Eckert Hebel

Ein neues Fahrrad

Wenn es Frühling in Bärlin wird, und das Straßenbild verändert sich entsprechend, fällt mir immer ein, wie ich einmal versuchte ein Fahrrad zu kaufen. Ein Bekannter aus der Nachbarschaft hatte sich ein neues Fahrrad, mittlerweile sein drittes, gekauft. Dieses Fahrrad gefiel mir so sehr, dass ich auch so eines haben wollte. Nun ist er auch ein Meister darin, seine Sachen anzupreisen, da er früher einmal Versicherungen verkauft hat. Ich fragte ihn also, wo er das Fahrrad denn gekauft hätte und er sagte: "Bei uns um die Ecke bei Fahrrad-Ilse".
Als ich endlich etwas Zeit fand neben meiner Arbeit, machte ich mich auf den Weg zu Fahrrad-Ilse. Der Laden war recht klein und überschaubar und Ilse stand hinter einer Art Tresen, als sie mich fragte, ob sie mir helfen könne. "Mein Bekannter hat neulich bei Ihnen ein Fahrrad gekauft. So ein Fahrrad hätte ich auch gerne." Ilse überlegte kurz. Dann schien sie sich zu erinnern. "So ein silbernes ?" Ich überlegte kurz und sagte: "Ja, genau." Sie fragte: "Wissen Sie noch welche Größe es hatte ?" Die Größe wusste ich leider nicht.." Ilse meinte, das Beste wäre, ich würde es mir noch einmal genau angucken und dann wiederkommen. Das schien mir eine sehr gute Idee zu sein, also verabschiedete ich mich von Ilse.
Zwei Wochen später ging ich erneut zu Ilse, diesmal mit den nötigen Informationen. Ich sagte: "Es ist ein Bauer-Rad, es heißt Road-Movie und es ist ein 28‘er". Ilse guckte etwas skeptisch. Dann fragte sie, welche Rahmengröße ich denn wolle. Ich überlegte kurz und sagte: "Mh, keine Ahnung". Sie meinte, es käme bei der Fahrradgröße auch auf die Rahmengröße an. Das wäre sozusagen der Abstand zwischen der Pedale und der Nabe der Hinterachse. An einem Fahrrad, das gerade neben uns stand, demonstrierte sie mit beiden Händen, was sie meinte. Dann sagte sie, das Beste wäre, ich würde einfach bei meinem Bekannten noch einmal die Rahmengröße nachmessen, mit einem Zollstock zum Beispiel. Das schien mir eine sehr gute Idee zu sein, wollte ich doch ein Fahrrad, auf dem ich bequem sitzen konnte.
Die Rahmengröße des Fahrrades meines Bekannten war dreiundfünfzig Zentimeter. Stolz über die Recherche machte ich mich eine Woche später erneut auf den Weg zu Fahrrad-Ilse. Mittlerweile kannte ich sie schon ein wenig. Ich konnte in etwa einschätzen, wann es ihr gut ging und wann nicht. Diesmal schien letzteres der Fall zu sein. Zumindest schaute sie etwas genervt. Ich begrüßte sie mit einem sonnigen Lächeln und informierte sie über die Rahmengröße. Sie sagte: "Dann wollen wir mal schauen." Etwas später dann: "Ja, das ist, was ich befürchtet hatte. Das Bauer-Rad, das ich ihrem Bekannten verkauft habe, war das Letzte, was ich hatte. Ich könnte höchstens noch einmal den Lieferanten anrufen, ob er noch eines liefern kann. " Frohen Mutes erwiederte ich: "Das wäre sehr nett von Ihnen." Und dachte, nun weiß sie zumindest schon einmal genau, was ich suche. Dann kann es nun nicht mehr lange dauern, bis ich mit meinem neuen Fahrrad die Stadt erkunden werde. Ilse sagte allerdings, sie wäre die nächsten Wochen im Urlaub. Dann wäre der Laden natürlich auch geschlossen, aber ich könne ihr ja meine Telefonnummer da lassen und sie würde mich dann anrufen. Das hielt ich für eine sehr gute Idee. Ich wünschte Ilse einen supertollen, erholsamen Urlaub.
Es war ein doch noch ganz schöner Spätsommertag, wenn auch etwas regnerisch, als ich wieder einmal Zeit fand Ilses Fahrradladen aufzusuchen. Ilse hatte nicht angerufen und meine Freunde machten sich schon über mich lustig und meinten, Ilse wolle mir nicht wirklich ein Fahrrad verkaufen. Allerdings wollte ich die Sache nun zumindest zu einem Abchluss bringen. Immerhin war doch der Vorgang noch irgendwie offen und ich mag halt keine halben Sachen. Vielleicht könnte ich Ilse zumindest so weit bringen, dass sie mir einen Schraubenschlüssel, etwas Flickzeug, oder wenigstens einen alten dreckigen Putzlappen verkaufen würde. Diese Ansicht war natürlich total übertrieben. Was sollte ich auch mit Flickzeug, wo ich doch gar kein Fahrrad hatte.
An einem sonnigen Herbsttag stand ich sehnsüchtig an der Frankfurter Allee. Viele Fahrräder rauschten an mir vorbei. Große und kleine, kurze und lange, grüne und blaue. Die darauf Sitzenden lächelten mir teilweise zu, als hätten sie etwas, was ich nicht hatte, nämlich den Schlüssel zu Ilses Verkaufstaktik. Am Nachmittag ging ich deshalb noch einmal zu Fahrrad-Ilse. Auf dem Weg dorthin dachte ich: Vielleicht haben die Leute in Ostbärlin die Marktwirtschaft einfach noch nicht so verinnerlicht. Dann dachte ich, dass ich vermutlich nur keinen richtigen Zugang zu Ilse gefunden hatte oder vielleicht noch nicht die richtige innere Einstellung zum Fahrradkauf. Genauso wie ein schon verstorbener Politiker einmal von Marktzugangsproblemen redete, hatte ich vermutlich auch einfach nur Warenzugangsprobleme. So war es doch eigentlich auch immer im Osten, dachte ich.
Ich glaube ich darf von mir behaupten, dass ich ein wenig mutikulturell gebildet bin, oder anders ausgedrückt: Ich habe so etwas wie ein klein wenig interkulturelle Kompetenz. Daher weiß ich, dass in Asien zum Beispiel zunächst für eine angenehme Verkaufsatmosphäre gesorgt wird, bevor ein größeres Geschäft getätigt wird. Es wird Tee gereicht, oder es wird etwas über das Leben philosophiert, sich erst einmal kennengelernt, im Small Talk Ansichten ausgetauscht, bevor das Geschäft abgewickelt wird. Vielleicht sollte ich Ilse erst einmal zum Essen einladen, sie etwas näher kennenlernen bei einem Candle-Light-Dinner, bevor ich ein Fahrrad von ihr kaufen konnte ? Vom Alter her käme es auch ungefähr hin. Das schien mir dann aber doch zu absurd.
Als ich vor Fahrrad-Ilse stand, war der Laden verschlossen. Hatte sie Pleite gemacht ? Das wäre schade gewesen. Hatte sie einfach ihren Urlaub verlängert, ohne es mir zu sagen? Das wäre nicht nett von ihr gewesen. Hatte sie etwa rübergemacht ? Die Zeiten waren doch längst vorbei. Eigentlich war das Wetter auch garnicht nach Fahrradfahren. Also kam mir eine Idee. Ich stieg in die U-Bahn und fuhr zu Auto-Horst.

In meinen Kurzgeschichten, die in Friedrichshain-Kreuzberg angesiedelt sind, erspürt mein Protagonist Peter Spätkauf die Hauptstadtstimmung und bewegt sich dabei von einer peinlichen Situation in die nächste. Mutig stellt er sich den Herausforderungen, die da kommen und agiert dabei naiv bis dämlich. Am Ende lässt er sich jedoch nie ganz aus der Bahn werfen.Eckert Hebel, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.08.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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