Pierre Heinen

Live Dabei - Teil II

II
Der Produzent betrat das Hotel und ging zielstrebig zur Rezeption. Niemand war vorhanden. Er haute auf die silberne Klingel drauf, als wäre dies seine letzte Rettung am Leben zu bleiben. Das harmonische Ping hallte durch die Lobby. Die Rezeptionsdame, die in einem Hinterraum >Live< mitverfolgt hatte, kam sogleich hinter die Theke und lächelte mild.

„Ist Karl Wals schon eingetroffen? Der letzte fehlende Kandidat auf der Liste?“, fragte der Produzent nervös.

„Ich bedaure.“

„Irgendeine Nachricht für mich?“, fragte er noch aufgeregter und die Dame durchblätterte hastig einige Notizblätter.

„Nein, tut mir leid.“

Der Produzent seufzte, nickte dankend der Dame zu und ging energisch durch die Drehtür wieder in die eisige Kälte. Er vergrub die Fäuste in den Taschen seines Mantels. Er überquerte die mit Schneematsch bedeckte Straße und ging zur Bergwacht, die schräg gegenüber des Hotels lag, hinüber. Als er dort ankam landete gerade der Helikopter und dier erste Kandidatin mitsamt ihrer Koffer stieg ein. Der Produzent ging zu einem Mann mit einem Funkgerät in der Hand hinüber.

„Die nächste Kandidatin ist unterwegs“, sprach er hinein und steckte das Gerät wieder in den Halter auf der linken Brusthälfte. Er blickte zum Produzent hinüber

„Und?“, fragte er ihn neugierig.

„Noch immer nichts. Ich frage mich nur wo dieser Schreiberling steckt.“

„Noch hat er etwas Zeit. Laut Plan kommt er noch nicht sofort dran.“

„Soviel zu Walter Allison, dem Partylöwen unter den Börsenmaklern, und nun zur ersten Kandidatin bei dieser Show, Samanta Foster, der Supermarktkassiererin“

Ein Mann der etwas geistig verwirrt schien blieb bei einer Laterne stehen und schaute zum Hotel hinüber. Über der gläsernen Drehtür glänzten vier überdimensionale Sterne. Er nahm ein zerknittertes Notizblatt aus der Hosentasche und faltete es auseinander. In der Mitte stand der Name des Hotels ihm gegenüber, in einer verschmierten Kritzelschrift, die man leicht einem Siebenjährigen gegeben hätte. Rechts oben auf dem Blatt klebte ein eingetrockneter Blutstropfen am Papier.

Er zerdrückte den Papierfetzen in seiner rechten Hand und ließ ihn in den mit Schneematsch bedeckten Gully fallen. Das Papier verschwand im gurgelnden Abgrund der Stadt. Er überquerte ohne auf den Verkehr und ohne auf die Pfützen zu achten die Straße. Ein herannahendes Fahrzeug mußte stark abbremsen und der Fahrer hupte. Der Mann beachtete dies überhaupt nicht und schritt auf die Drehtür zu. Die Rezeptionsdame erschrak etwas, als sie den Mann durch den Eingang kommen sah. Er war ziemlich groß, schlank und hatte fettige, ungekämmte schwarze Haare. Er trug einen etwas zu weit geratenen schwarzen Smoking. Sein Gesicht wurde durch die vertikale Narbe dominiert, die sich entlang des rechten Nasenflügels bis zur Oberlippe erstreckte. Sein linker Arm hing etwas schlaff an seinem Oberkörper herab und er hielt den braunen Beutel fest, welcher vollgepackt schien. Er ging zur Rezeption.

„Was kann ich für sie tun?“, fragte die Rezeptionsdame etwas ängstlich.

„Mein Name ist Karl Wals. Ich werde wohl schon erwartet?“, antwortete er, für sein Auftreten etwas schüchtern mit einer Gegenfrage.

„Allerdings. Nehmen sie sich doch noch Platz, ich werde den Produzenten sofort informieren“

Der Mann nickte kurz und nahm in einem grünen Ledersessel in der Lobby Platz. Den Beutel legte er vor sich auf die Knie.

Er nahm die lokale Tageszeitung die vor ihm auf einem kleinen hölzernen Tisch gelegen hatte und begann sogleich mit Interesse darin zu blättern. Die Rezeptionsdame gab einem jungen Pagen Bescheid, der einen Mantel anzog und das Hotel verließ.

Der Helikopter landete erneut und der nächste Kandidat, Ben Grant, stieg ein.

„Okay, der nächste ist unterwegs“, verkündete der Mann von der Bergwacht Trappely dem Moderator über Funk.

„Ich hoffe daß dieser Autor bald hier aufkreuzt“, seufzte der Produzent und blickte auf seine vergoldete Armbanduhr.

„In einigen Stunden ist ein Schneesturm angekündigt. Wir können den Pendeldienst also nicht ewig aufschieben“, warnte er den Produzenten.

Dieser drehte sich um und beobachtete einen jungen Angestellten des Hotels, der auf sie beide zugelaufen kam. Der Page lief entlang der Bergwacht zum großen Übungsplatz. Der Helikopter ließ seine Rotorblätter wieder langsam auf Hochtouren drehen und hob mit nach vorn hängender Nase ab. Der Produzent lief dem jungen Mann entgegen.

„Ist dieser Schreiber eingetroffen?“, fragte er ihn sogleich wißbegierig.

„Ja, er sitzt in der Lobby“, verkündete er außer Atem.

„Bringen sie ihn her! Worauf warten sie noch!“, befahl dieser ihm in einem etwas barschen Ton.

Als wieder einmal der Helikopter fast gelandet war, kam der Page begleitet von Karl Wals bei der Bergwacht an. Der Produzent, der schon aufgeregt nach den beiden Ausschau gehalten hatte, atmete auf, als er sie um die Ecke kommen sah.

„Ich freue mich, daß sie es noch rechtzeitig geschafft haben“, gab er ihnen erleichtert zu wissen und hielt Karl die Hand zur Begrüßung hin, Nach einem kurzen Zögern schüttelte der Schriftsteller sie und grinste.

„Immer noch kalt hier. Wurde aufgehalten“, sagte er entschuldigend und lächelte.

Der Produzent blickte ihn verständnislos an. Karl nahm einen Fünf-Dollar-Schein aus der Hosentasche und drückte ihm dem Pagen in die Hand. Dieser bedankte sich höflich und kehrte zufrieden zum Hotel zurück.

„Wir wären soweit“, sagte der Mann von der Bergwacht zum Produzenten.

„Dürfte ich sie nun bitten in den Helikopter zu steigen, er wird sie zur Station bringen“, meinte der Produzent.

Karl Wals ging mit dem Beutel in der Hand zum Helikopter. Er grinste und schien geistig abwesend zu sein. Er ließ sich hin und herbewegen wie eine Marionette.

„Ein komischer Kauz“, flüsterte der verwunderte Mann von der Bergwacht dem Produzenten ins Ohr.

Beide sahen dem großen Burschen zu wie er einstieg.

Der Moderator stand wieder auf der Plattform und blickte ins Tal hinab.

„Und nun präsentieren wir ihnen die wohl bekannteste und umstrittenste Person dieser Show, Karl Wals. Einer der zur Zeit bekanntesten Schriftsteller. Wer kennt seine oskarprämierten und verfilmten Romane nicht? Karl gibt nie Interviews und scheut die Öffentlichkeit, deshalb war es um so mehr verwunderlich daß er sich gerade für unsere Show beworben hat.“

Der Helikopter schwirrte näher heran. Der Moderator verließ das Zentrum der Plattform und stellte sich abseits. Nachdem Karl den Helikopter wie seine vorherigen Mitspieler verlassen hatte, lief er gebückt zum Moderator hin. Sobald das lärmende Fluggerät wieder ins Tal gebraust war, schob ihn der Moderator neben sich vor die Linse der Kamera.

„Willkommen bei >Live<, Mr Wals“, begrüßte er ihn und hielt ihm das Mikrofon hin.

„Dankeschön. Ich bedanke mich beim Sender daß ich hier teilnehmen darf und hoffe daß ich die hundert Tage durchhalten werde.“

„Das hängt natürlich von ihrer seelischen Verfassung ab“, hakte der Moderator nach.

„Ich fühle mich sehr wohl hier. Noch immer kalt“.

Karl nickte kurz und ließ den verdutzten Moderator stehen.

„So sind sie nun einmal diese Künstler“, meinte der Moderator und war froh als der Regisseur ihm die Werbeunterbrechung ankündigte.

Karl hatte inzwischen die Station betreten. Er stieg die steinerne Treppe hoch, ging einen Gang entlang und stand sogleich im großen Kaminzimmer. Die drei Kandidaten, die schon vor ihm angekommen waren, hatten es sich auf der Couch gemütlich gemacht, Samanta saß in der Mitte, umgeben von Ben und Walter. Sie plauderten gemütlich, doch die Konversationen verstummten als der grobkantig aussehende Schreiber den Raum betrat. Er blieb stehen, ließ seinen Beutel zu Boden plumpsen und grinste.

„Ich bin Karl Wals“, sagte er etwas schüchtern.

Diese Schüchternheit wirkte aufgrund seines rabiaten Auftretens irgendwie lächerlich.

„Hallo, ich bin Samanta Foster“, sagte eine junge rothaarige Frau, die das Eis gebrochen hatte und auf ihn zuging.

Er nahm ihr die Hand, kniete sich auf den hölzernen Fußboden und ließ den Hauch eines Abdrucks seiner Lippen auf ihrem Handrücken zurück. Samanta mußte lachen. Auch die beiden Männer waren nun aufgestanden. Man unterhielt sich über das Wetter, die Show und über das was man mit einer Million Dollar anfangen könnte. Schließlich wurde in Gegenwart des kalten Kamins über Feuermachen und Holzhacken gesprochen. Im Takt wurden die Kandidaten eingeflogen und schlußendlich, als alle zehn Kandidaten im Kaminzimmer versammelt waren, kam der Kameramann einschließlich des Kameramannes hinzu.

„Liebe Zuschauer, hier im Hintergrund sehen sie die zehn wagemutigen Teilnehmer von >Live<, zum letzten Mal für die nächsten zehn Wochen mit einer außenstehenden Person. Die Tür steht immer offen und sobald einer keine Lust mehr hat, kann er gehen, dann hat aber keiner mehr die Chance eine Million zu gewinnen. Jeder Winkel der Station ist überwacht, es gibt keine Privatspähre und die zehn Teilnehmer müssen irgendwie den Aufenthalt zu gestalten wissen. Wie sie das machen werden, werden wir sehen und hören.“

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.08.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Pierre Heinen, Jahrgang 1979, ist seit frühester Jugend begeistert von Geschichtsbüchern und Verfasser unzähliger Novellen. In Form des zweiteiligen „Payla – Die Goldinsel“ veröffentlicht er seinen Debütroman im Genre Fantasy. Der Autor lebt und arbeitet im Großherzogtum Luxemburg, was in mancher Hinsicht seine fiktive Welt beeinflusst.

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