Kim Ludwig

Das Geheimnis der alten Mühle

Für viele ist es furchterregend in ein altes Haus zu gehen. Manche finden es aufregend. Wenn man aber hört, dass es dort spuken soll, bleibt man lieber weit entfernt von so einem Gebäude.
Die 16-jährige Maria ist mit ihren Eltern in ein Dorf gezogen. Obwohl sie vorher in der Stadt wohnte, hatte sie sich gut in Weddelin, so heißt das Dorf, eingelebt. Peter, der Sohn des Bauern Schuhmann, erzählte ihr die Sage über eine alte Mühle, die schon seit 900 Jahren in dem Dorf steht.
Sie geht etwa so:
Der Sohn eines Gutsbesitzers, mit dem Namen Friedrich Maximilian Freiherr von Weddelin, soll sich in die Tochter des Müllers verliebt haben. Sie trafen sich immer heimlich an dem kleinen Bach, der das Mühlrad zum Laufen brachte. Irgendwann sah ihr Vater die beiden am Bach sitzen. Daraufhin verbot er ihr den Umgang mit ihm, obwohl er reich war. Der Müller war schon immer sehr streng und die Familie "von Weddelin" konnte er noch nie leiden. Er machte sie für sein weniges Geld verantwortlich. Doch seine Tochter und der Freiherr von Weddelin trafen sich weiterhin, meist redete sie dann über ihren Vater und dass sie sich Sorgen macht, wie er reagieren würde, wenn er sie noch einmal zusammen sieht.
Eines Tages verschwand Friedrich Maximilian Freiherr von Weddelin spurlos. Manche sagten, der Müller habe ihn ermordet, andere meinten, er wäre verreist, um dem Müller aus dem Weg zu gehen, doch was wirklich geschehen war, das weiß bis heute keiner.
"Der Geist des Junkers soll noch immer in der Mühle spuken" meinte Peter zu Maria und zeigte dabei auf das Gebäude. "Und?" fragte sie gelangweilt. "Traust du dich in die Mühle? Bei Vollmond soll er spuken und morgen Abend ist es soweit!" "Na gut. Morgen, sagen wir um Mitternacht, treffen wir uns vor dem Eingangstor." Beide gaben sich die Hand darauf.
Maria war sonst nicht so leicht zu erschrecken, aber in der Vollmondnacht hörte sie das kleinste Knacken. Peter brachte zwei Taschenlampen mit. Nun war die Frage, wer zuerst hinein geht. Peter wollte mutig sein und ging voran, Maria hinterher. Die ganzen alten Maschinen sahen in dem kleinen Lichtschein der Taschenlampen selbst wie Gespenster aus.
Plötzlich hörten beide etwas. Es klang wie Kettengerassel. Huuuh. Jetzt war es ein langgezogenes Geräusch. Peter fürchtete sich extrem. Eine alte Mehldose fiel von einem halbverfaultem Regal, da rannte er mit der Geschwindigkeit eines Rennwagens aus der Mühle. "Hey Peter, komm zurück. Bitte." Das letzte Wort sagte sie nur noch flüsternd, weil sie selber solch eine Angst hatte. Sie hörte eine Stimme, die sehr weit weg klang. "Verzeih mir Marie." "Wer ist da? Wer ist Marie? Peter, wenn du glaubst, dass das lustig ist, dann irrst du dich!"
Der Lichtschein der Taschenlampe zitterte durch den Raum. Es war niemand da. Maria ging weiter, eine Treppe nach oben. Dort brannte eine Kerze. Wie war das möglich? Es war doch niemand hier, oder doch? Sie drehte sich um, doch es war niemand dort. "Aaaah!" An dem Tisch, wo die Kerze brannte, saß jemand. Er hatte eine blau-weiße Uniform an und schwarze Reiterstiefel, er hatte lange, braune Haare, die mit einem Band zusammengemacht waren und einen Dreispitz auf dem Kopf. Maria leuchtete die ganze Zeit auf den Mann. Erst hielt sie es für einen Scherz von Peter oder für eine Art Schaufensterpuppe, doch dann auf einmal bewegte sich die Gestalt. Doch anstatt runter und raus zu rennen, lief sie noch eine Treppe nach oben und hockte sich hinter eine alte Getreidekiste. Sie wartete bis er hochkommen würde, doch er kam nicht. Hinter ihr flackerte wieder die Kerze. "Verzeiht mir, wenn ich euch erschreckt habe." Seine Stimme klang jetzt ganz normal. Maria bekam kein Wort heraus. "Seid ihr etwa Friedrich Maximilian Freiherr von Weddelin?" Er nahm seinen Dreispitz ab, verbeugte sich und sagte: "Habe die Ehre und wer seid ihr?" "Maria." Sie konnte es immer noch nicht so richtig glauben, dass sie mit einem Geist redete. "Sind sie nur bei Vollmond hier?" Maria hatte langsam keine Angst mehr, denn sie konnte sich ja wenigstens unterhalten."Ich bin immer hier, denn mich hält es hier. Solange das Geheimnis nicht aufgedeckt ist, solange muss ich in dieser Mühle bleiben." Er sprach in Rätseln, doch Maria verstand. Es hatte mit der Legende zu tun. "Kann man ihnen irgendwie helfen?" "Das könnt ihr." "Aber wie? Stimmt eigentlich die Legende, die sich im Dorf erzählt wird?" Maria war auf einmal sehr interessiert und hörte zu. Zuerst hielt sie es nur für ein Märchen, aber sie sprach sozusagen mit dem ... naja, fast lebendem Beweis. "Es ist nicht die Wahrheit, aber auch keine Lüge. Wollt ihr morgen noch einmal wiederkommen? Dann werde ich euch erzählen, wie es sich wirklich zugetragen hat." Maria war gespannt, wie es wirklich war. ! Also sti mmte sie zu.
Am nächsten Morgen traf sie Peter auf der Straße. "Was hast du dir eigentlich dabei gedacht einfach abzuhauen?" fuhr sie ihn an. " 'tschuldige. Ich hab doch gesagt, dass ich nicht der Mutigste bin." Maria erzählte ihm nichts von dem Junker, sie sagte nur, dass sie ein paar Stunden in der Mühle verbracht hatte. Peter war total erstaunt. "Hast du den Junker gesehen?" "Nein, hast dir wahrscheinlich nur was zusammengesponnen."
Als es allmählich dunkel wurde, ging Maria heimlich in die Mühle. Sie ging die erste Treppe hoch und setzte sich an den Tisch. Wie aus heiterem Himmel wurde es eiskalt und windig. Ihr gegenüber saß der Junker. "Ich bin froh, dass ihr gekommen seid." Er legte den Dreispitz auf den Tisch. Maria sah ihn an und wartete auf die Geschichte. "Nun werde ich euch die Wahrheit erzählen. Ich traf mich immer mit Marie Louise, der Müllerstochter. Ihr Vater war streng und duldete es nicht. Als ich mich mit ihm darüber unterhalten wollte, wurde er wütend. Ich versuchte ihn zu beruhigen, doch er war völlig außer sich. Er machte einen der Mehlsäcke los und dieser fiel mir direkt auf den Kopf. Da er nicht wollte, dass mich jemand findet, stieß er mich in die Bodenluke, wo gewöhnlich das ungemahlene Korn lagerte. Als ich zu mir kam, war die Luke verschlossen und ich ... . Das alles ist nun 281 Jahre her." "Im Jahr 1726?" "Ja. Bis jetzt hatte sich noch keiner hierher gewagt, deshalb konnte ich nicht gefunden werden. Und meine Marie dachte, ich hätte sie im Stich gelassen." Jetzt verstand Maria, warum er gerufen hatte. "Gibt es ein Bild von ihr?" "Ja, oben. Dort ist auch ein Bild ihres Vaters. Folgt mir." Oben war ein sehr verstaubter Raum und voller Spinnenweben. Maria sah sich lange die beiden Bilder an. Der Junker Friedrich nahm von einem Haken eine Kette. Es war ein kleines Medaillon, in dem sich die Bilder von Marie und Friedrich befanden. "Damit ihr nie vergesst, wenn ich denn die ewige Ruhe gefunden habe, dass ihr zwei Menschen sehr glücklich gemacht habt." Er legte ihr die Kette um und führte sie zu der Bodenluke. Jetzt hatte Maria wieder Angst. Wenn die Luke seit fast 300 Jahren nicht geöffnet wurde, dann ... . Es war eine grauenvolle Vorstellung. Sie zog an dem verrosteten Metallring und die Luke hob sich langsam in die Höhe. Dort unten, an eine Leiter gelehnt, lagen die sterblichen Überreste von dem Junker. Maria ließ die Klappe wieder fallen. Nicht nur, weil sie schwer war, sondern auch, weil der Gestank, der von! dort un ten kam unerträglich war. Die Luke wurde nämlich seit dem Verschwinden des Junkers nicht wieder geöffnet und deshalb roch es dort nach Moder, verdorbenem Getreide und noch ein wenig nach den Überresten des Skeletts. Maria ging wieder nach unten und setzte sich auf den Stuhl am Tisch. Sie dachte, dass der Junker nun seine Ruhe gefunden hatte, doch das war nur fast so. Denn plötzlich tauchte der Müller auf. Es war natürlich nur sein Geist. Wieder fiel einer der Mehlsäcke runter und traf den Freiherrn. Doch bevor der Müller den Junker in die Luke stoßen konnte, stieß Maria den Müller zur Seite. Dadurch hatte sie zwar nicht das Verbrechen verhindert, aber zumindest den Geist des Freiherrn erlöst.
Wieder war sie mehrere Stunden in der Mühle. Am nächsten Tag ging sie zu Peter. "Hast du Zeit und vielleicht auch dein Vater?" "Ja, aber wieso?" "Es hat mit der Mühle zu tun. Ich habe den Junker gefunden, eigentlich nur das, was noch von ihm übrig ist." "Aber dann merkt mein Vater, dass wir in der Mühle waren!" Peter machte sich ständig Sorgen, dass er Ärger bekommen könnte. "Es ist wichtig!"
Maria zog Peter hinter sich her und ging zum Bauer Schuhmann. Der fragte gar nicht erst, denn er wusste, dass sein Sohn wieder irgendetwas angestellt haben muss. Maria erzählte in kurzen Stichworten, was sie gefunden hatte, aber natürlich nicht wie. Sie lief noch schnell zum Bestatter, der sich sowas nicht entgehen lassen wollte. Übrigens gab er zu, dass auch er als kleiner Junge nach dem Junker gesucht hatte. Maria führte die drei zu der Luke. Der Bauer hob die Luke hoch und der Bestatter lud die Knochen auf, natürlich ganz vorsichtig. Maria war froh, denn jeder im Dorf kannte sie nun und vor allem hatte sie sozusagen zwei Gespenster glücklich gemacht.
Bei der Beisetzung waren alle aus dem Ort versammelt. Ja und die Kette trägt sie immer noch. Gesehen hat sie den Junker nicht mehr, aber manchmal hört sie ihn noch. Außerdem kümmert sie sich jetzt um das Grab und um die Blumen. Die Mühle ist nun auch für Besucher offen. Natürlich wird die Legende immer noch erzählt und jetzt wird auch Maria mit erwähnt. Manchmal hört man den Müller noch schimpfen, doch Friedrich und Marie kümmert es nicht mehr. Sie haben gemeinsam die ewige Ruhe gefunden. Peter hatte Maria auch noch nach der Kette gefragt, sie sagte ihm auch die Wahrheit, aber ich glaube, dass er es für eine Ausrede gehalten hatte.
Besser ist es, wenn man an Legenden glaubt, auch wenn sie bloß in einem kleinen Dorf erzählt werden.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.08.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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