Joe Schmidt

Strohfeuer



Vorwort








Diese Geschichte beruht auf einer wahren Begebenheit.
Vieles, der nachfolgenden Handlung entspricht Wort für Wort den Tatsachen. Einiges entspringt aber auch nur den Mutmaßungen und Spekulationen, der damals Beteiligten. Manches wurde auch von mir übertrieben dargestellt, um die Dramaturgie zu steigern und den ganzen Stoff als Geschichte lesbar zu machen.
Ort und Namen der handelnden Personen wurden von mir geändert.
Da ich ihnen, lieber Leser keinen dreihundert Seiten Schmöker vorsetzen wollte, musste ich die Erzählung auf die wichtigsten Ereignisse zusammen kürzen.
Weiters sollte ich sie hier noch vorwarnen, daß mein Schreibstil ständig mit den Regeln der neuen Rechtschreibung aneckt und sicher nicht der eines richtigen Schriftstellers ist. (Vermutlich würde es jedem Lektor beim Durchlesen dieser Erzählung die Haare aufstellen)
Die ganze Story soll heute jedoch niemanden mehr anklagen oder belasten, sondern nur noch unterhalten.






Joe














STROHFEUER



Kapitel 1

Jahr 2000




Es war erst kurz vor Mitternacht und sie schlief schon. Unweit vor ihrem Schlafzimmerfenster stand eine Straßenlaterne. Ihre Vorhänge hatte sie nicht zugezogen und so fiel das Licht der Laterne direkt ins Zimmer. Die Kissen waren zerwühlt und das zerknitterte Leintuch hatte auf seiner Seite einen nassen Flecken. Gerhard konnte nicht schlafen und hatte sich mit dem Rücken gegen die kalte Mauer gelehnt. Er betrachtete das Zimmer im fahlen Schein doch sein Blick fiel am Ende wieder auf sie.
Niedlich sah sie aus, wie sie sich so in ihre Decke gekuschelt hatte. Sie war nichts Besonderes, wie viele andere Frauen auch mit denen er im Bett war. Aber wenn sie so da lagen, mit diesem zufriedenen Gesichtsausdruck. Fast als hätten sie ein Lächeln auf den Lippen. Dann kroch in ihm so etwas Ähnliches wie ein schlechtes Gewissen hoch, denn viele seiner Bekanntschaften hatten sich doch meist mehr als nur eine Nacht erwartet.
„Was man den Frauen so alles erzählen muß, nur um sie ins Bett zu kriegen“ sagte er öfters, wenn er seinem kleinen Bruder über seine letzten Abenteuer berichtete.
Sie hatte sich nicht vollständig zugedeckt und ihre nackte Schulter schimmerte in dem trüben Licht wie Seide. Er streckte seine Hand aus und wäre beinahe in Versuchung geraten sie zu berühren und zu streicheln.
Kurz bevor die ausgestreckten Finger seiner Hand ihre Haut berühren konnten, zuckte er zurück.
Was machst du da? überlegte er für sich selbst. Wirst du vielleicht schon schwach und alt?
Willst du gar hier übernachten und am nächsten Morgen mit ihr in trauter Gemeinsamkeit Frühstücken und anschließend womöglich noch spazieren gehen?
Das solltest du besser mit deiner eigenen Frau machen, aber dafür war es schon zu spät und solche gemeinsame Momente lagen schon lange zurück. Bei dem Gedanken an seine Familie wurde ihm ganz flau im Magen. Ihm war bewußt, daß hauptsächlich er daran schuld war, daß seine Ehe den Bach runterging. Die Scheidung war längst eingeleitet. Ihm fröstelte und seine blauen Augen wurden ein wenig glasig, aber das lag nur am schlechten Licht.
Vorsichtig schwang sich Gerry aus dem Bett und zog sich schnell und lautlos an.
Es war Samstagabend und die Nacht war noch jung, viel zu jung um irgendwelchen trübsinnigen Gedanken nachzuhängen und sinnlos herum zu grübeln.
Er hatte ein schnelles Auto, ein eigenes Pferd, konnte fast jede Frau haben die er wollte und seine eigen Firma würde in diesem Jahr das erstemal so richtig Gewinn abwerfen.
Seine Familie blieb dabei auf der Strecke, aber er war eben einfach nicht dazu geboren um den braven Familienvater zu mimen.
Er war der einsame Cowboy, der durch die Nacht reitet und sich einfach nimmt was er braucht.
Bei dem Gedanken an den Cowboy mußte er grinsen.
Zum Reiten kam er wirklich mehrmals in der Woche, aber es waren meist nur Stuten mit zwei Beinen.
Er schlich sich auf Zehenspitzen aus dem Zimmer. Im Vorzimmer kam er an einem kleinen Tischchen vorbei auf dem ein Telefon stand. Neben dem Apparat lagen ein Kugelschreiber und ein Schreibblock.
Er blieb stehen und kritzelte auf das Papier:




Liebe Carmen!

...falls ich dir wieder einmal behilflich sein kann,
stehe ich dir natürlich wieder gerne zu Verfügung.
(Vorausgesetzt wir sehen uns irgendwann einmal wieder)

Gerry



Er legte den billigen Kugelschreiber nieder und betrachtete das geschriebene aufmerksam.
Verdammt! Hieß diese Muschi jetzt eigentlich Carmen oder Karin?
Karin hieß doch die von vorgestern, oder doch nicht?
Und schreibt man Carmen mit „C“ oder mit „K“?
Der auf dem Papier als Hintergrundgestaltung aufgedruckte Mäusekopf grinste ihn dämlich an. „Lach nicht so blöd“ flüsterte er, riß den Zettel vom Block und zerknüllt ihn in seiner Faust.
Gerry sah sich nach einem Mistkübel um. Da er aber keinen entdecken konnte, steckte er das Papierknäuel in seine Hosentasche und schloß die Wohnungstür hinter sich.
Er stieg in seinen schwarzen Flitzer und verließ ganz gemächlich das Ortsgebiet.
An der Autobahnauffahrt änderte sich seine Fahrweise.
Er trat das Gaspedal durch bis zum Bodenblech und harkte die Gänge rein als würde er ein Rennen fahren.
Die zweihundertachtzig Pferdestärken katapultierten den Wagen nach vor und das Heck des Fahrzeuges wedelte auf der regennassen Straße unruhig hin und her.
Bei hundertsechzig km/h schaltete er auf den fünften Gang und nach einer Weile gewann das Fahrzeug wieder an Stabilität und flog mit satten zweihundert Sachen dem Asphaltband entlang.
Der Kick tat ihm gut und das seltsame Gefühl in seinem Magen verschwand allmählich.
Er legte eine CD in sein Radio ein und schaltete die Lautstärke auf fünfundzwanzig Prozent
„Countryrock Track 1“ zeigte das blau beleuchtete Display des CD-Spielers.
E-Gitarren und eine Mundharmonika erklangen.
„Ain`t goin`down, `till the Sun comes up“ dudelte es aus den acht Lautsprechern.
Gerry rümpfte seine Nase, kniff die Augen zusammen und stieß ein „YEA“ aus.
Er betätigte solange den Lautstärkenregler bis im Display „100% 300 Watt“ zu lesen war.
Die Musik fetzte durch das Auto, daß das Blech nur so vibrierte.
Die Gitarren dröhnten in seinem Schädel und von seinem verkrampften Magen war jetzt nichts mehr zu bemerken.
Er trat mit seinen Cowboystiefeln das Gaspedal wieder bis zum Anschlag durch und raste der nächst größeren Stadt entgegen.
„Track 2“ „Rodeo“ Die Scheibe war etwas langsamer. Er fuhr nur noch mit humanen einhundertachtzig Sachen und drehte den Lautstärkenpegel wieder zurück.
Er wurde wieder nachdenklich.
Monika war im Grunde eine super Frau. Er hatte ihr so viel zu verdanken. Ohne sie hätte er es mit seiner Firma nie so weit geschafft. Vor allem hatte er ihr seine Tochter zu verdanken.
Die Kleine war erst elf Jahre, aber jetzt schon so hübsch, um ihr würden sich sicher einmal die Männer streiten.
„Seltsam“ dachte er sich, damals als er seine Frau kennenlernte, da war er sich sicher, daß es diesmal für immer sei. Nach der Geburt seiner Tochter wurde er sogar richtig bieder und konservativ.
Er hatte weiter seine Träume vom großen Geld, aber beim Kauf seiner Autos war ihm zu dieser Zeit der große Kofferraum wichtiger als der Hubraum. Und wenn die Kleine im Auto mitfuhr, dann waren einhundertdreißig Stundenkilometer auf der Autobahn das Limit.
Das Thema „Frauen“ blieb immer das gleiche, nur legte er Anfangs auf Diskretion mehr Wert. Es war nie sein Ziel Monika absichtlich zu verletzen.
Irgendwann hatten jedoch die Beiden nicht mehr dieselben Träume. Seine Ziele wurden immer unrealistischer und riskanter und schließlich hatten sie sich auseinander gelebt. Monika bekam auch immer häufiger seine Seitensprünge mit und er enttäuschte sie immer wieder aufs Neue. Sie hatte es nie verstanden, daß seiner Meinung nach, Sex mit Liebe nichts zu tun hat. Zuerst gab es laute Streitereien, Tränen und leere Versprechungen, dieser Zustand wich jedoch mit der Zeit einem gegenseitigen, gleichgültigen sich Anschweigen. Sie führten Beide ihr eigenes Leben und waren nur noch wegen des Kindes zusammen. Seine Frau bewahrte zwar die Haltung, aber er wußte, daß er ihr mit seinem Lebenswandel wehtat.
Die ganze Situation kam ihm so bekannt vor und letztendlich war er es, der meinte, daß eine Scheidung das Beste für Beide wäre.
Er war ebene so wie er war. Gerry würde Monika großzügig abfinden. Sie und die Kleine würde es danach besser haben.
Seine Augen begannen ihm ein wenig zu brennen. Das schlägt sich eben auf die Optik nieder wenn man mit hundertachtzig durch die Nacht glüht dachte er sich und ging vom Gas runter.
Jetzt konnte er schon die Lichter der Stadt sehen. In wenigen hundert Metern müßte er von der Autobahn abfahren.
Er blickte auf das Armaturenbrett. 00.30 zeigte die Uhr.
Die beste Zeit um sich im „Discovery“ noch um ein williges Opfer umzusehen und sich in Nächstenliebe zu üben.
Die Disco „Discovery“ war in letzter Zeit zu seinem bevorzugten Jagdrevier geworden.
Wenn nirgends mehr wo was lief, hier waren immer ein paar willige Damen zu finden.


Er parkte seine PS-Rakete so nahe wie möglich am Eingang, ließ den Motor nochmals dezent aufheulen und ließ die sechs Zylinder mit einem gurgelnden Schnurren ausklingen.
Dieser Vorgang hatte seine Wirkung nicht verfehlt.
Wie immer standen am Eingang einige Mädels um zu rauchen oder auch nur einfach um frische Luft zu tanken und blickten interessiert zu dem Sportwagen
Die Rollenverteilung ist noch immer die gleiche wie in der Steinzeit dachte er sich.
Wir Männer sind die Jäger und die Frauen sind die Sammler.
Wir jagen die Frauen und sie sind auf unsere Güter aus und je mehr Güter du hast, desto leichter erjagst du eine Frau.
Lässig schwang er sich mit seiner engen Jeans aus dem Schalensitz, zog sein buntes Hemd gleich und schlenderte cool auf den Eingang zu. Ganz beiläufig fuhr er sich mit den Fingern durch seine kurz geschnittenen schwarzen Haare.
Am Eingang erwarteten ihn schon mehrere mögliche Opfer und im Vorbeigehen sagte er:
„Na Mädels, nichts los?“
„Bis jetzt nicht, aber das scheint sich gerade zu ändern“ antwortete ihm eine Blondine und zwinkerte ihm zu.
Sein Blick traf sich mit dem Ihren und in Bruchteil einer Sekunde musterte er sie.
Sie war um die zwanzig, schlank und Blond. Ihre Haare sahen aus wie gefärbter Hanf, waren mühsam aufturbiert und mit Unmengen von Haarspray zu einer Frisur haltbar gemacht worden. Die Blondine trug einen Lederminirock und dazu passende Stiefeln die bis über ihre Knie reichten. Am Ende der Stiefel waren gut geformte Oberschenkel sichtbar, die in schwarze Netzstrumpfhosen gehüllt waren. Ihre Brüste waren in einen grünen Satinoberteil gezwängt und warteten nur darauf freigelegt zu werden. Sie war aufwendig geschminkt und stand für dieses Kunstwerk sicher mehrere Stunden vor dem Spiegel.
Eine häßliche Tanne zu einem Christbaum aufgeputzt, aber die Figur war wirklich top. Das war für ihn ausreichend und er dachte sich:
„Da läuft heute noch etwas“
Er hatte Recht.
Zwei Stunden später war er mit ihr in seiner, eigens für solche Zwecke gemieteten, Stadtwohnung.































Kapitel 2



Jahr 2001



Das abgelaufene Jahr verlief in jeder Hinsicht echt hervorragend.
Er hatte in diesen vergangenen zwölf Monaten mindestens sechzig Tussis gevögelt und finanziell stand er auch ganz gut da.
Er hatte sich einen abgelegenen Bauernhof gepachtet, bei dem der Pachtzins äußerst gering war. Das lag nicht daran, daß dieses Bauwerk so sehr heruntergekommen war, sondern viel mehr, daß die Geschichte um dieses Gehöft sehr makaber war.
Ein ungeklärter Mordfall, bei dem der damalige Pächter im Keller des Hauses ermordet aufgefunden wurde, drückte den Pachtzins und machte das Gebäude nahezu unverkäuflich.
Obwohl zur fraglichen Tatzeit von mehreren Personen ein großer, hellgrauer BMW, mit Grazer Kennzeichen gesehen wurde, konnte dies nicht zur Klärung beitragen und so rankten sich die phantastischsten Geschichten um den Hof.
Die Tatsache, daß der Tote aus dem Rotlichtmilieu stammte, tat das Übrige und bildete noch zusätzlich den Nährboden für die wildesten Spekulationen.
Gerhard war das egal. Er sah sich hier eine Möglichkeit günstig, ein zweites Standbein zu schaffen. Gerry hatte einen Vertrag auf acht Jahre mit anschließendem Vorkaufsrecht. In seinem inneren Auge sah er es schon genau vor sich. Er würde die ganze Hütte umbauen und daraus einen florierenden Swingerclub machen.
Pärchen würden kommen und dafür zahlen, daß sie mit anderen Pärchen, die ebenfalls dafür gezahlt hätten, vögeln zu können.
Man bräuchte dann nur noch die ganze Anlage in Schuß halten, für ausreichend Sauberkeit und Hygiene sorgen und der Rubel würde nur so rollen.
Diesmal war es keine seiner üblichen Strohfeuer. Ideen, die nach anfänglicher Begeisterung wieder gleich im Sand verliefen.
Seit Monaten bastelte er schon im Haus herum und machte zügig Fortschritte.
Er konnte alles und machte auch alles selbst. Nicht umsonst hatte er seine Firma gegründet. Sein Fachwissen war enorm und sein Fleiß von jeher gigantisch.
Er schuftete fast jede freie Minute und hatte schon mehrere hunderttausend Schillinge rein Materialkosten in dieses Projekt investiert. Diesmal würde er die Sache durchziehen und ans ganz große Geld kommen.
Die ganzen Sagen die um den Bauernhof und dem Totem aus dem Rotlichtmilieu erzählt wurden belasteten ihn überhaupt nicht.
Im Gegenteil, seit er Max kannte wußte er, daß diese Typen auch nur ganz gewöhnliche Geschäftsleute waren.
Geschäftsleute in einer nicht ganz legalen Branche und mit etwas rauheren Sitten, aber sonst ganz normale Menschen.
Max war Bordellbesitzer. Er war immer gut drauf und hatte ständig Kohle in den Taschen. Mit vierzig Jahren bestand seine einzige Aufgabe darin seine Mädchen zu kontrollieren und für Ordnung zu sorgen. An sonst hatte er nichts Anderes zu tun, als das Geld entgegen zu nehmen, das seine Mädchen verdient hatten, um es in andere Projekte zu investieren.
Gerhard war jetzt sechsunddreißig. In vier Jahren könnte er es mit viel Fleiß auch so gut haben.
Der einzige Nachteil bei dieser Plackerei mit seiner Firma und der Gründung seines zweiten Standbeines war, daß er kaum noch Zeit hatte um abends auszugehen.
In diesem Jahr war er mit höchstens zwanzig verschiedenen Frauen im Bett.
Das war aber auch nicht so schlimm, denn nach einer anfänglichen, leichten seelischen Krise nach seiner Scheidung, glaubte er, er hätte wieder eine Frau für längere Zeit gefunden.
Gitti war nicht nur schön und sexy, nein sie war auch klug und einfühlsam.
Die Scheidung von seiner Frau und die Trennung von seiner Tochter fielen ihm doch viel schwerer als erwartet und so tat es ihm gut jemandem zu haben, mit dem er reden konnte und der Verständnis für ihn hatte.
Obwohl Monika und er noch immer freundschaftlichen Kontakt miteinander pflegten und für ihn die Scheidung nur logische Konsequenz seines Lebensstils war, hinterließ das Ganze, völlig unerwartet, tiefe Narben in seinem Inneren.
In dieser Situation war er froh, jemand zu haben, in dessen Arme er Trost finden konnte.
Abgesehen von kleinen Ausrutschern war er Gitti die meiste Zeit treu und er war sich fast sicher, daß sie die Frau fürs Leben war.
Nach einer kurzen, finanziellen Hochblüte, bei der er auch einige hunderttausend in ein paar todsichere Projekte von Max investiert hatte, ließ der Geldsegen plötzlich nach.
Angefangen hatte alles mit der Schnapsidee, einen vierundzwanzig Stundenservice mit seiner Firma ein zu richten. Der Zweck dieses Services war es, bei Notfällen dringende Reparaturen, zum Beispiel auch sonntags um ein Uhr Morgens zu den Kunden zu kommen. Das ganze zielte darauf ab, vom Kunden aus lauter Dankbarkeit beim nächsten größeren Projekt den anderen Mitbewerbern vorgezogen zu werden.
Der Erfolg war niederschmetternd. Die Anzahl der Notfälle war gering, die Dankbarkeit der Kunden war noch kleiner und die Personalkosten hingegen explodierten.
Der nächste Tiefschlag folgte umgehend.
Zwei Kunden meldeten Konkurs an und blieben Rechnungen im Wert von zwei Millionen Schilling schuldig.
Es dauerte nicht lange, bis Gerry Schwierigkeiten hatte seine Lieferanten zu bezahlen.


Davon bemerkte aber lange Zeit keiner etwas, denn Gerhard hatte schon lange bevor es richtig brenzlig wurde die Buchhaltung selbst in die Hand genommen.
Lange Zeit glaubte er, er könne sich aus diesem finanziellen Dilemma selbst heraus wursteln. Hin und wieder sah es auch sogar danach aus, aber es war nur ein ständiges Auf und Ab. Am Ende hatte sich der Schuldenberg nur vergrößert.
Privat sah es ganz ähnlich aus. Er war sich das erstemal im Leben sicher, daß er eine Frau aus ganzen Herzen liebte, aber ständig wurden Gitti irgendwelche Gerüchte zugetragen. Bei diesen falschen Anschuldigungen ging es andauernd um das Gleiche. Er solle ihr angeblich untreu gewesen sein und sie mit einer Anderen betrogen haben.
Das würde er doch nie tun, schließlich liebte er sie ja von ganzem Herzen und das versuchte er ihr auch mehrmals zu beweisen.
Da war zum Beispiel dieses Wochenende in Wien.
Sie sahen sich gemeinsam ein Musical an und in der Zwischenzeit ließ er das ganze Hotelzimmer mit roten Rosen auslegen. Als Gitti dann am Abend die Tür aufsperrte und die ganze Pracht sah fiel sie ihm um den Hals und mußte vor lauter Freude weinen.
Nachdem sie die Rosen aus dem Bett entfernten, hatten sie wunderbaren, zärtlichen Sex miteinander. Später als sie sich noch lange in den Armen lagen, kam ihm sogar dieser kleine Satz mit den drei bedeutenden Wörtern, zum erstenmal in seinem Leben über die Lippen. Diesmal kam er sich nicht einmal blöd dabei vor.
Aber ständig wurden der Liebe seines Lebens diese dämlichen Gerüchte zugeflüstert.
Es war eine Berg und Talbahn der Gefühle. Jedem Hoch folgte ein Tiefe, dem immer eine Streiterei vorausging. Jedes mal, wenn er ganz am Boden war, schaffte er es doch wieder irgendwie sich mit ihr zu versöhnen. Aber meist stand schon das nächste Tief vor der Tür.
Er telefonierte in letzter Zeit auch häufig und lange mit seinen Eltern und Geschwistern, aber er ließ nur wenig von seinen Problemen durchblicken.
Gerhard war einfach zu stolz um sich so zu erniedrigen, daß er jemand Anderem seine Sorgen und Nöte erzählt hätte.
Er mimte nur ständig die Frohnatur, die durch nichts zu erschüttern war und die alles fest im Griff hat.
Überhaupt waren diese Untreue vorwürfe alle aus der Luft gegriffen, denn er liebte nur diese eine Frau.
Er war Brigitte nie untreu und einmal abgesehen davon, Liebe hat doch nicht im Entferntesten etwas mit Sex zu tun.






Kapitel 3


Jahr 2002




„Einen Augenblick, ich komme sofort. Wenn sie bitte so freundlich wären in der Zwischenzeit im Besprechungszimmer zu warten, “ sagte die kleine dicke Frau.
Sie war eine sehr sympathische Erscheinung. Klein, dick eine Brille auf der Nase, ganz gewöhnliche Kleidung und überhaupt nichts, was einen daran erinnerte, daß vor ihren Namen ein Doktortitel stand. Geradezu mütterlich behandelte sie ihn immer, wenn sie gemeinsam seine Steuererklärung und die restliche Finanzgebarung mit ihm durchgingen.
Er hatte in diesem Zimmer schon öfters auf sie warten müssen, aber heute erschien ihm diese Wartezeit endlos lange.
„Besprechungszimmer“ dieses Wort paßt irgendwie überhaupt nicht zu diesem Raum, dachte er sich während er sich umsah.
Der Raum glich eher einer kleinen Wohnung.
Eine riesige Kochnische, deren Möbel sicher schon dreissig Jahre auf ihrer weißen Kunststoffbeschichtung hatten. Eine Mutation aus Eßgruppe und Wohnzimmergarnitur, deren Tisch zum Essen zu niedrig und als Wohnzimmertisch zu hoch war. Außer den Aktenbergen, welche auf diesen seltsamen Möbeln verteilt waren, erinnerte hier drinnen nichts an einen Büroraum.
Gerry lehnte sich in seinem gepolsterten Sessel zurück und starrte auf die Beiden Mappen, die seine Steuerberaterin vorbereitet hatte und vor ihm am Tisch lagen.
Der schwarze Ordner war mindestens zehn Zentimeter dick und zum bersten voll mit Unterlagen und Schriftstücken. Hingegen daneben der kleine rote Schnellhefte höchsten fünf Millimeter stark.
Gerhard wischte sich nervös mit der flachen Hand mehrmals übers Gesicht, als würde er es sich mit einer Hand und ohne Wasser waschen.
Sein Blick fiel wieder auf die rote und die schwarze Mappe.
„Schwarz – Passiva“ „Rot – Aktiva“ sagte er zu sich selbst und schüttelte den Kopf.
Die Tür ging auf und die kleine, dicke Frau kam herein.
„Entschuldigung, daß sie so lange warten mußten, dafür mache ich es jetzt umso kürzer“
Gerhard richtete sich nervös auf in seinem Sessel. „Jetzt verkündet sie das Urteil“, dachte er sich „und sagt dir, daß du keine Chance mehr hast deine Firma zu retten.“
Die Steuerberaterin setzte sich nieder lächelte milde und sagte: „Alles nicht so schlimm, wir ziehen den Karren wieder aus dem Dreck.
Gerry atmete sichtbar erleichtert auf und blies die Luft aus seinen geblähten Backen.
Frau Doktor Winterhuber war über diese Reaktion froh aber fügte mit ernster Stimme an: „Allerdings müssen wir ihre Firma zum Zwangsausgleich anmelden.“
Die Mine von Gerhard verfinsterte sich wieder und er sah sie fragend an.
„Das hört sich schlimmer an, als es ist. Viele, jetzt erfolgreiche Firmen haben das schon hinter sich. Manche sogar mehrmals und kein Mensch kümmert sich im Nachhinein darum, ob sie irgendwann einmal dem Konkurs nahe waren oder nicht. Ihre Gläubiger werden sich in ihrem Fall sicher mit einem Ausgleich von zwanzig Prozent der Schulden zufrieden geben.“
„Und, was machen wir jetzt? Fragte er.
Die Steuerberaterin legte einen grünen Schnellhefter, den sie die ganze Zeit über in den Händen hielt, auf den Tisch und sagte: „Nachdem was ich aus den Unterlagen lese, haben sie für dieses Jahr schon unterschriebene Aufträge im Wert von zwei Millionen. Das ist schon ein äußerst günstiger Umstand.
Weiters sind noch mehr als eine halbe Million Schilling an Kundenforderungen offen, die es noch einzutreiben gilt. Alles in allem sind das sehr gute Voraussetzungen für einen Ausgleich.
Ich habe schon alles vorbereitet, wir müssen nur zusehen, daß sie irgendwie noch siebenhunderttausend Schilling beziehungsweise einundfünfzigtausend Euro auftreiben und sie sind aus dem Schneider.



















Gerry war sich sicher, daß ihm Max helfen würde. Er bräuchte ihm nur zumindest das Geld zurückgeben, das er in seine Geschäfte angelegt hatte und schon hätte er mehr als die Hälfte der Notwendigen Mittel für den Ausgleich in der Tasche.
Er war sehr zuversichtlich und hatte ein gutes Gefühl, nur daß Gitti darauf bestand zu Max mitzufahren, störte ihn ein wenig.
„Ich traue diesen kahlköpfigen Unterweldler nicht und ich habe Angst, daß er dich möglicherweise in seine kriminellen Machenschaften mit hineinzieht“, sagte sie ständig.
Er war sich sicher, daß dies alles nur Vorurteile waren. Max war schwer in Ordnung.
Sie kannte ihn einfach nicht so gut wie er.
Gerhard spielte sogar insgeheim mit dem Gedanken, daß sein guter Freund Max ihm das restliche, fehlende Geld zu Verfügung stellen würde.
Zinsenfrei natürlich!

Sie fuhren jetzt schon über eine halbe Stunde auf der Autobahn und es schneite ein wenig.
Gerhard war froh, daß er sich im letzten Jahr noch dieses zweite Auto gekauft hatte, denn mit seinem Sportwagen wäre ein Weiterkommen, zu dieser Jahreszeit, nur schwer möglich.
„Gut, daß ich den BMW im Herbst noch gekauft habe.“
Brigitte, welche die ganze Fahrt über nur wortlos da saß und nach vor gestarrt hatte, drehte sich jetzt zu Gerhard und sah ihn fragend an.
„Na mit dem „Japs“ (damit meinte er seinen Japanischen Sportwagen) wären wir bei diesem Wetter ganz schön aufgeschmissen“ antwortete er auf ihren Blick. Es folge wieder Schweigen.
Sie hatten vor einiger Zeit schon die Autobahn verlassen und fuhren jetzt in einer Menschenleeren Einöde.
„Wie lange noch?“ fragte sie.
„Da vorne ist es schon“ sagte er und deutete mit dem Kopf auf ein in der Ferne auftauchendes, größeres Gebäude.
Wenige Minuten später standen sie mit ihrem Fahrzeug vor dem Bordell. Gott sei dank dachte sich Gitti, war es sehr früh am Nachmittag und es stand nur ein einziges Auto vor dem Haus.
Ein großer silberner Mercedes und der gehörte sicherlich Max.
Was sie sonst noch zu sehen bekam, entsprach genau ihrer Vorstellung.
Das Gebäude war riesengroß, knallrot angestrichen und trug den einfallsreichen Namen „Lovetemple“ der mit gigantischen Neonbuchstaben als Leuchtreklame an der Fassade des Hauses angebracht war.
Sie saßen einen Moment still im Wagen und er fragte: „Willst du nicht doch lieber im Auto auf mich warten?“
Er hatte den Satz noch nicht richtig zu Ende gesprochen da antwortete sie: „Nein, ich bleibe bei dir und werde aufpassen, daß du keinen Blödsinn machst.“

Sie standen vor der Tür. Gerhard wollte gerade die Glocke betätigen da hörten sie ein leises summen über ihren Köpfen.
Die Beiden blickten auf und erkannten eine kleine ferngesteuerte Kamera, die sich gerade auf sie richtete.
Bevor sie irgendwie darauf reagieren konnten, ertönte schon wieder ein Summen. Diesmal etwas lauter und die Türe öffnete sich, von einem Elektromotor angetrieben selbst.
Zaghaft gingen die Beiden hinein und betraten den Vorraum. Auch im Inneren erfüllte das Gebäude alle von Brigitte erwarteten Klischees. Schummrige Beleuchtung, glänzende Stofftapeten, rot gepolsterte Sitzgruppen, weißer Marmorboden, eine riesige Bar und in der Mitte des Ganzen ein kleiner, kitschiger Springbrunnen mit einer nackten Venus.
Unmittelbar nach dem Eingang befand sich noch eine, dunkle Mahagonitüre, an der ein Messingschild mit der Aufschrift „Privat“ angebracht war.
Gerhard wollte die Hand ausstrecken um die Klinke nach unten zu drücken, doch diese Türe öffnete sich ebenfalls von selbst.
Sie betraten das Zimmer. Dieser Raum sah beinahe normal aus.
Ein nüchtern, hell eingerichtetes Büro, ohne irgendwelchen Kitsch aber doch luxuriös. Nur der Schrank mit den vielen Überwachungsmonitoren erinnerte daran, daß dies kein ganz gewöhnliches Büro war.
In unmittelbarer Nähe des Fensters befand sich ein Schreibtisch mit einem Computer, an dem Max gerade heftig herum tippte.
Als Gerhard und Brigitte eintraten sprang Max sofort auf und ging mit ausgestreckter Hand auf Gerhard zu.
„Begrüße dich Gerry! Freut mich dich zu sehen.“ Max schüttelte ihm die Hand und klopfte ihm die Schulter. Für Brigitte hatte er nur ein knappes „Hallo“ übrig.
„Nehmt doch Platz“, sagte er und wies mit der Hand auf zwei Stühle die vor seinem Schreibtisch standen.
„Du hast anscheinend ganz schön in deine Firma investiert. Zumindest hat sich hier einiges geändert, seit ich das letzte mal hier war“ meinte Gerhard anerkennend, während er sich niedersetzte.
„Ja, ja du kennst das ja. Wenn man am Ball bleiben will muß man eben besser sein als die Anderen.“ Max machte eine kleine Pause und dann fragte er: „Du hast am Telefon gesagt, daß du meine Hilfe benötigst?“
Gerhard war überrascht, daß der ausgefuchste Glatzkopf so schnell auf den Punkt kam. Das brachte seinen ganzen Plan durcheinander. Die ganze Fahrt über hatte er sich schon einige Sätze zurechtgelegt, wie er sein Anliegen vorbringen würde. Jetzt schmiß dieser Kerl mit seiner direkten Art ihn total aus der Bahn und er stotterte: „Ich, ich brauche dringend fünfzigtausend Euro“
Max sah Gerhard sekundenlang verwundert und ernst in die Augen und begann plötzlich laut, schallend zu lachen und kicherte: „ Das ist gut, ha, ha, ha, du brauchst dringend fünfzigtausend Euro. Da sind wir schon zwei. So viel Geld könnte ich auch brauchen.“
Gerhard hatte Mühe ruhig zu bleiben, denn er fand das überhaupt nicht so lustig.
Er begann nochmals von vorne: „Ich brauche die Fünfzigtausend nicht von dir, mir reicht es, wenn du mir das Geld wieder gibst, daß ich bei dir angelegt habe.“
Der Glatzkopf hörte wieder auf zu lachen und fuhr ihn an: Bist du wahnsinnig? Ich habe dir doch damals gesagt, daß du von deinem Geld die nächsten drei Jahre nichts sehen wirst. In zwei Jahren kriegst du deinen Cash inklusive mindestens zwanzig Prozent Gewinn zurück.“
„Ich brauche das Geld aber jetzt.“ Gerhard hielt kurz inne, denn die nächsten Sätze fielen ihm sehr schwer: „Meine Firma ist pleite. Ich stehe kurz vor dem Zwangsausgleich. Bitte!“
Es folgte eine Pause und es wurde ganz still im Raum.
Draußen auf der Landstraße fuhr gerade ein Salzstreuauto vorbei und die orangen Drehlichter des Fahrzeuges ließen Max kurzfristig in einem seltsamen, beinahe unheimlichen Licht erscheinen.
„ Ach du heilige Scheiße!“ sagte Max und kratze sich nachdenklich seinen kahlen Schädel, tippte auf der Tastatur des Computers herum und machte sich irgendwelche Notizen und meinte anschließend:
„Ich bin im Moment selber nicht so flüssig. Bis wann brauchst du denn das Geld?“
„Am besten schon Gestern“, antwortete Gerry kleinlaut.
Gitti saß neben ihm und hielt die ganze Zeit über fest seine Hand. Sie betrachtete ihren Freund aus dem Augenwinkel und sah wie schwer ihm das alles fiel.
Bei den Wörtern „Zwangsausgleich“ und „Bitte“ war er so angespannt und verkrampft, daß er ihr dabei beinahe die Hand zerquetscht hätte.
„Kurzfristig kann ich da jetzt gar nichts machen“, sagte Max mit ruhiger Stimme.
„Was soll das heißen?“ stieß jetzt Gerhard so aufgeregt hervor, daß sich seine Stimme dabei überschlug.
„Du schwimmst doch sonst immer so in Kohle“
„Na ja, du hast doch selbst gesehen, daß ich hier in letzter Zeit einiges neu gemacht habe und das kostet eben alles“ erwiderte Max.
Der Blick von Gerhard verfinsterte sich und er meinte: „Ich habe immer geglaubt du bist mein Freund...“
„Jetzt mach dir nicht gleich ins Hemd und stell gleich alles in Frage. Ich habe da noch eine eiserne Reserve“ unterbrach ihn Max und stand auf.
Max ging zu dem im anderen Eck des Zimmers stehenden Möbeltresor.
Er öffnete die gepanzerte Tür holte rasch eine Schatulle hervor und schloß die Tür ebenso schnell wieder, wie er sie geöffnet hatte.
Obwohl er beinahe mit seinem ganzen Körper den Blick auf den geöffneten Tresor verbarg, war es Brigitte als hätte sie mehrere Bündel Banknoten gesehen.
Sie sagte aber nichts, denn sie könnte sich ja auch getäuscht haben.
Max kam zurück und setzte die Schatulle vor den Beiden ab.
„Hier, das Zeug kannst du haben, es ist sicher mehr wert als du benötigst“ sagte Max.
Gerhard öffnete den Deckel und goldene Ketten und Ringe mit Diamanten besetzt funkelten ihm entgegen.
Max betrachtete das sich entspannende Gesicht von Gerhard und sagte: „Alter Familienschmuck. Ich würde den sicher niemanden sonst überlassen, außer dir.“
Gerhard war sprachlos und betrachtete die glitzernde Pracht. Auf Max war eben Verlaß dachte er sich
Bei Brigitte verhielt sich das ganz anders. Nachdem das Wort „Familienschmuck“ gefallen war klingelten in ihrem Kopf sämtliche Alarmglocken und sie redete auf ihren Freund ein: „Nein, Gerry nimm das bitte nicht, oder glaubst du wirklich, daß das Familienschmuck ist? Vergiß das Ganze und laß uns bitte wieder fahren.
Frag lieber deinen Vater ob er dir hilft.“
Max tat beleidigt und schnaubte: „ Alles klar, ich bin ein Krimineller und hab den Schmuck sicher gestohlen. Glaubst du wirklich, daß ich einen Freund so reinlegen würde?“
Brigitte war aufgestanden und zerrte Gerhard am Arm hoch. „Komm, gehen wir“
Gerhard hatte sich noch immer nicht geäußert und stand da wie ein Schlafwandler. „Komm jetzt bitte. Laß uns wieder fortfahren “ wiederholte Gitti und zog Gerry in Richtung Ausgang.
„Einen Moment! Ich hab eine Idee“ sagte Max und stellte sich den Beiden mit der Schatulle in der Hand in den Weg.
„Ich werde euch beweisen, daß ich es ehrlich meine. Sucht euch irgendein Schmuckstück aus. Ich schenke es euch und ihr geht damit zu einem Sachverständigen. Der kann euch dann sagen, was die Klunker wert sind und ob sie gestohlen sind oder nicht. Ich gebe euch mein Wort, daß die Sachen sauber sind.“
Gerhard war jetzt aus seinem tranceartigen Zustand erwacht und sein Hirn begann wieder langsam zu arbeiten.
„Das klingt vernünftig“ dachte er sich und sprach:
„Du willst mir als Beweis deiner Ehrlichkeit wirklich davon etwas schenken?“
„Natürlich! Ich besteh sogar darauf. Ich hätte dir auch Geld gegeben, aber ich hab im Moment wirklich kein Bares“ erwiderte Max und lächelte ihn an.


Gerhard zögerte noch ein wenig.
„Bitte Gerry!“ jammerte Brigitte und sah ihn mit glasigen Augen an.
„Also, was willst du haben? fragte Max und hielt Gerhard die Holzkassette unter die Nase.
Gerhard überlegte nicht lange und griff zu.
Er nahm einen goldenen Ring mit einem großen, weißen, glitzernden Stein heraus.
„Gute Wahl“ meinte Max, „der Ring ist sicher sechzig Blaue wert und vielleicht kann ich ja trotzdem noch etwas Bares auftreiben.
Brigitte schüttelte wortlos den Kopf und ihr lief eine Träne die Wange hinunter.
„Ich melde mich dann nächste Woche nochmals bei dir“ sagte Gerry.
Brigitte war sehr schweigsam am nach Hause Weg und ein neuer Streit lag in der Luft.




































Das war vielleicht eine beschissene Woche. Gerhard ließ sich von Brigitte breitschlagen das Angebot von Max abzulehnen und anstatt dessen seinen Vater anzupumpen. Dem alten Herrn die Wahrheit zu sagen und um Geld zu bitten fiel ihm sehr schwer. Der alte Geizkragen hatte sicher vierzigtausend Euro auf der Bank und ließ aber nur fünzehntausend springen. Der Rest wäre fest angelegt und er könne das nicht so einfach beheben hatte er im gesagt und so erzählte er es gleich danach Brigitte. Sie war enttäuscht über diese unüberlegte Aussage von Gerhard über seinen Vater und mahnte ihn ein wenig darüber nachzudenken was er so von sich gäbe. Schließlich hätte er ebensogut ganz einfach „Nein“ sagen können meinte sie.
Am Wochenende drohte sie ihm dann schon wieder zum x. mal mit ihm Schluß zu machen. Grund war natürlich schon wieder die üblichen Gerüchte.

16.01.2002 18Uhr00
Gerhard saß wieder einmal alleine in seinem Haus.
Steuerberaterin, Anwalt und Banken machten schon wieder Druck und ihm fehlten immer noch mindestens fünfunddreißigtausend Euro.
Jetzt war es schon so pleite, daß er nicht einmal mehr die Putzfrau zahlen konnte.
Ganz schlimm an dieser Situation war auch, daß er seiner Exfrau Monika schon seit Monaten den Unterhalt schuldig geblieben war. Das nervte ihn mehr als die Banken und die restlichen Geldgeier.
Am meisten belastete ihn aber, daß Brigitte ihm schon wieder das alte Lied sang und schon seit über drei Tagen nichts von sich hören ließ.
Er hatte die Flasche Metaxa schon fast gelehrt und nachdem er sonst kaum Alkohol trank war er schon total besoffen.
Er hatte die Musik laut aufgedreht und hörte die total falschen Lieder.
Gerhard führte die Flasche zu seinen Lippen nahm einen Zug und lachte während er die Worte auf das Papier kritzelte.

Als er am nächsten Tag aufwachte stand die Sonne schon am Himmel und sein Kopf schmerzte.
Er lag am Boden und neben ihm die leere Metaxaflasche.
Mühsam richtete er sich auf und setzte sich schwerfällig zum Küchentisch.
„Verdammte Scheiße“ sagte er „das nächste mal hacke ich mir vorher beide Hände ab, bevor ich nochmals eine Flasche anrühre“
Er rieb sich seine roten geschwollenen Augen, stand auf und suchte in der Küche nach einen Aspirin.
Sprudelnd zersetzte sich die Tablette im Wasser und löste sich auf.
Sogar das dabei entstehende Geräusch war ihm zu laut und verursachte ihm Kopfschmerzen.
Er ging mit dem Glas ins Wohnzimmer, setzte sich nieder und lehrte den Inhalt in einem Zug.
Als er das Glas auf den Tisch stellte sah er das linierte A4 Blatt.
Er nahm es an sich und las: „Mein Abschied an euch 16.01.2002“
„Was ist denn jetzt los? Bin ich jetzt total verrückt geworden?“ Er wollte das Papier schon zerknüllen und wegwerfen da sagte er: „Nein, diesen Schwachsinn bewahre ich auf und hänge ihn zur Abschreckung in die Bar.“
In der nächsten Woche verlief wieder alles einigermaßen. zumindest nach außen hin, in geregelten Bahnen.


Das Freizeichen erklang. Gerhard wartete schon ungeduldig bis der Teilnehmer auf der anderen Seite endlich abhob.

>Madreiter<
„Hallo Max! Wie sieht`s aus mit meinem Geld?“
>Ich habe dir doch gesagt, daß das nicht so einfach ist. Außerdem hab ich dir ohnehin den Schmuck angeboten, aber den wolltest du ja nicht haben<
„Wenn der Schmuck sauber ist, dann kannst du ihn doch auch selbst verkaufen“
>Du gehst mir jetzt schon langsam auf die Nerven. Ich habe doch schon alle Hebel in Bewegung gesetzt, daß ich dir dein Geld ausbezahlen kann<
„Ja, ja ist schon gut, aber du hast ja keine Ahnung wie das ist. In den letzten Tagen habe ich kaum ein Auge zugetan weil mich dieser Scheiß so beschäftigt“
>Mach keinen Streß. Ich werde dich schon auszahlen. Du mußt dich nur ein wenig gedulden. Trink vor dem zu Bett gehen einfach ein Gläschen Wein, oder zwei, oder drei. Du wirst sehen das hilft<
„Nein danke, die Sache mit dem Alkohol habe ich schon hinter mir. So schnell rühr ich keinen Tropfen mehr an“
>Wieso<
„ Ich war so besoffen, daß ich am nächsten Tag neben meinem Abschiedsbrief aufgewacht bin“
>Das ist nicht dein Ernst? <
„Doch, vom Alkohol bin ich für die nächste Zeit geheilt. Zur Abschreckung hab ich mir den Abschiedsbrief in die Bar gehängt.“
>Mach bloß keine Dummheiten! <
„Nein, nein wegen des Geldes werde ich mich sicher nicht umbringen“
>Das will ich hoffen<
„Also gut ich ruf dich dann nächste Woche nochmals an“
>O.K. bis nächste Woche<
„ Bis nächste Woche“
Gerhard und Max legten den Hörer auf.
„Blödes Arschloch“
>Dummer Hund<

Gerhard musste sich ablenken und so beschloß er nach der Arbeit zu seinem Bauernhof zu fahren um den Umbau voranzutreiben.
Er war der festen Meinung, daß das eine gute Idee sei und ihm von seinen Problemen ablenken würde.
Als er so im Haus herumging und sich die Baustelle betrachtete überkam ihm die Wut.
In dieser verdammten Hütte hatte er auch schon so viel Geld investiert und ein Ende war noch lange nicht in Sicht.
Er fluchte vor sich hin und als er schließlich über den am Boden liegenden Vorschlaghammer stolperte wurde er so zornig, daß er ihn aufhob und mit aller Kraft gegen die nächst beste Wand schleuderte.
Es war die einzige Wand die er nicht umbauen wollte.
Sie mußte schon von dem vorigen Pächter aufgestellt worden sein.
Eine Ziegelwand mit einem sauber gearbeiteten Rundbogen in dem eine griechische Götterfigur eingemauert war.
Schon als er den Hammer losließ ahnte er, wo das Geschoß einschlagen würde.
Die Figur zerbarst wie bei einer Explosion. Scherben und Splitter flogen durch den Raum.
Gerry stampfte mit dem Fuß auf und ließ sich zu Boden fallen.
Er saß eine weile auf dem kalten Boden und vergrub das Gesicht in seinen Händen.
Er wußte nicht recht ob er weinen oder lachen sollte. Zu grotesk war das ganze schon.
Gerhard stand wieder auf. Heute war anscheinend doch kein so guter Tag um zu arbeiten.
Er wollte nur noch schnell die Scherben wegkehren da entdeckte er es.
Zwischen den Scherben lag eine Compact Disc Hülle.
Er hob das Kunststoffteil auf und las: Multispeed 80 700 MB
Woher kam dieses Ding plötzlich?
War die CD irgendwann hinter die Statue gerutscht, oder hatte sie sogar jemand absichtlich dahinter versteckt?
Er öffnete das Cover und las was auf der CD mit schwarzem Stift geschrieben stand.

Mad.Max

Er konnte sich keinen Reim auf das Ganze machen, nur so viel ahnte er schon, daß es sich hier kaum um eine DVD über den gleichnamigen Film handeln würde.







Kapitel 4


Perspektiven



Gerhard saß vor seinem PC und wartete ungeduldig bis sich das Startbild endlich fertig aufgebaut hatte.
Der Firmencomputer war ein sehr leistungsstarker Rechner, trotzdem erschien es ihm, als würde heute eine kleine Ewigkeit vergehen, bevor das Gerät endlich startklar war.
„Endlich“ stöhnte er, denn die Sanduhr verschwand vom Bildschirm. Er legte die CD in das Laufwerk.
Der kleine weiße Pfeil flog über die Bildfläche.
Arbeitsplatz-Laufwerk D- Öffnen… und jedesmal ertönte eine leises Klicken.
„Vier Objekte, Pläne, Adressen, Konto, Filme“, konnte Gerhard am Bildschirm lesen.
Gerhard konnte sich noch immer keinen Reim machen und klickte auf die Datei „Pläne“
Wieder begann der Computer zu arbeiten.
Gerhard war erstaunt was er sah, aber noch viel mehr überrascht war er als er die letzte Datei „Filme“ öffnete.
Über eine Stunde saß Gerhard schon vor dem Telefon.
Einige male hatte er die Nummer schon gewählt, aber anschließend gleich wieder aufgelegt.
Er wußte genau was er wollte, aber er hatte keine Ahnung wie er es sagen sollte.
Gerry wand sich wieder dem Bildschirm zu und klickte „Track 3“ an.
Hier konnte man es ganz genau sehen.
Er erkannte sogar das Mädchen. Es arbeitete sogar heute noch dort.
Aber bei diesem Videofilm konnte man etwas mehr von der Einrichtung erkennen.
Gerry konnte sich noch ganz genau erinnern, als ihn damals der stolze Besitzer durch die Räumlichkeiten führte und ihm jedes Zimmer zeigte.
Für ihn war das zu diesem Zeitpunkt alles Neuland und so merkte er sich sogar das geschmacklose Muster der Bodenfliesen in jenem speziellen Zimmer.
Am besten blieb ihm jedoch dieses seltsam geformte Cromrohrbett mit den Ketten und Handschellen und den Gummimatratzen in Erinnerung.
„Für unsere ganz speziellen Kunden“ sagte damals Max und erklärte Gerry die Einrichtungsgegenstände ganz genau, daß es hier auch eine versteckte Kamera gab, davon hatte er kein Wort erwähnt. Davon wußte sicher auch der Nationalratsabgeordnete Dr. Helmut Gintenbichler nichts, als er sich hier in Latexwäsche gehüllt, von der Nutte von oben bis unten anpinkeln lies.
Gerhard zog die Mundwinkel nach unten und ihm ekelte als er die Bilder sah.
Sex war eine wunderbare Sache, aber für solche Praktiken konnte er sich nicht erwärmen.
Den meisten anderen Menschen ging es genauso und so zahlte der Nationalratsabgeordneten fünhunderttausend Schilling dafür, daß keiner etwas davon erfahren sollte.
Zumindest deutete alles darauf hin, denn am Ende der aufgezeichneten Schweinerei stand ein Vermerk: 500.000, -- von Dr. H.G. (Ferkel) 15.05.1999 erhalten.
Alle Aufzeichnungen, Notizen und Videofilme erstreckten sich zeitlich bis ins Monat Juli 1999.
Gerhard wurden die Zusammenhänge jetzt langsam klar.
Der letzte Pächter des Bauernhofes hatte anscheinend für Max gearbeitet und die CD hinter der Statue verloren oder sogar bewußt versteckt.
Aber das war jetzt alles egal.
Die Tatsache, daß Gerry jetzt im Besitz dieser Aufzeichnung war, könnte Vor aber auch Nachteile in sich bergen.
Diese Situation gefiel ihm überhaupt nicht.
Einerseits hielt er bis jetzt Max für einen ganz gewöhnlichen Geschäftsmann, dessen Buissnes eben das Geschäft mit der käuflichen Liebe war.
Das sein Freund sonst noch irgendwelchen anderen kriminellen Aktivitäten nachkommen könnte, war ihm nie in den Sinn gekommen.
Andererseits bewies diese CD total das Gegenteil.
Er war sich sicher, daß Max sein Freund war, aber wollte er wirklich einen Freund haben, der möglicherweise in Raub, Diebstahl, Einbruch, Erpressung und wer weis in was sonst noch alles, verwickelt war?
Im Grunde wollte er einen solchen Menschen nicht zum Freund haben, also wäre das ein Fall für die Polizei.
Oder sollte er Max wenigstens die Chance geben, zu diesen Anschuldigungen Stellung zu nehmen? Vielleicht hat Max mit der ganzen Sache gar nichts zu tun und einer seiner Leute hatte da die Finger im Spiel und „Mad Max“ hat überhaupt nichts zu bedeuten, denn schließlich hieß das Puff früher Maxime.
Gerhard war sich sicher, daß es am klügsten wäre die Polizei zu verständigen.
Er nahm den Hörer wieder in die Hand und drückte die Wahlwiederholungstaste.
Das akustische Signal der Ziffern piepste in schneller Reihenfolge, im Anschluß darauf herrschte lang Stille.
Endlich, das Freizeichen erklang.
Es läutete ungewöhnlich lange und Gerhard wollte schon wieder auflegen als doch endlich abgehoben wurde.
Die Stimme auf der Anderen Seite meldete sich:
>Madreiter<


Kapitel 5


Telefonate




>Madreiter< wiederholte Max nochmals ungeduldig.
Gerhard schluckte und er brachte kein Wort heraus.
>Haaallooo< sang Max jetzt geradezu in das Telefon
„Entschuldige Max ich war gerade abgelenkt“ stotterte Gerhard.
Max erkannte die Stimme sofort und er fragte:
>Hallo Gerry, was ist los mit dir? Du hörst dich so seltsam an. <
„ Ja, mir geht’s nicht so gut. Ich habe eine ordentliche Verkühlung abbekommen“, antwortete Gerhard und schneuzte sich laut.
>He, das klingt ja wie eine Mischung aus Elefant und Niagara Fälle< scherzte Max.
„Du hättest mich erst vorige Woche hören sollen“ erwiderte Gerry.
>Und, was gibt’s sonst neues? <
„Nichts, ich wollte mich nur einmal kurz melden. Ich hoffe ich störe dich nicht.“
>Natürlich nicht, für einen Freund hab ich immer Zeit<
Es folgte eine kleine Pause und schließlich begann Gerhard:
„Ich muß dich einmal etwas Blödes fragen“
>Bin nichts anders gewohnt von dir< neckte Max und lachte
>Um was geht’s? <
Gerhard nahm jetzt allen Mut zusammen und begann mit seinen voreinstudierten Fragen:
„Seit wann gehört dir eigentlich das Discovery?“
>Hmm, im Sommer 1999 glaube ich habe ich es übernommen<
„Und vorher?“
>Vorher hieß es Maxime und ich war nur fünfzig Prozent Teilhaber<
>Aber warum willst du das alles wissen? <
„Hab noch ein wenig Geduld, ich komme noch auf den Punkt“
In Gerhards Hirn arbeitete es fieberhaft.
Im Sommer 99 hat er es erst übernommen und vorher hatte er einen Partner. Das würde alles wunderbar passen. Ich habe es doch geahnt. Max hat mit der ganzen, schmutzigen Sache vermutlich gar nichts am Hut. Nur noch ein paar Fragen um ganz sicher zu gehen.

„Was macht dein Partner jetzt?“
>Der hatte ein paar üble Geschäfte laufen und sich mit den falschen Leuten angelegt. Das hat ihm am Ende das Leben gekostet.
Soweit ich mich erinnere, hat man seine Leiche sogar damals irgendwo in deiner Gegend gefunden<
Für Gerry waren jetzt alle Vorurteile vom Tisch. Beinahe hätte er seinem Freund Unrecht getan.
„Dein Expartner war anscheinend der Vorpächter meines Bauernhofes“
>Wie kommst du darauf? <
„Naja, der Pächter, der vor mir das Gehöft hatte, wurde damals im Keller des Hauses tot aufgefunden und er stammte aus dem Rotlichtmilieu.“
>Da sieht man wieder wie klein die Welt ist, aber davon hast du mir nie etwas erzählt, warum jetzt? <
„Ich machs kurz. Ich habe durch Zufall eine Compact Disc in diesem Haus gefunden mit allerhand belastenden Aufzeichnungen.“
Der ansonst ruhige Tonfall von Max änderte sich je und eine Maschienengewehrsalve an Fragen folgte
>Was hast du gefunden? Hast du dir die CD schon angeschaut? Welche Aufzeichnungen sind da drauf? Was hat das Ganze mit mir zu tun? Warum ist es belastendes Material? <
Gerhard war überrascht über Max ungewohnt unruhige Art.
So kannte er ihn gar nicht. Anscheinend hatte er doch ein schlechtes Gewissen.
Irgendwie auch logisch. Auch wenn er nichts mit diesen schmutzigen Geschäften zu tun hatte, so würde das doch ein schiefes Licht auf ihn werfen, denn schließlich war er damals ein fünfzig Prozent Partner.
Möglicherweise würde dieses schlechte Gewissen Max ein wenig mehr dazu motivieren das Geld für Gerhard aufzutreiben und so sagte er:
„Jetzt beruhige dich wieder. Ich habe mir das Ganze nicht so genau angesehen und bin auch nicht so interessiert daran. Ich kann dir nur so viel sagen, daß dein Partner anscheinend Videoaufzeichnungen gemacht hat und dem Anschein nach damit seine Kunden erpreßt hat. Aber du kannst das Ding gerne haben“
Gerhard machte eine kleine Pause und dann fügte er an:
„Am Besten nimmst du die CD mit, wenn du mir mein Geld vorbei bringst.
Du kannst dir das Ding dann selbst ansehen oder sonst etwas damit machen.“
Wieder herrschte kurze Stille in der Leitung schließlich meldete sich nochmals Max zu Wort aber diesmal im gewohnten ruhigen Tonfall:
>Mir egal, mach mit dem Teil was du für richtig hältst, aber wo wir gerade davon sprechen, ich fahre nächste Woche Freitag nach Wien und so wies aussieht, kann ich dir schon beim heimfahren dein Geld vorbeibringen<
Gerry war außer sich vor Freude über diese positive Nachricht und jubelte:
„Was? Wirklich?“
>Ja, ich habe da einen Freund in Wien und der ist mir noch etwas schuldig. Ich habe erst heute mit ihm telefoniert und wie es scheint, kann ich dir Freitagabend das Geld inklusive Zinsen zurückgeben<
„Ich wußte, daß auf dich Verlaß ist“
>Man tut was man kann, aber jetzt muß ich leider aufhören, denn ich muß noch einige Dinge erledigen<
„Alles klar. Also, bis Freitag“
>Bis Freitag. Ich rufe dich vorher noch an<
Die Beiden beendeten ihr Gespräch.

Gerhard lehnte sich entspannt in seinem Bürosessel zurück und rieb sich die Hände. Seine Augen leuchteten vor lauter Freude. Mit dem Geld von Max hätte er jetzt die fehlende Summe für einen Ausgleich und den damit verbundenen Kosten zusammen. Eine riesen Last fiel von seinen Schultern und er sagte:
„Endlich wieder Land in Sicht und bald wieder festen Boden unter den Füßen.“




Telefonat vom 12.02.2002 14Uhr25


Kaum hatte er die Nummer fertig gewählt, hebte der Teilnehmer auf der andern Seite schon ab.

>Ja, bitte? <
„Hallo Little!“

Gerhard sagte ständig Little zu seinem kleineren Bruder. Das lag daran, daß sein Bruder Joe hieß und nachdem sie als Kinder Bonanza gesehen hatten hieß er nur noch little Joe oder eben nur Little. Außerdem war Joe um mindesten einen Kopf kleiner als er. Joe störte das nicht. Er liebte seinen großen Bruder und war immer sehr stolz auf ihn. Es gehörte auch eine ganze Menge Mut dazu, eine eigene Firma aufzumachen.
Joe eiferte seinem großen Bruder in vielen Dingen nach. Er hatte zwar die bessere Schulbildung, aber nachdem er zu faul zum Lernen war, begann er eine Lehre im gleichen Betrieb in dem sein großer Bruder damals arbeitete.
Gerhard war vier Jahre älter und so kam es, daß der Kleine sein Lehrling wurde.
Das war alles andere als ein Zuckerschlecken, denn Gerry wollte seinen Bruder nicht bevorzugen und war mit ihm besonders streng.
Joe wollte seinen Bruder wiederum nicht enttäuschen und gab sich daher besonders Mühe. Die Beiden waren das beste Team, das der alte Meister je in seiner Firma hatte.
Joe lernte von seinem Bruder so viel, daß er schließlich im zweiten Lehrjahr schon selbständig arbeitete und einen eigenen Lehrling bekam.
Gerhard war sehr stolz auf seinen kleinen Bruder und sogar lange nachdem, sich ihre beruflichen und privaten Wege getrennt hatten, blieben die Beiden in sporadischen aber herzlichen Kontakt miteinander.

>Hallo Hardy< Hardy war Joe`s Kosename für seinen Bruder
>Eine Stunde dauert bei dir aber verdammt lange, auf meiner Seite der Erdkugel ist in der Zwischenzeit ein ganzer Tag vergangen und dabei liegen wir nur vierzig Kilometer Luftlinie auseinander<
„Ja, tut mir leid. Es ist mir gestern nach deinem Anruf etwas dazwischen gekommen und dann habe ich ganz vergessen dich zurück zu rufen.“
> Unser Schwesterchen hat mir erzählt, daß du krank bist? <
„Ja, ich hatte eine Grippe, aber jetzt geht es schon wieder“
Im Hintergrund hörte Joe ein ständiges, porzelanähnliches, Geklapper und so fragte er:
>Was treibst du denn gerade? Wäscht du Geschirr ab? <
Gerhard grinste und klapperte jetzt absichtlich laut.
„Nein, ich habe gerade bei meinem Kachelofen herumgebastelt und ein paar Fliesen ausgebessert.“
>War denn irgendetwas kaputt? <
„Nein, ich habe ihn bloß nie ganz fertig gemacht. Ich will jetzt im Haus so und so alles herrichten. Nach der Scheidung habe ich ja das Schlafzimmer ins Wohnzimmer verlegt um nicht im ganzen Haus putzen zu müssen.
Aber jetzt möchte ich das Schlafzimmer und das Kinderzimmer wieder neu herrichten.“
>Warum denn das? < fragte Joe verwundert.
Gerhard lachte wieder und er antwortet in einem sehr fröhlichen Tonfall:
„Es sieht so aus, als würde ich mit Brigitte zusammen ziehen.“
Little war überrascht über das was er hörte und er antwortete:
>Jetzt hör aber auf. Du und eine feste Beziehung, daß kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. <
„Da staunst du, was? Um die Wahrheit zu sagen, es ist sogar schon beschlossene Sache, daß Gitti bei mir einzieht.“
>Unvorstellbar. Wirst du jetzt womöglich sogar treu und heiratest und kriegst Kinder? <
„Nichts ist ausgeschlossen. Ich habe in den letzten Jahren so viele Frauen gehabt, mich interessiert diese Herunhurerei nicht mehr.“
>Die Frau muß ja wirklich etwas Besonderes haben. <
„Das hat sie sicher. Ich bin mir zum erstenmal im Leben sicher, daß ich mit dieser Frau alt werden möchte.“
>Ich pack es einfach nicht. Diese Brigitte muß ich unbedingt kennenlernen. Das ich von dir einmal so etwas hören würde. Unglaublich. Seit wann kennst du dieses Zauberwesen den? <
„Seit mehr als einem Jahr, aber wir waren in der Zwischenzeit ein halbes Jahr getrennt. Irgendein dummes Weib in ihrem Freundeskreis hat ihr erzählt, daß ich sie betrogen hätte und da sind wir wieder auseinander gekommen.
Aber ich kann dir wirklich schwören, daß da nichts war.
In der Zwischenzeit, in dem halben Jahr, da habe ich mich ausgetobt.
In der Zeit in der wir getrennt waren da hatte ich sicher über vierzig Frauen und da ist es mir erst so richtig bewußt geworden, wie sehr ich Brigitte liebe“

Gerhard erzählte noch lange von dem Problem, daß auch noch jetzt, nach ihrer Versöhnung, ständig eine Freundin von ihr versucht einen Keil zwischen sie zu bringen. Auf alle Fälle war da jemand der ihr andauernd den Floh ins Ohr setzte, daß er sie Betrügen würde, aber das würde er jetzt sicher nie mehr machen.
Joe hörte geduldig zu und versuchte sich vorzustellen, wie sein Bruder mit Frau und Kinderwagen spazieren ginge.
Er hörte sich früher auch immer voller Bewunderung seine Frauengeschichten an, aber die Vorstellung seinen Bruder als braven Familienvater zu sehen gefiel ihm im Zeitalter von Aids weit besser.

„Kommt uns doch einfach besuchen. Ich würde mich freuen und dann kanst du gleich Brigitte kennenlernen. Ach, ja und außerdem habe ich da noch etwas für dich.“
>Was hast du denn für mich? <
„Ich habe mir einen neuen CD-Player fürs Auto gekauft, weil der Alte nicht mehr so richtig wollte. Es kann aber nichts Gravierendes kaputt sein. Du hast doch schon öfters solche Sachen repariert. Wenn du ihn wieder zum Laufen bringst gehört er dir.“
Joe sah auf die Uhr. Es war schon über eine halbe Stunde vergangen.
>He es ist schon fast Drei. Ich muß jetzt leider aufhören, den wir wollen mit unserem Kleinen zum Kinderfasching, Ich rufe dich aber garantiert zurück. <
„Mach das, ich freue mich schon. Grüß dein Weibchen von mir“
>Du deines auch. Tschüs. <
„Tschüs“


Telefonat vom 14.02.2002 15Uhr00
Joe ruft bei seinen Eltern an



„Hallo Mama, seid ihr zu Hause?“
>Ja, du kannst ruhig vorbeikommen. Es gibt sensationelle Neuigkeiten. <
„So? was ist denn passiert?“
>Stell dir vor Gerhard war heute Vormittag bei uns und er hat uns erzählt, daß er sich gestern Verlobt hat!“<
„Was? Wirklich?“
>Ja, echt, aber komm einfach rüber, dann erzähle ich dir alles ganz genau. <
„OK, bis später“
>Bis später. <




Kapitel 6

Olympische Rekordzeit 16.02.2002 ca. 17Uhr



„Jawohl!, das müsste reichen! Eberharter führt nach dem ersten Durchgang mit fast einer halben Sekunde Vorsprung“, jubelte der Fernsehsprecher.
Die vier Beamten freuten sich bei diesen Worten, als würden sie selbst um eine goldene Medaille kämpfen.
Sie saßen seit einer Woche schon nahezu täglich in dem kleinen Hinterzimmer und verfolgten die Olympiade. Unerwartet läutete das Telefon.
„Gut, daß den Herbert, Sport so überhaupt nicht interessiert. Sonst würde gar keiner am Telefon sitzen“, scherzte einer der Gendarmen.
Nach einigen Minuten betrat plötzlich ein weiterer Gendarm das Zimmer und sagte: „Zwei von Euch müssen in die Berlinerstraße 75, da hat sich einer Aufgehängt. Ihr solltet euch beeilen, dann seid ihr rechtzeitig zum zweiten Durchgang wieder da.“
Widerwillig verließen zwei Beamte den Raum und fuhren rasch zu der angegebenen Adresse. Wenn sie nicht zuviel versäumen wollten, sollten sie in einer Stunde wieder zurück sein.
Distriktarzt und Bestattung waren schon verständigt.
Es war für alle Beteiligten nicht der erste Selbstmörder und die Sache war rasch abgehandelt.
Das der Tote mit zwei Seilen sich aufgehängt hatte war anscheinend nichts außergewöhnliches. Der Lebensmüde wollte anscheinend auf Nummer sicher gehen. Dass die Knoten der beiden Schlingen sich vorne unter dem Kinn befanden, störte auch keinen. Vermutlich waren sie bei dem Ruck, als das Genick brach nach vor verrutscht.
Aber es war so und so alles klar, denn schließlich wurde ein Abschiedsbrief gefunden.
Der Brief war sehr wirr geschrieben, sogar das Datum war vom 16.01.2002 mit rotem Stift auf 15.02.2002 ausgebessert. Diese Tatsache deutete aber nur darauf hin, daß der Mann offensichtlich schon früher einmal Suizide begehen wollte.
Die Zeilen im Abschiedsbrief in denen der Selbstmord mit dem Auto angekündigt wurde, überlasen alle oder wurde einfach nur ignoriert.

Der Amtsarzt war gerade dabei den Totenschein auszufüllen.
Zeitpunkt des Todes: Freitag der 15.02.2002 Uhrzeit: zwischen 18.00 –22.00Uhr
„Wie hieß der Mann“, fragte der Arzt den Beamten.
„Schmidt, Schmidt Gerhard“ antwortete der Uniformierte und verließ nach getaner Arbeit in Olympischer Rekordzeit den Tatort.
Der zweite Durchgang würde gleich beginnen.


Der Schluss



Joe betrat nur widerwillig das Haus. Im Stiegenhaus lag noch das weiße, zusammen geknüllte, Leintuch mit dem man anscheinend den toten Körper seines Bruders zugedeckt hatte. Daneben ein Paar gebrauchter Latexhandschuhe.
Vermutlich nach der Untersuchung des Toten einfach abgesteift und achtlos auf den Boden geworfen.
Little mußte tief durchatmen um nicht in Tränen auszubrechen.
Er hätte sich gerne diesen Anblick erspart. Um den Pfeiler im Obergeschoß war noch das Seil gewickelt. Das eingeschlagene Fenster im Erdgeschoß war nur notdürftig verschlossen und es zog. Die zwei abgeschnittenen Enden des Strickes baumelten in der Zugluft träge hin und her.
Joe schluckte, aber er mußte die Treppe hinauf gehen, um Kleider für die Bestattung seines Bruders zu holen.
Es gehörte sich einfach, daß der Tote in schönen, sauberen Kleidern bestattet würde.
„Warum hat er das nur gemacht?“ fragte er sich heute sicher schon zum hundertsten male.
Er hatte keine Antwort.
Keiner hatte eine Antwort auf diese Frage.
Joe stand vor dem geöffneten Kasten und nahm eine schwarze Bundfaltenhose vom Kleiderbügel.
Im Regal oberhalb lagen die Hemden.
Auf dem Stoß mit dem weißen Hemd lag ein Autoradio.
Er schüttelte den Kopf und dachte: Ein seltsamer Ort um einen defekten CD-Player auf zu bewahren.
Er legte das Gerät zur Seite und steckte das Hemd in den mitgebrachten Sack.
Joe erinnerte sich an sein letztes Gespräch mit seinem Bruder.
So viele Träume und Pläne hatte Hardy und plötzlich hängt er sich auf.
Joe verstand die Welt nicht mehr.
Er wollte sich schon umdrehen, da erinnerte er sich daran, daß er den CD-Spieler reparieren sollte.
Mit zitternden Händen ergriff er das Gerät und steckte es ebenfalls in den Plastiksack.

Die Familie hatte noch sehr viel Arbeit mit dem Tod von Gerhard.
Die ganzen Behödenwege, Termine bei dem ehemaligen Rechtsanwalt, sowie der Steuerberaterin von Gerhard. Termine beim Notar und vieles mehr.
Fast drei Wochen Lag der CD-Player unbeachtet im Keller von Joe, bevor er sich entschloß das Gerät ein zu bauen und ihn auf seine Funktion zu prüfen.
Als das Elektrogerät am Stromkreis angeschlossen war ertönte ein leises Summen und eine CD wurde ausgeworfen.

Joe schob die Scheibe wieder hinein und betätigte die „Play-Taste“
Das Gerät begann zu arbeiten.
Ein dumpfer Ton, gefolgt von einem grellen Pfeifen und anschließendes Rauschen war alles was aus den Lautsprechern erklang.

Joe zog die Scheibe wieder aus dem Schlitz und betrachtete den silbernen Tonträger.
Eine anscheinend Selbstgebrannte CD hielt er nun in den Händen.
Er las die mit schwarzem Stift, handgeschriebene Aufschrift:






„Mad.Max“

Innerhalb einer Nacht habe ich mir den ganzen Müll an Gerüchten und Vermutungen (leider auch sehr viele Tatsachen) rund um den mysteriösen Selbstmord meines Bruders von der Seele geschrieben.
Die Qualität der Geschichte begann zwar mit fortgeschrittener Stunde ein wenig zu leiden – mir ging’s danach aber besser
Joe Schmidt, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 27.09.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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