Hermann Josef Vollmer

Mysteriöse Episoden zwischen Himmel und Erde/ 4. Teil

Im Schloss des Kaisers Barbarossa

 
Als wir vor dem Eingangsbogen des Gebäudes standen, erinnerte es mich an das Schloss aus dem Märchen „Schneewittchen“. Es waren wohl keine dornigen Rosen zu sehen, aber die meisten Menschen und Tiere schliefen den hundertjährigen Schlaf. Bodo legte sich neben den schlafenden Wächtern vor dem Eingang des Schlosses und folgte ihrem Beispiel; er schlief ein. Alberich führte uns durch den aus Felsen geschlagenen Schlossbogen in einen großen Raum, dessen goldener Kronleuchter mit dicken Wachskerzen bestückt war. Ein orientalischer, handgeknüpfter Teppich lag auf dem Felsenboden und einige wertvolle Holzstühle standen um einen langen Eichentisch. Vor den Wänden waren mehrere Regale mit alten und dicken Büchern aufgestellt. Wir hatten den prunkvollen Raum grade betreten, als wir aus dem dahinter liegenden Saal eine tiefe Stimme hörten:
„Alberich, bis Du es endlich?“
Der Wicht gab dem Rufenden sofort eine Antwort:
„Ja, mein Kaiser, Euer Diener ist hier!
Ich bringe die erwarteten Gäste mit mir.“
Nach wenigen Schritten gelangten wir in den hallenartigen Nebenraum, aus welchen die Stimme zu uns gedrungen war. Brennende Fackeln hingen an den Wänden. Die Felsmauern waren mit unvorstellbar vielen Bodenschätzen durchzogen. Das schimmernde Metall
in dem Gestein hatte eine solche Vielfalt, dass es den Anschein hatte, als würden die Mauern des unterirdischen Raumes nur aus Gold und Silber bestehen. Außerdem waren sie noch mit Schwertern und Schilden geschmückt. Der Felsboden bestand aus kostbarem marmorähnlichen Gestein, auf dem ein noch größerer geknüpfter Teppich lag als im Nebenraum. Vor diesem orientalischen Kunstwerk stand ein, über drei Meter großer Tisch, an dem eine weibliche und drei männliche Personen saßen.
„Gib mir erst eine Antwort auf meine wichtigsten Fragen“, rief der Monarch ungeduldig. „Was macht mein irdisches Reich und fliegen die Raben immer noch um den Berg?“
„Ich war draußen, nach hundert Jahren.
Will Euch berichten, was ich dort hab´ erfahren.
Es gibt jetzt Maschinen, die fast alles machen;
Flugzeuge am Himmel und Autos, die krachen.
Dampfrösser auf Schienen und Schiffe am Fluss,
all´ das zu sehen ist ein hoher Genuss.“
Er machte eine kurze Pause. Wir löschten unsere Grubenlichter, gaben sie einem herbeieilenden Wicht und Alberich berichtete weiter:
„Den Fortschritt haben die Menschen erworben,
Wohlstand und Geld haben die meisten verdorben.
Nach Macht und Reichtum strebt ihre Gier,
es leidet die Moral und die Manier.
Wo ist das Mitleid, die Fürsorge, die Liebe?
Es zählt nur der Machtkampf, Erfolg und die Siege!
Man hat keine Zeit mehr für die Kinder und Alten,
den Menschen fehlt Wärme - Gibt es nur die Eiskalten? 
Mein Kaiser kehrt in Euer Reich zurück,
bringt den Menschen wieder ihr inneres Glück.
Ich flehe Euch an! Sonst wird der Satan gewinnen,
dem Himmel wird die Menschheit entrinnen.
Das Böse wird siegen, das Gute vergeh´n.
Wollt Ihr das wirklich von hier aus anseh´n?“
Er machte eine Gedankenpause, Totenstille lag in dem Felsensaal, nur das knisternde Brennen der Wandfackeln war zu hören und mir kam die Zeit unheimlich lang vor, bis er weiterredete:
„Das wäre das Ende! Die Tage wären gezählt,
Euer Reich ging unter, Ihr würdet unnötig gequält.“
„Halte ein mit deiner Erzählung“, sagte der Monarch.
„Gebe mir bitte auf meine zweite Frage eine Antwort.“
„Mein Gebieter, das soll schnellstens geschehen!
 Ich habe immer noch Hunderte von Raben gesehen.   
In großer Anzahl fliegen sie um den Berg.
Das war mein Bericht.“
Er machte einen Hofknicks und rief dabei:
„Euer ergebener Zwerg!“                                     
Der alte Kaiser war ein Mann von geringer Größe, aber wohlgebaut. Er saß auf seinem Elfenbeinthron, hatte den rechten Arm auf den Tisch gelegt, um sein Haupt mit der kaiserlichen Krone durch die Hand zu stützen. Sein langer, weißer Bart, der einmal feuerrot gewesen sein musste und dem Herrscher seinen Namen – Barbarossa – gegeben haben soll, hatte sich durch die Marmorplatte gebohrt, war in unendlichen Jahren um den Tisch herumgewachsen und hatte ihn schon zweimal umrundet. Der Kaiser zog und zupfte mit der linken Hand an seinem purpurroten Gewand. Er wandte sich unserer stummen Begleiterin zu, die die ganze Zeit hinter uns stand und nun, als der Kaiser sie ansprach, hervortrat und einen gekonnten Hofknicks machte:
„Ich begrüße dich, Angela! Du bist eine wunderschöne Frau geworden. Im Himmel werden dich die Engel beneiden. Wie geht es deinem Vater? Ich hoffe gut!“
Angela nickte zustimmend und der Kaiser fuhr fort:
„Das freut mich sehr! Sei mein Gast und begebt dich mit Alberich an unsere Tafel".
Beide folgten sofort den Anweisungen des Kaisers, fragten nicht, wohin sie sich setzen sollten, sondern Alberich ging nach rechts und Angela nach links, und schlossen sich so, der im Halbkreis sitzenden Tafelrunde an. Alle anderen Teilnehmer der kaiserlichen Runde hatten schlafend auf dem großen Tisch gelegen. Zwischenzeitlich hatten sie sich gerekelt, gestreckt und saßen jetzt aufrecht und hörten dem Herrscher zu, als er sich an mich wandte:
„Ich begrüße auch dich in meinem Reich! Du bist ein Besucher, auf den ich mit höchster Ungeduld gewartet habe. In den letzten Jahrhunderten habe ich viele Gäste
hier gesehen. Einst kam ein verliebtes Paar, welches heiraten wollte! Es blieb eine lange Zeit hier, sie waren sehr alt als sie dieses Tal wieder verließen, immer noch nicht vermählt, aber ich habe ihnen mit Gold und Silber für den langen Besuch gedankt. Dann führte Alberich vor Jahren einige junge Burschen mit ihren Instrumenten in mein Schloss. Diese stellen mir auch die Frage nach meiner Rückkehr. Nach ihrem Besuch gab ich jedem einen Eichenzweig, den sie draußen, auf dem Heimweg achtlos wegwarfen. Spöttisches Gerede hielten sie über mich und den jüngsten Begleiter, der bescheiden und huldigend meinen Zweig an seinen Hut geheftet hatte. Als dieser Jüngling auf seinen Heimatort zulief, kam ihm seine Braut entgegen, zog seinen Hut vom Kopf und bewunderte die flimmernden, klirrenden Blätter meines Zweiges, die sich zu purem Gold verwandelt hatten. Sie hielten Hochzeit und waren ein Leben lang eine reiches und glückliches Paar. Seine Begleiter suchten vergebens nach ihren weggeworfenen Zweigen und mussten ihr Leben mit Arbeit, Leid und Krankheit verbringen“. 
Er unterbrach seine Erzählung:     
„Setze dich erst einmal an unserer Tafel, bevor ich Dir mitteile, warum Du zu mir kommen solltest.“ 
Ich tat, was der Kaiser sagte, setzte mich ihm gegenüber an den runden Tisch. Dann klatschte er zweimal in die Hände, eine kleine Gruppe von Zwergen erschien, die Speisen und Getränke auf den Tisch stellten und die für jede Person zwei unterschiedlich, große Becher, einen Teller sowie Besteck brachten. Diese Gegenstände funkelten alle im Schein der Wandfackeln, denn sie waren aus purem Silber. Auch der Kaiser erhielt das gleiche Geschirr, aber aus glänzendem Gold. Der Mundschenk des Kaisers, ein korpulenter Zwerg, schüttete in den größten Becher eine leichtschäumende Flüssigkeit. Ich betrachtet mein volles Trinkgefäß und stellte fest, dass es, sowie der Teller und das Besteck mit wunderbarer Gravierung versehen war. Im Mittelpunkt der kunstvollen Abbildungen war das Schloss auf dem Kyffhäuser Berg abgebildet und in großen Buchstaben war mein Name zu lesen: Artus. Ich führte den Becher an die Nase und roch an dem Inhalt, als mir Alberich leise zuflüsterte:
„Es ist ein Genuss, ein Elixier!
Es wird Met genannt, das germanische Bier.“
Er wurde vom Kaiser unterbrochen, der seine Erzählung fortsetzte:
„Wo war ich stehen geblieben? – Ach ja! Bei meinen vielen Gästen. Es gab auch einige Besucher die ich nicht erwartet hatte. Die meisten sind nicht in der Nähe meines unterirdischen Reiches gekommen, haben sich in den Kyffhäuser Bergen verirrt, sind verhungert oder verdurstet, stürzten von den Klippen in den Tod oder wurden nach langen Suchen geisteskrank. Einer dieser Irren war ein Schneider aus Langensalza. Er hatte sich auf dem Gipfel des Berges häuslich niedergelassen und stellte sich den Besuchern als Kaiser Barbarossa vor.“
Er trank einen Schluck aus seinem Becher und sprach danach zu mir:
„Man nennt dich Artus! So wie den britischen König Arthur, Schützling des Zauberers Merlin, tapferer Kämpfer, als Verwundeter gepflegt von Feen im Wunderreich Avalon. Da hast Du einen schönen alten Namen und ich hoffe, auch ein gutes Vorbild. Ich möchte Dir zu nächst, die an unserer Tafelrunde beteiligten Personen vorstellen: Zu meiner linken sitzt mein holdes und geliebtes Weib Beatrix, die Erbin Hochburgunds. Sie schenkte mir zwei Söhne. Mein Enkel, Sohn von Heinrich VI., genannt Friedrich II., sitzt neben der Kaiserin. Sein Nachbar ist Alberich, den Du ja schon kennst. Dieser mein holder Hofmarschall ist der Älteste in der Runde. Zu meiner rechten sitzt mein Freund und Berater Rainald von Dassel und seine Nachbarin ist eine der schönsten Frauen im Kyffhäuser Gebirge, die stumme Tochter des Schäfers. Als Kleinkind musste sie den tödlichen Unfall ihrer Mutter ansehen, die von einer hohen Klippe in den Abgrund fiel. Angela erlitt einen schweren Schock und hat seit dem Unglück ihre Stimme verloren. Die Sage geht um, dass sie erst wieder sprechen kann, wenn ihr ein Mensch, den Sie so sehr liebt wie ihre Mutter, einen Gegenschock versetzt.      
Mich kennst Du ja schon! Ich habe viele Namen: Friedrich I., Kaiser Rotbart oder Barbarossa. – Nun zur Dir, Artus! Du hast den Bericht von Alberich gehört und bei solch einem Ergebnis muss ich handeln! Ich darf nicht in mein Reich zurückkehren und den Menschen helfen. Die Verheißung will es so!“
Er mahn wieder einen kräftigen Schluck aus den goldenen Becher und ich hatte die Gelegenheit ihn zu befragen.
„Eure Hoheit!“, sprach ich ihn, so wie es die anderen auch taten, in der veralteten Anrede, der Höflichkeitsform an.
„Wann dürft Ihr denn den Menschen helfen?“  
„Erst wenn sich ein stolzer Adler in die Lüfte emporschwingt und die Raben für immer vertreibt“, antwortete er mir. „Dann erst darf ich hinausgehen und mein Schild an einer verdorrten Eiche hängen, davon wird der Baum ergrünen und bessere Zeiten sowie Frieden über mein Volk bringen. Alberich hat mir aber mitgeteilt, dass die Raben immer noch fliegen und so muss ich weitere hundert Jahre schlafen. Doch Du sollst den Auftrag von mir erhalten, mein Volk zu informieren und ihm zu helfen. Mit den neuesten Möglichkeiten, die diese moderne Welt Dir bietet“.
„Ich bin nur ein angehender Student, mit wenig geldlichen Mitteln, noch zu jung und mit zu wenig Lebenserfahrung um Euer Volk zu instruieren und ihm zu nützen“, sprach ich zum Kaiser. Er ließ sich durch meinen Einwand nicht beirren:
„Die beste Lehre ist das Leben! Wir haben aber nicht genug Zeit, bis Du ein erfahrener, alter Grieß wirst. Du wirst deine Lebenserfahrung auf eine kurze und radikale Weise lernen müssen. Wir kennen aus der Vergangenheit genügende Situationen, die Du erleben wirst. Es gibt für dich weder Zeit noch Raum, es können zwischen den einzelnen Ereignissen Jahre und Jahrzehnte liegen. Du wirst mit den Alltäglichkeiten konfrontiert, hast die Gelegenheit, durch deine geistigen Entscheidungen und dem inneren Gefühl, die Gegebenheiten zu verändern oder zu beeinflussen. Aber glaube nicht, es wäre ein Spiel! Es ist bitterer Ernst! Die Situationen werden deinen Körper und deine Seele beeinflussen; Du wirst Freude, Glück, Schmerz und Leid genau so spüren wie in deinem bisherigen Leben. Es ist kein Traum! Du lebst wirklich und körperliche Verletzungen oder Verstümmelungen werden dich in deiner weiteren Existenz begleiten. Selbst dein Tod wäre unwiderruflich!“
„Das ist doch der helle Wahnsinn! Könnte Eure Hoheit mir sagen, warum ich das tun sollte? Warum sollte ich mich in Gefahr begeben und eventuell mit Tod und Teufel kämpfen?“
„Die Frage ist gut!“, meinte der Kaiser. „Sie zeigt, dass Du die Erklärung der Aufgabe verstanden hast und sie auch ernst genug nehmen wirst. Aber frage nicht nach dem Wie und Warum! Du bist der Auserwählte! Es ist dein Schicksal!“
„Und deshalb habe ich keine Wahl?“, fragte ich ihn – doch er antwortet mir nicht – ich fragte nach:
„Eure Hoheit will mir eine solche Aufgabe diktieren?"
„Ich bin wohl ein Kaiser, aber kein Diktator!“, reif er etwas ärgerlich in den Saal. „Jeder kann hier seine Meinung äußern, tun und lassen was er will, solang er sich an Recht und Ordnung hält“.
„Und ich?“, fragte ich etwas zögerlich.
„Auch Du hast die Wahl! Du kannst die Aufgabe annehmen, meinem Volk deine Erkenntnisse mitteilen und es möglichst retten. Oder – Du kannst sie auch ablehnen, das Volk in Ungewissheit lassen und warten bis ich wiederkehren darf, wenn es dann nicht zu spät ist!“
„Und wenn ich es nicht schaffen sollte?“, fragte ich zweifelnd.
„Es gibt für uns keinen anderen Menschen, dem wir die Aufgabe übertragen können. Du bist der Einzige, der diese Aufgabe lösen kann. Du bist der Auserwählte! Du musst es schaffen! Es darf in Dir keinen Zweifel geben! – Wir könnten Zweifel! – Du nicht!“
Er trank aus seinem Becher und beendete die Erklärung. Es umgab uns eine unheimliche Stille. Jeder wartete auf meine Antwort. Ich grübelte – und weiß nicht,  wie lange ich so gesessen hatte. Doch immer kam ich zum selben Entschluss und mir war ganz mulmig zu Mute, als ich den Kaiser meine Antwort gab:
„Unter diesen Umständen habe ich keine andere Wahl, als Euern Auftrag anzunehmen.“
Der kaiserliche Mundschenk füllte wieder die Becher und der Monarch nahm seinen, hielt ihn über die Mitte des Marmortisch und rief:
„Lasst uns gemeinsam auf mein irdisches Reich trinken. Auf das Heilige Römische Reich Deutscher Nationen!“
Mich hatten die Worte des Kaisers beeindruckt. Die unvorstellbare Atmosphäre des Schlosses, der Bericht von Alberich über das zum Untergang geweihte Herrschergebiet und die mir übertragene Aufgabe des Kaiser, sein Reich zu retten, brachten mich dazu, spontan meine eigenen Worte dem Trinkspruch des Kaisers beizufügen:                
„Auf die Zukunft, das Recht und die Freiheit eines einheitlichen Europas!“
Ich stieß mit meinem Becher gegen das Trinkgefäß des Kaisers und die anderen folgten meinem Beispiel, so dass alle Gefäße sich in der Mitte über dem Tisch trafen, um danach in einem Zug geleert zu werden. Als ich meinen Becher auf den Tisch stellte, kam mir erst zu Bewusstsein, was ich getan hatte. Bei dem Gedanken, gegen Sitte und Ordnung am Hof verstoßen zu haben, schämte ich mich meiner vorlauten Worte und wurde verlegen. Ich kauerte mich auf meinem Stuhl zusammen, hielt mein Haupt in leicht gesenkter Haltung und meinen Becher mit beiden Händen fest, wie ein Nichtschwimmer im Fluss, der sich krampfhaft an einen Baumstamm klammert. Alle am Tisch sitzenden Personen hatten meine Unsicherheit und Verlegenheit bemerkt. Erst der Kaiser, dann alle anderen, brachen in ein lautes, anhaltendes Gelächter aus, was mich noch mehr unsicherte. Der kaiserliche Mundschenk kam in den Saal gelaufen und füllte alle Becher wieder mit dem honighaften Gerstensaft. Als er mein Gefäß auffüllen wollte, fragte er mich ernsthaft:
„Ist Ihnen nicht gut, mein Herr? Hat Ihnen unser Getränk nicht geschmeckt?“
Diese Äußerung des Zwergs brachte noch mehr Gelächter hervor. Vor Belustigung hielten sich einige den Bauch, und die anderen wischten sich die Tränen aus den Augen.
„Doch!“, sagte ich zu dem Wicht. „Das süße Getränk schmeckt wunderbar. Schütten Sie nur nach!“ 
Rainald von Dassel ergriff als nächster das Wort:
„Ich glaube, mein Kaiser, dass Ihr den richtigen Mann für Euer Vorhaben gefunden habt. Er scheint keine Angst zu kennen, ist voll Tatendrang, mutig und ein Patriot!"
„Nicht nur das sind seine guten Eigenschaften“, unterbrach ihn die Kaiserin.
„Er ist auch ein schlauer Bursche, kann mitdenken, ist sensibel für seine Umwelt und hat ein Gefühl für Recht und Ordnung. Ich bin der Meinung, dass er Eure Aufgabe zufriedenstellend erfüllen wird.“
„Und was meint Ihr dazu?“, wandte sich der Kaiser an seinen Enkel.
„Ich möchte Euch sagen, dass ihre Hoheit, die Kaiserin und Freiherr von Dassel ein gutes Urteil abgegeben haben. Doch mit aller Höflichkeit, lasst mich den Einwand bringen: Er ist zu ehrgeizig und spontan. Das könnte Euer Vorhaben scheitern lassen!“
Der Kaiser überlegte einen Moment, ohne auf den Einwand seines Enkels einzugehen, wandte er sich an seinen Hofmarschall: 
„Alberich, auch Du sollst dein Urteil abgeben! Du kennst ihn von uns allen am längsten.“
„Oh, gütiger Kaiser, mein geliebter Herr,
ich bin Euer Diener und nicht viel mehr!“
„Alberich, gib schon deine Meinung ab und lass uns nicht so lange warten!“, rief der Kaiser ungeduldige. Alberich folgte der weiteren Aufforderung des Monarchen:
„Ich hab´ ihn gesucht, unter Tausenden von Männer,
er ist kein Dieb, kein Gaukler und kein Penner,
kommt aus bürgerlichem Haus, mit guter Bildung,
mehr braucht man nicht für seine Schilderung.
Ich bin der Meinung, dass er es schaffen kann,
er ist bescheiden, klug und voller Tatendrang,          
kennt keine Feigheit, ist nicht ängstlich, noch bang.  
Für diese Aufgabe ist er der richtige Mann!“
Ich glaubte mein persönliches Gleichgewicht verloren zu haben. Es kam mir vor, als stände ich vor Gericht. Der Kaiser war der Richter, und die anderen waren die Schöffen. Nach dem Alberich seine Auffassung mitgeteilt hatte, wollte ich den Kaiser um das Wort bitten. Er währte mit einer Handbewegung ab, wandte sich Angela zu und fragte sie:
„Was ist deine Meinung? Ist er der Richtige für diese Aufgabe? Schafft er es?“
Mein Herz klopfte. Ein mir unbekanntes Gefühl schlich sich durch die Magengegend. Ich bemerkte, wie viel mir ihre Aussage Wert war. Was die anderen sagten, hatte dagegen nur geringe Wirkung bei mir hinterlassen. Ich wusste nicht warum, aber ihre Einstellung war mir nicht egal. Ich wollte sie abhalten, etwas zu sagen. Ach, zu sagen – sagen konnte sie ja nichts – anzudeuten, irgendetwas zu tun, was mir missfiel. Hohes Gericht, fiel mir wieder ein, ich erhebe Einspruch gegen diese Frage. Ich wollte es grade dem Kaiser mitteilen... Er musste es bemerkt haben, denn er zeigte mir abermals abwehrend seine Hand und wandte sich wieder Angela zu:
„Gib uns bitte ein Zeichen der Ablehnung oder der Zustimmung auf meine Frage.“
Sie schaute mich an, wurde verlegen, senkte ihren Kopf, und sie spielte wieder an ihren Fingern. Es war still, ich wagte kaum zu atmen, mein Hals schnürte sich zu, der Brustkorb bebte. Es war eine unerträgliche Lage – endlich kam ihre Antwort! Sie schüttelte den Kopf und danach, unmissverständlich mehrmals hintereinander.   
„Du bist also der Meinung, dass er es nicht schaffen kann?“, fragte der Kaiser noch einmal nach. Sie nickte zustimmend. Ein Schock durchfuhr meinen Körper, es drehte sich alles um mich und das süße, germanische Bier gab mir den Rest.
„Dann bist Du es, der ihm helfen wird! Du wirst ihn mehr oder weniger begleiten ...“
Das waren die letzten Worte die ich vernehmen konnte und dann verlor ich das
Bewusstsein.
 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.11.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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