Werner Gschwandtner

Sonne, Mond und Sterne 2

5 Bergspitze Mondenschein

 

Estrelas fand in dieser Nacht keine Ruhe. Lange, nachdem Kaiserin Soleil und auch Kaiser Lua, ihr gute Nacht gesagt hatten, lag das Mädchen wach und dachte über die Worte des Kaiserpaars nach. Sie war die Tochter der beiden und es war ihre Aufgabe nach der hellen Stimme zu Suchen. Doch wo sollte sie diese Suche beginnen? Das Land Regenbogen war die weiße Stadt, sie musste also ganz schön Groß sein. Wo am besten mit der Suche beginnen? Und was, wenn die helle Stimme überhaupt nicht innerhalb des Landes war? Diese Fragen hielten Estrelas wach. Sie dachte an Ray, an ihre weiße Stute. Soleil hatte gesagt das man sich dem Pferde angenommen und es versorgt hätte, doch Estrelas hätte mehr Ruhe gefunden, wenn sie selber das Tier gefüttert gewusst hätte.

Entschlossen stieg Estrelas aus dem Bett und schlüpfte in die warmen Pantoffeln. Sie wollte nach Ray sehen, sie musste mit eigenen Augen erblicken, dass es der Stute gut ginge. Rasch warf sie sich ihren festen Umhang um und verließ ihr Gemach. Der Korridor lag still und friedlich da. Nur ein paar Laternen brannten, alles andere lag im Dunkeln.

Lautlos schlich Estrelas durch den Palast und erreichte nach wenigen Minuten die Stallungen. Auch hier herrschte eine friedliche Ruhe. Die Pferde in den Koppeln waren alle zur Nacht gebettet und das junge Mädchen bewunderte die schönen Tiere des Kaiserpaars.

In der letzten Box befand sich Rayon, die weiße Stute lag zufrieden auf einem weichen Lager aus Heu und Stroh und hatte die Augen geschlossen. Ray atmete leicht, ihr Schlaf schien durch keine Sorge getrübt zu sein.

„Schlafe ruhig“, flüsterte Estrelas. Sie war leise näher gekommen und behutsam in die Koppel getreten, „träume schön und lasse nichts Böses in dein Herz.“

Liebevoll strich Estrelas dem Tier über den Hals, ohne weitere Worte erhob sich das Mädchen wieder und wollte die Box verlassen, als Rayon die Augen aufschlug.

„Ich habe auf dich gewartet“, sagte die Stute wach, „jetzt wo du weißt wer du bist, ist der nächste Schritt von Nöten.“

„Der nächste Schritt?“ fragte Estrelas neugierig, „wohin führt mich dieser? Zu wem?“

Das Mädchen hatte sich erneut umgewand und sich neben der Stute ins Heu gesetzt. Ray legte seinen Kopf in ihren Schoß und blickte Estrelas liebevoll an.

„Es geht in das Zentrum von Regenbogen“, behutsam blies Ray Luft aus den Nüstern, „du musst die Residenz des silbernen Lords, die Bergspitze Mondenschein, erklimmen. Ich weiß nicht warum du in die Festung der Nacht sollst, aber der Weg ist dir nun mal vorgezeichnet.“

Estrelas lächelte, es fiel ihr ein, dass Ray der Ansicht war, dass der silberne Lord die Regentschaft an sich reisen wollte. Aber Kaiserin Soleil hatte sie Aufgeklärt, dies tat nun das Mädchen ihrerseits für Rayon. Estrelas gab die Wahren Absichten des silbernen Lords kund.

„Ist das so?“ Ray warf ihre Mähne hoch. „Wenn der silberne Lord ebenso, wie wir alle um das Wohl der hellen Stimme besorgt ist, dann gehört er ja auch zu uns. Zu den Gefolgsleuten Regenbogens.“

„Ja“, antwortete Estrelas, „Tag und Nacht sind im Einklang mit dem Lande. Der silberne Lord versucht nur das Land durch die Abwesenheit der hellen Stimme zu Sichern. Sicherlich vermisst er sein Gegenstück ebenso sehr, wie wir alle.“

Schwungvoll erhob sich Ray von ihrem Strohlager. Sie schüttelte sich und stieß das Mädchen sanft an.

„Wir werden sehen“, sagte die Stute, „aber wie dem auch sei, wir sollten uns auf den Weg machen. Die Nacht ist schon weit fort geschritten.“

 

Estrelas fühlte sich bereit. Sie schwang sich, ohne weiteres und so wie sie war, auf den Rücken Rayons und die Stute trabte an. Die Nacht war warm, es regte sich kein Lüftchen und rasch kamen die nächtlichen Reiter vorwärts. Der Mond schien hell über Regenbogen, er stand hoch am Himmel und warf sein silbernes Licht über die weiße Stadt.

Estrelas blickte gegen das dunkle Firmament. Sie hatte noch niemals eine so friedvolle Darbietung der Nacht empfunden. Das Schauspiel, welches ihr der Anblick des Mondes bot, war einfach nur Wunderschön. Doch eines fehlte aus dem gesamt Bild. Es gab keine Sterne.

„Weißt du warum man keinen Stern sehen kann?“ fragte das Mädchen die Stute. Ray wieherte leise und verneinte. „Nein Estrelas“, antwortete sie, „das warum kenne ich leider nicht. Schon lange sind die Sterne der Nacht verschwunden.“

Nun erreichten sie das Zentrum von Regenbogen. Die Bergspitze, welche hoch in den Himmel ragte, wurde von einer hohen Treppe umsäumt. Diese führte zuerst gerate, und schlängelte sich schließlich bis zum Gipfel hinauf.

„Du hast nun den Stufenaufgang « Jour et Nuit » erreicht. Den Treppenaufstieg « Tag und Nacht » darfst nur du betreten. Du musst mich hier zurück lassen, ich werde auf dich warten und hoffen dass deine Worte wahr sind. Denn du wirst oben auf den silbernen Lord treffen.“

„Ich Verstehe“, Estrelas stieg ab, „sei ohne Sorge Ray“, sagte das Mädchen offen, „Kaiserin Soleil sagte es mir und sie als meine Mutter würde mich doch nicht beschwindeln. Alles wird gut werden.“

Noch einmal strich Estrelas Ray über den Hals, dann trat sie auf die erste Stufe der Jour et Nuit und der Aufstieg konnte beginnen.

 

6 Der silberne Lord

 

Estrelas stieg eine Stufe nach der anderen des Aufgangs Tag und Nacht hinauf. Die Treppen funkelten im Licht des Mondes und sie schienen aus purem Silber gegossen zu sein.

Der Aufstieg war Mühselig, Estrelas kam ganz schön ins Schwitzen. Des Öfteren musste sie innehalten um ein wenig zu verschnaufen. Estrelas gähnte, jetzt, wo sie weit über die Hälfte des Weges hinter sich gebracht hatte, machte sich eine zähe Müdigkeit bemerkbar. Der Schlaf verlangte sein Recht.

Estrelas schüttelte sich. Sie durfte der Ermattung nicht nachgeben, so gerne sie das im Moment auch tun wollte.

Es war unheimlich Still auf der Höhe. Bisher hatte sich kein Windeshauch geregt, aber nun, da Estrelas drauf und dran war, im Schlaf zu versinken, da strich ein frisches Lüftchen über sie hinweg. Der Wind wirbelte über Estrelas hoch und belebte das Mädchen auf ein Neues. Sie entspannte sich, fasste aus der Erfrischung neue Kraft und setzte beherzt ihren Weg, hinauf zum Gipfel Mondenschein, fort.

Es dauerte dann nicht mehr lange und Estrelas erreichte das Ende des Jour et Nuit Aufstiegs. Sie hatte die Bergspitze erreicht, sie trat nun in das Reich des silbernen Lords.

Estrelas blickte sich ehrfürchtig um. Das Gipfelmassiv hatte sich weit in den nächtlichen Himmel erhoben und das Plateau, welches sich nun vor dem jungen Mädchen erstreckte, war dem Mond sehr nahe. Es wirkte als würde der leuchtende Trabant mit der Bergspitze verschmelzen.

„Willkommen bist du hier“, eine sanfte Stimme ertönte, „Mondenschein und ich haben dich schon lange Erwartet. Dein kommen lässt uns wieder Hoffen.“

Estrelas wandte sich um, niemand war zu sehen.

„Sei ohne Furcht“, fügte die Stimme hinzu, „dir wird hier kein Leid widerfahren. Komm ruhig näher.“

Estrelas versuchte sich an der Stimme zu orientieren, sie trat einige Schritte auf das flache Plateau hinein und stand nun ein wenig im  Licht des Mondes.

„Wo seit ihr?“ fragte das Mädchen mit klopfenden Herzen. „Wer seit ihr?“

„Ich bin hier und überall“, antwortete die sanfte Stimme, „ich bin das Licht der Nacht. Der Glanz in der Dunkelheit. Ich bin der silberne Lord.“

Estrelas richtete ihren Blick nun auf den Mond. Konnte es war sein? Sprach hier wirklich dieses Gestirn zu ihr?

„Es war mein Weg hierher zu kommen“, äußerte sich Estrelas, „warum sollte ich hier herauf kommen?“

„Du bist Estrelas“, sagte die Stimme ruhig, „du bist die Tochter von Soleil und Lua. Du bist die letzte Hoffnung auf Wiederkehr.“

„Vieles Verstehe ich noch nicht, aber meint ihr die Rückkehr der hellen Stimme?“ fragte nun das Mädchen. Der silberne Lord bejahte.

„So ist es Estrelas. Sagt mir was ihr noch nicht Versteht. Vielleicht kann ich euch Aufschluss geben.“

Das Mädchen schritt noch näher an den Mond heran. Sie faste ein tiefes Vertrauen zu der Stimme und fühlte sich plötzlich irgendwie frei, bereit sich alles von der Seele zu reden.

„Soleil und auch Lua sagten das ich ihre Tochter wäre. Aber warum wusste ich das nicht? Warum lebte ich so lange in einem Land weit ab von hier, ohne die Kenntnis meiner wahren Herkunft?“

Das Licht des Mondes fiel nun vollends auf das Mädchen, der silberne Lord gab wissend Auskunft.

„Es war dein Schicksal“, sagte er sanft, „das Schicksal und das Wohl des Landes Regenbogen liegt in deiner Hand. Dein Wille, deine Aufrichtigkeit und dein Mut mussten erprobt werden. Als Nachkomme stehst du vor mir.“

„Als Nachkomme von wem? Der Kaiserin?“

„So ist es Estrelas. Eines Tages wirst du über Regenbogen herrschen. Und nur du kannst mein Gegenstück zurückführen und ihre Suche zum Erfolg führen.“

„Aber wie?“ Estrelas versuchte das Gehörte zu erfassen. „Welche Macht habe ich dazu?“

„Die Macht der Liebe“, antwortete der silberne Lord offen, „die Macht des Glaubens und der Hoffnung. All diese Kräfte vereinst du mit deinem Kommen.“

„Und wonach sucht die helle Stimme?“

„Sie sucht unsere Kinder“, sprach die Stimme weiter, „zahllos ist die Menge ihrer. Doch vor vielen Monden sind sie vergangen, sie verschwanden allmählich aus meiner Obhut und ich war Machtlos, ich konnte es nicht Verhindern.“

„Eure Kinder?“ fragte Estrelas. „wie sehen sie aus?“

Der silberne Lord seufzte auf, es klang sehr traurig und auch Besorgt.

„Hell“, antwortete er, „sie erwachten stets mit mir und wachten mit mir über Regenbogen. Sie sind die Feuer des Lichts.“

„Feuer des Lichts?“ wiederholte Estrelas, „helle Feuer des Lichts, welche die Nacht zierten?“

„Ja“, der silberne Lord bestätigte dies, „so kann man es beschreiben. Sie sind alles für uns. Und sie sind auch alles für das Land. Regenbogen braucht die Feuer des Lichts. Ebenso wie die helle Stimme und mich.“

„Die Sterne“, nun erkannte Estrelas ein wenig die Zusammenhänge, „die Feuer des Lichts sind die Sterne. Habe mich schon gefragt warum es hier keine Sterne gibt. Und die helle Stimme sucht nach den Feuern des Lichts?“

Abermals bejahte der silberne Lord.

„Ja, sie ist auf der Suche nach unseren Kindern. Und nur du kannst sie nach Hause führen.“

Die Stimme wurde schwächer, das Licht des Mondes, welches noch immer auf Estrelas lag, ermattete. Der Schein fiel in sich zusammen und begann zu verblassen. Die Kraft des Mondes war am vergehen, seine Energie verbrauchte sich für diesen Zyklus.

„Ich muss nun Ruhen“, sagte der silberne Lord beinahe schon unhörbar, „da ich um ein vieles Früher erwache, geht meine Kraft auch eher zur Neige. Aber wenn du mich brauchst, zur Mitternacht bin ich immer für dich da.“

Das Licht des silbernen Lords schwand. Seine Stimme erstarb und das Plateau, auf dem Estrelas stand, wurde von dem Dunkel der Nacht überflutet.

Auch Estrelas fühlte sich nun Müde. Ihre Lider waren schwer und sie konnte kaum die Augen offen halten. Sie gähnte und konnte nur an eines Denken, an Schlaf.

Ihre Knie gaben nach und das Mädchen glitt zu Boden. Ihre Füße trugen sie keinen Meter mehr und Estrelas rollte sich in ihren Umhang zusammen. Sie musste Schlafen, nur ein wenig um wieder zu Kräften für den nächsten Tag zu kommen. Nach dem Schlag des Glockendoms von Regenbogen, war es die dritte Morgenstunde.

 

Valeries Kopf glitt kraftlos zur Seite, ihre Finger konnten das Buch nicht mehr länger halten und es lag nun auf der Brust des Mädchens. Valerie war eingeschlafen. Ihre Lider hatten sich geschlossen und obgleich die Kleine noch gerne weiter gelesen hätte, verweigerte ihr Körper diesen Wunsch. Die Ruhe forderte ihren Tribut. Der Wecker auf Valeries Nachttisch zeigte auf drei Uhr Morgens.

 

7 Schicksale

 

Es war Montagmorgen, 7 Uhr. Valerie hörte, wie aus weiter Entfernung, den Wecker läuten. Verschlafen tapste ihre Hand nach der Uhr und drückte den Alarm ab.

„Nur noch ein paar Minuten“, murmelte Valerie. Sie drehte sich auf die andere Seite und zog sich die Decke höher über den Kopf. Bei dieser Bewegung rutschte das Buch « Regenbogen » über die Bettkante und fiel polternd zu Boden.

„Nun komm schon Valerie“, Sandra trat an das Bett und griff nach Valeries Schulter, „stehe auf, wenn du bis wann weis ich, lesen kannst, kannst du auch aufstehen.“

Sandra bückte sich leise schimpfend, hob das Buch auf, schlug es zu und legte es auf Valeries Nachttisch.

„Komm schon aus den Federn“, Sandras Tonfall wurde leicht ärgerlich, „du weißt dass um neun die Schule beginnt.“

Valerie setzte sich verschlafen in ihrem Bett auf und rieb sich brummend die Augen. „Schon gut Sandra“, sagte sie, „ich bin ja schon wach. Keinen Grund für dunkle Launen.“

Valerie gähnte noch einmal, dann stieg sie aus dem Bett. Sie lief rasch ins Badezimmer, wusch sich, putzte sich die Zähne und kleidete sich an. Dann hastete sie aus dem Zimmer, nicht ohne das Buch Land Regenbogen ein zustecken, und holte Sandra, noch vor dem Speisesaal ein.

„Weist du schon, das Heute wieder ein Pärchen angekündigt ist?“ Sandra betrat mit Valerie den Speisesaal und beide nahmen an ihren Tisch platz.

„Davon wurde mir nichts gesagt“, antwortete Valerie unsicher, „weder Schwester Nora noch Vater Bäumler ließen mich das wissen. Woher weist du das?“

„Ich habe es von Cyndi”, Sandra senkte ein wenig ihre Stimme, „sie ist Überzeugt das dieses Pärchen sie auswählen wird. Cyndi sagte noch“, fügte Sandra hinzu, „dass Vater Bäumler dieses Pärchen eigens für sie ausgesucht hatte.“

Schwester Nora servierte den Mädchen das Frühstück. Kakao und Rührei mit Toast.

Valerie schluckte. Sie hatte wenig Hoffnung überhaupt einmal ausgewählt zu werden, doch das nun sogar manche bevorzugt, oder gar protegiert wurden, gab ihrem Glauben den Rest.

„Wieso hält sich Cyndi für etwas Besseres?“ Valerie schniefte auf. Sie musste abermals gegen einen Weinkrampf angehen, und nur schwach gelang ihr das.

„Cyndi war schon immer eine Intrigantin“, Sandra flüsterte nun schon fast unhörbar, „ihr kleines Erbe ist wohl der Grund dafür.“

Vater Bäumler und Cyndi erschienen nun im Speisesaal. Der Geistliche sprach weisend auf das Mädchen ein und Cyndi nickte mit hoch erhobenem Kopf stumm. Cyndi war neun Jahre alt. Sie kam vor drei Jahren in das Waisenhaus und war die einzige Überlebende ihrer Familie. Die Hausers waren einst eine Familie gehobenen Standes, Cyndis Vater war Unternehmer und angenehmer Luxus zierte vor dem Tag des Endes das Leben Cyndis.

„Wann soll dieses Pärchen kommen?“ Valerie weinte leise, sie schluchzte bitterlich, aber keine Tränen traten aus ihren Augen. Sie waren leer und ausgebrannt.

Sandra nahm Valeries Hand und drückte sie fest. „Darüber wurde nicht gesprochen“, sagte Sandra, „aber ich Glaube das es nach dem Mittagessen sein wird.“ Sandra machte eine kleine Pause, dann setzte sie fort. „Ich frage mich nur, wie sie das bringen wollen?“ Sandra trank ihren Kakao aus, es war an der Zeit sich in das Schulzimmer zu begeben.

 

Valerie warf sich auf ihr Bett. Der Unterricht war für sie Heute äußerst Öde gewesen und auch das Mittagsmahl hatte das Mädchen Lustlos eingenommen. Cyndi war egoistisch wie immer, trieb es an diesem Vormittag aber besonders bunt. Sandra hatte angereckt, dass sie ebenfalls im Spielzimmer bleiben sollten. Sie sollten Cyndi nicht so einfach das Feld überlassen. Doch Valerie wollte alleine sein, sie wollte nicht erneut verletzt werden und lieber das Buch weiter lesen.

Etwas grimmig nahm Valerie das Buch auf und blätterte nach der Seite, wo sie eingeschlafen war. Wo war das gewesen? Valerie besann sich, das Estrelas zuvor mit dem silbernen Lord gesprochen hatte, dann war sie einfach auf der Bergspitze Mondenschein eingeschlafen.

Die ersten Seiten des Buches waren leer, weiße Blätter eröffneten sich ihr und nach drei solcher Seiten begann das neue Kapitel. „Schicksale“, las Valerie laut, „Abschnitt Sechs.“

Valerie entspannte sich ein wenig und ihr Geist nahm die ersten Worte des Kapitels auf.

Ein dämmriger Nachmittagshimmel spannte sich über Regenbogen. Estrelas hatte den Vormittag mit dem Hofmagier der Kaiserin verbracht und Fascino Light unterbreitete dem jungen Mädchen einige Wege.

„Du musst auf die Suche gehen“, hatte der Magier gesprochen, „folge dem Pfad durch das grüne Meer und stelle dich der Prüfung im « Tal der Regenfälle ».“

Estrelas war nun mit Ray unterwegs und die Kleine hatte sich der weißen Stute anvertraut.

Mein Leben ist nun sehr Bewegt“, die Kleine war bereit für das kommende, „dennoch ist mir mein Schicksal noch nicht klar.“

Rayon verstand nun, das der silberne Lord keine Bedrohung für Regenbogen bedeutete. Er war das Gegenstück zur hellen Stimme und machte sich ebenso, wie alle anderen Bewohner des Landes, sorgen um sie. Und es galt die Feuer des Lichts zu finden. Konnten sie diese im Tal der Regenfälle antreffen? Estrelas konnte es nicht sagen. Doch viele Schicksale lagen nun in der Hand des jungen Mädchens.

„Hast du das grüne Meer schon einmal überwunden?“ fragte Estrelas Rayon. Die Stute warf den Kopf hoch und wieherte. „Ja, das habe ich. Der Pfad hindurch ist ein Weg der Entspannung. Er mündet direkt in das Tal der Regenfälle.“

„Dann warst du dort auch schon mal?“ fragte das Mädchen weiter. „Was erwartet mich im dem Tal? Welche Bedeutung hat es für das Land Regenbogen?“

„Ja, ich war im Tal der Regenfälle“, Ray schnaubte belustigt, „aber seine Bedeutung ändert sich mit jedem Besucher. Ich kann dir nicht sagen was dich dort erwartet.“

Lange Zeit ritten sie dahin. Estrelas grübelte über ihre Aufgabe und ihre Zukunft nach, Rayon blieb ebenfalls schweigsam. Dann, obgleich es erst später Nachmittag war, zeigte sich der silberne Lord am Himmel und vor Ross und Reiter lag das grüne Meer.

Eine saftige, einen Meter hohe Wiese erstreckte sich gegen den Horizont. Ein breiter Pfad führte hindurch und Ray wieherte auf. „Wir haben den Weg in das Tal Regenfälle erreicht. Wollen wir den Pfad beschreiten?“

„Fascino sagte das ich mich auf der Suche befinde und diesen Weg gehen soll“, Estrelas packte die Zügel fester an, „es geht los. Mein Schicksal sind die Schicksale vieler in diesem Land.“

„Du musst dich nicht Fürchten“, gab Rayon zu verstehen, „der Weg in das Tal ist eine Reise der Entspannung.“

 

Valerie wollte noch weiter lesen, aber Sandra stürmte lautstark in ihr gemeinsames Zimmer und das Mädchen packte Valerie an der Schulter.

„Cyndi spuckt große Töne“, fauchte Sandra verbittert, „das Pärchen ist angekommen. Es sollen sich alle auf der großen Wiese versammeln. Vater Bäumler will zu uns sprechen.

Valerie schaute von ihrer Lektüre auf. Sie war nicht Erfreut über die Unterbrechung, konnte sich dem Wunsch des Geistlichen aber nicht entziehen.

„Was will er uns sagen? Das Cyndi sich Eltern gekauft hat. Das wäre zumindest Ehrlich.“

Sandra wusste es nicht, aber sie wusste dass der geistliche Vater « sofort » angeordnet hatte. Sie gab Valerie das zu Verstehen. Murrend erhob sich die Kleine von ihrem Bett und hielt das Buch fest an sich gedrückt. Regenbogen musste mitkommen, denn Valerie sah keine Hoffnung in der Ansprache Bäumlers. Cyndi wollte nur vor allen im Mittelpunkt stehen, doch dabei wollte Valerie nicht mitspielen. Sie hatte besseres vor, ihr Buch war für sie zu spannend, als nur eine Sekunde an Cyndi zu vergeuden.

„Lass es uns hinter uns bringen“, äußerte sich Valerie traurig, „zumindest Cyndis Intrigen Manie haben wir danach hinter uns.“

 

8 Auf der Suche

 

Alle Kinder des Nonnenhauses « Zu den Kindern Gottes », versammelten sich auf der grünen Wiese, welche sich weit hinter dem Klosterhauses erstreckte. Das Gras war saftig und stand gepflegt, geschnitten und weich gegen den Himmel. Die Nachmittagssonne war zwar langsam dabei, am Horizont zu versinken, aber ihre Kraft war noch immer ungetrübt. Angenehm warm sahnte sie ihre Strahlen zur Erde und lud zur Erholung und Entspannung ein. Zusätzlich, sorgte auch das etwas ferne plätschern des Grenzflusses, für diesen angenehmen Effekt.

Vater Bäumler wartete bis alle Kinder anwesend waren, dann sprach er im ruhigen Ton zu Ihnen.

„Meine Lieben Schäfchen“, sagte er, „Heute ist ein Paar hier in unserer Mitte erschienen, um ein Kind aus eurer Gemeinschaft aus zu wählen. Zeigt euch von eurer besten Seite. Dann besteht für jeden dieselbe Chance.“

Dann trat Bäumler beiseite und gab den Blick auf ein älteres Ehepaar frei. Der Mann trug einen Anzug, seine Schläfen waren bereits weiß und er hatte eine Brille auf der Nase. Seine Frau trug das Haar offen und blickte aus freundlichen Augen auf die Kinder nieder.

„Wir sind auf der Suche nach einem Mädchen“, sagte der Mann ruhig und stellte seine Gattin und sich als Luce und Luz Solare vor, „etwa acht bis neun Jahre alt. Ein Mädchen, das ebenso Phantasie, wie auch Herz besitzt und unseren künftigen Lebensabend versüßt.“

Valerie hatte die Worte Bäumlers nicht ganz Verstanden. Wozu dienten sie? Um von dem Kauf abzulenken? Aber wenn die Solares ein Mädchen mit Phantasie und Herz wünschten, dann wäre Cyndi nach Valeries Ansicht, nicht die richtige Kandidatin.

Vater Bäumler führte das Ehepaar durch die Gruppierungen der Kinder. Burschen waren schon mal aus dem Rennen, da sich das Paar ja ein Mädchen wünschte. Dann erreichten sie Cyndi, Luz blickte durch seine Brille auf das Mädchen, das mit hoher Nase im Gras hockte und wandte sich dann an seine Frau.

„Was denkst du meine Liebe?“ Frau Solare musterte ebenfalls Cyndi eingehen, konnte sich aber nicht festlegen. „Ich weiß nicht“, sagte sie und zu Cyndi gewandt fragte Luce Solare. „Wie alt bist du mein Kind?“

„Ich bin neun Jahre“, gab Cyndi etwas schroff kund, „und ich bin die Richtige für euch.“

Das Ehepaar schaut sich an und ging schließlich weiter. Cyndi sprang auf, doch Vater Bäumler legte seine Hand auf ihre Schulter und sprach sanft auf das Mädchen ein.

Sandra war aufgereckt, Valerie hatte sich in dem weichen Gras zu Recht gelegt und das Buch lag vor ihr. Ihre Finger wanderten über den Einband und Valerie bewunderte die Detailgetreue Malerei der beiden Wasserfälle.

„Sie kommen zu uns“, hauchte Sandra Valerie ins Ohr, „sie sind gleich bei uns.“

Valerie schaute nun auf. Ihr Blick war noch immer von dem faszinierenden Buch Land Regenbogen gefangen und Valerie empfand sich gegenwärtig Entspannt und Ruhig. Sie lag etwas ausgestreckt im grünen Gras und fühlte sich einfach nur Glücklich. Sie konnte sich selber nicht einmal wirklich eingestehen warum das so war.

„Na ihr zwei“, die Solares blieben nun bei den beiden Mädchen stehen, „sagt ihr uns eure Namen?“

Valerie hielt noch immer das Buch zwischen ihren Fingern und war ein wenig weggeträumt. Sandra antwortete für beide. „Das ist meine Freundin Valerie“, gab sie bescheiden Auskunft, „ich heiße Sandra.“

Das Ehepaar nickte freundlich. Valerie schien immer mehr von den Phantasien des Buches ergriffen zu sein. Dennoch benahm sie sich Höfflich und Zuvorkommend dem Pärchen gegenüber.

Die Solares gingen weiter, sie schauten sich auch noch die übrigen Mädchen an, doch Luce schien bereits ihre Favoritin gefunden zu haben. Sie tuschelte angeregt mit ihrem Gatten.

Schließlich traten sie abermals zu Vater Bäumler und sprachen mit dem Geistlichen kurz, danach verabschiedeten sie sich und gingen. Vater Bäumler sprach nochmals zu den Kindern.

„Die Eheleute Solare waren sehr angetan von euch“, seine Stimme klang offen und ehrlich, „sie haben aber ihre Entscheidung noch nicht getroffen. Noch sind sie sich untereinander uneins, aber zwei Mädchen haben gefallen in ihren Augen gefunden. In 48 Stunden werden die Solares ihre Wahl treffen.“

Valerie hörte nur mehr mit einem halben Ohr hin, sie war längst wieder in der Erzählung Regenbogen vertieft. Sandra schaute belustigt nach Cyndi, das arrogante Mädchen blickte fassungslos in Richtung Vater Bäumler. Doch der Geistige zuckte nur mit den Achseln und wandte sich ab.

„Cyndi ist wohl nicht ganz zufrieden mit dem Verlauf.“ Man konnte eine gewisse Schadenfreude aus Sandras Worten hören. Valerie schaute über den Rand des Buches, sie richtete sich kurz auf und sagte.

„Wer weiß“, äußerte sie sich, „das kann alles auch nur eine Scharade sein. Aber es ist irgendwie schön zu sehen, das Cyndis Machenschaften nicht immer ganz reibungslos funktionieren.“

Danach legte sie sich wieder entspannt in das weiche Gras und nahm Regenbogen neuerlich auf.

 

Estrelas fühlte sich wohl. Rayon hatte Recht behalten, der Ritt durch das grüne Meer, brachte Entspannung und innerliche Ruhe. Zu beiden Seiten des Pfades, dem sie bereisten, erhob sich das satte Grün und immer wieder glitt eine Wellengischt über das gräserne Meer, so sah es zumindest aus.

Seit über einer Stunde folgten Ross und Reiter dem Weg durch das grüne Meer, doch keiner der beiden verspürte eine Müdigkeit. Sie fühlten sich frisch und Munter, wie nach einem erquickenden Schlaf. Selbst Hunger oder Durst meldeten sich nicht.

„Wie weit ist es noch bis zum Tal der Regenfälle?“ Estrelas blickte gegen den Horizont, doch das Bild, welches vor ihr lag, änderte sich nicht. „Das kann ich dir nicht beantworten“, antwortete die Stute Rayon, „der Pfad des grünen Meeres entscheidet von sich aus wie lange man bis zum Ziel benötigt. Gegenwärtig ist der Weg noch weit, aber das kann sich schlagartig ändern.“

Der Mond war längst hoch in den Himmel gestiegen und die Nacht war über Regenbogen herein gebrochen. So wie in der Nacht zuvor, stand kein einziger Stern am Firmament.

„Der silberne Lord hält seine Wacht“, sagte Estrelas leise, „ich kann seine Verzweiflung spüren“, das Mädchen zügelte für einen kurzen Moment ihr Pferd und hob ihren Blick gegen den Himmel, „er war im Grunde schon immer Einsam. Erreichte die helle Stimme nur sehr selten. Doch jetzt ist sein Dasein ohne Bedeutung für ihn.“

Wiehernd warf Rayon ihre Mähne hoch. Mit den Vorderläufen ausschlagend, richtete sich die Stute auf. „Die Abwesenheit der hellen Stimme ist für alle in Regenbogen ein schwerer Verlust. Doch wenn der silberne Lord der Gefährte der hellen Stimme ist, dann kann ich seinen Schmerz nicht einmal im Ansatz nachvollziehen, und man wünscht keinen einen solchen Verlust.“

Estrelas ließ Ray wieder antraben. Ein leichter Wind hatte sich erhoben und strich erfrischend über die Köpfe der Reisenden hinweg. Das volle Licht des Mondes leuchtete den Pfad vor ihnen komplett aus.

„Weist du Ray“, Estrelas strich der Stute über den Hals, „meine Suche ist mir noch immer nicht ganz klar. Gut“, setzte das Mädchen fort, „ich weis mittlerweile das ich die helle Stimme Finden muss. Doch wo soll ich das tun? Wer könnte mir Anhaltspunkte geben? Und wohin sind die Feuer des Lichts entschwunden?“

„Viele Fragen“, entgegnete Ray aufmunternd, „und ich kann dir nicht einmal eine davon beantworten. Aber ich Glaube das du im Tal der Regenfälle einiges an Aufklärung erhältst. Dieses Tal ist ein Ort der Magie und der Wunder. Aber das wirst du schon sehr bald erkennen.“

Der Lufthauch war stärker geworden, er blies kräftig das grüne Meer auf und dennoch blieb der Wind angenehm warm. Die Luft um Estrelas begann zu vibrieren, sie wirbelte auseinander und ließ das Umfeld ineinander laufen.

„Wir haben den Übergang in das Tal der Regenfälle erreicht“, schnaubend blähte Ray die Nüstern, „jeden Augenblick werden wir das Tal betreten.“

Der Wind pfiff nun heulend über die Köpfe hinweg und aus dem Windtanz, ertönte schließlich das plätschern von Wasser. Zuerst nur ganz sanft, leise und mehr wie ein entferntes murmeln. Doch mit jedem weiteren Huftritt, den Rayon setzte, wurde der Laut der fallenden Wasser intensiver.

„Die Luft schmeckt nass“, äußerte sich Estrelas, „sie fühlt sich jetzt kühl an und benetzt wohltuend mein Gesicht.“

„Wir befinden uns nun im Zentrum der Passage zum Tal der Regenfälle“, Ray wieherte auf, „das wunderbare Schauspiel kann beginnen.“

„Schauspiel?“ fragte sich Estrelas, sie richtete sich hoch im Sattel auf und versuchte, durch den Wind hindurch, das Tal der Regenfälle zu erblicken. Doch es gelang ihr nicht. Der Wind ließ die Umgebung schneller rotieren und das Rauschen des Wassers wurde ohrenbetäubend. Vereinzelte Spitzer konnte Estrelas bereits auf der Haut fühlen, vor ihr schimmerte nun ein grelles Licht zwischen den fließenden Umgebungselementen auf und jenes Licht kam rasch näher.

 

 

« Sonne, Mond und Sterne »

Teil 2

Kindererzählung ©

Werner Gschwandtner

www.litterarum.at

„Der Treff für Jung & Junggebliebene“

 

„Meine Kindererzählung « Sonne, Mond und Sterne », ist mein literarischer Beitrag zum Schreibwettbewerb des MB-Verlages für das Jahr 2008. In den Folgenden Wochen werden laufend Kapiteln veröffentlicht werden. Freue mich über Eure Meinungen und Anregungen.

 

euer Werner Gschwandtner

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.09.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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