Stefan Nowicki

Kleine Fluchten

Als er noch allein, doch bereits mit einem flauen Gefühl im Magen, am Küchentisch saß, stellte er sich vor, wie sie gleich herein kommen würde. Er würde ihr einen Kaffee anbieten und wenn sie ihm dann gegenüber sitzen würde, wird er loslegen, endlich mit ihr darüber reden, alles erklären. Er würde am liebsten weglaufen. Draußen stritten lautstark zwei Spatzen im Vogelhäuschen, das am Kirschbaumast direkt Form Fenster hing. Er sah ihnen zu und bemerkte schattengleich einen dritten Vogel im Geäst über der Futterstelle. Eine Meise. Sehr zögerlich, mit kleinen, nervösen Hüpfern, näherte sie sich den verlockendem Nahrungsangebot. Ruth kam herein. "Oh du hast Kaffee gekocht. Fein." Sie angelte sich einen Becher vom Bord, goß sich ein und setzte sich wirklich ihm gegenüber an den Tisch. Die Meise faßte sich ein Herz, flatterte heran und die Spatzen vergaßen ihren Streit. Mit nur einem Körnchen im Schnabel entkam sie den braunen Brüdern, zwei Zweige weit entfernt. Er mußte einen Anfang finden. Ruth schlürfte genüßlich und schaute auch zum Fenster raus. Die Spatzen widmeten sich dem Knacken von Sonnenblumenkernen. Die Meise flatterte wieder heran, berührte kurz das Dach, flog zu einer Seite, drehte ab um von unten her zur anderen zu wechseln und sich ans äußerste Ende der kleinen Stange zu setzen, gleich wieder auffliegend, da ein Spatz sich in ihre Richtung stürzte. Er hatte schon alle Ansätze im Kopf probiert, entschied sich nun für die schlichteste Version: "Ruth." Ernst sprach er ihren Namen. Sie mußte was merken. Und richtig, sie sah ihn erwartungsvoll an. Er stopfte sich schnell einen Keks in den Mund. Die Meise wagte sich an den baumelnden Futterring unterhalb der zänkischen Sperlinge. Er erwiderte ihren Blick, mit wackelnden Kopf und rollenden Augen bedeutend, der volle Mund hindere ihn am Weiterreden. Das blau-weiß-gelbe Federknäul saß auf einem Ästchen. Die Spatzen hingen im Ring. Kein Keks läßt sich ewig kauen. "Ich muß mit dir reden." Weit hatte er sich vor gewagt, nun gab es kein zurück. Die Meise traute sich wieder auf das Dach. An die äußerste Kante gekrallt äugte sie kopfüber ins Innere. Ein Spatz hüpfte auf dem Dachfirst von hinten heran. "Na sag schon, was ist?" Ruth stellte den Becher ab und wärmte ihre Hände daran. Mehr als diese Hände konnte er jetzt von ihr nicht ansehen. Er wußte von ihrem Blick, der auf ihm ruhte und holte tief Luft. "Och, es ist eigentlich nichts. Wir können auch ein anderes mal. Es ist schon spät." Die Meise schoß nach unten, die Spatzen hinterher. "Wovon redest du?" Ruth war sichtlich irritiert. Jetzt mußte er sie doch ansehen. "Von Kindern. In letzter Zeit fängst du immer wieder davon an und ich meine wir sollten mal darüber reden." "Das ist aber Lieb von dir. Du hast recht ich mache mir seit geraumer Zeit häufiger Gedanken darüber, ob es für uns, das heißt eigentlich für mich, nicht an der Zeit wäre." Jetzt lächelte sie. "Es geht uns doch gut. Ich könnte eine Weile aufhören zu arbeiten, das wäre sicher kein Problem. Wir haben die besten Voraussetzungen oder fühlst du dich zu alt dafür?" Ihren Altersunterschied hatte er so als Argument noch gar nicht erwogen. Die Meise war, seitlich einen Ast heraufhüpfend bis direkt über das Vogelhäuschen gelangt. Nun flog sie auf und schwirrte ohne Umschweife hinein auf das Futter. "Nein, das Alter ist es nicht. Du weißt ich habe schon zwei Kinder. Und als Ursula damals nach dem zweiten erneut begann Karriere zu machen, ich in meinem Beruf total eingespannt war, da entschieden wir uns gegen jedes weitere Kind. Gott sei Dank, denn dann kam ja die Scheidung." Die Meise fraß noch immer, aber nicht ohne ein wachsames Auge auf ihre Wiedersacher. "Ja, ich weiß, aber was hat das mit uns zu tun? Wir können doch einen neue Familie gründen." Ruth schaute so lieb und er kam sich gemein vor. "Nein. Du verstehst nicht. Es geht nicht mehr. Ich habe mich damals sterilisieren lassen." Die Spatzen waren am Boden und sammelten was herunter gefallen war. Ruth versteckte sich hinter der Kaffeetasse. Es war heraus, er hatte es ihr endlich gesagt, doch alle Last war er nicht los. Das Futterhäuschen war leer, die Vögel schwirrten davon und gerne hätte er jetzt die satte Meise begleitet.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.11.1999. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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