Birgit Enser

Bis dass der Tod uns scheidet

Die Frau saß auf dem Küchenstuhl, ihre Hände lagen auf ihrem Schoß. Sie trug nur einen weißen Body mit Spitzenbesatz und hatte sich einen Bademantel übergezogen. Ihre Hände waren voller Blut und auch auf ihrem Body waren Blutflecken zu sehen.

So saß sie seit Stunden einfach nur da und wartete.

Gegenüber auf der anderen Seite des Flures lag ihr Mann in einer Blutlache, die immer größer wurde.
Natürlich konnte sie ihn von der Küche aus nicht sehen, aber sie wusste es eben. Genauso wie sie wusste, dass er schon eine Weile tot war.
Eine Zeitlang hatte er noch nach ihr gerufen, hatte gestöhnt vor Schmerzen, doch sie war einfach nicht in der Lage gewesen, sich zu bewegen.

Als sie dann an die Zeit zurückdachte, da sie Fred kennenlernte, kam wieder dieses Glücksgefühl in ihr hoch. Sie spürte wieder dieses Kribbeln, wenn er sie auch nur ansah mit seinen blauen Augen.
Sie waren so verliebt gewesen. Und waren es doch immer noch, oder?
Fred war ihr Hafen, ihre Sicherheit. Sie hatte ihm bedingungslos vertraut, so wie auch er ihr vertrauen konnte, es gab zwischen ihnen kaum Streit.
Ihre Freundinnen beneideten sie um ihre perfekte Ehe. Und sie selbst konnte nie begreifen, dass ihre Freundinnen so unzufrieden waren. Warum einige mittlerweile auch ihr Glück in diversen Liebschaften suchten. Sie wollte das jedoch auch nicht verurteilen, sie selbst hatte eben ganz
einfach nur Glück gehabt mit Fred.

Hatte sie gedacht ... bis vor ein paar Stunden.

Fred hatte ihr für diesen Abend eine besondere Überraschung versprochen. Er hatte eine Flasche Wein aufgemacht, leise Musik aufgelegt und sie dann gebeten, sich nur mit ihrem weißen Body bekleidet auf ihr Bett zu legen.

Er setzte sich zu ihr, lächelte und streichelte zärtlich die Innenseite ihrer Oberschenkel. Langsam öffnete er die Druckknöpfe.
Sie spreizte leicht die Beine, um seine Hände willkommen zu heißen, aber er sah sie an und meinte: 'Nicht so ungeduldig, Schatz.'
Er streifte einen Träger ihres Bodys herab und küsste sie auf ihre Brust. Als sie die Wärme seiner Lippen spürte, reckte sie sich ihm entgegen und er biss leicht in ihre Brustwarze.

Er griff an ihr vorbei, langte unter sein Kopfkissen und holte ein paar Seidentücher hervor.

'Ich möchte dich heute fesseln und dir die Augen verbinden. Ich möchte, dass du dich mir ganz auslieferst, mir zeigst, wie sehr du mir vertraust.'

'Ich liebe dich.' sagte sie.

'Ich weiß.' Er sah sie nachdenklich an.

Dann nahm er ihre Hände und fesselte sie, dann fesselte er diese noch an das Oberteil ihres Bettes.
Als er ihr die Augen verband, lächelte er sie noch einmal liebevoll an und küsste sie.

Dann war es nur noch dunkel und still. Sie lauschte, hörte Schritte. Er schien aus dem Zimmer zu gehen, aber nein, dann hörte sie, wie er sich auszog.
Sie spürte sein Gewicht auf dem Bett, er musste zwischen ihren Beinen knien. Seine Hände streichelten sie, erst ihre Waden, dann die Knie, tasteten sich langsam ihre Oberschenkel hoch, bis sie die Stelle fanden, die sich seinem Blick feucht und geöffnet darbieten musste. Sie atmete laut
und heftig ein, als er sie dort berührte.

'Sprich mit mir, bitte, ich möchte deine Stimme hören.'

Doch er blieb still.

Plötzlich spürte sie an der gleichen Stelle seinen Mund, seine Zunge, und sie glaubte, vor Lust vergehen zu müssen. Natürlich kannte sie das, er liebte sie gern mit dem Mund, aber es war so völlig anders, dabei nur auf sein Gefühl gestellt zu sein, nichts zu sehen und auch nichts tun zu können.

Ihre Hände klammerten sich an den Bettpfosten oberhalb ihres Kopfes, ihr Becken zuckte und sie spürte dieses Kribbeln, das immer stärker wurde, bis sie mit einem lauten Schrei zum Höhepunkt kam.

So schnell war sie noch nie gekommen. Sie atmete schwer, war unendlich glücklich und hätte Fred jetzt gern umarmt und geküsst, doch sie spürte, wie er vom Bett aufstand.

Anscheinend zog er sich schon wieder an. 'Fred?'

Jemand nahm ihr das Tuch von den Augen. Es war ihr Mann, und er war schon wieder völlig angezogen. Sie war leicht irritiert, als er sagte: 'Einen kleinen Moment, Schatz, ich muss eben das Geschäftliche erledigen, dann machen wir beide weiter.'

Warum betonte er das 'wir beide' so?

Plötzlich sah sie hinter ihm einen Mann, der sich gerade sein Hemd zuknöpfte. Er grinste sie an und zwinkerte. Dann gab er Fred einen Schein in die Hand, warf ihr eine Kusshand zu und sagte: 'Nächstes Mal machen wir mehr, Süße.'
Fred lachte: 'Dann kostets aber auch mehr.'

Als Fred zurückkam, zog er sich aus, legte sich auf sie und nahm sie mit dem Worten: 'Du glaubst gar nicht, wie geil mich das gemacht hat.'

Doch sie fühlte sich innerlich wie tot, spürte nichts mehr.

Später, als sie in der Küche stand, rief er ihr zu, sie solle ihm doch noch ein Glas Wein bringen, und sie wäre 'echt spitze' gewesen.

Als sie ihm das Glas Wein schließlich brachte, stieß sie ihm das Messer in den Bauch.

So saß sie jetzt also auf dem Küchenstuhl. Ihr war kalt. Sie sah auf ihre Hände.

Dann ging sie zum Telefon und rief die Polizei an. 'Ich habe gerade meinen Mann getötet.' sagte sie leise.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.09.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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