Die
Nachtbeleuchtung der Fahrbahnlaternen reflektierte in den mit Haargel
zurück gekämmten Haaren und hob die beiden jungen Männer
aus der Dunkelheit empor. Sie saßen auf den steinernen
Pingpongplatten und tranken Landfürst aus der Dose. Eine weiße
Plastiktüte von einer Tankstelle stand neben ihnen, damit sie
das Pfand sammeln konnten. Sie hatten jeder schon sechs Bier
getrunken, die billiger waren, als das Dosenpfand, aber nach dem
halben Dutzend nicht mehr nach der Pisse eines Alkies schmeckte.
Romeo spielte mit
einem Springmesser, sein Freund Castro hatte ein Butterfly. Noch vor
ein paar Jahren, hätten sie die Bierdosen mit den Messern
zerstochen, jetzt waren diese Weißblechdosen ihr einziges
Kapital, mit dem sie am nächsten Tag neuen Stoff holen konnten.
Hartz IV gab nicht soviel her. Mit fünfundzwanzig saßen
sie auf einen Spielplatz und tranken Bier, anstatt in einer
gemütlichen Kneipe zu sitzen. Hierher verirrten sich auch keine
Frauen in ihrem Alter, hin und wieder ein paar hässliche
Teenyschlampen, die man hinter den Schaukel durchvögeln konnte,
aber nichts mit Klasse.
Aus
dem Dunkeln tauchte eine Gestalt auf.
„Jo
Figo, Mann! Was geht Alter?“ fragte Romeo.
Figo
war ein neunzehnjähriger Portugiese, dessen Name niemand kannte,
der aber jeden Tag mit dem selben, verwaschenen, roten Trikot des
Nationalspielers herum lief, es war nicht einmal eins mit Namen,
sondern nur mit einer gelben Sieben. Aber jeder wusste, dass es die
Nummer Figos bei den Gambasfressern war.
„Nix
Romeo. Wat macht ihr den noch um die Zeit auf der Straße?“
„Saufen!“ meinte
Castro knapp. Castro hieß auch nicht Castro, sie nannten ihn so
wegen seinem Bart und Romeo hieß so, weil er so hübsch
war. Welche türkische Mutter, die bei Verstand war würde
ihren Sprössling schon Romeo nennen? Er selbst hatte seinen
Namen vergessen, er fiel ihm immer nur kurzfristig ein, wenn seine
Mutter ihn rief. Als vorbestrafter Vergewaltiger bekam er keinen Job
und musste so noch zu hause wohnen.
„Habt ihr noch eins
übrig?“
„Ja,
pisswarmes Landfürst.“ Castro reichte ihm eine Dose.
Figo
nahm einen Schluck und verzog das Gesicht. „Wisst ihr, woran mich
dieses Bier erinnert?“
„Ja!“ Beide
wussten worauf er hinaus wollte. Auf dem Witz aus dem mexikanischen
Spielfilm Desperado. Und sofort begann er seine Parodie auf Quentin
Tarantino. Er erzählte von der Wette, dem Glas, ahmte die
Bewegungen nach, wobei er in alle Richtungen spuckte und kam nach
einer Ewigkeit zur Pointe. Trank sein Bier aus und zerdrückte
die Dose.
„Ey
Tarantino, dat is 'en viertel Euro du Quackfisch!“
„Piss dich nicht
ein, Wichser! Den bekackten Strichcode können die auch so
lesen!“
Romeo ging dazwischen.
„Hey Jungs scheiße, da kommt Friday!“
Friday nannten sie
einen Typen aus der Nachbarschaft, der weit über dreißig
und ein Koloss war. Er fuhr auf einem Bonanzarad durch das Viertel
und zockte jeden ab, dem er begegnete, nach dem großen
Schwarzen, aus dem gleichnamigen Film, dessen Namen sie vergessen
hatten. Die Messer verschwanden und Castro klammerte sich an das
Dosenpfand.
Das
Bonanzarad rollte neben den drei Männer aus und der kahlköpfige
Hüne blickte sie freundlich an. „Na, ihr Stricher? So spät
noch draußen?“
„Ja,“ Romeo stand
auf und reichte ihm die Hand. „Hi Berkovic, wie geht’ s?“
„Gestern ging' s
noch! Heute hab ich 'ne scheiß Laune. Meine Alte macht mir die
Hölle heiß, sagt ich soll mir endlich 'nen Job suchen...“
„Ich
kenn' das! Meine Mutter...“
„Wer
hat dich nach deiner verfickten Mutter gefragt Romeo? Ich erzähle!
Ich brauch' keinen scheiß Job. Ich bin Optimist, ich habe Geld,
Mann! Wenn man optimistisch ist, kommt der Lachs von ganz alleine in
den Kühlschrank. Hab auch gar keine Zeit zum Malochen. Muss noch
einen Level beim International Superstar Soccer 3 auf meinen Gamecube
spielen, dann gehört mir der größte Pot aller Zeiten,
kein Scheiß Mann!“
„2003? Mann wir
haben 2007!“ lachte Figo.
„Was
bist' n du? Astronaut, oder wat?“
„Das
heißt Astrologe!“ mischte sich Castro ein.
„Wer
hat dich kommunistische Drecksau gefragt? Bist du der scheiß
Brockhaus? Lass mal lieber ein Bier rüber wachsen! Habt ihr
Leergut?“
„Nur' n bisschen,
für Morgen!“
„Morgen is Morgen!
Ich hab dich aber jetzt gefragt, Schwuchtel!“
„Scheiße Mann,
die Kohle kommt erst nächste Woche!“
„Eben meine auch,
also gib mal her den Klingelbeutel, du Weichei!“
Castro reichte ihm die
Tüte. Friday fischte sich das letzte volle Bier heraus und Band
sich die Tüte mit den leeren Dosen um den Lenker. „Verficktes
Landfürst! Scheiße, dann noch warm!“
Er
knackte die Dose und trank den Inhalt in einem Zug aus. Schüttelte
angewidert den Kopf und Rülpste. „Bäh war dat lecker!
Ich sag euch was, wenn mir meine Alte Nachts in den Hals schifft,
schmeckt dat allemale besser. Aber die Plürre macht 'nen
schlanken Fuß!“
Er
zerknüllte die Dose zu einem Eishockeypuk und übergab sie
Castro. „Hier bin ja kein Unmensch. Kauf dir 'nen Lutscher, du
Lusche!“
Castro stand da wie
ein Kellner bei der Wies'n und starrte die Dose verwirrt an. Das war
es dann mit dem Dosenpfand, huschte ihm noch durch das Gehirn, als
sein türkischer Freund ihm in die Seite knufte. „Ey Castro,
guck' da is der Penner mit seinem scheiß Köter wieder!“
„Dat
Wichsgesicht! Is der blöd? Der soll doch die Töle hier
wegtun!“
Die
Drei ließen Friday mit seinem Bonanzarad zurück und
bildeten einen Halbkreis um einen älteren Mann mit einem
Rottweiler an der Leine, der gerade vor einen Baum kackte.
„Ey
Arschrübe, haben wir dir nicht gesagt, du sollst mit deinem
Köter nich' mehr hier her kommen?“
„Ist
ein freies Land meine Herren!“
„Freies Land? Wer
bist du Lincoln? Ich mach dich gleich frei, Opa!“ Castro zog das
Butterfly und schnitt den Lederriemen zwischen Hund und Mann durch.
Der Hund knurrte kurz.
„Lass gut sein Tina!
Die Jungs machen nur Spaß!“
„Spaß?“
Romeo lachte gespielt. „Wir ficken dich gleich aus Spaß
Tina!“
Wieder knurrte der
Hund, dieses Mal fletschte sie auch die Zähne. Castro und Romeo
traten dem Hund gleichzeitig in die Flanken das er jaulte und
zupacken wollte, doch bevor die Zähne etwas packen konnten, traf
der rechte Fuß Figos das Tier unterm Kinn und der Hund machte
eine Rolle rückwärts und blieb an einem Baum benommen
liegen. Der junge Mann erhob seine Fäuste und lief einen
Halbkreis, dabei schrie er: „Und wieder ein Hammerschuss von Luis
Figo, dem Superstar bei Real Madrid!“
„Das
könnt ihr doch nicht machen! Das Tier ist doch schon acht
Jahre...“
„Opa
halt' s Maul! Sonst schneid' ich dir die Nase ab!“ Romeo hatte sein
Springmesser gezogen und hielt es dem Mann an den Nasenflügel.
Friday rollte heran
und schubste den Türken bei Seite, die Tasche mit den leeren
Dosen schleuderte hin und her.„Scheiße Mann, du kannst doch
so 'nen alten Sack nich' mit 'nem Messer bedrohen!“
„Wenigsten einer mit
Anstan...“ Eh der alte Mann wusste wie ihm geschah, traf ihn die
große Faust von Berkovic und er brach blutend zusammen.
Berkovic hielt seine
Faust in das Licht einer Fahrbahnlaterne und die Umherstehenden
sahen, dass sich in dessen Faust zwei Zähne des Alten vergraben
hatten. Er pulte sie heraus und warf sie auf den am Boden liegenden
Mann. Dessen Gesicht war nur noch ein Breiklumpen und er röchelte
schwach.
„Jo
Figo!“ brummte Friday. „Schau mal in seine Taschen!“
„Warum machst du das
nicht?“
„Weil, wenn' s du' s
nicht machst ich dich da neben lege!“
Figo
ging auf die Knie und durchstöberte die Taschen des wimmernden
Mannes. Er fand eine leere Brieftasche und einen Zehner in der
Hemdtasche des Alten. Friday nahm sie und steckte sie weg. „Scheiß
Rentner!“
„So
Jungs war nett bei euch, muss dann mal weg, die Frau wartet!“
„Was
machen wir mit dem?“
„Liegen lassen,
morgen finden den die Kidis und rufen die Bullen!“
„Hol
doch noch Bier vom Zehner!“ schlug Figo vor.
„Welcher Zehner?“
„Na
der vom Alten?“
„Welchen Alten? Zu
viel Hemingway gelesen?“
„Schon gut, hab' s
verstanden.“
Da
vernahmen sie das leise Quietschen. Aus der Dunkelheit kam ihnen eine
Person mit einem Kinderwagen entgegen. Der Kinderwagen musste
unbedingt einmal geölt werden. Die Vier stellten sich in den
Weg und warteten. Im Lichtschein erkannten sie einen Mann, in
Berkovics Alter, der den Kinderwagen schob. Er war breiter als die
drei jungen Männer, aber Friday überragte ihn noch um
einiges.
„So
spät noch auf der Straße?“ Berkovic kreuzte die Arme auf
der Brust, das Rad zwischen seinen Beinen wirkte fast wie ein
Dreirad, die Dosen klapperten. „Mit dem Kleinen?“
Der
Mann sagte nichts. er blickte sie nur der Reihe nach an. Es spiegelte
sich keine Angst in seinen Augen. Nur ein leichtes Lächeln,
umspielte seine Lippen.
„So'
n Pisser wie du, bezieht doch bestimmt Eltern- und Kindergeld! Wie
viel drückst du davon ab, damit wir dein Kind nicht Fressen?“
Wieder gab der Mann,
dessen Augen seltsam dunkel waren keinen Laut von sich.
Romeo fuchtelte mit
seinem Messer herum. „Wir schneiden es in Stücke!“
Nichts, keine
Reaktion.
Berkovic wurde es zu
dumm. Er stieg von seinem Rad herunter und zog die dünne Decke
von... von... von den Kinderleichen weg, die blutüberströmt
darunter lagen.
„Scheiße Mann,
bist du durchgeknallt?“ Er hörte noch wie Romeo sein Messer
Fallen ließ und sich der Typ in etwas verwandelte, was niemand
vor ihnen je gesehen hatte. Das Ungetüm riss Romeo und Figo die
Köpfe von den Schultern und schlug dann mit denen auf dem von
Castro, bis dieser brach. Friday schnappte sich sein Rad, doch das
Ungeheuer fasste ebenfalls danach. Berkovic versuchte es ihm zu
entreißen, aber das Monstrum wickelte es einfach um den
Brustkorb des Hünen. Dann stach es ihm mit seinen Krallen die
Augen aus, mit der anderen Kralle riss es ihm den Hals auf und Blut
floss ihm über Brust und Rad. er sackte auf die Knie und starrte
dem pelzigem Wesen in die tiefschwarzen Augen. Das Biest vergrub
seine Klaue in dem kahlen Kopf und mit einem reißenden Geräusch
schraubte es ihn vom Hals ab und biss herzhaft ein Stück aus dem
Kinn. Nach einer Weile war es einfach wieder ein Mann der einen
Kinderwagen schob. Er ging schweigend an den Leichen vorüber,
bückte sich zu dem Lenker herunter, riss die Tüte an sich
und ging seiner Wege. So spät waren nicht mehr viele Leute auf
der Straße und schon gar keine, die ihn aufhalten konnten.