Eckert Hebel

Die Vernissage

Rea-Jane, die eigentlich mit richtigem Namen Renate Jeanette Kupferstecher hieß, war eine meiner Lieblingsfreundinnen. Ich bewunderte ihre Ausstrahlung, ihre Kreativität, ihre roten Haare und auch ihre Offenheit, mit der sie über Dinge sprechen konnte. Sie war die Künstlerin in meinem Freundeskreis und wollte mich per SMS einladen zu ihrer Vernissage in Prenzlberg.

Letztes Jahr war ich einmal mit ihr in Kreuzberg vegetarisch essen. Sie ernährt sich, wie ich wusste, immer sehr gesund, was man ihr, glaube ich, auch ansieht. Vegetarisches Essen ist eigentlich überhaupt nicht mein Ding. Da ich aber wusste, das sie es mag, bin ich mit ihr dorthin, zu diesem Inder. Was ich bekam, war eine Art kegelförmiger Termitenhügel aus Reis, in den ich versuchte, von oben in die Mitte ein Loch zu essen, und mich wunderte, das nichts herausgekrabbelt kam. Immerhin war danach ungefähr ein Zehntel vom Hügel abgetragen. Der Fehler war an dem Tag sicher auch, das ich vorher noch bei Burger-King vorbei geschaut hatte. Aber Essen war ohnehin in diesem Augenblick nicht der primäre Sinn der Aktion. Ich war vielmehr so fasziniert von Rea-Jane, dass ich alles mit ihr gemacht hätte.

An diesem Tag erzählte sie mir von dem Tantra-Seminar in Kreuzberg, das sie vor kurzem gemacht hatte. Ihre Schilderungen waren so aufregend und detailliert, dass ich eh nichts hätte essen können. Tantra sei ein spiritueller Weg, der die Kräfte der Sexualität auf dem Weg zur Erleuchtung mit einbezieht. Das Neo-Tantra, fuhr sie fort, vor allem der erotische Zweig, umfasse heute auch moderne Methoden der Befreiung des Eros. Der Orgasmus sei hier sozusagen ein spirituelles Erwachen. Ich schaute sie an und stellte mir bildlich vor, wie Rea-Jane und ein paar esoterische Typen sich nackt gegenüber saßen und versuchten, optimale Stellungen zu erreichen, damit das Licht der Erkenntnis quasi durch ihre Körper fließen könne. "Haben die Typen denn nicht auch einmal Lust auf mehr, also auf richtigen Sex?", fragte ich Rea-Jane in einem Augenblick, da sie ein Stück Tofu kaute. "Naja, schon", sagte sie mit halb vollem Mund den Blick vom Teller nach oben zu mir hin wendend. "Einige haben mich natürlich schon auch gefragt, ob ich wolle, was man in dem Moment ja auch sieht, aber ich wollte dann doch irgendwie nicht." Rea-Jane schien mir auch tatsächlich noch etwas freier geworden zu sein, was ich an dem Abend bei ihr zu Hause dann auch merkte, als sie mir das mit dem spirituellem Erwachen noch einmal näher erläuterte.

Das alles war nun schon wieder ein ganzes Jahr her. Ich schickte eine SMS zurück, in der ich meine Freude über ihre Einladung zur Vernissage zum Ausdruck brachte, und das es schön sei, das sie an mich gedacht hätte, und das ich sie lieb grüßen würde und gerne kommen würde.

Pünktlich um acht Uhr am Abend stand ich im Atelier in Prenzlberg, in das Rea-Jane geladen hatte. Das Atelier war im Erdgeschoss und bestand aus einem vorderen Raum mit einem großen Schaufenster und einem hinteren Raum. Beide Räume hatte Rea-Jane mit etwas Rotlicht ausgestrahlt und punkiger Hintergrundmusik beschallt. Sie sah mich, drückte mich und mir ein Glas Sekt in die Hand, verschwand dann aber sofort wieder zu einem schwarzhaarigen Typen in schwarzem Anzug. Das war nicht weiter schlimm, sah ich doch, das viele Freunde und Bekannte von mir hier waren. Die Welt ist doch klein, dachte ich. Der Hans, der Tschechen-Horst, die Heidi, selbst Tom, mein Fitnesstrainer und der Koch vom Edel waren da. So viele bekannte Gesichter hatte ich selten auf einmal gesehn.

Ich schlenderte langsam mit dem Glas Sekt in der Hand an den Wänden entlang und mir fiel auf, das es sich um Aktfotos handelte. Auf den meißten Fotos war Rea-Jane selbst in verschiedenen Posen und Gegenständen zu sehen, natürlich nackt. Ganz schön mutig, uns‘re Rea, dachte ich. Und, so ist sie halt, wa ? Aber bei dem diffusen Rotlicht waren einige Fotos nicht ganz so gut zu erkennen.

Die Gäste waren alle noch im vorderen Raum beschäftigt, drückten teils ihre Nasen dicht an die Fotos, als ich als erster den hinteren Raum betrat und mir ein Foto ganz hinten in der Ecke auffiel. Ich ging dichter heran, und dann noch dichter. Dann, in einer ungemütlichen Vorahnung, bekam ich eine Gänsehaut. War ich es doch dort auf dem Foto, zusammen mit Rea-Jane und ihren Kaninchen. Und das schlimme war, wir alle waren nackt. Ach du scheiße, dachte ich, wie kommst du aus dieser Nummer nun wieder raus. Das Bild trug den Titel "Später! Peter".

Der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schoß, war, vielleicht könnte ich die Glühlampe heraus drehen, das Rotlicht ausmachen. Dann wäre es so dunkel, das niemand mehr irgend etwas hätte erkennen können. Das war aber keine gute Idee. Rea-Jane würde sicher eine Ersatzlampe haben, vielleicht sogar noch eine weisse Hundert-Watt-Lampe, sodass man dann erst richtig alles hätte erkennen können. Oder sie hätte eine Taschenlampe organisiert.

Die Zeit wurde knapp und die Stimmen hinter mir etwas lauter.

Ich könnte das Bild einfach umdrehen, dachte ich. Das wäre natürlich besonders blöd gewesen, hätte es doch gerade die Aufmerksamkeit auf dieses Bild gelenkt, und es hätte jeder sofort gefragt, warum ausgerechnet dieses Bild umgedreht aufgehängt sei.

Hinter mir kamen die Stimmen immer näher.

Ich könnte mich auch den ganzen Abend quasi schützend vor das Bild stellen, hing es doch gar nicht einmal so hoch. Aber auch das würde irgendwann auffallen, und was wäre, wenn ich auf Klo gemusst hätte.

Ich musste also das Bild von der Wand nehmen, was ich dann auch unauffällig tat. Dann drehte ich mich um, um zu sehen, ob es jemand gemerkt hatte und sah, das hinter mir ungefähr die Hälfte der Bilder an der Wand entfernt waren.

In meinen Kurzgeschichten, die in Friedrichshain-Kreuzberg angesiedelt sind, erspürt mein Protagonist Peter Spätkauf die Hauptstadtstimmung und bewegt sich dabei von einer peinlichen Situation in die nächste. Mutig stellt er sich den Herausforderungen, die da kommen und agiert dabei naiv bis dämlich. Am Ende lässt er sich jedoch nie ganz aus der Bahn werfen.Eckert Hebel, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.08.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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