Julia Russau

Müll

In meiner Straße liegt sehr viel Müll. Auf dem Gehweg, in der Abflussrinne neben dem Bordstein, in den ockerfarbenen Pflanzbeeten mit den verkrüppelten Sträuchern, die ursprünglich einmal Bäume werden sollten. Man könnte fast meinen, der Müll hätte die Straße regelrecht erobert. Als wäre er eine eigene Gang, in ihrem eigenen Revier, die das Leben auf der Straße bestimmen kann.

Als ich vor einiger Zeit gegen Mittag nach hause lief, sah ich zwei Kinder auf dem Gehweg spielen, daneben eine alte ausrangierte Waschmaschine, mit triefendem Maul und lechzenden Schaltern. Da bin ich zu den Kindern hin, habe ihnen schnell zwei Münzen in die Hand gedrückt und gesagt, sie sollten sich lieber ein Eis kaufen. Die Waschmaschine hat nur leise geächzt, der Deckel fing an in der brennenden Sonne zu schmelzen und tropfte zähflüssig auf den grauen Beton.

Im Sommer, wenn es heiß ist und die Luft ganz dick, stinkt es meistens nach Hundekacke. Eigentlich riecht es immer nach Hundekacke, aber im Sommer fällt mir der Geruch erst richtig auf. Manchmal riecht es auch nach Benzin oder nach beidem und unter den klapprigen Autos bilden sich regenbogenfarbene Pfützen, aus denen schummrige Dämpfe emporsteigen. 

In meiner Straße gibt es einen einzigen Mülleimer. Ein kleiner aus grauem Metallgitter, der einsam an einem rostigen Laternenpfahl hängt und immer bis oben hin gefüllt ist. Früher gab es fünf oder sechs Abfalleimer in leuchtendem Orange mit bunten Aufklebern verziert - als erzieherische Maßnahme für mehr Umweltbewusstsein. Die Abfalleimer haben sie vor ein paar Jahren abmontiert, weil es für die Stadtreinigung billiger ist, nur die Hauptstraßen abzufahren. In den Hauptstraßen befinden sich Supermärkte und daneben auch ein Kaufhaus. Die können vor der Tür keinen Dreck gebrauchen. Und weil das so ist, kommt dort regelmäßig die Kehrmaschine vorbei und schrubbt über den staubigen Asphalt. Bei uns in der Straße kam schon lange keiner mehr durch. An manchen Tagen kann man sogar Heuballen wehen sehen.

Ich weiß, mit Aktionismus ist da längst nichts mehr zu machen. Das Bewusstsein schon lange verschwunden. Und als ich gestern aus dem Urlaub zurück kam und meinen Fuß aus der heißen Autotür setzte, fühlte ich mich unglaublich wohl. Da habe ich die stickige Luft eingeatmet, die getränkt war mit Müll, Benzin und Hundekacke und war froh wieder zu hause zu sein, weil kein anderer Geruch mich mehr an mein zuhause erinnert als dieser. Und ich dachte bei mir, wie weit sie mich doch schon haben. Haben mich soweit, dass ich mich wohlfühle, wenn ich diesen Gestank einatme, einfach nur, weil dies hier mein zuhause ist. Und keinen Antrieb mehr etwas ändern zu wollen. Warum auch.

Ich stieg aus dem Auto und lief den Gehweg entlang. Da saßen zwei Kinder neben der alten Waschmaschine, die leer und ausdruckslos in den Himmel gähnte. Die Kinder hatten Stöckchen in der Hand und malten Muster in das geschmolzene Plastik. Ich blieb stehen und sah ihnen einen Augenblick zu. Die Muster waren sehr hübsch. Sie erinnerten mich an früher, als ich mit meinen Stiefeln Bilder in den frisch gefallenen Schnee einstampfte. Geschneit hat es hier schon lange nicht mehr. Die Kinder sahen kurz zu mir auf und lächelten. Ich lächelte zurück. Dann lief ich weiter

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.07.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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