Andreas Rüdig

der Travestiekünstler oder: die gescheiterte Heirat

Dieses Feilschen um den Brautpreis wird hart und schwierig werden. Samira ist die schönste Frau der Welt. Ich sah sie vor einer Woche auf der Bühne, wie sie den Schleiertanz darbot. Ich verliebte mich auf den ersten Blick in sie. Und seitdem bin ich Stammgast in dem Etablissement.
Ihr Vater ist reich, sehr reich sogar. Er ist Teppichhändler auf dem Basar der Hauptstadt. Jede Menge Orientteppiche aus ganz Arabien, aber auch vom Hindu - Land liegen dort aus. Unsere - Samiras und meine - Kinder werden dort bestimmt gut Verstecken spielen können.
 
Puh, die Verhandlungen sind doch schneller zu einem Ende gekommen als gedacht. Drei Kamele, zwei Ziegen und zwei Pferde will mein zukünfiger Schwiegervater für seine Tochter haben. Billig, nicht wahr? Es hätte auch schlimmer kommen können.
 
Die Hochzeit wäre geschafft. Am Morgen waren wir auf dem Standesamt und heirateten ganz offiziell. Kaum waren wir wieder zuhause, kam auch schon der Mufti und sagte ein paar nette Worte. Keine Angst: Er konnte mich nicht überzeugen; ich gehöre immer noch dem rechten Glauben an. Und am Nachmittag kam dann die Familie Samiras zur eigentlichen Feier. Musiker spielten auf. Es gab so viel Essen, daß sich die Tische bogen. Es wurde getanzt und gesungen. Eine typisch orientalische Hochzeit eben.
Aber das ist jetzt alles Geschichte. Es ist spät geworden; Samira und ich sind jetzt allein im Schlafzimmer. Und, noch wichtiger: Ich werde zum ersten Mal das Besicht meiner Frau sehen. Langsam nehme ich den Schleier ab...
 
Die Scheidung war schnell vollzogen. Allein schon der rauschende Bart überzeugte den Richter, daß hier keine Samira, sondern ein Samir vorlag. "Aber, Effendi, mein Freund hast du denn nicht die Verkleidung gesehen," fragte mich mein Ex - Schwiegervater beim Verlassen des Gerichts. Ob ich wohl das Brautgeld zurückbekomme...? 

Der Begriff "Travestie" bezeichnet ursprünglich eine literarische Gattung, bei der ein bekannter Stoff aus der Dichtung in komisch-lächerlicher Form dargeboten wird. Bei Travestie-Künstlern hingegen handelt es sich meist um Männer, die als Frauen verkleidet ihr Publikum unterhalten wollen, seltener auch um Frauen, die in Männerrollen schlüpfen. Sie gestalten Bühnenshows, singen, tanzen, plaudern mit dem Publikum und treten in Sketchen auf. Je nach eigenen Vorlieben imitieren oder parodieren sie große Stars wie Liza Minelli, Zarah Leander, Marlene Dietrich und Diana Ross. Das Spiel zwischen den Geschlechtern ist dabei entscheidend - nicht umsonst lautet das Motto vieler Travestieshows: "Mann oder Frau - wer weiß das genau?" Viele Travestie-Künstler bieten neben professionellem Gesang, Parodien, Playbacknummern und Tanzeinlagen auch gekonnte Conférencen, die oft mit Selbstironie, bissigem Humor, Klatsch und Tratsch gewürzt sind.

Neben den Kostümen sind Frisur und Make-up das Wichtigste an der Travestie überhaupt. Perücken, Pelzmäntel, große Galaroben, Strass- und Federnschmuck lassen die Illusion perfekt werden und zaubern eine Welt voller Glitzer und Flitter. Manche Travestie-Künstler/innen behaupten sich auch als "Drag-Queens" (Drag: "dressed as a girl"). Das heißt, sie versuchen erst gar nicht, "natürliche" Frauen darzustellen, sondern stylen sich extrem mit einer doppelten Schicht Make-up, übertrieben langen falschen Wimpern und möglichst vielen knalligen Farben: Schrill, schräg und quietschbunt lautet hier die Devise.

Travestie-Künstler gestalten Theater- und Kleinkunstabende, treten in Varietés, bei Bällen und Galas auf, werden gebucht für Firmenfeiern, private Feiern, Kreuzfahrten, Modeschauen, Moderationen und Conférencen. So sie einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt haben, werden sie auch für Talk-Shows eingeladen, sind bei Fernsehshows zu sehen, bekommen ggf. Engagements für Produktpräsentationen oder Werbe-Aufnahmen. Auch manche Video-Produktionsfirmen greifen heute gerne auf Travestie-Künstler und ihren unerschöpflichen Fundus an Kostümen zurück und lassen sie durch Musikvideos für die entsprechenden Musiksender im Fernsehen tanzen.
(Quelle: Agentur für Arbeit, BerufeNet) 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.11.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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