Pierre Heinen
Live Dabei - Teil XV
„Das dauert zu lang!“, fluchte der Polizeibeamte und schritt nervös auf und ab.
Ein Mechaniker kam auf den Techniker zu.
„Noch ein, zwei Schweißnähte, dann haben wir eine Kabine funktionstüchtig“, informierte der Mann im ölverschmierten Blaumann.
„Gut, dann werden wir sofort aufbrechen“, sagte der Polizist und blickte zu dem Techniker hinüber.
Dieser ging mit dem Mechaniker zu den blitzend, blendenden Schweißarbeiten hinüber.
John blickte zu der einen Spalt offen stehenden Badezimmertür hinüber.
Hatten sie sich vielleicht dort versteckt? Er ging den Gang entlang und
blieb vor der Tür stehen. Mit einem Ruck riß er die weißlackierte,
hölzerne Tür auf und betrat das Zimmer. Es war ganz mit hellblauen
Kacheln verlegt. Neben einem Waschbecken und einer Toilette befand sich
noch eine Badewanne mit einem cremefarbenen Vorhang, der über die
Hälfte zugezogen war. John steckte die Pistole in die Werkzeugtasche
und zog das Messer heraus. Langsam schlich er sich zum Vorhang, Kurz
davor blieb er stehen, hielt die Taschenlampe unterhalb des Kinnes, hob
seinen rechten Arm mit dem Messer in der Hand, hielt kurz inne und
stach zu. Die scharfe Klinge drang in den Plastik ein und schnitt den
Vorhang entzwei.
Doch dahinter war niemand. Enttäuscht senkte John die Arme. Er
leuchtete im Badezimmer umher und ging zum Waschbecken. Mit der Lampe
leuchtete er in den Spiegel. Er sah sich an, drehte den Wasserhahn auf
und wusch sich die Hände. Das Blut, welches an seinen Händen klebte,
färbte das Wasser rötlich. Er sah sich erneut im Spiegel an und grinste.
Das Tor der Lagerhalle wurde geöffnet und sogleich kam ein Kran
hineingefahren. Vorsichtig wurde er ins Innere manövriert. Dahinter kam
ein Kamerateam angelaufen. Die Moderatorin mit dem grellgelbem Mikrofon
ging zielsicher auf den ihr bekannten Produzent der Show zu.
„Hallo Bob“, begrüßte sie ihn mit einem leichten Lächeln.
„Rachel?“, sagte der Produzent verblüfft.
Sie drehte sich zur Kamera um, fuhr noch einmal durch ihr rot gelocktes
Haar, hielt sich das Mikrofon vor den Mund und gab dem Team ein Zeichen.
„Karl Wals ist tot. Sein Mörder ist wahrscheinlich da oben und läuft
mit einem Küchenmesser herum. Alles wurde live gesendet bis die
Übertragung gekappt wurde. Was geht da oben vor sich? Wir fragen gleich
einmal den Produzenten von >Live<“
Rachel ging auf ihn zu und hielt ihm das Mikrofon unter die Nase. Dieser winkte ab und drehte sich um.
„Wurden bereites Menschen verletzt oder sogar getötet?“, hakte die Moderatorin nach.
Bill Moore stellte sich vor den Produzenten, hielt seine Polizeimarke deutlich vor die Linse der Kamera.
„Zur Zeit geben wir ihnen keinen Kommentar zur Situation ab und es wäre
sehr wünschenswert wenn sie das Gebäude verlassen würden ...“
„Aber die Leute haben ein Recht darauf zu erfahren was da oben vor sich geht“, unterbrach Rachel ihn energisch.
„Ansonsten lasse ich sie verhaften“, setze Bill jetzt mit mehr Nachdruck den Satz fort und legte eine Hand auf ihre Schulter.
Sie stieß sie weg und blieb stehen.
„Was ist mit den Angehörigen? Wurden die bereits verständigt?“, fragte Rachel weiter.
„Das ist unsere Angelegenheit. Würden sie bitte die Halle verlassen!“
Bill gab zwei Beamten ein Signal und sofort wurde das Kamerateam nach draußen verfrachtet.
„Was ist mit der Pressefreiheit?“, schrie Rachel und wehrte sich wie ein wildes Tier.
Als das Tor der Lagerhalle wieder geschlossen war, atmeten sie
erleichtert auf. Jeder blickte zum Kran hinüber, der mit Hilfe von zwei
Stahlseilen einer der Kabinen der Seilbahn am Haken hängen hatte.
Ben lauschte. Er lehnte sich an die Kommode und hielt sein rechtes Ohr
an die Tür. Er hörte nichts. Was sollte er jetzt tun? Er wandte sich ab
und ging zum Fenster hinüber. Die Läden klapperten noch immer. Der
Schneesturm geisterte unablässig um die Bergstation. Ben öffnete die
Fenster, klappte die Läden auf und blickte auf die steil abfallende
Felswand unterhalb der Station. Weiter rechts konnte er die Terrasse
sehen, so nah und doch so weit entfernt.
Verzweifelt
blickte er nach oben und sah die Regenrinne an, welche an manchen
Stellen von gefrorenem Wasser bedeckt war. Sogleich griff er danach und
hängte sich auf dem Fensterbrett kniend daran. Sie schien stabil und
sogleich stieg Ben auf die Fensterbank, umklammerte mit beiden Händen
die blecherne Regenrinne und hievte sich mit einem Ruck auf das
schneebedeckte Dach. Er fand nicht sofort Halt und rutschte etwas ab,
wobei Schneebrocken hinunter purzelten. An einem Haken konnte er sich
schließlich auffangen und blieb glücklich auf dem Bauch liegen.
John verließ das Badezimmer und ging zu den Schlafzimmern. Wo hatten
sich alle versteckt? Er stellte sich in die Mitte des Ganges und ließ
den Schein der Taschenlampe über jede Tür huschen. Er steckte das
Messer in die Werkzeugtasche um seine Hüfte und drückte die erste
Türklinke nieder. Die Tür gab nach und sogleich verschloß er sie wieder.
Die
letzte Tür rechts gab nicht nach. John versuchte sie erneut zu öffnen,
aber vergebens, Hinter dieser mußten sie also stecken. Er nahm die
Pistole in beide Hände, wobei er die Lampe auf den Boden gelegt hatte.
Viermal nacheinander schoß er in die Gegend des Türschlosses ehe er die
Pistole wieder einsteckte und mit dem Fuß gegen die Tür rannte. Dies
gab aber keineswegs nach und John fluchte vor Schmerz. Mit der Schulter
rammte er erneut gegen die Tür. Sie gab etwas nach und John konnte mit
Hilfe der Taschenlampe den blockierende Nachttisch erkennen. Mit
gezielten Stößen stand er nach kurzer Zeit in Ben’s Zimmer. Die Fenster
stand offen, ebenso wie die Läden und eine kleine Schneeschicht hatte
der Sturm im Zimmer verteilt.
John näherte sich dem Fenster und blickte nach unten. Dorthin waren sie
bestimmt nicht hinuntergestiegen. In dem Augenblick fielen einige
Schneeklumpen in das Genick von John und sofort zuckte er zusammen und
versuchte die eiskalte Masse aus dem Genick zu entfernen, wobei diese
ständig tiefer rutschte. Er verfluchte den Schnee. Als er schließlich
den gröbsten Teil herausgekratzt hatte, blickte er nach oben zum Dach
hinauf. Er verließ das Zimmer schnellen Schrittes und ging zur Küche
hin. Auf der Terrasse fand er die Feuerleiter die aufs Dach
hinaufführte und stieg die galvanisierten Metalltreppe Stufe für Stufe
nach oben und gab Acht nicht auf die vereisten Stellen zu treten.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.08.2007.
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