Hartmut Pollack

Marlon spielt Worms

 
 
Marlon und die Würmer
 
Marlon steht morgens in angemessener Zeit auf. Dies bedeutet, man kann bis gegen zehn Uhr ruhig schlafen.
Gemeinsames Frühstück ist die Regel. Der Kaffee ist den Erwachsenen vorbehalten. Der kleine Herrscher bekommt nach Wunsch gereicht. Heute ist es Apfelsaft.
„Der Orangensaft schmeckt irgendwie bitter,“ war sein Kurzkommentar und damit war die Sache entschieden. Tee, igitt, Früchtetee, nein danke. Es bleibt bei Apfelsaft.
Nutella schmiert ihm Oma aufs Brot, pardon aufs halbe Mohnbrötchen.
„Morgen will ich mal die andere Hälfte vom Brötchen haben,“ bestimmt Marlon.
„Ist gut, mein Junge,“ erwidert Oma.
Währenddessen schmiert sich der erwachsene Mann im Haus ein Brot mit Käse. Seine Tasse voll Kaffee nimmt er schweigend, aber genussvoll zu sich. Seine Augen beobachten, seine Ohren stehen auf Empfang.
Marlon hat seinen ersten Hunger gestillt, den Rest des angebissenen Brötchens lässt er liegen und will den Tisch verlassen.
„Moment, hier bei uns wird aufgegessen, was man angefangen hat. Den Tisch verlassen wir erst, wenn alle fertig sind!“
Erstaunte Augen sind die Antwort. Ein Blick zur Oma folgt. Sie nickt leider. Damit ist diese Sache entschieden.
Marlon knurrt innerlich, aber er fügt sich. Der Rest des Brötchens wird langsam verzehrt.
Damit scheint die Sache für ihn erledigt. Er will wieder hoch.
„Oma, kann ich jetzt Worms anmachen und spielen?“
„Erst noch die Hände waschen und Zähne putzen. Doch ein wenig musst du noch warten. Wir sind noch nicht fertig.“
„Esst doch mal ein bisschen schneller,“ seine Stimme.
Wir sind in der Tat schnell fertig und er springt auf.
„Erst zur Toilette, Marlon,“ hält ihn Omas Stimme auf.
„Ja,“ das klingt wie, ich werde geschlachtet oder gleich ziehen sie den Strick zu. Helle Begeisterung ist das nicht.
Blitzwäsche und Blitzzahnputz, na gut. Besser so als gar nichts, denkt Karin.
„Oma, ich geh mal an das Notebook,“ sagt die Kinderstimme. Absolut sicher beherrscht er diesen Fachausdruck.
„In Ordnung, aber nachher wollen wir noch etwas unternehmen,“ erwidert Oma.
„Klar doch!“
Marlon versinkt im Computerspiel Worms.
Worms wird für ihn das PC-Spiel für seinen Aufenthalt bei Oma. Die beiden Erwachsenen hatten einen Jungen aus der Nachbarschaft gebeten, für Marlon ein kindgerechtes Spiel zu besorgen oder es uns für die Besuchszeit auszuleihen. Phillip, ein zehnjähriger Junge, meint Worms, auf Deutsch die Würmer, wäre für Kinder ab sechs Jahren empfohlen. Also brachte er Worms mit und installierte das Spiel auf dem Notebook. Nachdem das Spiel auf dem Notebook installiert war, führte Phillip den kleinen Marlon in die Spielregeln ein und zeigte ihm das Spiel. Das war ein verhängnisvoller Fehler, was sich bald an Marlons Verhalten feststellen ließ.
Unser kleiner Besucher genoss es, mit den Würmern auf Jagd zu gehen, andere Würmer abzuschießen und immer neue Waffensysteme zu erhalten. Je größer die Vernichtung, je höher die Begeisterung bei Marlon.
In Situationen, bei denen er in Verlust-Stellung geriet hörten wir ihn richtig mitleiden.
„O nein, das darfst du nicht!“
„Na warte, ich schwöre Rache!“
„Ui, schnell weg von dort!“
„Peng, nun  hast du es, geschieht dir recht!“
Der kleine Junge ging in dem Computerspiel auf, er versetzte sich fast realistisch in die Spielsituationen, er wurde zum Wurm.
Oma und ihr Lebensgefährte hielten dies anfangs für eine Beschäftigung des kleinen Besuchers, bei der er Freude empfand. Die Nebengeräusche des Computerspiels wurden allerdings mit der Zeit immer mehr als störend empfunden. Es herrschte der Krieg der Würmer in der Wohnung der Großmutter.
Marlon seinerseits sicherte sich sein Spielrecht mit einer großen Variantenbreite an Maultechniken ab. Er maulte schon, wenn er vormittags erst seine kurze Morgentoilette machen musste. Das empfand er fast schon als Zumutung.
Die Ruhe beim Frühstück war schnell vorbei. Marlon drängelte. Marlon fieberte zum Notebook hin. Die Würmer lockten.
Spaziergänge wurden mit dem Hinweis auf Bauchschmerzen abgelehnt. Diese Magenschmerzen verließen Marlon in dem Moment, wenn er auf dem Stuhl vor dem Notebook saß. Sein Eigenleben reduzierte sich mehr und mehr auf den Platz vor dem Worms-Spiel. Ermahnende Worte der Großmutter wurden schlichtweg ignoriert. Marlon wormste.
Die beiden Erwachsenen berieten Gegenstrategien. Gemeinsame Spaziergänge wurden zur Pflicht erklärt. Marlons Strategie dabei war eine ausdauernde Schweigsamkeit. Desinteresse als Waffe gegen Gemeinsamkeit.
Eines Tages setzte er der Gegenstrategie die Krone auf. Oma ging mit ihm gemeinsam los, er wollte unbedingt zurück, sie gab nach. Beide waren gerade mal zur Nachbarstraße gegangen, also ging Karin davon aus, dass er den Weg zurück schnell und sicher finden würde. Doch Marlon hatte auf eine Angststrategie gesetzt und war kurz danach verschwunden.
Er hatte sich allerdings übernommen. Bei seiner Großmutter kannte er sich nicht so sicher in der Umgebung aus und verlor bei seiner Bockigkeit den Überblick. Er wusste nach kurzer Zeit den Weg nicht mehr zurück.
Seine Oma Karin bat einige Nachbarjungen um Hilfe. Die empfanden die Suche nach einem kleinen Jungen als willkommene Abwechslung und suchten den Namen Marlon rufend die nähere Umgebung ab. Die Aufregung bei der Großmutter war allerdings sehr groß.
Endlich nach über zwei Stunden wurde Marlon in Begleitung einer älteren Frau gefunden. Er war bis zur Schnellstraße gegangen und hatte von dort nicht mehr zurück gewusst. Wie eine Beute führten ihn die beiden größeren Jungen zur Großmutter zurück.
Dort war die Freude groß. Allerdings war Oma Karin auch klar, dass Marlon eine Reaktion erhalten musste. Zur Strafe durfte er drei Tage kein Worms spielen. Es folgten drei Tage mit einem mürrischen Jungen, aber mit einer wunderbaren Ruhe im Hause.
Gespräche füllten die gemeinsamen Stunden. Oma las ihm Geschichten vor. Erste Versuche zur Förderung des Schulanfangs folgten. Aus der Sicht der Erwachsenen förderten sie das Enkelkind. Aus der Sicht des Kindes waren es drei Tage voller Strafe.
„Ich will bald wieder nach Hause,“ war Marlons Reaktion.
Telefonate mit seiner Mutter brachten die Einigung. In sieben Tagen sollte sein Besuch beendet werden.
Der Großmutter standen damit allerdings noch vier Tage voller Worms-Abenteuer bevor. Es war schon irritierend, wie sehr der sechsjährige Junge dem Computerspiel verfallen war. Seine Gesprächsbereitschaft war fast auf Null. Nur wenn das Ende des Spielens befohlen wurde, war er zur Geselligkeit bereit. Sein Leben als Junge, als Mensch reduzierte sich auf Spielpausen.
Seine Fähigkeiten im Spielen aber waren denen der Großmutter weit überlegen.
 
© pk 08 / 07
 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Hartmut Pollack).
Der Beitrag wurde von Hartmut Pollack auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.08.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

Bild von Hartmut Pollack

  Hartmut Pollack als Lieblingsautor markieren

Buch von Hartmut Pollack:

cover

Poetische Zungenküsse Erotische Gedichte und Zeichnungen von Hartmut Pollack



Die frechsten, anzüglichsten und erotischsten, Gedichte finden sich zwischen diesen beiden, Buchdeckeln, natürlich auch die zärtlichsten, voller Sehnsucht und Liebestiefe und – wer mag, darüber lächeln – manchmal ganz schön schmachtend. Voller Esprit aber nichts für Sittenwächter, das ist das, was die beiden Autoren da aufs Papier gebracht haben, und was ihr Künstler augenfällig und gekonnt begleitet. Poetisch, liebessüchtig und frivol, welchem Leser werden, da nicht alle Sinne wach, wenn ihm tausend Schmetterlinge, im Bauch zu kitzeln beginnen. Ein Buch zum gebrauchen, im wahrsten Sinne des Wortes.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Leben mit Kindern" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Hartmut Pollack

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Katerchen und Mieze von Hartmut Pollack (Tiergeschichten)
Glück macht reich von Karin Ernst (Leben mit Kindern)
Nazis, Stasi und andere verdiente Bürger von Norbert Wittke (Mensch kontra Mensch)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen