Doch dazu kam es erst
gar nicht. Ich war erst einige Stufen weit, als ich wie versteinert stehen
blieb. Ich konnte meinen Augen nicht glauben. Schnell schloss ich die Augen und
machte sie wieder auf. Es war also wirklich wahr. Meine Befürchtungen wurden zur
Wahrheit.
So schnell wie
möglich rannte ich die Treppe wieder hinunter, und stand wenige Sekunden später
vor meinen Kolleginnen. „Hast du etwa ein Gespenst gesehen?“, wollte Katrin
lachend wissen. „Sie liegt da oben auf einem Liegestuhl, ich habe es mit eigenen
Augen gesehen“, flüsterte ich aufgebracht. „Wer? Mutter Theresa?“, spottete
Sara. Ich musste mich erst einmal setzen. Mit allen Details erzählte ich den
beiden dann die ganze Geschichte von Christina, die mehrmals im Jahr genau hier
in diesem Hotel ihre Ferien verbringt, weil hier ihr angeblicher Lover
arbeitet, mit dem sie ihren Ehemann betrügt. Die beiden wurden ganz ruhig und
hörten mir bis zum Ende zu, ohne mich auch nur ein einziges mal zu
unterbrechen.
Saras Gesicht wurde
blass. „Jetzt verstehe ich, warum du dich so verfolgt geglaubt hast, als wir
den Hotelflur entlang gingen“ „Und sie liegt jetzt wirklich da oben?“, wollte
Katrin sich vergewissern. „Ja. Aber sie hat mich nicht gesehen“, gab ich zur
Antwort. „Liegt sie alleine dort?“, fragte sie weiter. „Was denkst du denn?
Natürlich nicht. Ich durfte soeben zusehen, wie sie einen gutaussehenden
Spanier küsste, der neben ihr lag. Ich kann das einfach nicht glauben“, sagte
ich den Tränen nahe.
Zurück im Zimmer warf
ich mich auf mein Bett. Die Tränen flossen. Ich fühlte mich irgendwie schuldig.
Schuldig gegenüber Marc, der jetzt alleine zu Hause sitzt, während ich im
warmen Süden beobachte, wie seine Frau ihn betrügt. Sara und Katrin versprachen
mir, dass wir uns von nichts und niemandem unsere Ferien ruinieren liessen.
Zum Abendessen gingen
wir nicht in den Speisesaal. „Wir wollten doch am Strand entlang laufen“,
meinte Sara. „Oh ja ich möchte auf keinen Fall in den Speisesaal, ich will ja
nicht schon wieder Christina mit ihrem Spanier sehen“, meinte ich energisch.
„Das dachten wir uns schon“, sagte Katrin und lachte mich an. „Danke! Auf euch
kann man sich verlassen“.
Irgendwo auf unserem
Weg am Strand entlang hielten wir bei einem Restaurant an und assen Pizza.
„Morgen..“ begann
Sara bereits Pläne zu schmieden „können wir ja etwas früher frühstücken gehen.
Die Turteltauben ziehen es sicher vor, morgens eher länger im Bett zu
verweilen, als schon zu frühstücken. Danach könnten wir uns ja irgendwo hier am
Strand hinlegen, statt am Hotelpool“ Katrin und ich sahen uns an und begannen
laut zu lachen. „Ach so, du denkst also, die ziehen es vor morgens noch
zusammen im Bett zu liegen“ spottete ich.
Am nächsten Morgen
befolgten wir Saras Plan und gingen früh in den Speisesaal zum frühstücken. Als
wir am Nachmittag am Strand lagen wollte Katrin wissen, was ich denn jetzt tun
werde. „Meinst du wegen Marc?“, wollte ich wissen. „Ich weiss nicht. Weißt du?
Ich kenne ihn so gut. Ich kann es ihm nicht sagen“ „Verstehe, aber mal ehrlich,
würdest du nicht liebend gerne den beiden einen Strich durch die Rechnung
machen?“, fragte sie. „Ich kann doch nicht...“ „und ob du kannst!“. „Christina
ist, oder sie war zumindest eine der wichtigsten Personen in meinem Leben. Ich
hätte ihr blind vertraut, und ich hätte nie gedacht, dass das alles wirklich
wahr ist, hätte ich es nicht mit meinen eigenen Augen gesehen“, sagte ich
nachdenklich.
Die folgenden Tage
haben wir Christina noch ein paar Mal gesehen. Es schockierte mich jedes mal
wieder von neuem, wie sie so etwas tun kann. Ein einziges mal musste Sara mich
aus der Situation retten, indem sie sich vor mich stellte, sodass Christina
mich die ganze Woche nicht ein einziges mal gesehen hat.
„Mit welchem Flugzeug
fliegen wir eigentlich zurück?“ wollte ich von Katrin wissen, während ich noch
die letzten Sachen in meinem Koffer verstaute. „Leider schon mit dem ersten
mach dem Mittagessen“, kam die Antwort.
Im Flugzeug machten ich und Sara darüber
Witze, wie sich Christina wohl von ihrem Spanier verabschiedete. „Bye Schatz,
und das du auch ja auf mich wartest. Ich bin bald wieder da, sofern es mein
Ehemann mir erlaubt“, sagte Sara mit einer Stimme, die sich wirklich ein
bisschen wie Christina anhörte. Ich konnte mir ein lautes Lachen nicht
verkneifen.
Katrin rief meinen
Namen, was wohl so viel heissen sollte wie „Bück dich!“ aber es war schon zu
spät. Eine hübsche, blonde Frau mit blauen Augen stieg ins Flugzeug ein und
lief an uns vorbei. Unsere Blicke trafen sich und sie blieb für einen kurzen
Moment neben uns stehen. Eine deutliche Röte stieg in ihrem Gesicht auf ; sie
lief schnell weiter und setzte sich einige Reihen vor uns. Es war Christina.
Ich verstummte für einige Sekunden, bevor ich mich wieder meinen Kolleginnen
zuwandte. „Warum die sich wohl so schämen muss?“, lachte ich. „Geschieht ihr
ganz recht“ Schnell wechselte ich das Gesprächsthema. Katrin, Sara und ich
amüsierten uns prächtig auf dem Heimflug und ich wagte während des ganzen Flugs
keinen einzigen Blick in Christinas Richtung.
Zu Hause verlor ich
in der Gegenwart Christinas nie auch nur ein einziges Wort über unseren
Spanienurlaub. Auch sie wagte es nie, ein Wort darüber zu verlieren. Wir
begegneten uns wie zuvor und Christina war für mich wieder der gleiche Mensch,
wie sie es auch vorher war. Eine der wichtigsten Personen in meinem Leben.