- 09.07.2007
- Kategorie "Wie das Leben so spielt" (Kurzgeschichten)
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Robert Fischaleck
Das Versprechen(2) oder Der Siddharta-Konflikt
Siddharta-Konflikt
Durch das nicht ganz wetterfeste Gestein meiner
Erinnerung gräbt sich ein seltsames Tier auf der Suche nach einer
passenden Umgebung.
Zum Glück ist dies kein Roman, und eine
Schreibschublade mit der Aufschrift" Für den Wurm", wird wohl in keiner
ordentlichen Biblothek geduldet.
Es gibt aber eigentlich ganze Regale davon.
Es ist dies auch kein Bücherwurm, denn dort
würde er schlichtweg verhungern, eher eine Unterart der Regenwürmer,
die alle abgefallenen Blätter ins Erdreich zerrt in und sie dort fein
säuberlich verdaut. Und ich trau mich eigentlich nur diesen Instinkt
so zu nennen, seit ich einen Bericht über Regenwürmer gesehen
habe, und wie sie ihre "Arbeit" erledigen.
Und ich dachte über beide, also den Regenwurm
dort draußen und das Tier in der Schublade.
Ich dachte immer, was ist das nur für ein
seltsames Tier.
Bis neulich.
Wirklich, neulich im Fernsehen, sah ich einen
Artgenossen.
Oder bei uns Menschen spricht man eher, von einem,
der diesselbe Sprache spricht.
Und auch das ist nicht ganz hundertprozentig,
denn bestimmte Sachen, hätte ich nie so gesagt.
Es war eine dieser Tagungen zum Thema Zukunft.
Und es war eine wirklich illustre Runde.
Und ich hörte jemanden dieselben Puzzleteile
zusammenfügen, wie dies mein Wurm immer tut.
Ich hörte jemanden diesselben Schlußfolgerungen
aussprechen. Und ich dachte, nicht mehr wie sonst immer, das gibt es nicht,
ich hörte nur zu, und folgte seinem Gang, und normalerweise steht
hier Gedankengang, das ist aber eine ziemlich unzureichende Bezeichnung,
denn es gehört ein Haufen erlebtes Schicksal und Menschsein dazu,
diese Gedanken in dieser Reihenfolge aneinander zu fügen.
Wie so oft und so wie es mir auch immer geht,
wurde auch ein Lied zitiert, natürlich Beatles, natürlich, All
You need is Love, ich würde sogar sagen, wir brauchen die Liebe unbedingt.
Es wird nicht mehr sehr viel Spaß machen,
wenn wir nicht endlich auf die Liebe hören.
Mir fällt dann immer gleich noch ein Lied
ein, aus derselben Epoche, Clouds,(both sides) da gibt es diese Zeile, die sich immer
ein wenig verändert, I really, really don't know Love at all.
SIe werden sicher einwerfen, was soll das denn,
zuerst auf den Punkt bringen, all we need is Love, und dann behaupten,
wir wüßten gar nicht was Liebe ist, ich sags ja, ein seltsames
Tier dieser Wurm, aber er hat recht, wir wissen tatsächlich nicht
viel von der Liebe.
Wir wissen noch nicht mal, wie sehr wie sie brauchen.
Und jedes Mal wenn einer in seiner Symphonie an diesen Punkt anrennt, an
dem er feststellt, wie sehr er die Liebe braucht, ist dies ein seltsamer
Anlass, und wir nennen das immer, im Regen stehen, oder einen Verlust erleiden.
Wir haben auch keine wirkliche, wie sagt man
das hier, also ich habe neulich gehört, daß im Gehirn sogenannte
Bahnen entstehen, damit die Information schneller oder manchmal sogar überhaupt
ankommt, das nennt man Training.
WIr werden uns dessen selten wirklich bewußt,
welch immenses Training unser Alltag bereits hinter sich hat, und was für
feste Bahnen dort schon sind.
Wenn also dieses Tier seine gewohnten Gänge
geht, und in all der Routine und Sicherheit der Alltag in Schwung kommt,
und es braucht schon ein intakt funktionierendes Gehirn möchte man
meinen, einen sogenannten modernen Alltag auf diesem Niveau am Laufen zu
halten, das sind tausende von Informationen, die man richtig einschätzen
muß, Sachen, die jedes Tier noch instinktiv erledigen konnte, brauchen
eine Grundausbildung, von der man vor hundert Jahren noch nicht mal wußte,
daß es sowas gibt. Aber es hat nichts mit der Kultur des Lebens zu
tun, es war nur eine Weiterentwicklung der maschinellen Hilfsmittel, und
je besser diese sogenannten Verbesserungen wurden, desto komplexer wurde
ihre Bedienung, aber wir vergessen immer, daß im Grunde, der Tag
und das Menschsein noch keine Ausbildung erhalten haben, und es fühlt
sich ein bißchen so an wie ein Gedicht von Rilke, sie kennen das
doch, der Panther, ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe und
hinter tausend Stäben keine Welt.
Und genau dieses Gedicht wird dann seltsamer
Weise zu einem Schlüsselsatz in einem Film, namens Zeit des Erwachens,
und es geht dort um Leute, deren ganzes Training krankheitsbedingt zusammen
bricht. Und die sitzen dann da und wissen eigentlich gar nicht mehr was
hier sollen, also wirklich nicht mehr, und es gibt auch keine Möglichkeit
mehr, sie zu erreichen.
Sie leben noch, aber sonst ist es ziemlich einsilbig.
Und sie, man nennt das, sprechen nicht mehr an,
seltsam nicht wahr.
Sie sind nicht mehr erreichbar.
Und es klingt vielleicht ein wenig übertrieben,
aber dieser Wurm in mir, bekam ein frösteln als er das sah.
Und natürlich sind das Schauspieler und
die ganze Szene ist ein wenig verfälscht und alles, aber das ist wirklich
passiert. Und im Film geht es dann um ein Medikament, das ihnen eine Zeit
des Erwachens beschert und sie können wieder Spaß haben und
miteinander kommunizieren und all diese für uns selbstverständlichen
Dinge tun.
Also ich hörte dann im Laufe der Zeit von
vielen anderen Geschichten und sogenannten wissenschaftlichen Erkenntnissen,
von körpereigenen Stoffen, die bestimmte Gefühle auslösen
und von Drogenähnlichen Substanzen, und von den Unterschieden zwischen
den Stoffen und all diese seltsamen Fakten.
Das interessierte diesen Wurm nicht die Bohne.
Und ich vergaß die ganze Szene, sie wurde
abgespeichert und in die Schublade gelegt, sie erinnern sich"Für den
Wurm", die in keiner Bibliothek zu finden ist.
Ich hab das dann immer wieder gern erzählt,
also diese Geschichte, von diesen Menschen, die für kurze Zeit aus
dem Gefängnis ihrer Krankheit ausbrechen.
Und alle, die den Film kannten, sagten immer,
das ist schon unglaublich beeindruckend gespielt, und ich wußte dann
gar nicht mehr, was ich eigentlich sagen wollte.
Wie gesagt, es ruhte eigentlich in dieser Schublade
und schlummerte träge vor sich hin, als plötzlich ein neues Blatt
auf die Erde fiel. Dieses Blatt, Puzzleteil, Szene, wie immer sie das nennen
wollen, für das sich mein Wurm interessierte, war ein simpler Scherz
eines sehr bekannten Moderators, oder wie immer er sich sieht, er ist sicher
mehr als das, der in einer Gesprächsrunde über irgendeinen Tatbestand
witzelte, und sagte, der Hesse in mir.
Sie erinnern sich doch, Herman Hesse, in meiner
Generation haben ihn die meisten noch gelesen.
Und mein Wurm hörte diesen Scherz und mir
fröstelte wieder, und diesmal verstand ich es so gar nicht. Aber ich
ließ ihn gewähren und verfolgte seine Wühlereien und Querverbindungen
und all den Erinnerungen, mit denen er dahergeknabbert kam, er erinnerte
sich an Gespräche damals, hauptsächlich über Hesses Siddharta,
in dem sich viele meiner Freunde wiederfanden.
Und plötzlich flüsterte er, aus einer
mir sehr verborgenen Ecke eine überschrift zu seinen Gedanken, er
nannte es den Siddharta-Konflikt, mehr verriet er mir noch nicht.
Ich war natürlich gespannt, denn ich hatte
hitzige Gespräche geführt damals.
Dieser Wurm in mir, kam doch tatsächlich
daher und behauptete, daß nicht mal Hesse selbst seine Geschichte
so ganz verstanden hat.
Das ist natürlich eine grandiose Behauptung.
Und der Konflikt, der in Hesses Buch über
zwei unterschiedliche Charaktere wiedergespiegelt wird, Govinda und
Siddharta, die sich zu gut kennen, um einander etwas vormachen zu können,
von denen der eine den Buddha trifft und ihm folgt, und der andere keine
solchen Trampelpfaden folgen mag, auf denen so viele gehen.
Diesen Konflikt, den Hesse in seiner sehr erfolgreichen
Sprache beschrieben hat, den viele meiner Generation kennen, und zwar auf
die eine oder andere Art.
Ich muß zu meiner Schande gestehen, wir
haben uns festgebissen damals.
Und zwar in ziemlich belanglosen Nebensächlichkeiten.
Wir glaubten doch tasächlich damals, es ging
darum, einen Lehrer zu finden oder eben seine eigenen Wege zu gehen.
Mein Wurm erhebt da Einspruch.
Und ich frage mich so langsam, was dieses Tier
eigentlich will.
Das ist allerdings eine Frage, die beantwortet
er mir sofort, du erinnerst dich an diese Bahnen im Gehirn, sie müssen
gegraben werden, mehr nicht.
Ich bin natürlich erstaunt über die
einfache Logik, die in dieser Antwort liegt.
Aber ich verstehe das, und frage ihn, was das
denn dann soll.
Siddharta hatte auch einen Lehrer, den Fährmann,
er hat ihm seine einfache Wahrheit gezeigt.
Ja und, ich verstehe noch nicht ganz.
All die sogenannten Irrwege, die in dieser Geschichte
geschildert werden, versteh doch, es spielt keine Rolle.
In diesem entscheidenden Augenblick, das Leben
verstehen, wann immer dieser Augenblick sein wird, darum gekämpft zu haben, nicht außen mit Waffen, innen, mit allem was man hat, gehofft und gelebt zu haben, und alles wurde vom
Sturm mitgerissen, nehmen sie irgendein poetisches Bild für diese
Erfahrung, es gibt tausende, die Bücher sind voll davon.
Aber sich zu erinnern, was das heißt, das
tierische Vergnügen am Leben zu sein, als Mensch, das kann kein Buch,
das können nicht mal die Werbespotmacher, auch wenn sie uns ständig
vorgaukeln, genau das zu können.
Das kann nur einer selbst verstehen, oder es
eben vergessen, mit oder ohne Lehrer und Religion und Disziplin oder was
es da sonst noch alles gibt.
Und wieso sollte man dann so viel Wert auf die
Umstände legen, in denen das passieren kann.
Es gibt keine Garantie.
Weder wenn ich meine eigenen Wege suchen will
oder wenn ich jemandem folge, der helfen will.
Und Buddha, Jesus, Mohammed, sie alle wollten
helfen, daran besteht doch kein Zweifel.
Was wir dann daraus gemacht haben, das ist eine
ganz andere Geschichte.
Es gibt keine Garantie, wann sich mein Herz dem
Leben öffnen wird, ich kann sogar vergessen, daß dies möglich
ist, und den Rest kennt jeder von uns in und auswendig.
Darüber brauchen wir nicht mehr viel zu
sagen, was alles passiert, wenn ein Mensch vergißt, was das Leben
ist.
Selbst die alten Griechen, die doch unsere ganze heutige
westliche Denkweise so beeinflußt haben, Demokratie, Sport,
Philosophie, Kunst, unglaublich viele dieser Ansätze, dessen was wir
Kultur nennen, selbst die, beschäftigten sich mit der Tatsache, daß
ein Mensch etwas sucht, sie hatten sogar ein eigenes Wort dafür, entelechy.
Wir haben diese Tatsache ignoriert.
Alles andere haben wir aufgegriffen und verbessert,
das Verständnis dessen, was die Griechen "entelechy" nannten, ist völlig
verlorengegangen.