Jutta Wölk

Jamaika – Horrortrip und Traumurlaub

                        

 

Freunde von uns besaßen im Sonnenstaat Florida ein wunderschönes Haus. Ausgestattet mit Swimmingpool und Klimaanlage befand es sich in Lehigh Acres, einem ruhigen Vorort von Fort Myers an der Golfküste.

Die Gesamtheit ihrer Freunde war natürlich begeistert, wenn sie mitreisen durften. Auch mein Mann und ich gehörten zu den Glücklichen. Sonne und gut gelaunte Menschen gab es reichlich, soweit das Auge reichte.

 

Als wir das zweite Mal den langen Flug von zirka zehn Stunden hinter uns gebracht hatten, schlug uns die schwüle Hitze vor den Kopf. Es war Ende April und die Regenzeit hatte bereits begonnen. Um die Mittagszeit herum öffnete der Himmel seine Schleusen und ergoss anscheinend sämtliche Vorräte, die er besaß, auf dieses Fleckchen Erde. Bei einer Temperatur von etwa fünfunddreißig Grad war die Luftfeuchtigkeit so hoch, dass das Atmen schwer fiel. Während dieser Zeit hielten wir uns überwiegend im angenehm klimatisierten Haus auf. Der ganze Ort hielt Siesta und kaum ein Mensch ließ sich auf den Straßen blicken.

Meine Freundin Katrin, mein Ehemann Reinhard und ich saßen auf der Terrasse vor dem Pool, als deren Gatte Klaus dazukam und uns mit sorgenvoller Miene mitteilte, dass die Wettervorhersage für unsere Region schwere Unwetter voraussagte.

»Lasst uns einige Tage verschwinden und nach Miami fahren«, schlug er vor.

Dort gäbe es nur Sonnenschein und keinen Regen. Wir waren sofort dabei und packten rasch unsere Sachen zusammen, nur das Nötigste. Zweieinhalb Stunden später, am Nachmittag, checkten wir in einem Motel direkt am Strand von Miami Beach ein.

Anschließend besorgten wir uns Getränke und machten es uns im warmen Sand, mit Blick auf die schäumenden Wellen des Atlantiks, gemütlich. Danach überlegten wir gemeinsam, wie wir die nächsten Tage verbringen wollten. Klaus fuhr los und organisierte in einem Touristikshop allerlei Broschüren über Kurztrips jeder Art. Wir einigten uns schließlich auf eine dreitägige Schiffstour zu den Bahamas, mit einem Tag Landaufenthalt.

Für Reinhard und mich war es wie in einem Traum, wir saßen am Strand und würden schon morgen auf einem Dampfer Richtung Bahamas unterwegs sein.

Zu unserer Enttäuschung fiel dieser Trip jedoch aus. Traurig fanden wir uns damit ab. Aber Klaus wollte unbedingt etwas anderes erleben. Er flog mehrmals im Jahr dorthin, kannte schon die meisten Orte und beabsichtigte unbedingt neues Terrain zu erforschen.

Er fuhr also noch einmal los und kam mit einem Berg von Prospekten über die Karibikinsel Jamaika zurück. Klaus war ganz aus dem Häuschen und schwärmte nur so davon, wie toll es dort sein würde und geriet ins Schwärmen.

Mein Mann und ich waren skeptisch, unser Geldbeutel sah nicht so rosig aus und wir konnten uns einen so teuren Abstecher eigentlich nicht leisten.

»Dann machen wir es eben anders«, schlug Klaus vor, als wir es ihm mitteilten, »wir buchen nur den Flug, nehmen uns einen günstigen Leihwagen und irgendein billiges Motel, so könnte es gehen.«

Der Hin- und Rückflug betrug pro Person einhundertneunundneunzig Dollar, Mietfahrzeug und Pension würde sicher nicht die Welt kosten. Wir rechneten erneut nach und ließen uns überreden.

Dann ging alles blitzschnell. Die letzte Maschine an diesem Abend hob mit uns um neunzehn Uhr ab. Bis dahin blieb uns nur etwa eine Stunde. Voller Euphorie stürmten wir unser Zimmer, packten unsere Sachen wieder zusammen und verließen fluchtartig das Motel, ohne die bereits bezahlte Nacht je darin verbracht zu haben. Der Schlüssel war noch in meiner Handtasche, als wir knapp zwei Wochen später auf dem Weg zurück nach Deutschland waren.

Später mussten wir herzlich über unseren überstürzten Aufbruch lachen. Vier erwachsene Menschen hasteten durch den Terminal, mit teilweise blauen Müllsäcken voll mit Gepäck. Koffer hatte niemand von uns dabei, denn eigentlich wollten wir nur ein paar Tage am Strand genießen. Wir sahen ziemlich heruntergekommen aus. In letzter Sekunde erreichten wir die Maschine und stiegen in eine kleinere Mühle mit Zielankunft „Traumurlaub.“

Der Flug dauerte nur etwa eine Stunde. Als wir ausstiegen traute ich allerdings meinen Augen nicht, so hatte ich mir die Ankunft jedenfalls nicht vorgestellt. Der Flieger stand am Ende der Rollbahn, eine fahrbare Gangway wurde an den Ausstieg gelehnt und über diese gelangten wir auf die Landebahn. Den Weg zur Abfertigungshalle mussten wir zu Fuß zurücklegen, wobei es mir in der Magengegend immer mulmiger wurde. Wir sahen uns nur fragend an, keiner von uns sagte ein Wort.

Da Kingston die Hauptstadt von Jamaika ist, hatte ich mit einem riesigen Flughafen gerechnet. Stattdessen liefen wir auf eine Art Baracke zu. Das war alles Andere als eine stattliche An- und Abflughalle. Einfache flache Gebäude reihten sich aneinander. Vor einem von ihnen stand eine alte Holztribüne, auf der mehrere Insulaner saßen und die Ankömmlinge durch die große Glasfront anstarrten.

Ich kam mir vor wie bei einer Viehauktion, auf der wir genau betrachtet und begutachtet wurden. Die Einwohner beäugten uns merkwürdig. Vielleicht bildete ich mir das ja nur ein, obwohl die anderen das gleiche Gefühl hegten.

Nachdem wir den Zoll passiert hatten und ein Taxi bestellen wollten, bekam ich es mit der Angst zu tun. Ein Angestellter des Airports erklärte Klaus, der am besten Englisch verstehen und sprechen konnte, dass wir dort nicht einfach so, wie wir es bisher gewohnt waren, einen Wagen nehmen durften. Der Sicherheitsbeamte selbst würde das für uns erledigen und genau notieren, wohin uns der Mann bringen würde. Nur zu unserem Schutz, wie er betonte. Wir sahen uns entsetzt an und die gute Laune war abrupt vorbei. Der vorsichtige Mitarbeiter empfahl Klaus ein Hotel, dass seiner Meinung nach am sichersten wäre.

Es war bereits stockdunkel, als wir durch die Vororte von Jamaika chauffiert wurden. Stolz erklärte uns der Fahrer die Gegend und um welches Gebäude es sich handelte, während wir an einer maroden hässlichen Fabrik vorbeifuhren. In unseren Augen war die Umgebung alles andere als sehenswert.

Im Verlauf der Fahrt konnten wir kein weiteres Steinhaus ausmachen. Ringsherum befanden sich nur ärmliche Wellblechhütten. Davor saßen dunkelhäutige Menschen mit langen Haaren vor offenen Feuern. Sie hörten laut Reaggie und rauchten was auch immer. Auf jeden Fall stieg uns oft der Geruch von Haschisch in die Nase. Die Region wirkte so dürftig auf uns, und wir fühlten uns immer unbehaglicher.

Die Fahrbahnen waren sehr holperig und der Taxifahrer besaß einen dermaßen rasanten Fahrstil, sodass wir uns noch während der Fahrt vorsichtshalber anschnallten und uns verkrampf irgendwo festklammerten. Er fuhr wie ein Verrückter und hupte ständig. Die Leute sprangen hastig von den Straßen, ansonsten hätte er sie wahrscheinlich einfach umgefahren.

Nach schier unendlichen Minuten erreichten wir endlich, mitten in den Slums, unsere nette kleine Herberge. Mir verschlug es den Atem, als sich Fort Knox vor unseren Augen auftat, zumindest kam es mir so vor.

Das Hotelgebäude, mit seinen zwei Etagen, war von einem hohen metallenen Zaun umgeben, über dessen oberes Ende zusätzlich Stacheldraht angebracht worden war. Der Chauffeur hupte und ein uniformierter Hotelangestellter, mit einem Gewehr an der Schulter, öffnete ein großes eisernes Tor, um uns hineinzulassen. Die beachtliche Absperrung verlieh zwar etwas Sicherheit, jedoch fühlten wir uns ganz und gar nicht in Geborgenheit.

Anschließend checkten wir ein und fragten die Empfangsdame, wo die Bar sei. Sie erklärte uns, dass diese bereits geschlossen habe. Es war doch erst einundzwanzig Uhr dreißig, und wir brauchten dringend einen Drink, um unsere angespannten Nerven zu beruhigen. Jedoch wollte keiner freiwillig das gesicherte Gelände verlassen, um im Ort Alkohol zu besorgen. Also gingen wir entnervt auf unser Zimmer, beziehungsweise wurden von einem Pagen dorthin begleitet. Irgendwie würden wir die Nacht schon hinter uns bringen.

Der Raum war groß, sauber, verfügte über zwei Doppelbetten und war mit einer Klimaanlage ausgestattet. Die Fenster waren vergittert. Wir blickten uns bestürzt an, wo waren wir nur gelandet?

Zuerst ging ich ins Bad, um es zu inspizieren. Auf den ersten Blick war es in Ordnung und rein. Doch dann öffnete ich die Tür zur Dusche und rannte schreiend wieder hinaus. In der Duschtasse saß eine Kakerlake, oder was immer es auch gewesen sein mag. Ich ekelte mich und wollte nur noch nach Hause. Unter die Bettdecke traute ich mich schon gar nicht mehr, ich wollte auch nicht wissen, was sich darunter verbarg. Ich legte mich auf die Tagesdecke und bedeckte mich mit meinem Badetuch. Vorher stellte ich vorsichtshalber meine Schuhe auf das Nachttischchen, damit ich morgens, wenn ich hineinschlüpfen würde, nicht auf einen Käfer trat.

Die anderen lachten laut über meine übertriebene Achtsamkeit, aber mir war nicht nach Lachen zumute. Ich fürchtete mich in diesem fremden Land. Anschließend versuchten wir zu schlafen. Meinen Mann gelang es auch, nach kurzer Zeit fing er an zu schnarchen und machte es mir und anscheinend auch den anderen fast unmöglich ebenfalls zu ruhen.

Irgendwann wurde ich durch polternde Geräusche aufgeweckt. Als ich nachfragte, was denn los sei, antwortete mir Katrin, dass Klaus die sägenden Töne von Reinhard nicht mehr aushielt und sich ein Einzelzimmer nehmen wollte. Bevor ich etwas darauf entgegnen konnte, klopfte es an der Tür. Klaus war wieder zurück und erklärte uns völlig irritiert, die Etage wäre abgeschlossen und er käme nicht zur Rezeption. Uns wurde immer unwohler, wir kamen uns vor wie Gefangene.

Am anderen Morgen wagte ich einen Blick aus dem Fenster. Wo wir genau waren, wusste keiner von uns. Jedenfalls wollten wir so schnell wie möglich diesen Ort verlassen, der alles andere als einer Touristenhochburg glich. Um das Hotelgelände herum gab es nur spärliche Holzhütten und ich sah keinen einzigen weißen Menschen auf den Straßen. Ins Bad begab ich mich nur widerwillig, nachdem mir bestätigt wurde, dass dort kein Ungeziefer mehr zu sehen sei.

Beim Frühstück, draußen auf der Terrasse im herrlichsten Sonnenschein unter Palmen, sah die Welt schon wieder besser aus. Das Essen schmeckte köstlich und der Kaffee brachte uns wieder auf die Beine, nach dieser kurzen Nacht. Währenddessen besprachen wir unsere Reiseroute, unser Ziel hieß Montego Bay.

Im Anschluss bestellte Klaus ein Taxi.

Auf der Fahrt, zurück zum Flughafen, hielten wir oftmals die Luft an. Der Lenker fuhr, wie abends zuvor sein Kollege auch, wie ein Verrückter. Unaufhörlich betätigte er die Hupe, und wir dachten schon, dass er sicher bald einen Menschen überfahren würde. Zum Glück sprangen diese im letzten Moment zur Seite. Nur für ein paar Ziegen, die einmal die Straße überquerten, bremste er sofort. Für Kinder oder Erwachsene tat er dies nicht.

Zu dieser Tageszeit sah die Gegend noch viel schlimmer aus. Die Umgebungen, die wir passierten, wirkten sehr spärlich. Vor den armseligen Hütten saßen träge die Insulaner und blickten freudlos auf die Landschaft, einige von ihnen waren sicher stoned. Wir sahen uns betrübt um.

Auf dem weiteren Weg kamen wir an einer toten Kuh vorbei. Sie lag im Straßengraben und niemand schien sich darum kümmern zu wollen, noch zu interessieren. Ich konnte dieses Verhalten nicht verstehen, das Land schien so hilfsbedürftig und in der Gluthitze, die schon morgens herrschte, verrotte ein riesiges Stück Fleisch.

Nach etwa zwanzig Minuten erreichten wir endlich den Airport und ich fühlte mich wieder ein wenig sicherer, da es dort von Wachpersonal nur so wimmelte. Wir mieteten einen Kleinwagen, der nicht so teuer war. Klaus ging um das Fahrzeug herum und markierte auf einem Formular sämtliche Beulen und Schrammen, die das Auto bereits besaß. Anscheinend war das so üblich und er wollte auf keinen Fall für etwas bezahlen müssen, das er nicht verursacht hatte, wie er uns erklärte.

Darauf gingen wir unser Reiseroute noch einmal durch. Laut Landkarte brauchten wir nur schräg über die Insel zu fahren, um in wenigen Stunden von einem Ende zum anderen zu gelangen. Doch die folgende Zeit war alles andere als unkompliziert.

Wir setzen uns in den Kleinwagen und fuhren voll guter Erwartungen los. Reinhard war der Navigator und las die Karte, während er ständig darauf achten sollte, dass Klaus nicht zu weit nach rechts auf die Gegenfahrbahn zusteuerte, da in Jamaika Linksverkehr herrscht.

Katrin und meine Wenigkeit saßen hinter ihnen und sahen uns die Umgebungen an. Doch da wir Frauen ebenfalls einen Führerschein besitzen, blickten wir auch ständig nach vorn. Nach kurzer Zeit befanden wir uns mitten in Kingston Downtown und steuerten auf unser Ziel zu. Sehr schnell fiel uns auf, dass es auch in der Stadt keine hellhäutigen Meschen außer uns gab. Die Fahrer und Insassen der anderen Autos starrten uns neugierig an.

Vor uns rollte ein alter und unstabil wirkender Pick-Up, auf dessen offene Ladefläche mehrere Männer zusammengepfercht standen und sich festhielten. Ein Vorderreifen qualmte sehr stark und löste sich langsam in seine Einzelteile auf. Den Lenker schien das nicht sonderlich zu stören, er fuhr einfach weiter und bog ab. Ich sah ihm erstaunt mit hochgezogenen Brauen nach.

Nach kurzer Zeit erreichten wir einen mehrspurigen Kreisverkehr und wussten nicht, welche Ausfahrt Klaus nehmen sollte. Er fuhr mehrmals im Kreis, bis Reinhard endlich den richtigen Weg gefunden hatte. Doch die Insulaner besaßen anscheinend alle einen sehr rasanten Fahrstil, sodass Klaus noch einige Extrarunden einlegte. Er wollte einen Unfall auf jeden Fall vermeiden, da uns mittlerweile immer mulmiger wurde.

Die Menschen sahen uns so seltsam an, und vor sämtlichen vergitterten Geschäften stand uniformiertes Wachpersonal mit großen Gewehren im Anschlag. Ich schlug vor die Fotoapparate nach unten in den Fußraum zu legen und uns so klein wie möglich zu machen. Ich rutschte immer tiefer in den Sitz, sodass ich kaum zu sehen war. Doch wir waren längst als Touristen aufgefallen.

Später, einige Wochen nachdem wir wieder zu Hause angekommen waren, sahen wir uns einen Bericht über Jamaika im Fernseher an, um unsere Urlaubserlebnisse aufzufrischen. Ein Sprecher erklärte, dass Urlauber Downtown Kingston auf jeden Fall meiden sollten. Dort würden Reiselustige schon für billige Goldkettchen ermordet.

Wir verriegelten die Türen des Wagens und hofften lebend aus diesem Kreisverkehr und dieser schrecklichen Angst einflößenden Stadt herauszukommen. Irgendwann gelang es Klaus endlich die richtige Ausfahrt mit einem waghalsigen Manöver zu erwischen und wir kehrten Downtown Kingston den Rücken. Erleichtert atmeten wir auf und freuten uns auf eine ruhige interessante Fahrt. Doch da fing der Albtraum erst richtig an.

Nach kurzem Weg ging es in Serpentinen bergauf und bergab. Die Straßen waren so schmal, dass wir oft dachten, mit dem entgegenkommenden Verkehr zu kollidieren. Die Fahrbahn wurde immer holperiger und war von Schlaglöchern nur so übersät.

Einmal konnte Klaus nicht mehr rechtzeitig ausweichen und raste durch einen großen Krater. Wir hoben von den Sitzen ab und stießen mit den Köpfen unter das Dach. Wir dachten, der Wagen würde jeden Moment auseinanderbrechen. Zum Glück hielten die Achsen und wir fuhren erschrocken weiter.

Manchmal kam Klaus zu weit auf die rechte Seite, Reinhard hielt in sofort an, sich wieder mehr nach links zu orientieren. Aber dieses Unterfangen war gar nicht so einfach für ihn. Am linken Fahrbahnrand ging es entweder steil bergauf oder bergab. Mehrmals dachte ich, dass Klaus die Felsbrocken oder Palmen, die den Weg säumten, jeden Augenblick rammen würde. Gott sein Dank tat er es nicht. Auch gab es keine Leitplanken, sodass es in dieser Gegend sicher oft zu schweren Unfällen mit Todesfolge gekommen sein musste.

Wir fuhren abwechselnd durch Dschungellandschaften und Dörfern und die schlechten Straßen schlängelten sich in unzähligen Kurven durch die Berge. Die Jamaikaner zwangen Klaus durch deren rasanten Fahrstil zu halsbrecherischen Aktionen, sodass er oft zu nahe an den Abgrund kam. Ich konnte gar nicht mehr hinsehen, da ich unter großer Höhenangst leide.

Ein weiteres Mal kam er so nah an einer Schlucht vorbei, dass ich hinsehen musste, um in Notfall einen lauten Warnschrei abgeben zu können. Eigentlich hätte dieser Anblick atemberaubend auf mich wirken sollen, wenn es wenigstens eine Art Schutzwall gegeben hätte. Aber davon gab es leider auf der ganzen Strecke nicht.

Ich blickte auf einen steilen Abhang voll Geröll. Tief unten in der Schlucht suchte sich ein rauschender Fluss seinen Weg durch das Tal. Gespeist wurde er von einem donnernden Wasserfall, der hoch oben durch die üppige Vegetation von einem Felsplateau hinabstürzte. Die Gischt des aufschlagenden Wassers spritze in die Höhe. Die Sonnenstrahlen wurden durch unzähligen Tropfen gebrochen und ließen einen farbenfrohen Regenbogen entstehen. Hoch oben über dem dichten Wald überzog Frühnebel die Baumkronen. Wie gesagt, eigentlich ein wunderschöner Anblick.

Jedoch war ich so schockiert, aus Angst in die den Abgrund und den sicheren Tod zu fallen, dass ich keine Luft mehr bekam. Ich sah Katrin an und bemerkte, dass es ihr genauso erging. Krampfhalt Halt suchend klammerten wir uns an den Griffen und schlossen die Augen. Innerlich beteten wir, dass wir lebend durchkommen würden.

Wir sahen dicht bewachsene Hügel und bestellte Felder. Unbeschwert liefen die Kinder in Schuluniformen über die grünen Wiesen. Die Erwachsenen jedoch machten einen trägen Eindruck auf uns. Kein Wunder bei diesen Temperaturen von über dreißig Grad. Niemand schien Acht auf die Menschen zu nehmen, oder vom Gas zu gehen. Die Autos rasten hupend über die Straßen und die Fußgänger sprangen weiter zur Seite.

Als die Fahrt einmal etwas ruhiger und gefahrloser verlief, wurden wir von einem klapprigen Roller überholt, so langsam fuhren wir. Auf ihm saß ein Einheimischer mit hüftlangen Dreadlocks und einer runden bunten Strickmütze auf dem Kopf. Später sagte mein Mann er hatte Bob Marley auf dem Moped gesehen. Wir kamen aus dem Lachen gar nicht mehr heraus, doch während der Fahrt sagte keiner von uns auch nur einen Ton, so geschockt und angespannt waren wir.

Die Armut des Landes schlug uns auf den Magen. Auch verspürte ich große Angst um unser Leben. Mir kamen Horrorfilme in den Sinn, in denen Voodoomeister Frauen und Männer in lebende Tote verwandelten oder umbrachten. Auch sahen wir häufig die Bewohner dieser Insel mit großen Macheten an deren Gürteln tragend. Ich fragte mich, wofür sie diese übergroßen Messer wohl brauchten.

Nachdem wir ein weiteres armes Dorf passierten, lag am Straßenrand ein lebloser kleiner Hundekörper. Ich liebe Tiere, und ganz besonders Hunde. Ich bin mit ihnen aufgewachsen und habe bis heute einen solchen treuen Freund an meiner Seite. Für mich ist solch ein Tier wie ein Familienmitglied. Ich musste weinen, genau wie die tote Kuh schien es niemanden zu interessieren.

Dieser ganze unüberlegte Trip wurde für mich und auch den anderen zur Zerreißprobe unserer Nerven. Wir hatten Angst mit dem mehr oder weniger fahrtüchtigen Auto unser Ziel je erreichen zu können. In Gedanken sah ich uns ausgeraubt und ermordet im tropischen Urwald verscharrt. Nicht ein einziger weißer Mensch begegnete uns. Wir fühlten uns wie auf dem Präsentierteller, jeder der uns sah, blickte und misstrauisch und neugierig zugleich an.

Die Serpentinen schienen kein Ende nehmen zu wollen und die Wege waren so schlecht, dass wir jeden Moment damit rechneten, dass unser Fahrzeug auseinanderfallen würde. Die Anspannung war schier unerträglich, der Schweiß rann uns an den Schläfen herunter und Klaus war ziemlich fertig.

Dann endlich, wir konnten es kaum fassen, erreichten wir die Küstenstraße, die erstaunlich gut und eben verlief. Unerwartet hatten wir das Landesinnere verlassen. Erleichtert atmeten wir hörbar auf und die Strapazen fielen von uns ab wie schwere Lasten. In Gedanken dankte ich Gott, dass wir dieser „Hölle“ entkommen waren.

Klaus schlug vor, die nächstbeste Gaststätte, oder was auch immer sich in unmittelbarer Nähe befand, anzusteuern und erst einmal etwas Alkoholisches zu trinken, um uns zu beruhigen. Nach kurzer Zeit schon parkten wir vor einem Restaurant, stiegen aus, streckten unsere verkrampften Glieder aus und atmeten die warme Meeresbrise ein. Wir setzten uns auf die Veranda an einen schattigen Platz, mit einem herrlichen Blick auf das Karibische Meer und bestellten vier Bier und vier Korn. Als der freundliche Kellner es brachte, bestellten wir sofort das Gleiche noch einmal und tranken beides hastig aus. Nach der zweiten Runde wurden wir ruhiger und unser Puls verlangsamte sich wieder.

Für mich war dieser „Abenteuerurlaub“ beendet, ich wollte nur noch zurück nach Florida. Mein Mann redete beruhigend auf mich ein und nach einer weiteren Runde beruhigte ich mich einigermaßen. Wir beschlossen das nächste halbwegs sicher erscheinende Hotel anzufahren und dort zu bleiben, bis wir zurückfliegen konnten.

Die erste große Anlage war das –Holiday Inn-. Ein großer luxuriös wirkender Komplex direkt am Strand. Dort gab es viele Touristen aus allen Ländern, und bewaffnetes Wachpersonal zeigte deutlich seine Präsenz.

In der Empfangshalle fragten wir nach freien Zimmern und deren Preisen. Einhundert Dollar pro Übernachtung, ohne Frühstück, waren nicht gerade günstig. Doch fühlte ich mich sicher und bewacht und wir checkten für die nächsten vier Tage ein. Eigentlich hätten wir uns diese Preise nicht leisten können, doch der Gedanke an unsichere ärmliche Pensionen ließen mich darüber hinwegsehen.

Dieser Abstecher war der reinste Albtraum für mich und ich wollte nur noch raus aus diesem Land. Wir gingen gleich auf unsere Zimmer und ich ließ mich auf das Bett fallen. Ich war verzweifelt, nie wieder würde ich mich auf solch einen unüberlegten und dummen Ausflug einlassen, darüber waren wir uns übrigens alle einig.

Ich war mit meinen Nerven völlig am Ende und konnte mich überhaupt nicht mehr beruhigen. Wir selbst besaßen auch nicht viel Geld, aber im Vergleich zu diesem armen Volk lebten wir wie die Könige. Ich kam mir schäbig vor, wie konnte ich in hier einen solch „exklusiven Urlaub“ verbringen, während die Jamaikaner jeden Tag um das reine Überleben kämpften. Wie sollte ich mich mit diesen Gedanken wohlfühlen?

Doch dann sagte mein Mann zu meiner Überraschung etwas, das mich in meinem Entschluss, diese Insel sofort zu verlassen, verwerfen ließ. Er redete von Folgendes: »Wenn jeder Tourist so denken würde, wie du, und gar nicht erst herkäme, müssten alle Hotelanlagen schließen und die Mitarbeiter entlassen. Dieses Land lebt von dem Tourismus, die Einheimischen fänden dort Arbeit und versorgten wahrscheinlich ihre Familien von den Gehältern.«

Was sollte ich nun tun? Er hatte natürlich recht, aber das wurde mir erst in diesem Moment bewusst.

Wir nahmen uns vor, einige Souvenirs, die noch in unseren Geldbeutel passten, zu erwerben, um wenigstens etwas von unserem Geld dazulassen. Und das taten wir dann auch und genossen die weiteren Tage, ohne schlechtes Gewissen.

Wir sahen auch die andere Seite Jamaikas, nicht diese, die die Touristen normalerweise zu sehen bekommen. Ich denke, nicht viele Urlauber lernen das wahre Leben dieser Inselbewohner kennen. Wir fuhren durch die Slums und erfuhren von dem Elend der Menschen und Tiere. Wir sahen wunderschöne Vegetationen und fürchteten sogar um unser Leben. Ich denke, dass diese Reise eine große Lehre für uns war, die wir nie wieder vergessen werden und wollen.

Die Tage, bis zu unserem Rückflug, verbrachten Reinhard und ich nur in der Hotelanlage, dort fühlte ich mich am sichersten. Für uns verlief die Zeit wie in einem Traum. Das Wetter war herrlich, das Essen schmackhaft und das Wasser war und glasklar.

Wenn wir in Strandnähe schnorchelten, kam es uns so vor, als würden wir in einem riesigen Aquarium schwimmen. Um uns herum glitten kleine Fische in allen möglichen bunten und schillernden Farben durch das nasse Element. Zum Frühstück gab es die ersten Animationen. Wer wollte, konnte zu heißen Rhythmen Wassergymnastik ausüben oder einfach nur dabei zusehen. Abends wurden alle möglichen Veranstaltungen angeboten, von Bingo spielen bis Krabbenwettlauf, die wir gerne nutzten und teilnahmen.

Den Tauchern kauften wir am Strand, direkt von dem gerade angekommenen Boot, eine große wunderschöne Muschel ab. Tagsüber flanierten einheimische Frauen mit selbst geflochtenen Körben, die sie auf dem Kopf trugen, gefüllt mir frischem Obst am Strand entlang. Wer wollte, konnte für vergleichsweise wenig Geld wohlschmeckende Früchte erwerben.

Jeden Abend saßen wir an der Bar, tranken Cocktails und genossen das karibische Flair. Nachdem wir morgens aufgestanden waren, setzten wir uns auf den Balkon und blickten verträumt auf das weite Meer. Die hohen Palmen wogen sich sacht im Wind und weit draußen auf dem Wasser zogen die Boote an uns vorüber. Ein Hauch von Romantik entstand, als wir ihnen hinterhersahen.

Wir genossen die Zeit, die uns noch blieb. Die Anlage war sehr gut und das Personal zuvorkommend und freundlich. Wir gaben ihnen, soweit wir es uns noch leisten konnten, etwas Trinkgeld, welches sie zurückhaltend und dankbar annahmen.

Vor dem Hotel saßen Einheimische und verkauften kunstvoll geschnitzte Holzfiguren. Wir fragten uns, wie viele Stunden harte Arbeit sie wohl für ein einziges Kunstwerk benötigt hatten, um diese wunderschönen Stücke anzufertigen. Im Vergleich zu unserer Währung verkauften sie ihre Arbeit für wenig Geld. Ein Elefant gefiel uns besonders gut, er hat noch heute einen gesonderten Platz in unserem Wohnzimmer. Wenn wir ihn ansehen, erinnern wir uns stets an diese Zeit zurück.

Klaus sorgte dafür, dass wir von Montego Bay aus zurückfliegen konnten. Den Leihwagen gaben wir auch dort ab. Für kein Geld der Welt hätte ich die gleiche Tour zurück nach Kingston noch einmal durchgestanden. Niemand von uns wollte diese Strapazen erneut auf sich nehmen.

Als der Tag des Abschiednehmens gekommen war, brachte uns ein Shuttlebus zum Flughafen. Wehmütig blickten wir zurück, nun wären wir gerne noch einige Tage geblieben.

Während der Fahrt zum Airport kamen wir noch an vielen einfachen und armseligen Hütten vorbei. In manchen wurden Waren angeboten, andere schienen ungenutzt. Doch dieses Mal betrachtete ich sie mit völlig anderen Augen.

 

ENDE

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.08.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Seit ihrer schlimmen Kindheit ist Kim davon überzeugt, dass es das Übersinnliches und Geister wirklich gibt. Als sie Pam kennenlernt, die kurz darauf in einem herunter gekommenen maroden Haus einzieht, nehmen die seltsamen Ereignisse ihren Lauf. Bei der ersten Besichtigung des alten Gemäuers überkommt Kim ein merkwürdiges Gefühl. Als sie dann noch eine scheinbar liegengelassene Fotografie in die Hand nimmt, durchzuckt sie eine Art Stromschlag, und augenblicklich erscheint eine unheildrohende Frau vor ihrem geistigen Auge. Sie will das Haus sofort verlassen und vorerst nicht wiederkommen. Doch noch kann Pam nicht nachempfinden, warum Kim diese ahnungsvollen Ängste in sich trägt, sie ist Heidin und besitzt keinen Glauben. Nachdem Kim das Tagebuch, der scheinbar verwirrten Hauseigentümerin findet und ließt, spürt sie tief in ihrem Inneren, dass etwas Schreckliches passieren wird. Selbst nach mehreren seltsamen Unfällen am Haus will Pam ihre Warnungen nicht ernst nehmen. Erst nachdem ihr, als sie sich nachts allein im Haus befindet, eine unbekannte mysteriöse Frau erscheint, bekommt sie Panik und bittet Kim um Hilfe. Aber da ist es bereits zu spät.

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