch völlig wurscht sein, dort kennt uns ja keiner. Nächstes Jahr wollen wir eventuell eine Woche zusammen nach Mallorca, schließlich müssen die alten Geschichten doch zu toppen sein.
Und überhaupt - was heißt hier peinlich?
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.07.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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