Jennifer Beckmann

Der ganz normale Wahnsinn

Es war so grausam. Es nützte Jamie gar nichts den Wecker wie immer auf Schlummern zu stellen. Nach 9 Minuten gab er wieder einen "Extrem-Weckruf" ab. Erbarmungslos wiederholte sich das natürlich auch heute mindestens drei mal. Dann war Jamie klar, die Realität hatte sie wieder. Ohne Kompromisse musste sie es einsehen. Es war Montag und es war eindeutig viel zu früh, zu dunkel, zu kalt um sich jetzt aus dem warmen Bett zu erheben.
Sie hatte beschlossen im Liegen zu überlegen, welche Anziehsachen sie heute aus dem Schrank ins Tageslicht jagen sollte. Jamie konnte sich zu einer blauen Jeans, einem schwarzen Pullover und dicken Socken entschließen. Daraus ergab sich zwangsläufig, dass sie heute Ihre Stiefel tragen würde. Niemals würde sie Pumps oder offene Schuhe anziehen mit den dicken Socken an den Füßen. Das hatte sie mit sich ausgemacht, als sie einmal eine Frau mit weißen Söckchen und offenen hochhackigen Schuhen gesehen hatte. Dieser Anblick sorgte damals fast dafür das Jamie das Herz stehen blieb. Sie hatte sich überlegt ob der Dame jemals irgendwer gesagt hatte wie, na sagen wir mal "eigenartig" sie damit aussah. Wie auch immer. Die Dame ging vorbei und Jamie gehörte auch zu denen, die sich nicht dafür verantwortlich fühlten, der Dame Nachhilfe in der Angelegenheit zu geben. Jamies Blick fiel eher zufällig auf den Wecker. "Jetzt aber raus aus den Federn Jamie" sagte sie zu sich, und schwang ein Bein aus dem Bett. Danach flog die Bettdecke zur Seite und Jamie stand auf und ging ins Bad. Das Bad war auch so ein Raum für sich. Ohne Schmeicheleien machte er einem klar, was man am Wochenende vielleicht besser alles nicht getan hätte. Aber da musste sie durch. Zuerst putzte sie sich die Zähne. Als die damit fertig war, sah sie nach oben und entdeckte dabei ihr Gesicht im Spiegel. Der Spiegel war, so stellte sie fest, viel zu grell beleuchtet. Jamie nahm sich vor, die Beleuchtung am nächsten Wochenende zu verändern. Voraussetzung hierfür wäre natürlich das sich damit beschäftigte, die entsprechend schwächeren Glühbirnen auch tatsächlich zu besorgen. Irgendwie ahnte sie jetzt schon, dass am nächsten Montag genau das gleiche Dilemma auf sie zu kommen würde, wie heute. Jamie steckte den Stecker des Radios ein und aus den Lautsprechern dröhnte die vertraute Stimme des Moderators der "Morning -Show". Sie drehte das Wasser auf und brachte es endlich fertig zu duschen. Nachdem sie die Aufgaben der Körperpflege nun erfolgreich gemeistert hatte, verließ sie den mit Dunst gefüllten Raum und stellte sich vor Ihren Kleiderschrank. Sie nahm tatsächlich die Sachen aus dem Schrank, für die sie sich im Bett entschieden hatte. Das war keineswegs üblich. Normalerweise stellte sie den Kleiderschrank auf den Kopf, nahm mindestens drei verschiedene Outfits heraus um sich am Ende doch für das zuerst angezogene zu besinnen. Auf dem Weg in die Küche begegnete sie mehreren Ihrer unzähligen Schuhpaare. Am Ende des Flurs, also eher im Eingang zur Küche fand sie dann auch die Stiefel. Sie schlüpfte hinein und ging weiter. Jetzt stand Jamie vor der Kaffeemaschine und freute sich auf das erste Highlight des Tages. Sie brachte die Maschine in Gang und der Tag konnte anfangen. Bis der Kaffe fertig war hatte sie ausreichend Zeit Ihre Kriegsbemalung zu erstellen. Der Kaffeeduft kroch durch die gesamte Wohnung. Jetzt war es soweit. Hinsetzen und in Ruhe einen Kaffee trinken. Als die Tasse endlich leer war, packte sie sich die Tasche, Ihren Schlüssel, schlüpfte in Ihre Jacke und machte sich auf den Weg zu Ihrem kleinen verbeulten Auto. Es war schon ehrlich eine Gemeinheit. Mit diesem Auto war sie bisher nie irgendwo gegen gefahren, hatte keinen einzigen Unfall gehabt und trotzdem hatte dieser Wagen unübersehbare Gebrauchsspuren. Aber sie mochte ihn und deshalb, sagte sie ihm jeden morgen etwas nettes. Aus irgend einem Grund war sie der Ansicht man müsse sein Auto nett behandeln und ihm Dankbarkeit zeigen, dafür das er einen immer so brav durch die Gegend kutschiert. Würde sie das nicht tun hätte dieses Auto sie wohl schon längst in einer einsamen unbewohnten Straße im Stich gelassen um sich zu rächen. Zumindest ging Jamie davon aus. Unterwegs kam sie an einer Tankstelle vorbei. Jamie hielt hier immer an, besorgte sich die Zeitung und etwas essbares, gegebenenfalls auch neue Zigaretten. An der nächsten roten Ampel musste dann auch sofort die Zeitung mit Ihrem Horoskop herhalten. Sie glaubte ja nicht daran, aber Jamie fand es immer ganz gut wenigstens erahnen zu können, wann ihr etwas eigenartiges passieren sollte. Somit ergab sich die Möglichkeit, sich das Horoskop so zurecht zu biegen wie es am Ende des Tages zu ihr passte. Irgendwann kam sie dann tatsächlich mal in Ihrem Büro an. Sie öffnete die Post vom Samstag und sortierte sie entsprechend. Die Wiedervorlage war ihr immer eine ganz besondere Freude. Sie hatte den Eindruck als wäre diese eigens für Jamie erfunden worden. Meistens war es so, dass der Montag dort mit Sachen der Vorwoche vollgepackt war, bei denen nun die weitere Bearbeitung anstand. Dieser Berg mit Arbeit landete unter der Post. Jamie ordnete die Post dem Berg der Wiedervorlage zu und begann mit der Weiterverarbeitung. Dies sah so aus, dass sie zuerst einmal Kaffee machte und das Radio einschaltet. Mit Musik geht ja alles leichter und sie macht den Tag erträglich. Nachdem die wichtigsten Dinge mit Kollegen besprochen waren, nahm Sie sich einen Kaffee und machte sich an die Dinge, die es so zu erledigen gab. Bitterböse Schreiben an Firmen die ganz klar zu hohe Rechnungen schickten, Rechnungen, Mahnungen, ganz normaler Schriftwechsel. Es war mal wieder von allem was dabei an diesem Tag.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.10.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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