Niklas Honig

Weich wie Buddha

„Du, sag mal, schläfst du noch?"
„Hm?"
„Weißt du, dass ich schon zum dritten mal in kurzer Zeit den gleichen Traum hatte?"
„Ja?"
„Ja. Nicht genau den gleichen, aber vom Prinzip her ist er immer gleich."
„So?"
„Ja genau. Ich versuche, über Mittelamerika nach Südamerika zu gelangen. Mal zu Fuß, mal nimmt mich einer in seinem Jeep mit. Es passiert dabei nichts Interessantes, ich versuche einfach nur, dort hinzugelangen."
Verschlafen drehte sie sich zu mir herüber. „Und?" Mir war vollkommen klar, dass sie mir momentan bestenfalls 0,2% ihrer Aufmerksamkeit zur Verfügung stellte. Sie wusste, dass mehr gar nicht nötig war, um meinem Männerhirn die Illusion des Beachtetwerdens vorzuspiegeln. Weil ich aber wusste, dass sie das wusste, beschloss ich mich nicht zu ärgern und stellte der Zimmerdecke eine Frage:
„Was könnte das wohl bedeuten? Ich meine, ich war noch nie in dieser Gegend und es zieht mich auch gar nicht so sehr dorthin."
„Es ist wahrscheinlich nur ein Symbol für etwas. Was verbindest du denn mit Südamerika?"
Vor meinem geistigen Auge tanzten kolumbianische Göttinnen in gelben und hellblauen Bikinis Salsa.
„Weiß nicht. Nichts. Regenwald, Sting, Umweltverschmutzung."
„Quatsch. Verlass dich mehr auf dein Gefühl, was empfindest du bei dem Wort?"
Ich sah die Hintern von Brasilianerinnen an der Copacabana, ich sah die Augen des Mädchens aus der Bacardiwerbung, ich sah Gabriela Sabatini, Selma Hayek. Ich sah wieder an die Decke.
„Schwer zu sagen, wirklich. Vielleicht die Lebensweise der Menschen dort, die Art, wie sie Fußball spielen und so. Ich weiß nicht."
„Sei nicht so kopflastig. Sag einfach, was dir dazu einfällt, egal wie es klingt."

Hätte ich nur nicht damit angefangen. Um nicht irgendeine total bescheuerte Antwort zu geben, versuchte ich, wie sie zu denken, stellte mir vor, was ich mir vorstellen würde, wenn ich sie wäre. Da fielen mir plötzlich braungebrannte Männer mit perfekten Oberkörpern ein, die sich aus fünfzig Metern kopfüber ins Meer stürzten. Ausgeburten von Ästhetik und Schönheit, Don Juans und Liebhaber jenseits meiner Vorstellungskraft. Dann wurde ich eifersüchtig und dann ging alles ganz schnell. Ich spürte, wie in mir plötzlich eine Blase des Begreifens emporstieg, ein riesiger Tropfen geballter Erkenntnis über die fundamentalen Unterschiede zwischen Adam und Eva, es war als hielte mir jemand eine Kerze ins Hirn, plötzlich wurde es hell, die Weisheit war zum Greifen nah, alles wurde weich und begann zu fließen und gerade, als ich beinahe anfing zu verstehen, da knallte die Blase mit schierer Wucht an meine Schädeldecke, zerstob in einen Sprühregen von Millionen Einzelgedanken, nein! Neinbittenicht! Ein Berserker war ich, rannte hin und her, versuchte, wie bei einem Tetrisspiel die herabfallenden Bausteine wieder richtig zusammenzusetzen, nur nicht verlieren jetzt, bleib dran! Ein sinnloses Unterfangen. Game over. Sie haben verloren. Ich fühlte mich elend und leer und hatte auf einmal das dringende Bedürfnis, produktive Arbeiten auszuführen. Joggen, Keller aufräumen, von mir aus Autowaschen, scheißegal. Scheißsonntag. „Mir fällt nichts ein, ehrlich. Wahrscheinlich habe ich irgendwo einen Artikel darüber gelesen, das hat sich wohl in meinem Unterbewusstsein festgesetzt. Keine Ahnung, wirklich. Ich muss jetzt aufstehen." „Musstdugarnicht", murmelte sie und rückte ganz eng an mich heran, „du musst hier bleiben und mich vor den wilden Tieren des südamerikanischen Dschungels schützen."

Und wieder stieg eine Blase auf, eine ganz kleine nur, aber sie zerplatzte nicht. Golden schimmerte die neugeborene Weisheit in mir: Du wirst immer verlieren, denn du bist nur ein Mann. Und das ist gut so. Wie war das noch? Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder... Was für ein Sonntagmorgen!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.07.2001. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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