Sven Später

Ein Einzelfall

 
Das schrille Läuten des Telefons riss mich aus meiner Betrachtung eines äußerst interessanten Hochglanzmagazins, das ich frustriert auf die Tischplatte knallte. Verdammt, gerade hatte sich Miss November in meine Gedanken kopiert, da musste auch schon der nächste Auftrag ins Haus flattern.
Nicht, dass ich viel zu tun gehabt hätte. Seit geraumer Zeit war ich nicht mehr der einzige Monsterbeseitiger im Rheinland. Seit sich die Notwendigkeit einer derartigen Dienstleistung herumgesprochen hatte, wilderten Dutzende von Neulingen in meinem Revier. Jeder eröffnete ein kleine Firma und spuckte mir gehörig in die Suppe. Wenn ich nebenher nicht als Pizzafahrer arbeiten würde, mein Vermieter hätte mich längst vor die Tür gesetzt.
„Claudius Keller-Maus“, bellte ich entnervt in den Hörer. „Zertifizierter Dämonenjäger und dreihundertfacher Weltenretter. Was kann ich für Sie tun?“
Am anderen Ende der Leitung herrschte Stille. Vielleicht hatte mein etwas rüder Ton dem Anrufer die Sprache verschlagen. Also hakte ich wesentlicher freundlicher nach: „Hallo? Sie können mir alles sagen, ich glaube jedes Wort. Nur Mut.“
Nichts.
„Soll ich einen Geist verjagen, ein Werwolfrudel aufmischen? Wenn Sie den Besten suchen, haben Sie ihn gefunden. Also ...“
Endlich drang eine zischende Grabesstimme aus der Hörmuschel in mein Ohr.
„Ich werrrde die Welt verrrnichten und niemand kann mich aufhalten!“
Die Stimme kannte ich. Belphegor, ein abscheulich aufdringlicher Dämon, der erst vor einem halben Jahr durch meine Hand niedergestreckt worden war, hatte sich also wieder aus der Hölle befreit und spielte den großen Rächer der Finsternis.
Sämtliche Ungeheuer blieben tot, wenn sie besiegt wurden, aber Dämonen schafften es nicht, in Frieden zu verrotten. Immer wieder manifestierten sie sich und stahlen meine Zeit. Zum Glück lernten sie aus den früheren Begegnungen mit mir und machten sich gegen verschiedene Angriffe unverwundbar. So kam zumindest keine Langeweile auf.
„Wann soll denn die Apokalypse stattfinden?“, fragte ich und kramte unter den Aktenbergen nach meinem Terminplaner.
„Morrrgen, dachte ich mirrr.“
„Also, das passt mir gar nicht. Diese Woche ist schon ziemlich voll. Wie wär's mit dem Dreiundzwanzigsten, nächsten Donnerstag.“
„Oh“, kam es enttäuscht aus dem Hörer. „Dasss issst aberrr unangenehm. Geht'sss nicht am Montag?“
„Sorry, Zahnarzttermin. Da bin ich den ganzen Tag neben der Spur. Spritzen, Bohrer und so. Haut mich immer wieder aus den Latschen.“
„Alssso gut. Donnerrrssstag. Berrrlin, um Mitterrrnacht. Dann wirrrd sich dein Schicksssal errrfüllen, Dämonenjägerrr.“
„Alles klar, wir sehen uns dann nächste Woche am Donnerstag. Und bitte: keine Armee von Zombies dieses Mal. Die Altstadt von München stinkt noch immer erbärmlich.“
Belphegor schnaubte und verschwand wieder aus der Leitung. Früher waren einem Dämonen noch im Traum erschienen oder hatten sich vor einem im ungünstigsten Augenblick manifestiert - zum Beispiel im Badezimmer, während man dringende Geschäfte zu verrichten hatte. Heute besaß die gesamte Höllenbelegschaft Handy's und vermutlich hatten sie alle meine Nummer an erster Stelle gespeichert.
Die Erzdämonen tauchten nicht übermäßig oft auf. Zum Glück, denn für einen Kampf mit denen gab es im Höchstfall das Bundesverdienstkreuz und einen Schulterklopfer vom Kanzler, aber kein Geld. Den Weltuntergang zu verhindern war alles andere als lukrativ.
Natürlich war die Sache mit dem überfüllten Terminkalender erstunken und erlogen. Ich hatte ganz einfach keine Lust, mich wieder mit Belphegor zu messen, bevor kein anderer Auftrag in Sichtweite war. Mein Bankkonto schrie regelrecht danach, aus allen Nähten zu platzen.
Zu meinem eigenen Bedauern verbrachte ich den Rest des Tages in dem kleinen, stickigen Büro, das zugleich als Wohnzimmer herhalten musste und wartete vergebens auf einen weiteren Anruf. Gegen Mitternacht gab ich es schließlich auf. Ein weiterer Tag, an dem man meine Hilfe nicht in Anspruch nahm. Dabei half ich gerne. Ich liebte es, den waschechten Ungeheuern dieser Welt kräftig in die haarigen Hintern zu treten.
So beschloss ich, ein wenig an der Matratze zu horchen, bevor mich ein weiterer sinnloser Tag begrüßte. Miese Großstadtdetektive mochten meine Situation verstehen. Doch im Gegensatz zu denen verstand ich mein Handwerk. Allein die übermäßige Konkurrenz trug die Schuld an dieser beschissenen Lage.
Kaum reckten sich meine Glieder unter der Bettdecke, auf der Spiderman in Heldenpose abgebildet war, da schrillte erneut das Telefon.
„Verdammt! Welcher Vollidiot ruft den mitten in der Nacht an?“
Meine gallige Stimme verwandelte sich in einen netten und fröhlichen Singsang, sobald ich mich meldete. Wenn es ein Kunde war, durfte er keinesfalls verschreckt werden. Leute, die von Bestien heimgesucht wurden, waren überaus empfindlich. Man musste sie behandeln wie kostbares Porzellan.
„Herr Keller-Maus? Claudius Keller-Maus, der Dämonenjäger?“
„Sie sind mit dem Richtigen verbunden, Herr ...“
„Von Liechen“, antwortete der Anrufer auf meine angedeutete Frage. „Herzog von Liechen. Ich brauche Ihre Hilfe.“
Eine Pause folgte und gerade als ich selbst wieder das Wort ergreifen wollte, fuhr der Herzog fort: „Dringend. Noch in dieser Nacht.“
Das ist mal wieder typisch, dachte ich mir. Zuerst scheint man mich vergessen zu haben und dann verlangt man, dass ich mir die Nächte um die Ohren schlage, ohne mich richtig auf einen Auftrag vorbereiten zu können. Aber was sollte ich tun? Meine Bank saß mir gemeinsam mit dem Vermieter im Nacken, die Rechnungen häuften sich zu Bergen, die selbst einen Reinhold Messner vor unüberwindbare Probleme stellten.
„Sagen Sie mir bitte, worum es sich handelt. Manchmal sieht die Sache schlimmer aus, als sie in Wirklichkeit ist.“
Ein letzter Versuch, doch noch etwas Schlaf zu bekommen. Ganz gleich, welches Übel diesen Mann heimsuchte, es wäre sicherlich auch noch nach Sonnenaufgang da. In unmittelbarer Gefahr befand er sich nicht. In seiner Stimme lag Sorge und Trauer, aber keine Spur von Panik.
„Ich benötige Ihre Dienste sofort, Herr Keller-Maus. Meine geliebte Frau wird die Nacht nicht überstehen. ER wird sie vernichten.“
Gut, es bestand kein Zweifel daran, dass es sich um eine ernsthafte Angelegenheit handelte. In meinem Beruf entwickelt man mit der Zeit eine gewisse Sensibilität. Ein inneres Gefühl, das einem sagt, ob es sich um eine Überreaktion des Betroffenen handelt oder um eine wirkliche Notlage, die sofortiges Handeln unerlässlich macht. Im Fall von Herzog von Liechen riet mir mein Magen eindeutig zu einem raschen Einschreiten.
Ich ließ mir den Weg zum herzöglichen Anwesen beschreiben. Die Fahrt sollte nicht länger als zwanzig Minuten dauern. Also noch genügend Zeit, um den Notfallkoffer mit frischem Weihwasser und neuen Kreuzen zu füllen. Auch auf meinen Revolver mit den Silberkugeln und den Universal-Dämonenjäger-Dolch wollte ich nicht verzichten. Was auch immer mich erwartete, ich musste gewappnet sein gegen die Schrecken der Nacht.
Wie erwartet waren die Straßen zu später Stunde nur spärlich befahren. So erreichte ich mein Ziel in weniger als einer Viertelstunde, in der Hoffnung, dass mich kein Geschwindigkeitsmesser erfasst hatte.
Die Villa erhob sich dunkel und bedrohlich auf einem kleinen Hügel. Rings herum standen einige Bäume, die auch schon bessere Zeiten erlebt hatten. Ich erinnerte mich, schon einige Male an dem Anwesen vorbeigefahren zu sein, doch war es mir nie wirklich aufgefallen. Nun bot sich mir das Bild eines alten, vom Zerfall gezeichneten Gemäuers, das geradezu als Brutstätte für Geister prädestiniert war. Hier musste der gute Herzog ja Probleme mit dem Übernatürlichen bekommen.
Wesen der Geisterwelt und Höllenkreaturen bevorzugten Altbauten, das war seit jeher bekannt. Vermutlich reine Nostalgie. Wenn nicht, hatten sie eben einen grauenvollen Geschmack.
Ohne weiter über den Wahnsinn gut betuchter Hausbesitzer nachzudenken, lenkte ich den schwarzen Rover elegant durch die riesige Toröffnung und hielt nur wenige Meter von der Eingangstür entfernt an. Sofort erschien auf der Veranda ein Mann mit grau meliertem Haar, gekleidet in einen offensichtlich kostspieligen Smoking. So waren sie, die Reichen unserer Welt. Wenn sie nach einem harten Arbeitstag auf dem Golfplatz in ihrer bescheidenes Heim zurückkehrten, legten sie ihre Krawatte ab und schlüpften in die sportlichere, legere Fliege.
„Herr Keller-Maus, nehme ich an. Ich bin Herzog von Liechen. Treten Sie ein, wir haben nicht mehr viel Zeit.“
„Bitte, nennen Sie mich Claudius“ bat ich eindringlich und ergriff seine Hand. Sofort liefen hundert eisige Koboldfüße über den Rücken, denn was ich da schüttelte war kalt und auf seltsame Weise leblos. Es gab zwei Möglichkeiten: Entweder der Herzog rauchte eindeutig zuviel oder er war bereits tot.
„Herr Keller ...“
„Claudius, ich bitte Sie. Sie werden verstehen, dass es mir bereits peinlich genug ist, diesen Nachnamen tragen zu müssen. Ich muss ihn nicht auch noch ständig hören.“
Der Herzog drehte sich kurz um und lächelte verständnisvoll. Trotz der guten Haltung, die er mir präsentierte, erkannte ich Schmerz in seinen blutunterlaufenen Augen. Diesen Mann quälte die Furcht um das Leben seiner Frau. Darin bestand kein Zweifel. Nun, jetzt hatte er ja den besten aller Dämonenjäger engagiert und solange es sich um eine Kreatur aus der Schattenwelt handelte, sollte die Rettung seiner Angetrauten kein Problem darstellen.
Er führte mich durch lange, düstere Gänge, eine breite Treppe hinauf und schließlich ging es über einen weiteren Flur zum Ort des Grauens: Das Schlafzimmer. Mein Instinkt gab keine Ruhe, sagte mir immer wieder, dass etwas nicht stimmte. Ich spürte die Anwesenheit des Bösen, aber sie ging nicht von diesem einen Raum aus, den ich gleich betreten sollte. Nein, die Wände, der Boden, das gesamte Gebäude war durchdrungen mit höllischer Energie.
Bevor Herzog von Liechen die Tür zum Schlafzimmer öffnete, drehte er sich noch einmal zu mir um: „Ich muss Ihnen noch etwas gestehen, bevor Sie mit der Arbeit beginnen können. Meine Frau ist besessen, doch Sie dürfen dies nicht mit anderen Austreibungen vergleichen.“
„Schon klar, schwarze Messe, nur so zum Spaß und dann ist plötzlich die Kacke am dampfen. Machen Sie sich keine Sorgen, Sie glauben gar nicht, wie oft ...“
„Nein, das ist es nicht“, fiel er mir ins Wort. „Ich ... Wir ... Meine Frau und ich sind nicht ... menschlich.“
Mit äußerst aufmerksamen Gesichtsausdruck lauschte ich, gab ihm mit einem Nicken zu verstehen, er solle fortfahren.
„Wir sind Vampire.“
„Vampire?“, zischte es aus meinem Mund. „Das ist ja wohl der Gipfel der Unverschämtheit. Ein Vampir bittet mich, MICH um Hilfe. Haben Sie denn den Verstand verloren? Biester wie euch pfähle ich im Dutzend noch vor dem Frühstück! Wie kommen Sie darauf, dass ich einen Vampir rette? Ich sollte Ihnen den Garaus machen und Ihrer Frau die Vorhänge öffnen, damit die Sonne sie küssen kann.“
Herzog von Liechen blieb ruhig. Er hatte wohl mit einer heftigen Reaktion nach seinem Outing gerechnet.
„Fünfzigtausend“, war seine Antwort.
„Was bilden Sie sich ein? Glauben Sie, ich sei bestechlich? Berufsehre, sage ich da nur.“
„Hunderttausend.“
„Nein, Sie können mich nicht überzeugen. Das wäre ja Blutgeld.“
„Hundertfünfzig, mein letztes Wort. Nehmen Sie an oder töten Sie mich - umsonst, versteht sich. Ich möchte ja nicht Ihrer Berufsehre im Weg stehen.“
Das Stichwort. Moralische gefestigt zu sein gehörte sicherlich zu den wichtigsten Tugenden eines Dämonenjägers. Aber Moral ernährte mich nicht, bezahlte keine Miete und finanzierte mir auf gar keinen Fall die monatlichen Hochglanzmagazine mit all den leicht bekleideten Traumfrauen. Nicht zu vergessen die Berichte über Sport und Technik, der Hautgrund für mich, solche Hefte zu kaufen - versteht sich von selbst.
„Abgemacht, aber ich tue es nicht des Geldes wegen. Mich interessiert allein, welcher Teufel dämlich genug ist, in den Körper einer Untoten zu fahren.“
Von Liechen öffnete wortlos die Tür und trat in die Höhle des Löwen. Ich folgte ihm in gebührendem Abstand. Man konnte den Blutsaugern nicht über den Weg trauen. Ehe man es sich versah, zückten sie Fänge und Krallen. Ihre nette Art war nicht mehr als der hypnotisierende Blick einer Schlange. Vampire waren allesamt vom gleichen Schlag. Hinterhältige Mistviehcher.
Da stand ich nun in dem äußerst altmodisch, doch geschmackvoll eingerichteten Schlafzimmer und betrachtete die auf dem Bett liegende Schönheit. Wie bei Blutsaugern üblich hatte auch ihre Haut diese ebenmäßige Blässe, ohne jede Spur von Falten oder gar Altersflecken. Die wohl schönsten Wesen der Welt und alles nur Fassade.
Ihr schwarzes Haar lag auf dem goldfarbenen Kissen ausgebreitet, wirkte struppig und nass. Ein Anblick, den man nicht alle Tage zu Gesicht bekam. Wirklich gesund sahen diese Nachtkriecher nie aus, aber der Frau merkte man an, dass etwas nicht in Ordnung sein konnte - abgesehen davon, dass sie tot war.
Erstaunlich, dachte ich. Vampire können also doch schwitzen.
Sie atmete nicht. In Anbetracht ihrer Leblosigkeit nicht weiter bedenklich. Trotzdem hob und senkte sich in regelmäßigen Abständen ihr Brustkorb. Auf und ab, auf und ab. Vermutlich versuchte der Dämon in ihrem Innern eine Art Leben zu simulieren, nur um sich selbst zu täuschen. Ihm musste die Situation ja furchtbar peinlich sein. Da hatte er wohl Jahrhunderte lang auf einen geeigneten Wirtskörper gewartet und hüpft dann ungestüm in eine Untote. Bei seinen Teufelskollegen brauchte der sich nicht mehr blicken lassen.
„Warum haben Sie keinen Exorzisten bestellt?“, fragte ich ohne viel darüber nachzudenken.
Sofort bedachte mich von Liechen mit einem finsteren Blick und brummte: „Ja, natürlich, der kommt dann mit seinen Kruzifixen, Weihwasserampullen und Bibelsprüchen, verwandelt das Fleisch meiner Geliebten kurzerhand in Staub und schmeißt den freigelegten Dämon einfach in den Müll. Ich zweifele langsam an Ihrer Intelligenz, Herr Keller-Maus.“
Nun war es an mir, meinem Auftraggeber mit einem beträchtlichen Maß an Gereiztheit zu begegnen: „Ich bat Sie doch, mich beim Vornamen zu nennen, Herrgott noch mal!“
Die Erwähnung des himmlischen Vaters schmeckte dem Blutsauger ganz und gar nicht. Zugegeben, ich hatte ein wenig die Beherrschung verloren. Meinungsverschiedenheiten waren eine Sache, die Beleidigung derjenigen Person, die sozusagen für meine nächste Mietzahlung aufkommen würde, stand auf einem ganz anderen Blatt. Unverzeihlich für einen Profi.
„Vermeiden Sie bitte solche unflätigen Worte in meinem Haus“, sagte der Herzog und rümpfte dabei beleidigt die Nase. „Auch wir Kinder der Nacht haben unseren Stolz.“
Vorsichtig näherte ich mich dem Bett. Schlafende Dämonen soll man bekanntlich nicht wecken. Ein deftiger Exorzismus zählte zu den schmutzigsten, aber auch leichtesten Aufgaben. Immer wieder die gleichen Sprüche und Rituale und schon platzte der böse Geist aus dem Körper heraus. Manche Dämonen kämpften nach dem Rauswurf mit mir, meistens verzogen sie sich aber in ihre Hölle.
Angst, dass sie mit meiner Seele verschmelzen könnten, hatte ich nicht. Brust und Rücken waren mit etlichen Schutzsymbolen sämtlicher Religionen tätowiert. Ich war ein wandelndes Bollwerk gegenüber teuflischer Macht. Früher hatte ich Talismane mit mir herumgeschleppt, doch all die Ketten und Ringe behinderten einen bei der Arbeit. Rapper konnten sich diesen Tand leisten, die mussten ja auch nicht gegen Ungeheuer antreten. Vielleicht einmal abgesehen von nervtötenden Groupies.
Was sollte ich nur tun? Die Situation verlangte nach einer ganz besonderen Strategie. Bei Dämonenaustreibungen stellten christliche Riten die beste Möglichkeit dar, ein schnelles und relativ sauberes Ergebnis zu erzielen. Tja, in diesem Fall konnte ich das getrost vergessen.
Da mir Name und Stellung des Höllenwesens unbekannt waren, versuchte ich zuerst einen einfachen Befehl. Vielleicht stand mir ja das pure Glück bei und es handelte sich um einen Frischling, ein Dämonenjunges. Sie verfügten nicht über die Erfahrung der Alten und gerieten rasch aus dem Gleichgewicht, wenn man sie reizte. Was hatte ich schon zu verlieren?
„Dämon“, rief ich voller Inbrunst. „Verlasse sofort den Körper dieser ... dieser untoten Frau! Ich befehle es dir im Namen der sieben Höllen!“
Marie richtete sich auf, starrte mich an. Aber ihr Blick blieb leer. Dann grollte sie in mehreren Tonlagen: „Diese Stimme. Wer wagt es, mich zu reizen? Ich kenne diese Stimme.“
Etwas Rötliches blitzte in den Pupillen der Vampirin auf. Der Dämon übernahm die vollständige Kontrolle über seinen Wirt und ein feingliedriger, linker Zeigefinger deutete auf mich.
„Claudius?“, fragte sie - es oder er. „Bist du das? Ach du Scheiße! Dachte nicht, dass du einmal auf die andere Seite wechseln würdest. Ich bin es, Muno-Ak. Erinnerst du dich an Afrika?“
Und ob ich mich erinnerte. Muno-Ak zählte zu den gefährlichsten Dämonen, die der heiße Kontinent zu bieten hatte. Ein echter Dreckskerl, immer auf der Suche nach unschuldigen Seelen, die er quälen und dann fressen konnte. Unter den Menschenbesetzern war er der unbestrittene König. Fies, unaufhaltsam und gierig.
„Wo bin ich hier denn eigentlich gelandet?“, fragte Muno-Ak mit seiner Stimme aus dem Mund der Frau. „Dieser Körper ist der letzte Dreck!“
Ich konnte ein leises Kichern nicht unterdrücken. Er wusste es also noch gar nicht. Es war mir ein Vergnügen, den Dämon aufzuklären: „Du bist in einen Vampir gefahren.“
„Nein, das kann nicht sein. Im Ernst? Ich mache mich ja lächerlich.“
„Ist dir denn nichts aufgefallen?“
„Nun ja, ich fand es schon eigenartig, dass mir keine Seele Widerstand leistete, aber wer denkt schon daran. Hey, Dämonenkiller, hol mich bloß hier raus. Dann vergesse ich unsere erste Begegnung und gewähre dir auch einen raschen Tod!“
Das machte mich stutzig. Dämonen kamen und gingen, wie es ihnen beliebte. Muno-Ak war kein Anfänger, warum sollte er mich benötigen, um ein unbequemes Gefäß zu verlassen?
„Bevor du dämliche Fragen stellst“, sagte er/sie, „ich hab' gerade versucht, den Körper zu verlassen, aber ich sitze fest. Dämonen brauchen Seelen, die sie wieder freigeben können. Ohne geht das nicht. Der Leib hält mich gefangen, weil es unnatürlich ist, ohne Seele durch die Gegend zu laufen. Verdammtes Vampirpack, sind von Menschen kaum noch zu unterscheiden.“
Gier machte immer schon blind. Es gab Weisheiten, die bestätigten sich wieder und wieder. Muno-Ak musste derart versessen auf eine menschliche Seele gewesen sein, dass er sich Hals über Kopf auf das erste menschenähnliche Wesen gestürzt hatte, dem er begegnet war. Ich sollte ihn in seiner Schmach sitzen lassen. Sei es drum, mein Ehrenkodex ließ es nicht zu, einen angenommenen Auftrag nicht auszuführen.
„Wenn ich einen unchristlichen Pseudo-Exorzimus durchführe, wirst du dann ohne Gegenwehr den Leib des Vampirs verlassen?“
Das Gesicht der Frau verzog sich zu einer häßlichen Fratze: „Natürlich nicht. Du bist einer meiner Erzfeinde. Auch wenn du mir hilfst, habe ich doch noch ein Hühnchen mit dir zu rupfen. So leicht wirst du mich nicht los.“
Typisches Dämonengehabe. Sie bissen stets in die Hand, die sie fütterte. Wie hielt es Satan mit all diesen Heuchlern nur aus?
Plötzlich stürzte Herzog von Liechen mit ausgefahrenen Krallen und gefletschten Zähnen an mir vorbei: „Verlasse meine geliebte Marie, du Hund! Ich verlange Satisfaktion. Zeig dich und kämpfe wie ein Wesen der Dunkelheit!“
Es kostete mich sehr viel Kraft den wütenden Vampir zurückzuhalten. Immer wieder versuchte er sich aus meinem Griff zu befreien. Vergebens, es gab da den einen oder anderen Trick, dem selbst Bestien mit übernatürlicher Kraft nichts entgegensetzen konnten. Zugegeben, die Tätowierungen verliehen auch mir besondere Stärke, solange es sich nicht um normale Menschen handelte.
Der Vampir kreischte und zeterte: „Lassen Sie mich los, ich reiße den verdammten Teufel in Stücke!“
„Bleiben Sie ruhig. Sie würden nur ihre Marie verletzen. In einem fremden Körper sind Dämonen an sich unverwundbar. Man muss sie zuerst isolieren, wieder in die materielle Welt befördern.“
Einen kurzen Augenblick zögerte ich und fuhr dann mit sarkastischem Lächeln fort: „Wenn ich ihn verbannt habe, dürfen Sie mit ihm spielen. Versprochen. Auf Ihren Wunsch hin halte ich mich aus einem Kampf heraus.“
Muno-Ak hielt abwehrend Maries Arme nach vorne. Er spuckte grünen Schleim auf den Anzug des Herzogs und fauchte.
„Halte mir den Spitzzahn vom Leib. Wenn der diesen Körper zerstört, reißt mich ein Strudel direkt in den Himmel. Da will ich ganz bestimmt nicht hin!“
Das Geschwätz des Dämonen kümmerte mich nicht die Bohne. Mir ging es nicht um sein Seelenunheil, sondern darum, einen erteilten Auftrag sauber auszuführen. Die Frage war nur: Wie?
Herkömmliche Methoden standen nicht zur Debatte, Vampire reagierten äußerst allergisch auf Gebete und Bannsprüche. Ich konnte der Befallenen weder ein Kruzifix auf die Brust legen, noch sie mit Weihwasser bespritzen. Nein, in diesem besonderen Fall hieß es, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben.
Aber zum Glück hatte sich Herzog von Liechen für mich entschieden, nicht einen dieser Grünlinge angerufen. Nicht auszudenken, was ein Anfänger angerichtet hätte, sowohl mit der besessenen Marie, als auch mit dem guten Ruf unserer Branche. Yuppies taugten einfach nichts.
Von Liechen tobte noch immer gleich einem untoten Stier. Ich musste ihn aus dem Zimmer schaffen, um meine Kräfte und Nerven zu schonen. Dann kam sie. Unverhofft, aber im rechten Augenblick: die rettende Idee. Mein Vorhaben war durchaus gewagt, aber in einen sicheren Weg gab es nicht.
„Hören Sie“, schrie ich meinem Auftraggeber entgegen. Ständig begann er damit, sich in eine gigantische Fledermaus oder einen aufrecht gehenden Wolf zu verwandeln, ließ es aber doch wieder sein. Er war außer sich vor ohnmächtiger Wut. Wie gerne hätte er seiner Geliebten Muno-Ak inklusive ihrem Herzen aus der Brust gerissen. Andererseits wusste er, dass dies den sicheren Tod für Marie bedeuten würde. Auch an mir konnte er seinen Zorn nicht auslassen, da er in mir seine letzte Chance sah.
„Beruhigen Sie sich doch, Herzog. Ich brauche Ihre Hilfe, wenn wir Marie retten wollen. Als Vampir von Welt kennen Sie sich doch gewiss mit schwarzer Magie aus?“
Abrupt hielt der Wüterich inne und betrachtete mich etwas irritiert. In sein Ohr flüsterte ich Dinge, die nur er zu wissen brauchte und es wäre gelogen zu behaupten, dass mich die Neugierde des Dämonen nicht amüsiert hätte. Vor allen Dingen ab dem Zeitpunkt, als mein Vorschlag ein verstehendes Lächeln auf von Liechens schmale Lippen zauberte.
„Hey, was redet ihr da? Veralbert ihr mich etwa? Ich warne euch. Immerhin bin ich noch immer ein mächtiger Dämon.“
„Nur etwas unpässlich zur Zeit und ein wenig steif, nicht wahr, Muno?“, entfloh es mir voll galliger Schadenfreude. Muno-Ak war momentan so gefährlich wie ein Werwolfbaby mit Reizhusten. Die Sache würde anders aussehen, entkäme er erst einmal seinem Gefängnis. Bis dahin erfreute ich mich daran, ihn mit Spott und Hohn zu piesacken. All das hatte natürlich einen tieferen Sinn. Er musste richtig wütend werden, sollte der Plan funktionieren. Jeder gute Dämonenjäger weiß, dass Dämonen in Rage unüberlegte Dinge taten und somit wesentlich leichter zu beseitigen waren.
Etwa eine halbe Stunde später standen die notwendigen Utensilien bereit und warteten sehnsüchtig darauf, ihrer Bestimmung zugeführt zu werden. Drei schwarze Kerzen, ein kleiner Bottich mit Blut gefüllt - ich wollte gar nicht wissen, von wem oder was es stammte - und ein goldenes Behältnis, aus dem Schwefeldampf entströmte.
Erstaunlich, ging es mir durch den Kopf. Vampire sind besser ausgestattet als mancher Schwarzmagier.
„Erhöre mich, oh Mutter des Grabes“, begann ich mit der Beschwörung.
Muno-Ak platzte schier vor Neugierde. Er beobachtete mich genau, sah das Grinsen des Herzogs und fragte oft genug, dass es einem auf den Geist gehen konnte: „Wen rufst du da? Häh? Wen rufst du? WEN?“
Da er es ohnehin gleich erfahren würde, war nun wohl die Zeit gekommen, ihm das Schreckliche, das Unfassbare zu offenbaren: „Ich beschwöre deine Schwiegermutter, die Herrin der unbewohnten Gräber.“
„Das tust du mir nicht an, Dämonenjäger! DAS wagst du nicht!“
In seinem, oder besser gesagt in Maries Gesicht spiegelten sich Abschau und blankes Entsetzen. Eines verband wohl alle männlichen Wesen auf, unter und jenseits der Welt: Die Furcht vor der Mutter der Angetrauten. Im Dämonenreich gaben meist Frauen den Ton an, auch wenn sie nur selten selbst in Erscheinung traten. Männer waren für die Drecksarbeit zuständig. Nun, nicht dass es unter uns Lebenden anders zuginge, aber das gehört nicht hierher.
Kaum war das letzte Wort der Formel über meine Lippen gekommen, da stand sie bereits im Zimmer und bedachte ihren Schwiegersohn mit einem eisigen Blick. Sie war atemberaubend schön, wenn man sich mit hellblauer Haut und den zwei gewaltigen Hörnern auf der Stirn erst einmal abfand. Aber der Rest könnte durchaus seinen Platz in einem meiner heiß geliebten Hochglanzmagazine finden.
„Muno, du bist wohl der unfähigste Dämon, dem ich meine Tochter anvertrauen konnte. Hast du denn überhaupt keinen Anstand mehr? Dringt in den Körper einer Untoten ein. Wie dumm muss man eigentlich sein? Ich sollte dich da drinnen verrotten lassen, aber meiner Tochter würde es das Herz brechen - was die an dir findet, werde ich nie verstehen.“
Die Dämonin schnaubte und stieß dabei gelblichen Qualm aus. Mit der Fußspitze hämmerte sie unruhig auf den Boden und auch ihr Schweif peitschte hin und her.
„Du verlässt sofort diesen Vampir und kommst mit mir nach Hause!“
Sie hielt einen Augenblick inne, aber nur um den Gnadenstoß ein wenig hinauszuzögern: „Wenn du nicht in drei Sekunden vor mir stehst, in all deiner Hässlichkeit, dann hole ich ... deine MUTTER!“
Bamm! Das hatte gesessen. Bei dieser geballten Ladung weiblicher Präsenz hätte sogar der Teufel die Flucht ergriffen. Warum also sollte Muno-Ak einfach so daliegen? Seine Reaktion war verständlich, wenn auch nicht in dieser Art von mir beabsichtigt. Statt Maries Körper zu verlassen, benutzte er das Gefäß aus kaltem Fleisch zur Flucht.
Blitzschnell sprang er aus dem Bett und hechtete durch das geschlossene Fenster in die Nacht. Noch während die Scherben in der Luft einen lustigen Tanz aufführten, stand ich bereits an der zerbrochenen Scheibe und starrte in das Dunkel eines Wäldchens, das den fliehenden Dämonen verschluckte.
In den Schatten gab es genügend Verstecke, solange die Nacht anhielt. Bei Sonnenaufgang würde das anders aussehen. Gab es in der Nähe eine Gruft oder eine Höhle, musste er sich dorthin zurückziehen. Wie dämlich sich Muno-Ak auch anstellte, lebensmüde war er nicht - in diesem Fall hätte er gleich hierbleiben können, in der Nähe seiner Schwiegermutter.
„Verdammter Mist“, stieß ich einen Fluch aus und nahm sogleich die Verfolgung auf. Herzog von Liechen blieb bei der Dämonin, die durfte nicht ohne Aufsicht bleiben. Biester wie sie hatten die Angewohnheit, den größten Blödsinn anzustellen, überließ man sie nach der Beschwörung sich selbst.
Kaum lag das Haus einige Meter hinter mir, drangen aus dem Wald auch schon gellende Schreie. Ich folgte den Stimmen, die ganz offensichtlich Jugendlichen zuzuschreiben waren. Ein Junge und ein Mädchen, natürlich auf verbotenem Terrain unterwegs, wie es sich gehörte. Warum musste jedes größere Anwesen über einen eigenen Wald verfügen, in dem sich junge Menschen zu Paarungszwecken verabredeten? Gab es da etwa ein absurdes Naturgesetz? Ein unbedingtes Muss, um dem Dämonenjäger immer und immer wieder zu beweisen, dass seine Arbeit grundsätzlich unschuldige Opfer forderte?
In all den Jahren hatte ich keinen Auftrag abschließen können, ohne dass mindestens ein Mensch zu Schaden gekommen wäre. Objektiv betrachtet kein schlechter Schnitt, denn viele meiner Konkurrenten waren für die Ausrottung ganzer Dörfer verantwortlich. Stümperei!
Selbstredend peitschten mir Äste ins Gesicht, während dichtes Gestrüpp ein rasches Vorankommen unmöglich machten. Wenn sich hier tatsächlich ein Pärchen verabredet hatte, um den besonderen Kick beim ersten Mal zu genießen, bezahlten sie einen hohen Preis für ihre Albernheit. Unfassbar, wo Jugendliche heutzutage ihrer Liebe frönten: auf Friedhöfen, in Abwasserkanälen, auf fremdem Grund und Boden. Bei Gott, gab es denn keine Rücksitze mehr in den Autos?
Endlich wurden zwei am Boden liegende Körper sichtbar. Reglos. Ich war also auf der richtigen Spur. Ich brauchte mich nicht um sie zu kümmern, Muno-Ak hatte sie beide ausgesaugt, um seinem Vampirkörper neue Kraft zu geben. Beide mochten nicht älter als sechzehn Jahre gewesen sein. Ein Jammer, wie sie mit weit geöffneten Mündern und starren Augen auf ihre Wiedergeburt warteten. So Leid es mir tat, ich nahm mir die Zeit, das rothaarige Mädchen und den blonden Jungen zu pfählen. Früher oder später wären sie ja doch durch meine Hand gestorben. So richteten sie zumindest keinen Schaden mehr an und konnten unbekümmert vor ihren Schöpfer treten.
Weiter ging es. Ohne Rücksicht auf die etlichen Kratzer, die mir gemeines Holz zufügte, folgte ich einer Spur, die mehr einem Gefühl als sichtbaren Tatsachen entsprang. Die an schwaches Licht gewöhnten Augen ließen mich sicher einen Weg finden, bis ich abrupt gegen eine steinerne Mauer krachte. Etwas benommen fummelten meine Hände an dem Hindernis herum, obwohl ich die Antwort längst kannte: Hier also endete das Territorium des Herzogs.
Nach kurzer Analyse der unebenen Fläche begann ich geschickt, das Mauerwerk zu erklimmen. Wenn zwei Kinder es geschafft hatten, auf diesem Weg das Anwesen zu betreten, sollte mir die Sache erst recht nicht schwerfallen.
Tatsächlich fanden Hände und Füße Halt im Überfluss und nach einigen Sekunden stand ich auf der anderen Seite. Vor mir das Lichtermeer der Stadt, zu meiner Linken ein kleines, geöffnetes Tor, das mich höhnisch anzugrinsen schien.
„Muno-Ak“, schrie ich zornig über den Zufall, der mir allzu gern ins Handwerk pfuschte und mein Leben unnötig erschwerte. „Stell dich, dann schicke ich dich dahin, wo du dich wieder erholen kannst. Ist doch ein faires Angebot.“
„Leck mich, du Idiot!“
Etwas weiter die Straße hinunter rannte Muno-Ak, drehte sich kurz um und zeigte mir Maries Mittelfinger.
Bösartigkeiten waren Dämonen in die schwarze Seele gebrannt, damit konnte ich leben, aber bei Frechheiten hörte der Spaß auf. Nicht genug, dass mich ein Vampir engagiert hatte. Nein, ich durfte zudem einen feigen Dämonen verfolgen, der seinen Wirtskörper besser im Bett gelassen hätte, wo man ihn kontrollieren konnte.
„Wenn ich dich erwische, prügel ich dich windelweich“, plärrte ich durch die Nacht. Einige Passanten - womöglich Touristen, die sich ganz gehörig in der Gegend verlaufen hatten - blickten mich schockiert an. Sie wussten ja nicht, dass die Frau, die vor mir davonlief, ein besessener Vampir war. Einer der beiden Spaziergänger, ein Mann mit Halbglatze und preußisch-korrektem Gesichtsausdruck, griff nach seinem Handy und wählte eine Nummer. Die Polizei? Natürlich, man musste ja den scheinbar Hilflosen beistehen, den vermeintlichen Opfern ungestümer Manneskraft. Auch wenn sie einem bei nächstbester Gelegenheit das Blut aus den Adern saugen würden.
„Nein, das werden Sie nicht tun. Stecken Sie Ihr Telefon ein und kümmern Sie sich um ihren eigenen Kram. Ich bin nicht in der Stimmung, mich mit irgendwelchen Polizisten auseinanderzusetzen.“
Mein guter Ratschlag zeigte abrupt die gewünschte Wirkung. Der Mann schaute mir verdutzt ins Gesicht, dann auf die geballten Fäuste und er erkannte, dass ich es wirklich, wirklich ernst meinte. Schnell vergaß er den kurzen Anflug von Zivilcourage und verstaute das kleine Mobiltelefon wieder in der Hosentasche.
Nun hieß es, keine Zeit zu verlieren, denn schon kreischte ein weiteres Menschlein um Hilfe. Muno-Ak hatte sich einen jungen Mann geschnappt und hielt ihn wie einen Schutzschild vor seine Brust. Der Gefangene wehrte sich verzweifelt, konnte aber nur mit einem Arm um sich schlagen. Auf der linken Seite baumelte die andere Hand hin und her. Bei dem Gedanken, wie viele Knochen zu Bruch gegangen waren, wurde mir beinahe übel. In die Enge getriebene Höllenwesen reagierten äußerst brutal.
Und sie griffen nach jedem Strohhalm. Was Munos Aktion bezwecken sollte, blieb mir ein Rätsel. Nie im Leben hätte ich auf ihn geschossen. Jedenfalls nicht mit einer normalen Pistole. Und schon gar nicht, solange er sich in einem fremden Körper befand, den man nicht für Muno-Aks Taten verantwortlich machen konnte.
Ich musste handeln, selbst wenn der Junge dabei draufgehen sollte. Eigentlich nicht der cleverste Einfall, aber verschwand der Dämon erst einmal in der Stadt, würde er dort ein Blutbad anrichten. Erstens schadeten beinahe entmenschlichte Städte meinem Ruf und dann war da noch der Herzog. Vampire an sich stellten keine größeren Probleme dar. Die erledigte einer wie ich im Vorübergehen. Bei angepissten Vampiren, die ihren Partner durch meine Hand verloren, sah die Sache schon anders aus. Etliche Narben an meinem Körper legten davon allzu deutlich Zeugnis ab.
„Hey, wir können doch darüber reden. Lass den Jungen los und wir unterhalten uns mal über dieses ... Missgeschick.“
Um die Ehrlichkeit meiner Worte sichtbar zu machen, breitete ich meine Arme nach beiden Seiten weit aus und präsentierte Muno-Ak zwei leere Handflächen.
„Ich kenne dich, Claudius“, plärrte er mir entgegen. „Du verarschst mich, gibst mir den Rest und machst dich dann über mich lustig. So wie damals.“
„Du hast Probleme und wir sollten offen sprechen. Auch Dämonen brauchen hin und wieder etwas Hilfe.“
Der Dämon starrte mich nachdenklich an, legte Maries Stirn in Falten.
„Probleme? Ich habe keine Probleme.“
Jetzt war meine Zeit gekommen. Wenn ich ihn an seiner Ehre als Höllen-Männchen packte, sollte er sich zu unüberlegten Handlungen hinreißen lassen.
„Muno“, entgegnete ich gespielt ernst und mitfühlend, „du versteckst dein wahres ich. Wenn du gerne Frauenkörper anziehen möchtest, dann tu es einfach. Niemand wird dich dafür verurteilen. Aber wähle die Lebendigen, nicht die Untoten. Das gibt nur Ärger an allen Fronten.“
Für kurze Zeit blieb es still. Die Luft schien zu knistern, lud sich mit unnatürlicher Elektrizität auf, die nur dann zu spüren war, wenn ein Dämon sein brach liegendes Gehirn benutzte um nachzudenken. Selbst der Mond hatte sich hinter einer Wolke zurückgezogen, gespannt auf den kommenden Kampf zwischen Dämonenjäger und Höllenwesen.
Schließlich zeichnete sich etwas wie Erkennen in Maries wunderschönem Gesicht ab, das so gar nicht zu dem Wesen im Inneren passte. Ein gutes Beispiel dafür, dass wahre Schönheit nicht immer von innen kommen muss.
„Was hast du da gesagt? Wie redest du mit mir? Ich schlüpfe, in wen immer ich will! Das hat nichts, rein gar nichts damit zu tun, dass ich hin und wieder gerne in Stöckelschuhen durch die Gegend laufe! Sprich nicht von Dingen, die du nicht verstehst, Mensch! Ich werde dich Respekt vor der Höllenbrut lehren, das lass dir gesagt sein!“
Mit voller Kraft stieß er den jungen Mann von sich. Seine Gliedmaßen und der gebrochene Arm wirbelten durch die Luft wie leblose Puppenarme. Dann klatschte er auf den Boden. Schwer atmend blieb er an Ort und Stelle liegen, zur Flucht fehlte dem armen Kerl einfach die Kraft.
Muno-Ak war dahingegen voll auf der Höhe. Mit gefletschten Hauern setzte er Maries Körper in Gang und schoss auf mich zu. Ich stellte mich in Pose, um sofort auf seinen Angriff reagieren zu können. Jeder Muskel meines Körpers erwartete einen heftigen Zusammenprall mit der besessenen Vampirin.
... aber diese Attacke folgte nicht. Im Gegenteil. Mit einem einzigen Satz sprang der Dämon über mich hinweg. Als er so durch die Luft flog, präsentierte er ein hämisches Grinsen, das nicht gerade zum Abbau meines Zorns beitrug.
Blitzschnell ergriff ich einen von Maries Knöcheln, machte eine äußerst elegante Drehung und ließ Muno-Ak hart auf den steinigen Untergrund krachen.
Ich versuchte ihn zu halten, wehrte Fänge und Krallen ab, während wir in inniger Umklammerung von einer Seite zur anderen rollten. Irgendwann lag der Mistkerl unter mir. Sein gestohlenes Äußeres konnte mich nicht daran hindern, mit den Fäusten auf ihn einzuprügeln. Gewalt an Frauen war mir ein Greuel, aber diese Hülle war keine echte Frau. Selbst wenn, wäre es ohnehin nur eine Untote gewesen.
„Wenn's sein muss, prügele ich dich aus diesem Körper heraus, verfluchter Dämon.“
Immer wieder traf ich Maries Kinn, war mir aber bewusst, dass nur Muno-Ak den Schmerz verspüren würde. Meine Geduldsfaden war endgültig durchtrennt. Zu wenig Schlaf, eine schlechte Auftragslage und jetzt auch noch der Handlanger eines Vampirs zu sein, trieben mich zum Äußersten, bis ...
Tja, bis mir eine Stimme von der Straße her etwas zubrüllte: „Sind Sie denn wahnsinnig geworden? Sie sollen meiner Geliebten den Dämon austreiben und sie nicht zu Brei schlagen!“
„Ihre Marie bekommt davon gar nichts mit“, gab ich zwischen den Schlägen zurück. „Ihre Wunden werden verheilt sein, noch bevor sie ihren Körper wieder in Besitz nehmen kann.“
Das sollte den Herzog beruhigen. Bedauerlicherweise war dieser längst nicht mehr in der Stimmung, mit mir eine Diskussion zu führen. Sein Angriff kam präzise und auch ein wenig unerwartet.
Schneller als das menschliche Auge eine Bewegung erfassen kann, kam von Liechen heran, packte mich und ich fühlte mich für einige Sekunden frei wie ein Vogel. Doch der äußerst schmerzhafte Aufprall nach einem Flug in hohem Bogen trieben mir solche Träumereien rasch aus. Schon war der Herzog über mir, zog mich an den Haaren wieder auf die Beine. Dann schlug er zu. Ich wehrte ab. Er trat. Ich wehrte ab.
Am Ende des kleinen Spiels wälzten wir beide uns nun am Boden. Marie schien vergessen. Hier kämpften die Urgewalten. Dämonenjäger gegen Vampir. Das klassische Duell. Trotz allem gab es hierbei einen Unterschied. Keiner von uns wollte den anderen ernsthaft verletzen oder gar töten.
Gerade als ich den Herzog an den Ohren zu packen kam und ihm in die Nasenspitze biss, meldete sich jemand zu Wort, den wir tatsächlich ganz und gar außer Acht gelassen hatten: Muno-Aks Schwiegermutter.
Sie peitschte mit ihrem Schweif unsere Wangen, so dass wir ihr volle Aufmerksamkeit schenkten. Selbstredend dachte weder ich, noch von Liechen daran, den anderen loszulassen.
„Ich störe euch Jungs ja ungern beim Spielen, aber da hat ein gewisser Jemand Fersengeld gegeben.“
„Verdammt“, stieß ich hervor. „Wenn Muno die Stadt erreicht, gibt es gewaltigen Ärger. Behörden, meine Konkurrenten - jeder wird versuchen, Ihre Frau zu töten, von Liechen! Mann, wir sollten lieber zusammenarbeiten, anstatt uns wie unreife Kinder aufzuführen.“
„Sie haben Recht. Verzeihen Sie, aber ich ...“
„Schon gut. Gehen sie einfach von mir runter und wir greifen uns den Mistkerl.“
Schon waren wir auf den Beinen und liefen Seite an Seite Richtung Stadt. Zwei Superhelden auf dem Weg zur alles entscheidenden Schlacht. Ha, der Schurke sollte nicht entkommen.
Ein greller Pfiff schnitt in unsere Ohren, wir drehten die Köpfe und sahen die Dämonin, die uns einfach nicht folgen wollte.
Wie angewurzelt stand sie da und rief: „Hey, Batman und Robin, euer Joker will nicht in die Stadt. Er ist dort hinten verschwunden, in dieser alten Lagerhalle.“
Noch ein paar Fehlschläge und Peinlichkeiten mehr und ein anderer Job muss her, dachte ich. Von Liechen musste meine Gedankengänge teilen, denn er trabte bereits mit rotem Kopf und übertrieben hoch gerecktem Kinn in Richtung Halle. Übrigens eines dieser typischen Fabrikgebäude, die einsam und verlassen in vielen Gegenden vorzufinden waren, da man keine Fabrik drum herum gebaut hatte. Wie viele junge Firmen überschätzten sich maßlos und trieben sich bereits mit dem Bau überdimensionaler Lagerhallen selbst in den Ruin?
Kaum empfing uns die gähnende Toröffnung mit dem schwärzesten Schwarz, das man sich vorstellen konnte, wurde auch schon ein Gepolter im Innern des Baus laut. Hektisch suchten die Augen des Herzogs in der Finsternis nach der Ursache des Lärms. Doch er konnte nur den Kopf schütteln: „Da drinnen stehen Bretter, Kisten und ein Haufen anderes Zeug. Er kann sich überall versteckt haben.“
„Theoretisch könnten wir das gesamte Ding niederbrennen und ihn dann aus den Trümmern fischen.“
Von Liechen bedachte mich mit einem mahnenden Blick und meinte: „Claudius, ich bitte Sie. Wir sind doch keine Amerikaner. Gehen Sie hinein und suchen Sie ihn. Ich werde hierbleiben und die Tür bewachen.“
Ja, das wäre ganz bestimmt mein zweiter Vorschlag gewesen.
Mit äußerster Vorsicht setzte ich einen Fuß vor den anderen, schob mich langsam in das Dunkel. Immer wieder veranlassten mich die albernsten Geräusche dazu, die übliche Kampfposition einzunehmen, aber nichts geschah. Gar nichts. Keine Spur von der Vampirin, in deren Innern sich Muno-Ak verkrochen hatte.
Ein Klacken!
Hektisch blickte ich in sämtliche Richtungen, während eine alte Neonröhre an der Decke ächzend ihrer Bestimmung folgte. Von einer Sekunde zur anderen wurde die Halle in trübes Licht getaucht. Spärlich, doch gut genug um etwas zu sehen, das ich gar nicht sehen wollte. Nicht so.
Nur wenige Meter von mir entfernt stand Marie und hielt sich einen hölzernen Pflock gegen die Brust. Unmöglich zu erkennen, ob es sich nun um ein Tisch- oder ein Stuhlbein handelte. Nun, es war auch nicht wichtig. Viel wichtiger war die Gefahr, in der die Vampirin schwebte.
Ihr Grinsen verriet mir, dass der Dämon ganz genau um seine Machtposition wusste. Er hatte den Jäger in seine Schranken verwiesen. Ein Angriff bedeutete den sicheren Zerfall der Person, die ich eigentlich retten sollte. Mir blieb nichts anderes übrig, als beschwichtigend meine Arme auszubreiten.
„Ha“, rief Muno-Ak triumphierend. „Jetzt hab ich dich am Arsch, was? Nur ein Schritt und ich verwandele diesen Körper in Staub. Solange die Sonne nicht aufgeht, kann mir nichts passieren. Und das weißt du auch, Dämonenjäger.“
In meinem Kopf liefen die kleinen Rädchen heiß. Irgendwie musste ich seiner Strategie begegnen. Aber wie? In diesem Augenblick wurde mir eine Sache mehr als deutlich bewusst. Solange ich rohe Gewalt und einige kleinere Kunstgriffe psychologischer Natur anwenden konnte, stand ich auf der sicheren Seite. Aber nun verlangte die Situation mehr Geistesgegenwart von mir als ... Nun gut, als tatsächlich vorhanden war.
Nie und und nimmer würde ich mich als dummen Menschen bezeichnen. Trotzdem war ich kein guter Stratege. Kurz gesagt: Diese Wendung überforderte mich schlicht.
Doch entgegen jeglicher Logik machte sich eine brauchbare Idee auf den Weg durch meine Gehirnwindungen und zauberte ein Lächeln auf mein Gesicht.
Ja, dachte ich, so kann es gehen. So musste es funktionieren.
„Tu nichts, was du später bereuen würdest“, sagte ich zu dem Dämonen. „Ich bin gleich wieder da.“
Dann zog ich mich zum Eingang zurück, wo ich einen Herzog antraf, dessen Antlitz noch bleicher wirkte, als es zuvor schon gewesen war. Er sah, in welcher Gefahr seine Geliebte schwebte.
Furcht in den Augen eines Blutsaugers zu sehen, hatte etwas Befremdliches. Waren sie es doch, die Angst und Schrecken brachten.
Ein weiteres Mal in dieser Nacht flüsterte ich Herzog von Liechen etwas zu. „Und Sie glauben, das könnte klappen?“, fragte er mit einer hochgezogenen Braue.
„Ich weiß es nicht, aber wir müssen es versuchen.“
„Also gut“, entgegnete der Vampir und verschwand für einige Minuten. Währenddessen begab ich mich wieder zu Muno-Ak, um ihn von abzulenken. Sollte er die Nerven verlieren ...
Wir bekriegten uns verbal mit Anschuldigungen und Schimpfworten. Drohten, triumphierten theatralisch und verhielten uns ähnlich halbstarker Schläger, die aufeinander losgehen wollten, es aber nicht wagten.
Endlich hörte ich Schritte hinter mir und wandte mich um. Es hatte den Anschein, als nehme mein Plan Gestalt an. Herzog von Liechen kam auf uns zu, dicht an seiner Seite Munos Schwiegermutter. Beide hielten sich im Arm und spielten das perfekte Paar.
Der Herzog blieb neben mir stehen und sagte: „Lassen Sie diesen Dämon tun, was er will. Soll er Marie doch umbringen. Sie langweilt mich bereits seit längerer Zeit. Und diese Schönheit aus der Hölle dürfte wohl einen angemessenen Ersatz darstellen.“
Nach den letzten Worten fiel der Herzog über die Dämonin her und küsste sie voller Inbrunst. Sie stöhnte Lustvoll unter seinen Liebkosungen, gab sich ihm vollends hin.
Ein Poltern sagte mir, dass der Pflock auf dem Steinboden gelandet war. Ich wusste es, noch bevor ich mich wieder zu Maries Körper wandte, in dem der Dämon nun einen ganz besonderen Kampf auszutragen hatte.
Etwas veränderte sich in ihren Augen. Sie wechselten von dämonenrot zu vampirrot. Ein Unterschied, den nur die besten Jäger erkennen können, nebenbei bemerkt.
Ihr Körper bäumte sich auf, die zarten Hände ballten sich zu Fäusten und mit einer eindeutig vampirischen Stimme ließ sie uns alle an ihrer grenzenlosen Enttäuschung teilhaben: „Gustl, was tust du da? Ich dachte, du liebst mich wirklich. Und jetzt lässt du dich mit dieser stinkenden Höllenbrut ein? Vor meinen Augen? Nennst du das wahre Liebe?“
„Marie. Meine geliebte Marie. Ach, lass mich dir erklären ...“
Herzog von Liechen machte einen Schritt nach vorne um seine Frau in die Arme schließen zu können, aber ich hielt ihn sanft zurück. Mein leichtes Kopfschütteln sagte ihm, dass es noch nicht an der Zeit war. Der Dämon mochte zusammengequetscht in einem Winkel ihres Körpers stecken, aber er war längst nicht gebannt. Nur wenn Marie ihren eigenen Geist weiterhin unter Kontrolle behielt, sollte Muno-Ak aus ihrem Leib gedrängt werden. Zumindest theoretisch.
Maries Gesichtshaut dehnte sich bedrohlich weit und schien beinahe zu reißen. Für kurze Zeit glich sie einem entstellten Monster aus einem 70er-Jahre-Horrorstreifen - ekelhaft, aber irgendwie nicht echt. Dann erklang dieses schmatzende Geräusch, das ich schon unzählige Male gehört hatte. Jedesmal, wenn ein Dämon seinen Wirtskörper verließ, hörte es sich an, als werfe jemand ein nasses Filetstück auf den Boden und latsche langsam darauf darüber.
Der Spuk war vorbei. Hustend stand Muno-Ak in all seiner Hässlichkeit neben der Vampir-Frau, die nicht so recht wusste, was eigentlich geschehen war.
„Gustl?“, meinte ich hämisch grinsend an den Herzog gewandt.
Er bedachte mich mit einer äußerst strengen Miene: „Kein Wort, Claudius! Ich will nichts hören!“
„Du!“ Muno-Ak richtete seinen Zeigefinger direkt auf mich, rümpfte die borstige Nase und grunzte bösartig. „Ich ... ich werde dich zertreten. Ich mach dich fertig, sowas von fertig. Komm her und zeig, was du kannst. Mieser, kleiner Dämonenjäger!“
Doch zum alles entscheidenden Kampf kam es nicht. Bevor der Dämon in meine Nähe kam, griff seine Schwiegermutter ein. Ihr rascher Tritt traf Muno an einer empfindlichen, äußerst empfindlichen Stelle. Mit Daumen und Zeigefinger packte sie ihn am rechten Spitzohr und gab ihm als Dreingabe einige Kopfnüsse.
„Was ist?“, fragte sie mich etwas genervt. „Lässt du mich nun frei? Ich muss mich hier um diesen unnützen Ballast kümmern.“
Mit einem kurzen Spruch entband ich sie von ihren Fesseln. Obgleich den Schergen der Hölle nicht zu trauen war, wusste ich, dass von ihr nun keine Gefahr ausging. Sie hatte ja Muno-Ak, an dem sie ihren ständigen Zorn auslassen konnte - und ich war überglücklich, nicht in dessen Haut zu stecken.
Abrupt versank sie im Erdboden, den wimmernden Muno-Ak im Schlepptau. Kein Rauch, kein bodenloses Loch, kein Höllentor. Etwas unspektakulär, zugegeben, aber so ist es nun einmal. Wir befinden uns ja schließlich in der Wirklichkeit, nicht in einem Gruselroman.
Von Liechen und Marie hatten den Rest von Muno-Aks Höllenfahrt ignoriert. Sie waren viel zu sehr damit beschäftigt, sich innig - und für meinen Geschmack etwas zu freizügig - zu küssen.
Etwa fünf zähe Minuten später wurde man sich meiner wieder bewusst und der Herzog klopfte mir freundschaftlich auf die Schulter: „Danke für Ihre Hilfe. Sie haben mich sehr, sehr glücklich gemacht.“
Er kramte in der Innentasche seines Jacketts und förderte ein Scheckbuch zutage. Die Summe auf dem kleinen Stück Papier übertraf mein übliches Honorar um das Zehnfache.
„Ich hoffe jedoch, dass wir uns nie wieder begegnen müssen, mein guter Claudius. Marie und ich werden gleich morgen Nacht die Stadt verlassen und uns eine neue Bleibe suchen.“
Er grinste mich an: „Es wäre nicht klug in der Nachbarschaft eines derart begabten Dämonenjägers zu leben. Vor allem dann nicht, wenn dieser unsere Zuflucht und unsere Gesichter kennt.“
Damit hatte der Herzog den Nagel auf den Kopf getroffen. Es widersprach schon allein dem gesunden Menschenverstand Vampire weiter ihr Unwesen treiben zu lassen. Ich wäre gezwungen, ihn und die Frau, die ich aus den Klauen eines Dämons gerettet hatte zu vernichten. Für kurze Zeit konnte ich seine Anwesenheit in meinem Jagdrevier vergessen. Immerhin hatte er mir mehr gezahlt als jeder andere Kunde - Regierungen und Geheimbünde eingeschlossen.
Davon abgesehen waren mir diese beiden Blutsauger irgendwie sympathisch. Sie verfügte über diese seltsame Art dunkler Romantik, die tief aus ihrem Herzen entsprang. Eine Sanftmut, die auf der Welt nur mehr selten zu finden war. Ihre Opfer mussten mit Sicherheit nicht lange leiden. Er gehörte zu den Männern, die man gerne als Kumpel bezeichnete, als gute Freunde. Eine Sache unter echten Kerlen, die sich ausgezeichnet verstanden. Mit ihm könnte man tolle Pokerabende verbringen.
Ich sah mich schon an einem runden Tisch sitzen, über dies und jenes mit von Liechen quatschen, während wir die Nacht durchzechten. Ein frisch gezapftes Bier für mich, ein Glas mit frisch gezapften Blut aus einem meiner Konkurrenten für ihn und die Wochenenden wären gerettet. Aber das durfte nicht sein. Er war mein Feind, eine Plage für die Menschheit.
Für uns Dämonenjäger stellten Vampire eine relativ sichere Einnahmequelle dar. Auch wenn die Geschäfte äußerst schlecht liefen, ein Blutsauger tauchte immer wieder auf, bettelte geradezu darum, gepfählt zu werden. So sicher wie Ratten und Schaben niemals von Kammerjägern gänzlich ausgerottet würden, so kamen auch Vampire ständig aus irgendwelchen Gräbern gekrochen. Wie gesagt: das reinste Ungeziefer.
Ich nahm mir vor, in zwei Tagen noch einmal die Villa aufzusuchen. Sollte er sich dann noch immer dort aufhalten, würde ich meinen Job erledigen müssen.
Ohne Skrupel, das Ende der Schonzeit. 

Dies war der 3. Versuch, Horror mit Humor zu verknüpfen. Zwar hatte ich bereits geplant, weitere Geschichten mit diesem Geisterjäger zu verfassen, mich letztlich aber doch dagegen entschieden. Vermutlich wird "Ein Einzelfall" auch ein Einzelfall bleiben, es sei denn, mir käme eine Idee für ein weiteres Abenteuer.Sven Später, Anmerkung zur Geschichte

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