Michael Masomi

So spät noch auf der Straße?

Die Nachtbeleuchtung der Fahrbahnlaternen reflektierte in den mit Haargel zurück gekämmten Haaren und hob die beiden jungen Männer aus der Dunkelheit empor. Sie saßen auf den steinernen Pingpongplatten und tranken Landfürst aus der Dose. Eine weiße Plastiktüte von einer Tankstelle stand neben ihnen, damit sie das Pfand sammeln konnten. Sie hatten jeder schon sechs Bier getrunken, die billiger waren, als das Dosenpfand, aber nach dem halben Dutzend nicht mehr nach der Pisse eines Alkies schmeckte.
Romeo spielte mit einem Springmesser, sein Freund Castro hatte ein Butterfly. Noch vor ein paar Jahren, hätten sie die Bierdosen mit den Messern zerstochen, jetzt waren diese Weißblechdosen ihr einziges Kapital, mit dem sie am nächsten Tag neuen Stoff holen konnten. Hartz IV gab nicht soviel her. Mit fünfundzwanzig saßen sie auf einen Spielplatz und tranken Bier, anstatt in einer gemütlichen Kneipe zu sitzen. Hierher verirrten sich auch keine Frauen in ihrem Alter, hin und wieder ein paar hässliche Teenyschlampen, die man hinter den Schaukel durchvögeln konnte, aber nichts mit Klasse.
Aus dem Dunkeln tauchte eine Gestalt auf.
„Jo Figo, Mann! Was geht Alter?“ fragte Romeo.
Figo war ein neunzehnjähriger Portugiese, dessen Name niemand kannte, der aber jeden Tag mit dem selben, verwaschenen, roten Trikot des Nationalspielers herum lief, es war nicht einmal eins mit Namen, sondern nur mit einer gelben Sieben. Aber jeder wusste, dass es die Nummer Figos bei den Gambasfressern war.
„Nix Romeo. Wat macht ihr den noch um die Zeit auf der Straße?“
„Saufen!“ meinte Castro knapp. Castro hieß auch nicht Castro, sie nannten ihn so wegen seinem Bart und Romeo hieß so, weil er so hübsch war. Welche türkische Mutter, die bei Verstand war würde ihren Sprössling schon Romeo nennen? Er selbst hatte seinen Namen vergessen, er fiel ihm immer nur kurzfristig ein, wenn seine Mutter ihn rief. Als vorbestrafter Vergewaltiger bekam er keinen Job und musste so noch zu hause wohnen.
„Habt ihr noch eins übrig?“
„Ja, pisswarmes Landfürst.“ Castro reichte ihm eine Dose.
Figo nahm einen Schluck und verzog das Gesicht. „Wisst ihr, woran mich dieses Bier erinnert?“
„Ja!“ Beide wussten worauf er hinaus wollte. Auf dem Witz aus dem mexikanischen Spielfilm Desperado. Und sofort begann er seine Parodie auf Quentin Tarantino. Er erzählte von der Wette, dem Glas, ahmte die Bewegungen nach, wobei er in alle Richtungen spuckte und kam nach einer Ewigkeit zur Pointe. Trank sein Bier aus und zerdrückte die Dose.
„Ey Tarantino, dat is 'en viertel Euro du Quackfisch!“
„Piss dich nicht ein, Wichser! Den bekackten Strichcode können die auch so lesen!“
Romeo ging dazwischen. „Hey Jungs scheiße, da kommt Friday!“
Friday nannten sie einen Typen aus der Nachbarschaft, der weit über dreißig und ein Koloss war. Er fuhr auf einem Bonanzarad durch das Viertel und zockte jeden ab, dem er begegnete, nach dem großen Schwarzen, aus dem gleichnamigen Film, dessen Namen sie vergessen hatten. Die Messer verschwanden und Castro klammerte sich an das Dosenpfand.
Das Bonanzarad rollte neben den drei Männer aus und der kahlköpfige Hüne blickte sie freundlich an. „Na, ihr Stricher? So spät noch draußen?“
„Ja,“ Romeo stand auf und reichte ihm die Hand. „Hi Berkovic, wie geht’ s?“
„Gestern ging' s noch! Heute hab ich 'ne scheiß Laune. Meine Alte macht mir die Hölle heiß, sagt ich soll mir endlich 'nen Job suchen...“
„Ich kenn' das! Meine Mutter...“
„Wer hat dich nach deiner verfickten Mutter gefragt Romeo? Ich erzähle! Ich brauch' keinen scheiß Job. Ich bin Optimist, ich habe Geld, Mann! Wenn man optimistisch ist, kommt der Lachs von ganz alleine in den Kühlschrank. Hab auch gar keine Zeit zum Malochen. Muss noch einen Level beim International Superstar Soccer 3 auf meinen Gamecube spielen, dann gehört mir der größte Pot aller Zeiten, kein Scheiß Mann!“
„2003? Mann wir haben 2007!“ lachte Figo.
„Was bist' n du? Astronaut, oder wat?“
„Das heißt Astrologe!“ mischte sich Castro ein.
„Wer hat dich kommunistische Drecksau gefragt? Bist du der scheiß Brockhaus? Lass mal lieber ein Bier rüber wachsen! Habt ihr Leergut?“
„Nur' n bisschen, für Morgen!“
„Morgen is Morgen! Ich hab dich aber jetzt gefragt, Schwuchtel!“
„Scheiße Mann, die Kohle kommt erst nächste Woche!“
„Eben meine auch, also gib mal her den Klingelbeutel, du Weichei!“
Castro reichte ihm die Tüte. Friday fischte sich das letzte volle Bier heraus und Band sich die Tüte mit den leeren Dosen um den Lenker. „Verficktes Landfürst! Scheiße, dann noch warm!“
Er knackte die Dose und trank den Inhalt in einem Zug aus. Schüttelte angewidert den Kopf und Rülpste. „Bäh war dat lecker! Ich sag euch was, wenn mir meine Alte Nachts in den Hals schifft, schmeckt dat allemale besser. Aber die Plürre macht 'nen schlanken Fuß!“
Er zerknüllte die Dose zu einem Eishockeypuk und übergab sie Castro. „Hier bin ja kein Unmensch. Kauf dir 'nen Lutscher, du Lusche!“
Castro stand da wie ein Kellner bei der Wies'n und starrte die Dose verwirrt an. Das war es dann mit dem Dosenpfand, huschte ihm noch durch das Gehirn, als sein türkischer Freund ihm in die Seite knufte. „Ey Castro, guck' da is der Penner mit seinem scheiß Köter wieder!“
„Dat Wichsgesicht! Is der blöd? Der soll doch die Töle hier wegtun!“
Die Drei ließen Friday mit seinem Bonanzarad zurück und bildeten einen Halbkreis um einen älteren Mann mit einem Rottweiler an der Leine, der gerade vor einen Baum kackte.
„Ey Arschrübe, haben wir dir nicht gesagt, du sollst mit deinem Köter nich' mehr hier her kommen?“
„Ist ein freies Land meine Herren!“
„Freies Land? Wer bist du Lincoln? Ich mach dich gleich frei, Opa!“ Castro zog das Butterfly und schnitt den Lederriemen zwischen Hund und Mann durch. Der Hund knurrte kurz.
„Lass gut sein Tina! Die Jungs machen nur Spaß!“
„Spaß?“ Romeo lachte gespielt. „Wir ficken dich gleich aus Spaß Tina!“
Wieder knurrte der Hund, dieses Mal fletschte sie auch die Zähne. Castro und Romeo traten dem Hund gleichzeitig in die Flanken das er jaulte und zupacken wollte, doch bevor die Zähne etwas packen konnten, traf der rechte Fuß Figos das Tier unterm Kinn und der Hund machte eine Rolle rückwärts und blieb an einem Baum benommen liegen. Der junge Mann erhob seine Fäuste und lief einen Halbkreis, dabei schrie er: „Und wieder ein Hammerschuss von Luis Figo, dem Superstar bei Real Madrid!“
„Das könnt ihr doch nicht machen! Das Tier ist doch schon acht Jahre...“
„Opa halt' s Maul! Sonst schneid' ich dir die Nase ab!“ Romeo hatte sein Springmesser gezogen und hielt es dem Mann an den Nasenflügel.
Friday rollte heran und schubste den Türken bei Seite, die Tasche mit den leeren Dosen schleuderte hin und her.„Scheiße Mann, du kannst doch so 'nen alten Sack nich' mit 'nem Messer bedrohen!“
„Wenigsten einer mit Anstan...“ Eh der alte Mann wusste wie ihm geschah, traf ihn die große Faust von Berkovic und er brach blutend zusammen.
Berkovic hielt seine Faust in das Licht einer Fahrbahnlaterne und die Umherstehenden sahen, dass sich in dessen Faust zwei Zähne des Alten vergraben hatten. Er pulte sie heraus und warf sie auf den am Boden liegenden Mann. Dessen Gesicht war nur noch ein Breiklumpen und er röchelte schwach.
„Jo Figo!“ brummte Friday. „Schau mal in seine Taschen!“
„Warum machst du das nicht?“
„Weil, wenn' s du' s nicht machst ich dich da neben lege!“
Figo ging auf die Knie und durchstöberte die Taschen des wimmernden Mannes. Er fand eine leere Brieftasche und einen Zehner in der Hemdtasche des Alten. Friday nahm sie und steckte sie weg. „Scheiß Rentner!“
„So Jungs war nett bei euch, muss dann mal weg, die Frau wartet!“
„Was machen wir mit dem?“
„Liegen lassen, morgen finden den die Kidis und rufen die Bullen!“
„Hol doch noch Bier vom Zehner!“ schlug Figo vor.
„Welcher Zehner?“
„Na der vom Alten?“
„Welchen Alten? Zu viel Hemingway gelesen?“
„Schon gut, hab' s verstanden.“
Da vernahmen sie das leise Quietschen. Aus der Dunkelheit kam ihnen eine Person mit einem Kinderwagen entgegen. Der Kinderwagen musste unbedingt einmal geölt werden. Die Vier stellten sich in den Weg und warteten. Im Lichtschein erkannten sie einen Mann, in Berkovics Alter, der den Kinderwagen schob. Er war breiter als die drei jungen Männer, aber Friday überragte ihn noch um einiges.
„So spät noch auf der Straße?“ Berkovic kreuzte die Arme auf der Brust, das Rad zwischen seinen Beinen wirkte fast wie ein Dreirad, die Dosen klapperten. „Mit dem Kleinen?“
Der Mann sagte nichts. er blickte sie nur der Reihe nach an. Es spiegelte sich keine Angst in seinen Augen. Nur ein leichtes Lächeln, umspielte seine Lippen.
„So' n Pisser wie du, bezieht doch bestimmt Eltern- und Kindergeld! Wie viel drückst du davon ab, damit wir dein Kind nicht Fressen?“
Wieder gab der Mann, dessen Augen seltsam dunkel waren keinen Laut von sich.
Romeo fuchtelte mit seinem Messer herum. „Wir schneiden es in Stücke!“
Nichts, keine Reaktion.
Berkovic wurde es zu dumm. Er stieg von seinem Rad herunter und zog die dünne Decke von... von... von den Kinderleichen weg, die blutüberströmt darunter lagen.
„Scheiße Mann, bist du durchgeknallt?“ Er hörte noch wie Romeo sein Messer Fallen ließ und sich der Typ in etwas verwandelte, was niemand vor ihnen je gesehen hatte. Das Ungetüm riss Romeo und Figo die Köpfe von den Schultern und schlug dann mit denen auf dem von Castro, bis dieser brach. Friday schnappte sich sein Rad, doch das Ungeheuer fasste ebenfalls danach. Berkovic versuchte es ihm zu entreißen, aber das Monstrum wickelte es einfach um den Brustkorb des Hünen. Dann stach es ihm mit seinen Krallen die Augen aus, mit der anderen Kralle riss es ihm den Hals auf und Blut floss ihm über Brust und Rad. er sackte auf die Knie und starrte dem pelzigem Wesen in die tiefschwarzen Augen. Das Biest vergrub seine Klaue in dem kahlen Kopf und mit einem reißenden Geräusch schraubte es ihn vom Hals ab und biss herzhaft ein Stück aus dem Kinn. Nach einer Weile war es einfach wieder ein Mann der einen Kinderwagen schob. Er ging schweigend an den Leichen vorüber, bückte sich zu dem Lenker herunter, riss die Tüte an sich und ging seiner Wege. So spät waren nicht mehr viele Leute auf der Straße und schon gar keine, die ihn aufhalten konnten.
 

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Michael Masomi, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.07.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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