Johannes Seipel

„...seitdem ich blond bin, habe ich keine Angst mehr!“

Das Untergeschoss des U-Bahnhofes war auch in dieser Nacht zunächst menschenleer.
Endlich vernahm Werner die Fahrgeräusche aus der Tunnelröhre und spürte auch den kalten Luftzug, der die Ankunft des letzten U-Bahn-Zuges an diesem Tag ankündigte.

Plötzlich wurde Werner hinterrücks von starken Fäusten gepackt. Die beiden vermummten Männer hielten ihm den Mund zu, hoben den schmächtigen Mann hoch, trugen ihn zur Bahnsteigkante und stießen den Hilflosen auf die Geleise. Dann flüchteten sie.
Wahnsinnig vor Schmerzen versuchte Werner sich aufzurichten. Doch mit einem Aufschrei fiel er wieder vornüber. Beide Handgelenke waren gebrochen.

In Todesangst wälzte sich der Mann nun seitwärts von den Schienen und erreichte gerade noch rechtzeitig den Personenschutzbereich unter dem Bahnsteig. Da rauschte die U-Bahn auch schon an ihm vorbei. Kam erst in Höhe der Rolltreppen mit kreischenden Bremsen zum Stehen. Hilfskräfte konnten Werner schließlich aus dem Schutzbereich bergen.

Nach längerem Krankenhausaufenthalt gestand der Mann: „Seit diesem Unglück habe ich Angst vor jeglicher Art von Bahnsteigen, vor Dunkelheit, vor späten Abendstunden und vor Männern, die mir paarweise entgegenkommen. Auch am Tag.“

Wochen später konnte die Polizei die Täter fassen, die Werner auf die U-Bahn-Geleise geworfen hatten. Sie hassten nicht nur dunkelhäutige Menschen, sondern ganz allgemein auch schwarzhaarige.
„Deutsch ist blond“, meinten sie. „So wie wir!“

Nach diesem Geständnis begab sich Werner sofort zum Friseur und ließ seine Haare blond färben. Mit diesem neuen Aussehen verlor er plötzlich auch seine Angst vor Bahnsteigen, vor Dunkelheit, vor späten Abendstunden und vor Männern, die ihm paarweise entgegenkamen. Auch am Tag. Klar! Jetzt war er ja „deutsch“, weil blond.

Wenn Werner aber auf sein neues Aussehen angesprochen wurde, erklärte er: „... ist mein Beitrag zur Vermeidung von Gewalttaten!“


Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Johannes Seipel).
Der Beitrag wurde von Johannes Seipel auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.10.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Johannes Seipel als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Neue Gedanken zum Leben und Heilen von Dagmar Berg



Artikel über Leben, Krankheit und Gesundung

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Einfach so zum Lesen und Nachdenken" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Johannes Seipel

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Zopf-Dieter und das Gesicht auf dem Wasser von Johannes Seipel (Alltag)
Die Wichtigkeit des Kommas von Norbert Wittke (Einfach so zum Lesen und Nachdenken)
Am Zebrastreifen von Christa Astl (Wie das Leben so spielt)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen