Hermann Josef Vollmer

Mysteriöse Episoden zwischen Himmel und Erde/ 2. Teil

Der Zwerg Alberich

 
Wir hörten die Töne der Blockflöte noch lange klingen. Sie überflogen Berg und Tal und ihr anmutiger Klang erweckte in mir ein zufriedenes und glückliches Gefühl. Der nicht ungefährliche Weg führte uns überwiegend bergauf, durch dichten Wald, vorbei an kleinen Bächen, tiefen Schluchten und hohen, felsigen Klippen. Nur den Kyffhäuser, mit seinem über 450 Meter hohen Gipfel, konnte ich durch keinen der grünen Baumgipfel erblicken. Jedes Mal meinte ich, der Berg wäre uns ganz nah und wir wären in kürzester Zeit am Ziel, aber ich täuschte mich. Es schien, als liefen wir um ihn herum und hatten die Wanderzeichen missachtet; sie wiesen in einer anderen Richtung, als wir liefen. Mehrmals hatte ich Angela auf diese Schilder hingewiesen, aber sie lächelte nur, schüttelte den Kopf und ging weiter ihres Weges. Bodo lief uns voraus, blieb mehrmals stehen und wartete auf uns, wenn er sich zu weit entfernt hatte. Ich dachte mir, dass er den Weg kennen muss. Dann fielen mir die Worte des Hirten ein: Du wirst am Kyffhäuser erwartet? Ich kannte hier doch keinen Menschen! Es sollte nicht lange dauern, dass ich auf diese und andere Fragen eine Antwort bekam.
Der Wald lichtete sich und wir standen auf einer kleinen Wiese, die von vielen großen Bäumen umringt war. Vor ihr lag eine steile Felswand und mitten hindurch floss ein kleiner Bach. Aber von der Burgruine auf dem Kyffhäuser war nichts zu sehen. Überall in den sommerlich grünen Bäumen und am Wiesengrund saßen unzählige Raben. Anscheinend flog die gleiche Anzahl der schwarzen Vögel kreischend um die Bergkuppen des Gebirges. Bodo, unser vierbeiniger Wandergeselle, hastete mit großen Sprüngen über die Wiese, scheuchte einige der Raben auf und lief geradewegs auf die Felswand zu. Ich fragte mich noch, was er da wolle, als ich einen großen Höhleneingang entdeckte, vor dem ein kleiner Mann stand, der nicht viel größer als Bodo war. Der Wicht trug eine rote Zipfelmütze, unter der einige graue Haare hervorschauten, einen langen Bart, war mit einem roten Hemd und einer gelben Weste bekleidet. Er hatte einen schwarzen Gürtel um seinen kleinen, dicken Bauch, durch den die dunkelblaue Hose ihren Halt fand und schliff mit schwarzen Stiefel über den Boden, die ihm etwas groß erschienen. In jeder Hand hielt er eine erloschene Grubenlampe und eine brennende stand neben ihm am Boden, die ihm das nötige Licht spendete. Bodo schien den kleinen Mann zu kennen, er leckte ihm die Finger und wedelte erfreut mit dem Schwanz. Als Angela und ich noch wenige Schritte von ihm entfernt waren, rief er uns mit kräftiger Stimme entgegen:
„Seit gegrüßt ihr lieben Leut´!
Wie mich euer Besuch erfreut.
Ich hab´ euch lang´ nicht mehr gesehen,
d´rum ist das Wiederseh´n so schön.
Ihr werdet schon erwartet!
Freund Bodo ist ganz entartet.
Er ist jetzt schon ein großer Hund,
und leckt mir meine Finger wund."
Er wischte die Hand ab, begrüßte Angela, gab ihr eine Grubenlampe und sprach dabei weiter:
„Angela, du bist noch schöner geworden!
Schöner als der junge Frühlingsmorgen.
Du bist ein Augenglanz, ein hübscher Engel,
bist eine Frau, ohne Makel oder Mängel.“
Sie wurde verlegen; rötlich verfärbte sich ihr Gesicht und spielte nervös mit den Fingern. Dann reichte er mir auch eine Lampe:
„Junger, fremder Mann, ich begrüße Dich!
Artus wirst Du genannt; deinen Namen kenne ich!
Sei willkommen in den Kyffhäuserbergen,
im Reiche des Kaiser und den Zwergen.
Hier wohnt schon seit mehreren tausend Jahren,
der germanische Windgott, Wodan mit seinen Raben.
Wer sonst noch hier wohnt, das weißt Du nicht?
Er wartete hundert Jahre – nur auf Dich!
Es ist Barbarossa, der Kaiser Friedrich.
In unterirdischen Schloss, hält er verborgen sich,
Er hat mit sich genommen, des Reiches Herrlichkeit.
Wird mit ihr wiederkommen, zur neuen Herrscherzeit.
Er ist niemals gestorben, er schläft schon lange hier.
Immer nach hundert Jahren, ruft er dann nach mir.
Geh´ hinaus, Alberich, Du guter alter Zwerg.
Schau noch den Raben! Fliegen sie noch um den Berg?
Sollten Sie noch fliegen, am Himmel hell und klar,
so muss ich weiter schlafen, noch weitere hundert Jahr.“
„Besten Dank, Alberich, für diesen Empfang“, begrüßte ich den Zwerg. „Du hast ein schönes Schauspiel aufgeführt und man könnte Dir fast glauben. Aber ich lasse mich nicht von Dir auf den Arm nehmen! Jedes Schulkind muss bemerken, dass deine Verse dem Gedicht von Friedrich Rückert ähnlich sind. Der  Spaß ist vorbei!“
Ich wollte gehen, als mich der Wicht am Arm festhielt und ich wie durch eine überirdische Kraft gehalten wurde. Es war mir unmöglich nur einen Schritt zu machen. So sehr ich es auch versuchte, ich kam nicht von der Stelle!
„Gib´ den Widerstand auf“, empfahl er mir.
„Du wirst nur matt!
Hör´ Dir erst an, was der Kaiser Dir zu sagen hat.
Du hast Zeit, um seine Worte zu versteh´n.
Dann lieg´s in deiner Hand,
dann kannst auch geh`n!“
Die Wut stieg in mir hoch und mit aller Kraft versuchte ich die Hand des Zwerges abzuschütteln. Aber so sehr ich mich bemühte, es hatte keinen Zweck. Ich hatte keine Wahl und musste dem Zwerg folgen!
 
 
        

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Hermann Josef Vollmer).
Der Beitrag wurde von Hermann Josef Vollmer auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.10.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Hermann Josef Vollmer als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Poetische Träume ....Gedichte und Zeichnungen von Edeltrud Wisser



Unser Leben ist geprägt von Gefühlen, Träumen, Eindrücken und Begegnungen, welche die Autorin in Worte gefasst hat.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Mystery" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Hermann Josef Vollmer

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Mysteriöse Episoden zwischen Himmel und Erde/ 5. Teil von Hermann Josef Vollmer (Mystery)
SPARSAME ZEITEN von Christine Wolny (Erinnerungen)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen