Klaus-Peter Behrens

Das Tor zwischen den Welten, Teil 19

Die Gefährten widersprachen nicht und versuchten, den schwer angeschlagenen Troll dazu zu bewegen, die Leiter hinaufzuklettern. "Wir brauchen einen Kran", hörte Dean seinen Freund fluchen, während er sich durch das tiefer werdende Wasser zu der Tür durchkämpfte, das ihm dort bereits bis zur Brust reichte. Die Tür war leider ebenfalls durch das Wasser verzogen und ließ sich nicht öffnen. Mit aller Kraft pochte er dagegen und schrie Myranas Namen. Nichts passierte. Dean wiederholte die Prozedur, wieder ohne Ergebnis. Zweifelnd wandte er sich den anderen zu, die sich gerade damit abplagten, den angeschlagenen Troll auf die nächste Leiterstufe zu bugsieren, als ein leises Klopfen ihn innehalten ließ.

"Seid mal einen Augenblick still", rief er und lauschte erneut. Unverkennbar war jetzt ein Klopfen zu hören. "Myrana?", rief Dean laut und legte das Ohr an das dicke Holz. Ganz leise vernahm einen Hilferuf. "Sie ist hier", rief er den Freunden zu. Die gaben den sinnlosen Versuch, den Troll die Leiter hinauf zu schieben auf und wandten sich Dean zu.

"Keine Panik, ich komme rüber", rief Tom, während der Troll mit einem lauten Platschen wieder seine bevorzugte Position einnahm, da er immer noch zu schwach war, um sich alleine auf den Beinen zu halten.

"Wenigstens hält er den Kopf über Wasser", stellte Gart wenig einfühlsam fest. Dann musterte er beunruhigt Tom, der durch das tiefer werdende Wasser watete. Dem Zwerg wurde bewußt, dass ihm dort hinten das Wasser im wahrsten Sinne des Wortes bis zum Hals stehen würde. Keine schöne Aussicht. "Ich hole Hilfe", rief er daher und verschwand. "Wozu haben wir schließlich einen Zauberer. Soll doch der alte Zausel dahinten schwimmen gehen", dachte er, während er über das Deck zur Reling eilte. Die Freunde versuchten inzwischen gemeinsam, die Tür aufzubekommen, doch alle Bemühungen waren vergebens. Schließlich gab Tom es auf. "Das schaffen wir nie", fluchte er, und lehnte sich frustriert gegen die widerspenstige Tür.

"Alles in Ordnung da unten?", ertönte plötzlich Meister Reno vi´Erens Stimme.

"Schön wär’s", rief Tom während Meister Reno vi´Eren etwas umständlich die steile Leiter hinab kletterte. Gart folgte ihm dicht auf.

"Gart erzählte mir etwas von einer verklemmten Tür unter Wasser", sagte Meister Reno vi´Eren und sah sich in dem dämmrigen Raum um. Mit den Händen machte er eine komplizierte Bewegung und im nächsten Augenblick wurde es taghell.

"Wir brauchen kräftige Hilfe, um diese Tür aufzubekommen, eine Bekannte ist dahinter gefangen", erklärte Dean die Lage. Meister Reno vi´Eren sah zu dem verletzten Troll hinunter.

"Hier liegt doch ein ganz brauchbares Arbeitsgerät", sagte er.

"Ich glaube nicht, dass er das gerne hört", wandte Dean vorsichtig ein. Der Troll knurrte zustimmend.

"War doch nur Spaß", beschwichtigte Meister Reno vi´Eren und beugte sich zu dem verletzten Troll hinunter. "Ich werde deine Leistungsfähigkeit jetzt wieder herstellen. Bist du einverstanden?" Der Troll nickte. Vorsichtig untersuchte Meister Reno vi´Eren daraufhin die verletzte Schulter. Dann fuhr er mit den Händen über die Wunde und murmelte unverständliche Zaubersprüche. Das Ganze dauerte etwa eine Minute und das Gesicht des Trolls zeigte danach wieder eine gesündere Farbe. Anscheinend ging es ihm besser. Nach einer weiteren Minute war er soweit wieder hergestellt, dass er aufstand und den staunenden Freunden verkündete, wieder fit zu sein. Eilig setzte er sich in Bewegung, um ihnen bei der widerspenstigen Tür zu helfen. Tom und Dean gingen schnell beiseite, da der entschlossen näher kommende Troll eine Bugwelle wie ein Kanonenboot vor sich herschob und den Eindruck erweckte, als würde er einfach durch die Tür hindurch marschieren. Doch die war widerstandsfähig und ließ sich lediglich einen Spalt breit öffnen. Weit genug für die beiden Freunde, aber zu eng für den Troll. "Weiter geht’s nicht", keuchte der rot vor Anstrengung.

"Okay, ich denke, das reicht." Dean zwängte sich durch die Öffnung.

"Wenn ihr Hilfe braucht, sagt Bescheid", rief Meister Reno vi´Eren Tom hinterher, der seinem Freund gerade durch die Lücke folgte. Auf der anderen Seite fanden sie sich in einem Lagerraum wieder. Zu ihren Erstaunen war auch dieser taghell erleuchtet.

"Der Meister macht keine halben Sachen", stellte Tom fest.

"Vielleicht kommt ihr mal her und helft mir", erklang eine ungehaltene Stimme unter einem Kistenstapel in der hinteren Ecke des Raumes hervor. Als das Schiff Schlagseite bekam, mußte er verrutscht sein und die unglückliche Elbin unter sich begraben haben. Dean und Tom kämpften sich durch das brusthohe Wasser zu ihr hinüber. "Hallo", brachte Dean schüchtern hervor. "Kannst du dich an mich erinnern?"

"Halt keine Volksreden, sondern hilf mir lieber hier raus!"

Tom schob Dean beiseite und sah sich die Angelegenheit näher an. Myrana wurde von einer stabilen Holzkiste so fest an die Schiffswand gedrückt, dass sie sich kaum rühren konnte. Das Wasser stand ihr bereits bis zum Hals. Es schien nur eine Frage von Minuten, bis sie ertrinken würde. Anscheinend waren sie gerade noch zur rechten Zeit gekommen.

"Kannst du dich bewegen?", wollte Dean besorgt wissen.

"Wäre ich dann noch hier?", kam es wie aus der Pistole geschossen zurück.

"Schon gut, nicht so gereizt", beschwichtigte Tom. Gemeinsam versuchten sie die schwere Kiste wegzuschieben, doch diese blieb hartnäckig an ihrem Platz. Das Wasser stieg ein paar Zentimeter weiter. Myrana stöhnte.

"Mist, das Teil will nicht", fluchte Tom, dann rief er lautstark: "Wir brauchen hier hinten Hilfe."

"Holt meinen Troll, der wird mir helfen", bat Myrana verzweifelt.

"Ich fürchte, der paßt nicht durch die Tür", erwiderte Dean.

"Sollte es mal mit Trennkost probieren", lästerte Tom. In diesem Moment zwängte sich Meister Reno vi´Eren durch den Spalt.

"Was ist denn das für ein Rentner?", fragte Myrana beim Anblick des betagten Zauberers entgeistert. In dem blassen Licht sah der Meister in der Tat nicht mehr taufrisch aus. Dean erklärte es ihr in kurzen Worten, während Meister Reno vi´Eren beleidigt schmollte. "Baumbatz wäre mir lieber", erwiderte sie ungerührt, nachdem er seine kurze Ausführung beendet hatte. Tom, der in dem Schiffswrack nun doch allmählich Panik bekam, wandte sich Meister Reno vi´Eren zu. "Und was schlagen sie vor?", fragte er nervös.

"Die Kiste muß weg."

"Prächtige Idee, wären wir nie drauf gekommen", höhnte Tom.

Meister Reno vi´Eren sah ihn böse an. "Wenn ich sage weg, dann meine ich auch weg." Langsam streckte er die Arme nach vorne aus, das Gesicht angespannt. Lautlos flüsterte er vor sich hin. Dann hob er beide Hände und zum Erstaunen aller, begann sich die Kiste langsam zu heben. Vorsichtig dirigierte er sie beiseite und ließ sie dort ins Wasser sinken.

"Klasse gemacht", lobte Tom. Meister Reno vi´Eren winkte bescheiden ab.

"War gar nicht so schwer", versicherte er. Auch Dean war beeindruckt.

"Antigravitation! Und ich dachte, so etwas gibt es nur in Science Fiction Filmen", bemerkte er. Myrana hatte er für einen Augenblick völlig vergessen.

"Vielleicht konzentriert ihr euch mal auf mich", brachte sich diese grantig wieder in Erinnerung, während sie sich noch etwas wackelig auf den Füßen mühsam zu den Freunden durch das brusthohe Wasser kämpfte. Die beeilten sich, der Aufforderung nachzukommen und halfen der geschwächten Elfin zur Tür, wo der Troll noch immer wartete. Als er sah, dass Myrana gerettet war, schlug er Tom dankbar auf die Schulter, der daraufhin der Länge nach ins Wasser fiel.

"Du mich auch", knurrte Tom, als er prustend wieder auftauchte. Beunruhigt stellte er fest, dass das Schiff weiter Schlagseite bekommen hatte. Das war kein gutes Zeichen. Schiffe mit so einer Neigung sollte man lieber meiden. Tom wollte jetzt nur noch eines – runter von diesem schwimmenden Wrack. "Beeilung, hier geht’s jeden Moment bergab", drängte er. Das sorgte für das nötige Adrenalin. Keine zwei Minuten später war nur noch der Troll an Deck. Vorsichtig hangelte er sich an dem für sein Körpergewicht fragilen Tau hinab.

"Wenn der fällt, versenkt er das Boot", knurrte Gart besorgt. Doch die Angst war unbegründet. Auch der letzte im Bunde erreichte unbeschadet das Beiboot. In diesem Moment gab es ein gurgelndes Geräusch, und der Schoner versank ein beträchtliches Stück tiefer im Meer.

"Bloß weg hier, sonst reißt uns der Kahn noch mit in die Tiefe", ließ sich Wirdnix angstvoll vernehmen, der enttäuscht festgestellt hatte, dass sie keinen Proviant mitgebracht hatten. Der Troll sah irgendwie nicht eßbar aus. Mit kräftigen Ruderschlägen entfernten sie sich von dem Wrack, das wider Erwarten doch nicht unterging.

"Hat wahrscheinlich ein Zwerg konstruiert", vermutete Gart.

Wieder an Bord, wurden sie von Kapitän Bris empfangen.

"Wer ist das denn?", wollte er mit einem Blick auf Myrana wissen.

"Ich darf bekannt machen: Myrana, aus dem Land der Waldelfen, eigentlich unterwegs zur Hochzeit der Tochter des Waldfürsten mit dem Sohn des Protektors des Westlichen Archipels, doch ihr Schiff wurde von Piraten gekapert und die Hochzeitsgesellschaft entführt", stellte Dean die Elfin vor.

"Du hast ihre gefräßige Begleitung vergessen", ergänzte Gart mürrisch, der sich mit Grausen fragte, wie sie die ohnehin schon leere Speisekammer mit dem gesunden Appetit des Trolls in Einklang bringen sollten.

"Na das wird den Protektor ja mächtig freuen, wenn er erfährt, dass ihm die Schwiegertochter samt Hofstaat abhanden gekommen ist", bemerkte Kapitän Bris nur trocken.

"Für sinnige Spekulationen ist später noch Zeit", unterbrach ihn Meister Reno vi´Eren. "Jetzt brauchen Myrana und der Troll ........wie war noch gleich dein Name?"

"Kein Eintritt", flüsterte Tom Gart ins Ohr, der darauf laut loslachte. Der Troll sah die beiden wütend an. Er konnte sich denken, dass er der Adressat des Spotts war. "Baumbatz", sagte er leicht verärgert. Tom prustete los.

"Der ist ja noch besser", brachte er lachend hervor. Baumbatz war beleidigt. Unter normalen Umständen hätte er Tom einfach über Bord geworfen, aber hatte er ihm schließlich das Leben gerettet, da mußte man Nachsicht walten lassen. Vielleicht konnte er ihm später die Handhabung seiner Keule demonstrieren.

"Die beiden brauchen jetzt erst einmal Ruhe und medizinische Betreuung", fuhr Meister Reno vi´Eren fort und strafte den glucksenden Tom mit einem bösen Blick. Kapitän Bris brachte Myrana und Baumbatz persönlich zu den Quartieren. Beide bemühten sich, den immer noch grinsenden Tom zu übersehen. Wirdnix folgte neugierig. Als sie verschwunden waren, zog Tom seinen Freund auf.

"Na, machst du Myrana schon wieder schöne Augen?"

Der wurde erwartungsgemäß puterrot.

"Wie bekommst du eigentlich immer diese Verfärbung hin?", fragte Gart neugierig und betrachtete ihn fasziniert.

"Geht doch zum Teufel. Auf dich fährt sie jedenfalls nicht ab", erwiderte Dean verärgert und verschwand.

"Glaubst du wirklich, dass er in die Waldfee vernarrt ist?", fragte Gart nachdenklich, während er dem davoneilenden Dean hinterher sah.

"Nein, Dean interessiert sich für Lebewesen nur aus dem Blickwinkel des Biologen. Wahrscheinlich ist er an dem genetischen Code ihrer spitzen Ohren oder ihrer grünen Haare interessiert. Was anderes kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Aber es macht Spaß, ihn aufzuziehen."

"Wenn du dich da mal nicht täuschst", erwiderte Gart vielsagend.

"Ach was, laß uns lieber nachsehen, was die da unten so treiben."

Kapitän Bris hatte inzwischen zwei Unterkünfte notdürftig für die zusätzlichen Passagiere herrichten lassen, doch die beiden hatten es abgelehnt, sich hinzulegen. Während Meister Reno vi´Eren Heiltränke verabreichte, fragte sich Wirdnix besorgt, wie lange die Vorräte bei dem Appetit des Trolls wohl reichen würden. "Ich denke, ihr solltet ihn auf Diät setzen", schlug er Meister Reno vi´Eren gerade vor. "Die erlebten Gefahren sind ihm bestimmt auf den Magen geschlagen."

"Oh ja, das sind sie. Ich habe Hunger, großen Hunger", kam es von Baumbatz sofort zurück. Gart wurde unangenehm an das Gelage im Gasthaus erinnert. Unwillkürlich tastete er nach seiner Geldbörse.

"Später", beschwichtigte Meister Reno vi´Eren den hungrigen Troll. "Erzählt uns lieber mal, was passiert ist. Euer Schoner ist ja in einem beklagenswerten Zustand."

"Das ist die Unterreibung des Tages!" Die Elfin räusperte sich und begann zu berichten. "Vor zwei Tagen waren wir mit Kurs auf den Gouverneurssitz im westlichen Archipel unterwegs. Da wir im Osten ein gewaltiges Unwetter heraufziehen sahen, wichen wir ein gutes Stück von unserem Kurs ab, um dem Schlimmsten zu entgehen. Die Rechnung ging zunächst auch auf, bis wir in den uns unbekannten Gewässern zwei Schonern begegneten, die keine Flagge gesetzt hatten. Da uns die Sache nicht geheuer vorkam, drehten wir ab. Die Schoner vollzogen das Manöver mit. Jetzt war uns klar, dass dies kein Zufall sein konnte. Es mußte sich um Piraten oder Sklavenhändler handeln. Man hatte uns zwar versichert, dass dieser Bereich des Meeres ungefährlich sei, aber Ausnahmen bestätigen ja bekanntlich die Regel. Wir versuchten also zu fliehen, doch erfolglos. Kurze Zeit später wurden wir geentert. Der Kampf war ungleich, da sie uns zahlenmäßig weit überlegen und besser bewaffnet waren. Als ich erkannte, dass alle Hoffnung verloren war, flüchtete ich in den Raum, in dem ihr mich fandet. Kurze Zeit später hörte ich ein Geräusch, das wie ein Donner klang, einen Schrei und dann den Aufprall eines Körpers."

"Einen Donner?", fragte Tom überrascht.

"Also doch eine Schußverletzung", vermutete Dean grimmig. "Sag mal, Baumbatz, wie bist du eigentlich zu deiner Verletzung gekommen?"

Nachdem der Troll eine kurze Schilderung abgeliefert hatte, die auf die Anwendung einer Schußwaffe schließen ließ, waren die Freunde verstört. Offenkundig hatten sie ihren Vorgänger gefunden. Sie bezweifelten allerdings, dass er ihnen behilflich sein würde. Auf etwaige Anfragen würde er wahrscheinlich nur eine bleihaltige Antwort parat haben. Frustriert baten sie Myrana, mit ihrer Geschichte fortzufahren.

"Nachdem die Piraten das Schiff nach Wertgegenständen durchsucht hatten, schlugen sie anscheinend Löcher in die Bootswand; denn plötzlich drang Wasser ein und das Schiff bekam Schlagseite. Das war der Moment, als ich von der Kiste eingeklemmt wurde. Ich versuchte mich zu befreien, aber die Kiste war zu schwer. Da ich nicht um Hilfe rufen konnte, wartete ich, bis die Piraten weg waren. Leider schien ich jedoch die einzige zu sein, die sich nach dem Abzug der Piraten noch auf dem Schiff befand, denn niemand reagierte auf meine Rufe. Dafür nahm die Schlagseite immer mehr zu. Ich hatte schon alle Hoffnung aufgegeben, doch dann kamt ihr."

"Was ist mit den anderen?", drängte Tom sie ungeduldig.

"Da die Piraten enttäuscht waren, dass wir keine Reichtümer mit uns führten, haben sie stattdessen den ganzen Hofstaat nebst Besatzung mitgenommen."

"Ihr hattet keine reichhaltige Mitgift dabei?", fragte Dean ungläubig.

"Die Mitgift ist die Sicherung des Handelspaktes zwischen unseren Völkern. Das sollte Mitgift genug sein", gab Myrana würdevoll zurück.

"Und da man die schwer versilbern kann, haben sie deine Freunde eingesackt? Ich frage mich nur wozu. Sie als Sklaven zu verkaufen, dürfte schwierig werden?", überlegte Gart skeptisch mit der für ihn typischen kaufmännischen Ader. Anscheinend standen Elfen nicht hoch im Kurs. Myrana sah ihn beleidigt an.

"Ich hörte jemanden sagen, dass sie Lösegeld erpressen wollten."

"Lösegeld? Was ist Lösegeld?, platzte Wirdnix heraus und sprach damit aus, was die meisten anderen im Raum sich ebenfalls gerade fragten.

Dean seufzte. "Ich glaube, ich kann es euch erklären. Myrana, erinnerst du dich noch an die Geschichte, die ich dir über unsere Herkunft erzählt habe?"

Myrana nickte zögernd. "Was hat das mit dieser Sache zu tun?"

"Nun, es sieht so aus, als ob die Piraten von jemanden aus unserer Welt angeführt werden. Jemanden, der vor uns durch die Dimension reiste, eine Schußwaffe besitzt und keine Skrupel kennt."

Dean erklärte den Begriff einer Schußwaffe und den Sinn einer Lösegelderpressung. Beides rief wenig Begeisterung hervor.

"Scheint ja eine nette Welt zu sein, aus der ihr kommt", stellte Myrana bitter fest.

"Kein Wunder, dass ihr abgehauen seid", bemerkte Wirdnix.

"So schlimm ist es nun auch nicht", verteidigte Dean seine Heimat. "Aber zugegeben, die Vorgehensweise entspricht der Denkweise eines Verbrechers aus unserer Welt. Ihr hattet mit Eurer Vermutung leider recht, Meister Reno vi´Eren. Unser Vorgänger hatte wahrscheinlich gute Gründe, sich in der Höhle zu verbergen."

Der Zauberer kratzte sich nachdenklich am Kopf und wandte sich wieder der Elfin zu. "Hast du mitbekommen, wo sie hinwollten?"

Die Elfin schüttelte resigniert den Kopf, aber Baumbatz erinnerte sich, den Namen "Schwarze Insel" vernommen zu haben.

"Sagt das jemandem etwas?", fragte Dean.

"Ich hatte mal ein Comic ..", hob Tom an, brach aber ab, als er den strafenden Blick Deans registrierte. Der Rest schüttelte die Köpfe, nur Meister Reno vi´Eren zog die Stirn nachdenklich kraus.

"Als ich als junger Mann diesen Teil der Welt bereiste, kamen wir an einer sehr abgelegenen Insel vorbei, die überwiegend aus schwarzem Gestein besteht und auf der sich eine verfallene Garnison befindet. Irgendwann war sie aufgegeben worden, weil sie zu weit ab von den heute üblichen Schiffahrtsrouten liegt und der Boden zu steinig ist, um dort etwas anzubauen. Außerdem soll das Wasser knapp geworden sein. Einen Namen hatte die Insel allerdings nicht."

"Das könnte sie sein", überlegte Dean.

"Mir ist keine solche Insel bekannt, aber wir werden uns nach ihr erkundigen. Unser vordringlichstes Problem ist jedoch immer noch unser knapper Proviantvorrat", erklärte Kapitän Bris bestimmt.

"Er hat Recht. Mit hungrigen Magen kann man kaum eine Schlacht gewinnen. Also besorgen wir uns erstmal Proviant und dann suchen wir deinen Hofstaat", sagte Meister Reno vi´Eren resolut.

"Gut, dass wir sonst keine Probleme haben", knurrte Gart bei dieser Aussicht leise vor sich hin, während Kapitän Bris schon davoneilte, um das Schiff klar zu machen.

Gegen Abend war ihnen zur Abwechslung das Glück einmal wohl gesonnen. Endlich kamen die gesuchten Inseln in Sicht. Die ersten beiden waren zwar unbewohnt, aber auf der dritten befand sich ein kleines Fischerdorf. Schnell wurde man sich handelseinig. Der Proviant an Bord nahm also wieder beruhigende Dimensionen an, was Garts Laune beträchtlich hob. Die Gefährten hatten sich auch nach der vermeintlichen "Schwarzen Insel" erkundigt, aber leider keine brauchbaren Informationen erhalten.

Am nächsten Morgen ging es weiter in Richtung Norden. Da die Piraten hauptsächlich dort gesichtet wurden, lag es auf der Hand, dass ihr Schlupfwinkel auch in dieser Gegend zu finden sein würde. Doch obwohl sie zwei Tage unermüdlich durch die unbekannten Gewässer kreuzten, entdecken sie weder von den Piratenschiffen noch von der "Schwarzen Insel" eine Spur. Am Morgen des dritten Tages stießen sie unverhofft auf das erste Lebenszeichen, ein kleines Fischerboot. Von dem Fischer erfuhren sie, dass vor ein paar Tagen zwei große Schiffe in Richtung Nordwest unterwegs gewesen waren. Das sei ihm seltsam vorgekommen, da in dieser Region in der Regel keine Schiffe verkehren. Doch der Fischer hatte noch eine weitere Überraschung parat. Als Myrana ihn nach der schwarzen Insel fragte, hob er erstaunt die Augenbrauen. "Klingt wie das verfluchte Eiland, hoch oben im Norden an der Grenze zum Nebelmeer. Das ist keine gute Gegend für einen Ausflug", sagte er düster.

"Bist du schon einmal dort gewesen?", wollte Myrana wissen.

"Nein, aber ich habe davon gehört. Wir Fischer vom Barakudaatoll entfernen uns nie weiter als eine Tagesreise von unserem Heimathafen in Richtung Norden. Jeder hat Angst, in den Nebel zu geraten und nie wieder zurückzufinden. Die Nebelgrenze ist zwar in der Regel drei Tagesreisen von hier entfernt, aber manchmal verschiebt sie sich. Besser, ihr kehrt um. Falls ihr es aber doch versuchen wollt, findet ihr die Insel direkt an der Grenze zum Nebelmeer."

"Würdest du uns dorthin führen?"

"Nicht für alles Gold der Welt", rief der Fischer entsetzt. "Ich habe es euch doch gesagt, die Insel ist verflucht. Viele sind schon vor euch aufgebrochen, um das Geheimnis zu ergründen, aber keiner ist wiedergekehrt. Man sagt, die Dämonen aus dem Nebelmeer würden dort ihren Unterschlupf haben."

Tom schnaubte verächtlich. "Typisches Ammenmärchen, mit so einem Blödsinn kann man doch heutzutage wirklich niemanden mehr erschrecken."

Wirdnix sah das anders. "Also mir hat das durchaus gereicht", flüsterte er, aber keiner achtete auf ihn, und so segelte das Schiff, nachdem sich die Gefährten bei dem Fischer für die Information bedankt hatten, mit neuem Kurs Nordwest in Richtung Nebelmeer. Tatsächlich tauchte im Laufe des dritten Tages eine Nebelbank am Horizont auf.

"Das Nebelmeer", sagte Meister Reno vi´Eren in Erinnerung an seine damalige Reise ehrfürchtig. "Ich hätte nicht gedacht, dass ich es jemals wiedersehen würde und offen gestanden, ich hatte auch kein Verlangen danach."

"Wo kommt der Nebel bloß her?", wollte Tom wissen.

"Sehe ich aus wie ein Wetterprophet? Ist doch auch egal. Hauptsache wir sind hier und finden diese verfluchte Insel", gab Gart grimmig zurück.

Alle suchten nun den Horizont ab, aber eine Insel war nirgends zu entdecken. Sie beschlossen daher, es zunächst immer entlang der Nebelbank in Richtung Westen zu versuchen. Gegen Abend tauchte am Horizont endlich der Umriß einer bizarren Insel auf. Soweit sie durch das Fernglas erkennen konnten, erhoben sich in der Mitte der Insel Berge, die zum Meer hin steil abfielen. Selbst auf diese Entfernung wirkte die Insel alles andere als anheimelnd. "Vielleicht ist das die Insel des Dr. Moreau?", überlegte Dean.

"Dann wird sich Wirdnix dort ja heimisch fühlen", erwiderte Tom bissig.

Es war unschwer nachzuvollziehen, wieso man der Insel solche Schreckensmärchen andichtete. Auch die Bezeichnung "Schwarze Insel" machte Sinn. Selbst auf diese Entfernung konnte man erkennen, dass die Felsen der Insel tief schwarz schimmerten. Möglicherweise war sie vulkanischen Ursprungs. Auch Wirdnix betrachtete die Insel durch das Fernglas.

"Ich will doch mal stark hoffen, dass das die falsche Insel ist", stöhnte er beim Anblick der schwarzen, unheilvollen Erhebung.

"Tut mir leid, aber sie ist es", sagte Meister Reno vi´Eren bestimmt. "Ich habe zwar nie einen Fuß auf diese Insel gesetzt, aber ich erkenne sie wieder. Diese Form ist unverwechselbar."

Wirdnix Entschluß stand fest. "Ich kündige", ertönte es aus dem Niedergang, in den er sich eilig auf der Suche nach der Kiste zurückgezogen hatte. Meister Reno vi´Eren beachtete ihn nicht weiter. Derartige Ausbrüche war er gewohnt. Er wußte, dass bei Wirdnix letztlich doch die Neugier siegen würde. So war es jedenfalls bisher immer gewesen.

"Wie gehen wir vor?", fragte Myrana, die mit grimmiger Miene ihr Ziel musterte.

"Wir warten hier ab, bis es dunkel wird", antwortete Gart. "Dann werden wir hinüber segeln und uns diese Insel näher ansehen. Sollte mich nicht wundern, wenn wir dort den Rest deiner Hochzeitsgesellschaft wiederfinden werden."

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 27.07.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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