Felix M. Hummel

Knechte des Fleisches

In einer Welt ohne Tiere...

Scheint das Grab dir tief und dumpf sein Druck, à la vot, so nimm noch einen Schluck und noch einen hinterher und noch zweie, dreie mehr, dann stirbst du nicht so schwer.“, dröhnte es aus dreißig, vierzig Kehlen, dass die Petroleumlampen an der massiven Gewölbedecke klirrten. Um die groben Tische hatten sich jene gesammelt, die die vom Tabaksqualm getrübte, feuchtheiße Atmosphäre der Schenke jener schneidenden Kälte draußen vorzogen. Auch der säuerlich-beissende Geruch änderte daran nichts. Hauptsächlich waren es Ratten, die sich auf den Bänken und Hockern im Saal und an der Bar drängten, hier und da war jedoch auch der ein oder andere Eber, Waschbär oder Marder zu sehen. In einer Ecke hatten sich sogar drei alte, schmierige Braunbären eingefunden. Die allgemeine Stimmung war gut, schließlich war das Bier, das in einfachen Holzkrügen über die Tische wanderte für jeden erschwinglich.
Die Gestalt jedoch die am Ende der Bar, direkt neben dem Ofen kauerte und dennoch zu frieren schien wurde, auch wenn sie sich offensichtlich nicht davor schämte mit allen anderen um die Wette zu grölen, immer wieder mit argwöhnischen Blicken bedacht. Zum Ersten war der Mann hier fremd. Keiner kannte ihn aus den Fabriken und niemand konnte sich vorstellen, dass er hier wohnte. Zweitens waren die abgewetzten, grauen Lumpen, in die er sich hüllte eindeutig eine Uniform. Genau konnte man es nicht mehr erkennen, aber mit etwas Fantasie waren rote Aufschläge zu sehen, die auf die Inländischen Stabilitätsstreitkräfte hindeuteten – die Bluthunde der Oberschicht. Natürlich musste das noch gar nichts heißen. Alte Uniformen waren enorm billige Kleidungsstücke, so dass man oft Leute herumlaufen sah, die noch nie auch nur eine Waffe berührt hatten, sich aber nichts anderes leisten konnten. Allerdings galt es doch als üblich in so einem Fall die Aufschläge abzureissen oder zu schwärzen.
Drittens war der Unbekannte ein Fleischfresser. Eine hundeartige Schnauze, jedoch gedrungener als bei jeder Art dieser Familie, mittelgroße, abgerundete Ohren und das typische ocker und braun gefleckte, struppige Fell. Eine Hyäne. Eine der niedrigeren Kasten dieser Schicht, aber trotz alledem ein offizieller Fleischfresser. Selbstverständlich konnte man hier am Stadtrand oft solche sehen, schließlich gab es festen Grenzen zwischen den Kasten fast nur auf dem Papier... Aber ein Fremder, ein Soldat? Da war es besser auf der Hut zu sein.
Wahrscheinlich hätte es nicht lange gedauert, bis man den Neuankömmling vor die Tür gezerrt hätte um ihm dort zu zeigen, wie man mit Leuten wie ihm normalerweise umsprang. Es war jedoch weniger die Tatsache, dass ein Gewehr neben dem vermeintlichen Soldaten am Tresen lehnte, als jene Beobachtung, dass er auch sein viertes Bier nicht sofort bezahlt hatte, die das Publikum zögern ließ.
Der Mann nahm einen weiteren tiefen Schluck aus dem Krug und knallte ihn dann mit der Öffnung nach unten auf die Bar. Seine Finger, die nur noch mit jämmerlichen Büscheln Fell bewachsen waren, trommelten vergnügt auf das Gefäß. Ein breites Grinsen, zu dem in diesem Ausmaß nur eine Hyäne fähig sein konnte, auf dem noch relativ jugendlichen, von unzähligen kleiner Kratznarben gezeichnetem Gesicht, winkte er den Wirt zu sich heran.
Was hilft's, wenn du vor Wut ausspuckst, der Tod ist keiner Münze Feil. Von jedem Schlückchen das du schluckst, trinkt schon der Wurm sein Teil“, der Gesang derer, die an der Theke saßen war merklich leiser geworden, denn jeder wollte hören, ob der Fremde nicht ein paar interessante Worte mit dem Wirt zu wechseln hatte. „Ob niedres Pack ob hohe Herr'n, am Ende sind wir Brüder doch. Es leuchtet uns der Abendstern ins gleiche finstre Loch.“
Jener, ein rundlicher, bereits ergrauter Marder, hatte ebenfalls ein gutmütiges Lächeln aufgesetzt und beugte sich zu dem Gast herüber, während er versuchte die ausgebrochene Holzdaube eines Kruges in ihren Eisenring zurückzuschieben.
„Was gibt’s Thaler?“, brüllte er über den Lärm hinweg. „Noch eins?“
„Nein.“, antwortete der Fremde. „Ich möcht' eigentlich noch steh'n können. Das Zeug ist zwar wässrig, aber irgendwie stark.“
Wieder wurde es eine Idee leiser. Die Leute an der Theke hatten aufgehört zu singen und starrten jetzt gespannt auf die Szene. Im restlichen Teil der Kneipe hatte man natürlich nichts mitbekommen. Für so eine Bemerkung bekam man vom alten Ludwig normalerweise zumindest einen Biss und musste hinnehmen, dass man ihm ab und zu ins Bier spuckte.
Aber der Alte lachte nur auf. „Wässrig? Vergisses! Und vertragen hast du auch nie was, schon früher nicht.“
„Mensch, da war ich zwölf und meine Mutter hat dir damals 'nen Zahn ausgeschlagen, weil du mir Bier gegeben hast.“, brummte Thaler, der Soldat, etwas peinlich berührt.
Die Gäste verloren sofort das Interesse. Kindergeschichten, so was gab es hier öfter. Ja, viele der Gäste hatten selbst noch beim Wirt lesen gelernt, bevor er seine Schule schließen hatte müssen. Aber niemand der Anwesenden konnte sich an eine Hyäne erinnern.
„Bwaah!“ Ludwig stieß einen abfälligen Schrei aus. „Hör' mir bloß mit der alten Hexe auf. Sag, willst du was essen?“
Thaler winkte ab. „Ich will dir nicht so zur Last fallen. Ich such' mir später draußen was.“
„So ein Quatsch!“, donnerte der Wirt. „Zumindest ein paar Suppenknochen, die hier 'eh keiner beißen kann, wirst du ja wohl annehmen.“ Damit verschwand er durch die Hintertür.
Der junge Thaler schob abwesend den umgedrehten Krug hin und her. Er hätte doch noch ein weiteres Bier nehmen sollen. Wann bot man ihm so etwas schon einmal an, ohne etwas dafür zu verlangen? Zur Hölle, er war eine Hyäne, er sollte sehen, was er bekam. Aber woher sollte er schon das richtige Verhalten seiner Art lernen sollen? Blödsinnige archaische Hirngespinste, so etwas wie artgerechtes Verhalten gab es nicht.
Ludwig kam zurück, in den Pfoten hielt er eine schwere, irdene Schüssel, die mit großen Knochen gefüllt war. Er ließ sie scheppernd vor Thaler auf den Tisch fallen.
„Lass's dir schmecken, Edgar. Die Dinger sind zwar schon ausgekocht, aber es dürfte noch 'ne Menge Mark drin sein. Ich muss mich erstmal um die Gäste kümmern.“
„Danke“, brummte der Soldat.
Er schob sich das Ende eines schmierigen Beinknochens zwischen die Zähne, biss es ohne sichtbare Mühe ab, kaute, saugte genüsslich das Innere heraus und begann dann auch den Rest der festen Hülle zu verschlingen. Er hatte kein Problem damit so etwas zu Essen. Es war ihm sogar lieber als das seltsame, oft noch warme, rohe Fleisch, dass man ihm auf dem Schlachtfeld vorgesetzt hatte. Natürlich hatten diese Knochen auch keinen viel anderen Ursprung, aber er zog es vor etwas weiter von der Materie weg zu sein. Irgendein Philosoph hatte einmal behauptet, dass man verhungern würde, wenn man einmal zu genau über das Essen nachdachte. Woran dieser Mann gestorben war, konnte er aber nicht sagen. In diesem Punkt waren die Pflanzenfresser dem Rest der Bevölkerung überlegen, aber tauschen hätte doch niemand mit ihnen wollen. Ihr einziges Recht wurde durch Fangquoten abgesteckt.
Nun, eigentlich war es für die Allesfresser genauso, aber nur wenige von ihnen eigneten sich für die gehobenen Schichten überhaupt als Beute, so dass sie kaum befürchten mussten irgendwie verarbeitet zu werden. Jedenfalls nicht direkt. Indirekt hieß es in den Vorstädten oft fressen oder gefressen werden, dabei blieb einem jedoch immer eine faire Chance und wenn es nur jene war, sich absichtlich mit Hautkrankheiten anzustecken.
„Sag mal, was is' eigentlich aus ihr geworden?“, fragte Tahler, lautstark kauend.
„Hm?“ Ludwig schaute irritiert von seinem Zapfhahn auf. „Aus wem? Deiner Mutter?“
„Ja.“
„Du, da hab ich keine Ahnung.“ Der Wirt streckte den Rücken durch und kratzte sich am Hinterkopf. „Sie ist weggegangen, bevor ich das alte Viertel verlassen hab'. Vielleicht hat sie sich einen neuen Mann gesucht. Vielleicht ist sie tot. Vielleicht hat sie Karriere gemacht und eine Genehmigung für die Innenstadt bekommen. Willst du sie suchen?“
„Ich glaub' nicht, dass es sich lohnt.“, meinte der junge Mann. „Wegen ihr bin ich weggegangen, also was soll's schon? Wahrscheinlich würd' sie mich halb tot schlagen.“
„Schon möglich. Was hast du jetzt eigentlich vor? Bist du raus aus der Stabilität?“, fragte der Barmann.
„Hmhm.“ Thaler nickte. „Entlassen. Ich weiß' nicht recht, was ich jetzt soll. Ich hab' vielleicht gedacht, du...“
Ludwig streckte im abwehrend beide Handflächen entgegen. „Kannst du vergessen. Hier durchfüttern kann ich dich nicht. Ich hab auch keine Arbeit übrig.“
Edgar ließ den Blick auf den Tisch sinken. „Hab' ich fast gedacht.“, murmelte er. „Hast du vielleicht 'ne Ahnung, was ich sonst machen kann?“
„Arbeit wächst nicht auf Bäumen.“, sinnierte der Alte. „Hier in den Fabriken wird dich Keiner einstellen, schon allein wegen deiner Herkunft. Und eine Ausbildung hast du ja auch nicht.“
„Doch!“, warf der Jüngere triumphierend ein. „Drei Jahre hat man mich fürs Chemische Sicherungskorps gedrillt, aber mit dem verdammten Aufstand hat man dann doch eher Infanterie gebraucht.“
„Also keine Ausbildung, sag ich doch.“, folgerte der Wirt ohne die vorwurfsvollen Blicke des ehemaligen Soldaten zu beachten. „Du könntest es bei 'nem Sicherheitsdienst versuchen. Vielleicht beim Kühldepot, die haben dauernd Bedarf... allerdings würd' ich das lassen, wenn ich du wäre. Das is' zur Zeit richtig gefährlich.“
„Das wär' ja nichts neues. Eigentlich hab ich gehofft, dass ich was harmloses krieg', aber vielleicht komm ich so in was besseres rein.“
Einen kurzen Moment lang sah der Schankwirt betrübt aus, seine Gesichtszüge wurden aber sofort wieder. „Was besseres bekommst du so auf jeden Fall. Na, dann versuch's, wenn du dich umbringen willst. Nochmal.“, rief er ermunternd und klopfte seinem Gegenüber so wuchtig auf die Schulter, dass diesem ein Knochen aus dem Maul fiel. „Für heute kannst du in der Bierkammer schlafen, falls dich der Lärm nicht stört. Ich komme heute sowieso nicht von der Bar weg, du kannst also meinen Strohsack haben.“
Das Gespräch verlief noch einige Zeit, bruchstückhaft und über den Lärm der Kneipe hinweg. Man sprach von der alten Zeit, die keine acht Jahre her war, von der Nahrungsausgabe in der Ludwig damals gearbeitet hatte, von den stabileren politischen Verhältnissen und von allem anderen ebenso.
„Hast du meinen Vater mal wieder gesehen, Ludwig?“, frage Thaler leise.
„Wo denkst du denn hin?“, tadelte der Wirt. „Der wird nicht wieder auftauchen, nachdem er bei deiner Mutter keine Chance mehr hat. Was würdest du denn machen?“
„Hmm, das Selbe wahrscheinlich.“
„Naja, jetzt bist du aus dem Dienst raus und kannst selbst etwas schnuppern.“
Thaler grinste, bevor sich seine Miene wieder verfinsterte. „Gibt es hier denn Hyänen?“
„Eher weniger, aber du wirst ja wohl nicht in dem Viertel hier bleiben.“, empörte sich der alte Mentor. „Wenn du ein wenig Geld verdient hast, lassen die dich sicher in die Innenstadt. Als Fleischfresser gehörst du da doch hin.“
„Aber ich war da bei meiner Ausbildung, es hat mir überhaupt nicht gefallen.“, warf Thaler ein.
„Aber in einer anderen Stadt, oder?“, stellte Ludwig die Gegenfrage. „Städte sind nicht die gleichen, keine ist genau so wie die andere. Das ist doch auch bei uns so. Fleischfresser ist nicht gleich Fleischfresser, es gibt da löbliche Ausnahmen. Aber bei uns Allesfressern ist das am deutlichsten: Einige meiner Gäste sind Verbrecher, einige Taugenichtse, wenige Halsabschneider, ein oder zwei Strauchdiebe und der Rest ist angeblich arbeitslos. Eine buntere Mischung kann man sich kaum vorstellen.“
Thaler wollte schon widersprechen, bemerkte aber gerade noch rechtzeitig, dass dies ein Witz gewesen war. Allerdings stellte er sich dann die Frage, ob die Sache mit den Städten ernst gemeint war, denn durch das abdriften in Ironie ließ ihn irgendwie daran zweifeln. Waren die Städte nun genauso „unterschiedlich“ wie seine Kundschaft?
„Ich schaffe das doch sowieso nicht.“ Edgar schüttelte den Kopf. „Man braucht 'nen hohen Rang oder Sippschaft um in der Innenstadt wohnen zu dürfen. Aus der Armee bin ich raus und dass ich keine respektable Familie hab, hab ich wohl meiner Mutter und ihrem Temperament zu verdanken.“
Der Alte rückte näher zu ihm heran und dämpfte seine Stimme ein wenig. „Du hast doch selbst die Aufstände gesehen? Wie wild die geworden sind! Junge, die Kühldepots zu bewachen ist gefährlicher als im Feld zu kämpfen, um nochmal darauf zurückzukommen. Ich hab' gehört die Überlebensrate ist zwei Nächte! Wenn du den Mumm dazu hast und einige Wochen durchhältst, dann bist du in Nullkommanichts Feldwebel in der Randpolizei und von da aus kann's nur noch nach oben gehen. Da erlauben die dir schon an den äußersten Rand der Innenstadt zu ziehen.“
Tahler erhob sich ein wenig von seinem Hocker um besser hören zu können. Er war Feuer und Flamme, am liebsten wäre er sofort losgerannt um sich zu bewerben. „Woher willst du denn das wissen?“, fragte er mit gespielter Skepsis, seine vor Aufregung bebende Stimme verriet ihn jedoch sofort.
„Ha!“, rief Ludwig triumphierend, wurde dann aber noch leiser, noch verschwörerischer. „Aus erster Hand: Feldwebel Nadja Hammerschmied, die hat's auch so gemacht.“ Er grinste von einem Ohr zum anderen, was aufgrund des langen Steinmarderkopfes besonders beeindruckend aussah.
„Ah, verstehe schon.“, begann der ehemalige Soldat lächelnd, bis ihm ein anderer Gedanke in den Sinn kam. „Aber, sag mal: Seit wann können Allesfresser so weit aufsteigen? Ich mein, gefährlich ja, aber so aussichtslos... ich mein, nichts gegen dich... aber Steinmarder als Feld...“ Er stotterte und verstummte schließlich schüchtern.
„Is' ein Vielfraß.“, lispelte Ludwig aus seinem immernoch festen Grinsen hervor.
„Wa...oh!“. Thaler blieb der Mund offen stehen. „Das geht doch nicht!“
„Hast du eine Ahnung, was alles geht.“, schnaubte der Wirt abfällig. „Ich hab' genug Nachkommen, da kann ich mir in meinem Alter schon ein Bisschen Spaß gönnen. Und mit ihr, heh, die ist mehr als wild. Ich könnte dir sagen...“
„Schon gut, ich glaub's dir.“, kreischte der Junge schnell. Eine Beziehung über Arten hinweg, war etwas, wovon er bisher nur aus dem Kriegsgeschehen, in Form von Vergewaltigungen gehört hatte. Offiziell gab es so etwas jedoch nicht, nicht einmal eine Strafe war dafür vorgesehen, aber wenn auch nur ein solches Gerücht auftauchte, konnte der Betreffende eine steile Karriere im Normalfall vergessen, wenn er nicht vorhatte einen beträchtlichen Betrag an Schweigegeldern auszugeben. Dass so etwas auf freiwilliger Basis existierte, darüber wollte er gar nicht nachdenken. Natürlich hieß es, dass das Temperament gestreifter Hyänenweibchen erträglicher sei, aber nein, daran wollte er gar nicht denken. „Naja, also sollt' ich es auf jeden Fall versuchen. Da sollt' ich wohl früh raus, ich hau mich also mal auf's Ohr.“, fuhr er dann, etwas abwesend, fort.
„Dann geb' ich dir vorher noch was Stärkeres. Sonst bringst du bei dem Lärm kein Auge zu.“ Der Schankwirt stellte einen Tonbecher auf die Theke und goss etwas klare Flüssigkeit aus einer grünen Plastikflasche hinein. Sofort schoss Edgar ein beißender Geruch in die empfindliche Nase, dass ihm das Wasser aus den Augen lief.
„Um Gottes Willen!“, presste er hervor. „Was zur Hölle is' denn das für'n Deibelszeug?“
„Spiritus.“, sagte Ludwig knapp. „Trink!“
Edgar zögerte kurz, rang sich dann aber doch dazu durch den Becher zu ergreifen. Irgendwie hatte er das Gefühl sein Todesurteil zu unterzeichnen. „Na, zum Wohl!“, murmelte er ohne große Begeisterung, bevor er den Spiritus in einem Zug in seine Kehle goss.
Das Gebräu traf ihn wie ein Dampfhammer. Ein Löffel brennendes Napalm konnte nicht anders schmecken, man hatte ihn aber wahrscheinlich schneller hinter sich. Sein Geschmack und sein Geruchssinn schienen sich aufzulösen, seine Zunge hing ihm Taub aus dem Maul, die Augen tränten so, dass er sich blind glaubte. Allerdings stellte sich ein warmes Gefühl in seinem Bauch ein, während sich der Schankraum um ihn sanft zu drehen begann. Alle Sorgen und die Aufregung über den folgenden Tag zerflossen und gaben der verdienten Müdigkeit einen Platz in seinem Hirn. Seine Augendeckel wurden ihm so schwer, dass er sich kaum noch auf dem Sitz halten konnte.
Unverständlich murmelte er etwas von wegen, dass er nun schlafen gehen würde, sammelte seine Waffe und die bleischwere, lederne Kugeltasche, die er abgelegt hatte, vom Boden auf und drängte sich hinter die Bar. Die Bierkammer war nicht mehr als ein Schrank in dem einige Fässer und Gährflaschen standen. Auf ihnen war ein Strohsack, der als Bettstatt diente, ausgebreitet.
Edgar kletterte hinauf und rollte sich zusammen. Es nicht kühl genug, um in Kleidung zu schlafen, aber der Platz reichte zum ausziehen nicht. Durch die Ritzen in der recht provisorischen Holztür drangen Licht, Hitze und Lärm in das Kämmerlein, so dass man meinte in einer Stahlhütte zu sein. Einige zeit lang starrte der junge Mann auf die gemächlich hin und her schwankende Decke. Ein Angenehmes Gefühl. Die vielen Stimmen draußen verwuschen zu einem Rauschen, das Licht trübte zu einer sachten rosaroten Stimmung. So musste es am Meer aussehen. Die dampfige Glut des Kanonenofens und der vielen Körper war in Wirklichkeit die reine, fruchtbare Luft, die in den Tropen des Abends um die Palmen strich. Dort hatte er hin gewollt, als er in die Armee eintrat, aber leider waren die Konflikte aus diesen ersehnten Gefilden zu ihm gekommen, bevor er ihnen entgegenlaufen hatte können.
Nun war er also wieder hier, nicht ganz dort, wo er angefangen hatte, aber doch seiner alten Heimat sehr nahe. Es war eine bittere Umarmung gewesen in die ihn die elenden Straßen geschlossen hatten, als die Vorstadt wieder betreten hatte. Viele Orte seiner Kindheit hatten ihn getroffen wie ein Schlag ins Gesicht. Er hatte es nicht gewagt, zu sehen, ob die Hütte, in welcher er aufgewachsen war, noch stand. Eine Befreiung war es gewesen, als er festgestellt hatte, dass Ludwig in ein anderes Viertel gezogen war. Auch damals war er bereits Schankwirt und Lehrer gewesen. Viel hatte er nicht gewusst, das konnte Edgar sagen, nachdem er auch nur einen Teil der echten Welt gesehen hatte, aber er war schlau und für lesen und schreiben hatte es immer gereicht. Freunde hatte Edgar niemals viele gehabt, die meisten waren ohnehin mit ihm zum Heer gegangen. Ein oder zwei waren im Feld geblieben. Einer hatte einen Offizier getötet und war erschlagen worden. Der Rest war geblieben, nachdem man ihn entlassen hatte.
Vielleicht war es ganz gut so. Unter dem jungen Löwen hätte er es nie weit gebracht. Man hatte ja nur einen Grund gesucht um ihn abzusägen. Wenigstens hatte er ihnen einen echten gegeben.

Fragment einer vierzehnseitigen, unvollendeten Geschichte. Der Rest ist ziemlich wertlos.Felix M. Hummel, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.09.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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