Hans-Peter Zürcher

Spätsommertag

 
6. September 2007
 
Der Herbstenzian reckt seine tiefblauen Köpfchen der wärmenden Sonne entgegen. Ja sie träumen von der wärmenden Sonne, denn der frühe Morgen ist nach den letzten warmen Wochen erheblich kälter und herbstlicher. Die Blüten noch verschlossen, dösen sie zwischen den Steinen in den beginnenden Tag. Der Himmel zeigt sich milchig, mit lichtem Hochnebel überzogen, einzelne Sterne vermögen durch diesen seidigen Schleier hindurch zu scheinen.  Ein Morgen beginnt, der viel Sonne verspricht. Möge der Traum der Enziane wahr werden und die wärmende Sonne auch mich mit einem oder zwei Strahlen erwärmen.
 
Die Wiesen glitzern wie ein Tröpfchenmeer im tiefen, seitlichen Streiflicht der ersten Sonnenstrahlen. Die Schatten der Sträucher und Bäume zaubern längliche, gespenstisch aussehende Gebilde über den Boden. Die kühle Morgenluft ist frisch, nach feuchte duftend und rein. Stumm die Vögel, meist Amseln, die im kurz geschnittenen Gras den Boden nach Essbarem durchforsten, Meisen und Rotschwänzchen, die munter in den Sträuchern herumziehend oder auf den Steinbrocken umherhüpfend nach Insekten Ausschau haltend und oben am Himmel ziehen Horden von Saatkrähen von ihren Schlafplätzen kommend den umliegenden Feldern zu. Diese Stimmung dauerte jedoch  nicht all zu lange, der dünne Nebelschleier verdichtet sich wieder, als wollte die Sonne noch ein kleines Nickerchen machen, bereits Müde von ihrer frühmorgendlichen Kraftanstrengung. Die Amseln, die Meisen und das Rotschwänzchen ziehen sich auch zurück, besiedeln die Äste der umliegenden Bäume und beginnen ihr Federkleid zu putzen und in Ordnung zu bringen. Da und dort zeigen sich im grün der Bäume erste goldgelbe Farbtupfer von verfärbten Blättern, die Sträucher aber zeigen stolz ihre Roten kleinen Beerenfrüchte, die sie nun in diese graue Landschaft leuchten lassen.  
 
Der Brunnen plaudert plätschernd leise vor sich hin und begleitet das Geläut der Dorfkirche, das aus dem Tal herauf klingt und zur Morgenandacht einlädt. Die Hortensia trägt immer noch ihre großen Blütendolden, eine sogar noch in ihrem tiefen, satten Rosa, alle anderen verblasst, bereits ein wenig in ein Beige/Grau verwandelt. Die Blätter zeigen sich immer noch in sattem Grün. An diesem Hortensiastrauch lässt sich der langsam sich verabschiedende Sommer am eindrücklichsten mitverfolgen. Werden, Sein und Vergehen in einem, ein schöner Spätsommertag ist am Werden, die Hortensia verbindet sich mit dem Sein und die Nacht ist vergangen.
 
Zwischenzeitlich konnte sich die Sonne wieder durchsetzen und beginnt nun ihr noch zartes Licht über die Landschaft zu verteilen. Weißlich, aber von angenehmer, wohliger Wärme. Zaghaft noch, aber bestimmt lichtet sich der Nebelschleier und lässt das Blau des Himmels durch scheinen. Langsam erheben sich feine Morgennebelchen aus der Wiese, hervorgerufen durch die Bodenfeuchte und die wärmenden Sonnenstrahlen. Tautropfen glitzern auf den Grashalmen wie tausend Sterne, eine erste Libelle lässt es sich nicht nehmen, von dieser edlen Nässe zu kosten. Auch ein weißer Schmetterling, rein und schön wie die Keuschheit breitet seine Flügel auf einem Stein sitzend aus, um diese morgendliche Wärme in sich aufzunehmen. Leise zuckend nimmt er diese in sich auf. Selbst eine Ringelnatter, die sich hier im Garten heimisch zu fühlen scheint und seit einiger Zeit beobachtet werden kann, schlängelt sich züngelnd durch das kurze Gras auf der Suche nach einem warmen, geschützten Plätzchen.
 
In den Bäumen beginnt ein geschäftiges Treiben, genau so auch am Himmel, der nun vom lichten Hochnebel befreit seinem tiefen Blau und der Wärme der Sonne freien Lauf gewähren kann. Ein hin und her der Vögel, das von freudigem Gezwitscher begleitet ist, der Schrei zweier Rotmilane, die sich hoch oben vom Winde treiben lassen und miteinander spielen. Ein sich ergänzender Wechsel von Tönen, Rauschen und Plätschern, die sich zu einem Ganzen verweben. Hohe Wolkenfelder treiben im dem aufkommenden Nordwestwind dahin, immer wieder zu neuen Bildern sich formierend. Der Wind treibt nun auch sein Spiel mit den Ästen und Blättern in den Sträuchern und Bäumen. Licht- und Schatten beginnen sich in rascher Abfolge zu überschlagen. Einzelne Blätter wirbeln langsam zu Boden und erinnern daran, dass der Herbst nicht mehr weit ist. Am Schatten kühl, an der Sonne heiß und trotz der klaren Luft ein Hauch von Vergänglichkeit. Bilder von Giovanni Segantini tauchen in mir auf, Werden, Sein und Vergehen, einer Triptichon von großartiger Schönheit und Tiefe.
 
Werden, eine Berglandschaft im Frühling. Die Sonne bescheint die noch schneebedeckten Bergspitzen. Die Alp zeigt sich in frischen Grün, einem kleinen Tümpel widerspiegelt sich der volle Mond am leicht dunstigen Himmel, der nun den Nacht vom Tag ablösen lässt und der Sonne freien Lauf gewährt. Eine Mutter, schützend ihr Kind auf dem Schoss sitzt unter einem Baum, der wiederum ihr Schutz bietet.  Kühe beleben die Alp, die einen grasend, eine jedoch brüllend. Zwei Frauen tragen ihre Habe auf die Alp und der Bauer treibt ein Kalb vor sich hin zur Hütte. Ob der Tag nun aus der Stille, erwacht oder der Abend sich in die Stille senkt, das Bild strahlt Ruhe und Geborgenheit aus. Nur das brüllen der Kuh unterbricht für einen kurzen Moment diese Stille. Ein Geheimnis, dessen Aura die Stille ist, dessen Werden ein Geheimnis, das sich langsam mit dem Tagwerden offenbart.
 
Sein, eine Berglandschaft im Sommer, eine Hochebene, die im Licht der untergehenden Sonne dem Himmel in ein Strahlenmeer verleiht. Die hohen Gipfel der Schneeberge im letzten Sonnenglanz, das Tal bereits dunkel, nur die Bergseen leuchten in den Abend. Mensch und Vieh ziehen Heim, der Mann zieht mit der kleinen Herde voraus, die Frau, ein kalb an der Leine hinter her, genau so wie das Muttertier dem Kalb. Schattenloses Licht liegt auf dem Weg, dessen Ruhe sich auf Mensch und Tier überträgt und auf die ganze Natur. Sein, das Gewordene verbindet sich ebenso wie das Abend werden mit dem Vergänglichen.
 
Vergehen, eine Berglandschaft im Winter. Eine Häusergruppe, davor trauernde Menschen, ein Pferdeschlitten, noch unbeladen. Man erahnt den Abschied eines geliebten Menschen, der noch im Hause aufgebart ist. Das helle, klare Licht mit der dunklen Wolke, saugt all diese Traurigkeit in sich auf. Mittendrin eine weiße Wolke, hell, voller Zuversicht, die das Vergehen aufnimmt mit ihrem Licht. Der tiefblaue Himmel, die Ewigkeit der Berge, all dies trägt das Geheimnis des unvergänglichen. Ein Geheimnis von Werden, Sein und Vergehen.
 
Der Sonnestand hat längst seinen Höchststand überschritten, die Schatten werden länger, der Wind flaut ab und das Blau des Himmels wird intensiver. Die Wolken sind längst weggezogen. Auf dem Brunnenrand hüpfen Meisen von einem Ende zum anderen, und versuchen vom Nass des Wasserstrahls einige Schlückchen zu erhaschen. Ein einzelnes güldenes Blatt taumelt wie berauscht vom nahe gelegenen Ahorn und landet weich im Gras neben dem Brunnen. Es wollte wohl das Erste sein, aber einige Buchenblätter waren schneller und haben sich vor ihm auf der Wiese niedergelassen.  Hoch oben und mit lautem Gekreische ziehen die Saatkrähen, nun in umgekehrter Richtung, ihren Schlafplätzen zu. Die Sonne verfärbt den Himmel in all den Rottönen, die vom Orange bis hin zu Violett reichen und so am fernen Horizont aufkommenden Hochnebel von Hellgrau zu Schwarz verfärben lässt. Die Bäume und Tannen heben sich im Gegenlicht als schwarze Muster, einem Scherenschnitt gleich, ab und der sich dunkelblau verfärbende Himmel, lässt langsam ein Stern nach dem anderen Funkeln. Das Sein dieses schönen Spätsommertags neigt sich dem Abend zu, dem Vergehen, einem Aufbruch zu neuem.
 
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