Germaine Adelt

Die Steuernummer

            Die Fanfaren der Tagesschau erschallten so laut, dass sie das Türklingeln fast überhörte. Für einen Moment spielte sie mit dem Gedanken, sich totzustellen. Die Nachrichten um 20.00 Uhr waren ihr heilig. Wenn ihr schon die um dreiviertel Sieben verwehrt worden waren, dann doch bitte nicht jetzt auch um diese Zeit. Es klingelte beharrlich weiter und in ihrem Kopf breiteten sich Horrorszenarien aus. Vielleicht brannte das Haus und es war die Feuerwehr. Vielleicht gab es einen Bombenalarm und alle mussten evakuiert werden. Mit der Ruhe war es vorbei und so riskierte sie einen Blick durch den Türspion.

            Als sie die Uniformen sah, schreckte sie zurück. Da stand die Polizei vor ihrer Tür, um diese Zeit, und wollte beharrlich zu ihr. Bedeuteten diese Jungs schon in ihrer Jugend nichts Gutes, zumal wenn man in Prenzlauer Berg aufwuchs, trugen sie für sie noch heute den Schrecken umher. Den Schrecken furchtbarer Nachrichten. Im Bruchteil von Sekunden ging sie alle durch, die als Angehörige galten, und rief sich in Erinnerung, wer von denen heute per Auto, Bus oder Bahn unterwegs gewesen war und damit potentiell verunglückt sein konnte. Ihr wollte niemand einfallen und gerade das machte ihr Angst. Ihre Hände fingen an zu zittern und das Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie musste eine Entscheidung treffen, und das schnell. Unter Garantie hatten sie ihren Blick durch den Spion bemerkt.

            „Momentchen“, flötete sie und versuchte ein Lächeln aufzusetzen.

            Erst als sie die Tür öffnete, sah sie, dass es nicht Polizisten im herkömmlichen Sinn waren, wenn auch die Uniformen, die sie trugen, sehr ähnlich aussahen.

            „Frau Clemens? Frau Sarah Clemens?“

            „Ja?“

            „Ihr Pass ist abgelaufen.“

            Für einen Moment sah sie die Herren erwartungsvoll an, als wolle sie die Pointe wirken lassen. „Das ist ein Scherz, oder?“

            Zielsicher blätterte der Ältere in seinen Akten: „Nein, ich glaube nicht.“

            Der Jüngere nickte anerkennend und für sie stand nun fest, diese Männer verstanden keinen Spaß.

            „Ihr Pass ist seit exakt drei Monaten und siebzehn Tagen abgelaufen.“

            „Möglich“, murmelte sie und dann fiel es ihr ein. Die Lehmann aus der Verwaltung, die hatte solch üble Scherze drauf. Doch dann konnte sie auf dem Formular ihre alte Personenkennzahl erkennen und die hatte selbst die Lehmann nie zu Gesicht bekommen. Es war also ernster als vermutet.

            „Wenn Sie wollen, können wir das gleich hier erledigen“, fuhr er fort.

            „Was erledigen?“

            „Die Abnahme ihrer Fingerabdrücke.“

            Wieder nickte der Jüngere und holte aus seiner Jackentasche ein Gerät, das aussah wie ein Taschenrechner.

            „Können Sie nicht!“, sagte sie entschlossen und verschränkte ihre Hände auf dem Rücken, auch wenn die Herrschaften nicht so aussahen, als wollten sie Gewalt anwenden.

            „Früher oder später brauchen Sie sowieso einen Pass“, erklärte der Ältere mit deutlich drohendem Unterton.

            „Glaub ich nicht“, beharrte sie. „Ich habe einen Personalausweis und wenn ich verreise, dann eben nur innerhalb der EU.“

            „Nun gut“, brummte der Ältere und holte eine Art Checkliste aus seinem Aktenkoffer. „Sie haben keine Kreditkarte, richtig? Und bezahlen fast immer bar.“

            „Eine mir lieb gewordene Angewohnheit aus alten Tagen.“

            „Sie habe keine dieser Kundenkarten, obwohl diese Ihnen Rabatt oder Zahlungserleichterungen bringen würden. Laut ihrer Krankenkasse konsultieren sie weder regelmäßig ihren Hausarzt noch einen Gynäkologen, von anderen Fachärzten ganz zu schweigen. Lediglich halbjährliche Zahnarztbesuche sind vermerkt.“

            Sie nickte nur, für den Moment hatte es ihr die Sprache verschlagen.

            „Im Zusammenhang damit, dass Sie nun auch keinen neuen Pass beantragen, also damit offensichtlich die biometrischen Daten verweigern, stehen Sie kurz davor als Gefährderin eingestuft zu werden. Und das wollen Sie doch nicht.“

            „Ich bin gefährdet? Warum?“

            „Gefährdend“, korrigierte der Jüngere. „Nicht gefährdet. Ein Begriff aus dem Innenministerium, entsprechend des Paragraphen 110a Strafprozessordnung.“

 

            Sie würde die Lehmann eigenhändig erdrosseln, gleich morgen früh. Denn real konnte das alles nicht sein. Langsam kamen bei ihr aggressive Tendenzen durch, zumal sich der Ton dieser Herrschaften merklich verschärft hatte.

            „Und wen gefährde ich?“, fragte sie gedehnt.

            „Lindauer“, stöhnte der Ältere, „erklären Sie es ihr.“

            Und Lindauer begann. „Als Gefährder werden in Deutschland im Rahmen der Gefahrenabwehr Personen bezeichnet, bei denen ‚bestimmte Tatsachen die Annahme der Polizeibehörden rechtfertigen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen‘ werden.“

            „Und das alles nur, weil ich keine Kreditkarte habe?“, fragte sie leise.

            „Auch“, erklärte der Ältere. „Es kommt vieles zusammen und nun sind Sie durch das Raster gefallen …“

            „Und nun?“, fragte sie trotzig, fest entschlossen, ihre Gewohnheiten nicht zu ändern.

            „Na ja“, sagte Lindauer. „Die einheitliche Steuernummer kommt und wenn Sie uns hierbei Ihren guten Willen signalisieren, könnten wir Sie von der Liste streichen.“

            „Ist doch albern“, beharrte sie. „Das geht doch automatisch über die Meldeämter.“

            „Wen interessiert es?“, murmelte der Ältere.

            „Und was ist so schlimm daran, Gefährderin zu sein?“, fragte sie keck.

            „Na ja, ich begehe keine Indiskretion, wenn ich Sie daran erinnere, dass im Ministerium festgelegt wurde, dass es Internierungslager geben wird. Lediglich der Standort steht noch nicht fest.“

            „Das ist jetzt aber ein Scherz“, lachte sie auf.

            Die Herren sahen Sie verständnislos an und Lindauer schüttelte fast mitleidig den Kopf. „Wir pflegen in solchen Dingen nie zu scherzen.“

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.08.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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