Ah, jetzt erinnerst du dich. Dann
weißt du bestimmt auch noch, dass Toid eines Abends kam und am nächsten Morgen
ganz plötzlich verschwunden war. Was? Du glaubst, ich hätte das Ganze nur
geträumt? Ha! Dann erklär’ mir doch mal, warum ich dem Lunie zuletzt beim
Abwaschen begegnet bin. Jetzt staunst du … aber es ist wahr.
Ich hatte schon gar nicht mehr
damit gerechnet, aber vor wenigen Tagen stand ich in meiner Küche und trocknete
gerade eine Tasse ab, als ich diese feine Stimme hörte: „Nicht so grob …“ Ich
kannte diese Stimme. „… sonst wird mir noch ganz schlecht!“ „Toid, bist du
das?“ „Natürlich bin ich es.“ „Aber wo bist du?“ „In der Tasse, die du gerade
abtrocknest.“ Ich setzte die Tasse vorsichtig ab. Natürlich konnte ich nichts
sehen. „Ich muss dir etwas erzählen“, hörte ich die feine Stimme sagen, „aber
vielleicht gehen wir dazu ins Wohnzimmer“. Ich nahm die Tasse und trug sie
vorsichtig ins Wohnzimmer. Ich stellte sie auf den alten Wohnzimmertisch,
setzte mich auf meinen Lesestuhl und zündete eine Kerze an. „Was möchtest du
mir denn erzählen?“, fragte ich den kleinen Lunie. „Ich habe viele Welten gesehen
und vieles zu berichten.“ Die feine Stimme zitterte und plötzlich begriff ich, warum
Toid zurückgekehrt war. Ob ich mir die Stimme nur eingebildet habe? Jetzt wirst
du aber wirklich frech. Nur weil ich mit Tassen rede, bin ich noch lange nicht
verrückt. Möchtest du jetzt hören, was der Lunie zu berichten hatte, oder
nicht? Ja? Gut!
Der Lunie reiste in jener Nacht ab,
kurz nachdem ich eingeschlafen war. Und er hinterließ mir tatsächlich einen
Brief, auf dem stand: Bin verreist. Natürlich konnte ich ihn nicht finden, war
er doch viel zu klein. Wie du bestimmt noch weißt, war Toid in dieser Nacht
sehr unglücklich. Und so kam ihm die Idee, eine Welt zu suchen, in der alle
glücklich sind.
Und Toid fand solch eine Welt,
irgendwo zwischen Abend- und Morgenstern. Toid kam an dieser Welt nur zufällig
vorbei. Diese Welt leuchtete in einem hellen Gelb und so hatte er diese Welt
aus der Ferne gesehen. Die Wesen, die in dieser Welt lebten, waren nicht viel
größer als die Lunies, aber sie waren wesentlich dicker und, wie ihre Welt,
ganz gelb. Und jedes von ihnen hatte ein breites Grinsen im Gesicht. Toid
fragte eines dieser Wesen, warum es so glücklich sei. Es antwortete: „Wir sind
immer glücklich. Wir sitzen einfach nur da und sind glücklich.“ „Das probier’ ich
auch“, sagte Toid und setzte sich hin. Nach der langen Reise war eine kurze
Rast wirklich angebracht. Toid konnte das Glück förmlich spüren. Und wie er so
dasaß und dasaß und dasaß, wurde er immer unglücklicher. Das Sitzen langweilte
ihn und er konnte schon nach wenigen Minuten nicht mehr verstehen, was daran so
außergewöhnlich sei.
Und dann fiel ihm wieder ein, dass
die Lunies in seiner Heimatwelt ja auch alle ganz glücklich waren. Sie waren
glücklich, sechs Tage in der Woche, von morgens bis abends, arbeiten zu dürfen.
Und schon damals konnte er es nicht verstehen. Und dann begriff er, dass
unterschiedliche Wesen unterschiedliche Auffassungen von Glück haben. Und so
überlegte er, was ihn wohl glücklich machen würde.
Toid dachte lange darüber nach. Und
wie er so nachdachte, sagte er ganz leise zu sich selbst: „Es wäre schön, wenn
ich jetzt mit jemandem über diese Frage reden könnte.“ Und dann, ganz
plötzlich, wurde ihm klar, was ihn glücklich machen würde. Toid, der sich noch
immer in dieser gelben Welt befand, ging auf eines dieser gelben Wesen zu und
fing an zu reden. Er erzählte von seiner Reise, von seiner Heimatwelt und
vielleicht auch von mir. Aber das Wesen zeigte wenig Interesse. Es saß einfach
nur da und grinste. Das machte Toid nicht glücklich. Traurig beschloss Toid
diese Welt zu verlassen.
Toid reiste also weiter und kam zu
einer Welt, ganz ähnlich der unseren, nur dass die Bewohner dieser Welt ganz
blau waren. Toid fiel sofort auf, dass einige dieser blauen Wesen glücklich
waren und andere nicht. Und er wollte es ganz genau wissen. Er fragte eines der
traurigen Wesen: „Warum bist du nicht glücklich?“ Das Wesen schien überrascht.
Es antwortete: „Na weil mich niemand liebt. Und weil ich niemanden liebe.“
„Liebe?“ Toid kannte das Wort nicht. „Ja, Liebe! Sag’ bloß, du weißt nicht, was
Liebe ist?“ Toid schüttelte den Kopf. „Dann bist du noch nicht dem richtigen
Wesen begegnet.“
Toid verstand nicht, was das blaue
Wesen ihm sagen wollte. Aber wie er sich so umsah, fiel ihm auf, dass die
glücklichen Wesen immer zu zweit waren. Manche von ihnen unterhielten sich,
andere hielten sich an den Händen, wieder andere umarmten sich. Und ganz
plötzlich, wie Toid zwischen all diesen glücklichen Wesen stand, fühlte er sich
ganz einsam. Und dieses Gefühl erinnerte ihn an seine Heimatwelt. Er begriff
zwar immer noch nicht, was Liebe ist, aber er konnte sie sehen, direkt vor ihm,
und er beneidete diese Wesen darum.
Toid fragte das traurige Wesen, das
noch immer neben ihm stand: „Warum bist du alleine?“ Das Wesen schien erneut
überrascht. „Liebe ist etwa sehr seltenes. Manche von uns suchen ein Leben lang
nach dem richtigen Wesen. Ich glaubte einst, das richtige Wesen gefunden zu
haben. Doch dieses Wesen empfand keine Liebe für mich.“ Und Toid begriff, dass
Liebe nicht immer glücklich macht.
Toid verließ diese Welt und
bereiste viele andere Welten, darunter eine grüne, eine rotweißgestreifte und
eine blauschwarzkarierte. Auf allen Welten machte er ähnliche Erfahrungen. Er
konnte die Liebe sehen, er konnte sie aber nicht spüren. Schließlich bereiste
er eine rote Welt.
Diese Welt war sehr klein und es
lebten nur wenige Wesen in ihr. Die Wesen waren natürlich rot, sahen den Lunies
aber sonst sehr ähnlich. An einer kleinen Brücke, die über einen Bach führte,
traf Toid ein junges Mädchen. Sie schaute in das Wasser. Und in ihren Augen lag
etwas Besonderes. Sie waren blau und so tief, dass Toid sich darin verlor.
Dieses Mädchen faszinierte ihn und er sprach sie an. Er wusste nicht mehr,
worüber sie geredet haben, aber sie redeten die ganze Nacht. Toid fühlte sich
zum ersten Mal in seinem Leben verstanden und mit jeder Minute wuchs in ihm ein
Gefühl. Es wuchs und wuchs und wuchs. „Das muss Liebe sein“, dachte er. Und er
wollte es ihr gerade sagen, als sie ihm zuvorkam und sagte: „Du bist sehr nett.
Du musst unbedingt meinen Freund kennen lernen.“ Toid musste sofort an das
unglückliche blaue Wesen denken.
Er sah dem Mädchen noch einmal in
die Augen. Es lag noch immer etwas Besonderes in ihnen. Aber der Anblick, der
ihn zuerst faszinierte, machte ihn jetzt traurig. Er wollte diese rote Welt
gerade verlassen, als sie zu ihm sagte: „Ich möchte dir meinen Freund
vorstellen.“ Toid hatte Angst, ihren Freund kennen zu lernen. Aber er
begleitete sie nach Hause. Dort angekommen, öffnete ein roter Junge die Tür.
Toid wurde sehr freundlich empfangen. Und als er sah, wie glücklich die beiden
waren, wuchs in ihm noch ein anderes Gefühl. Er war noch immer traurig, dass
das junge Mädchen einen Freund hatte. Aber er freute sich auch für die beiden. Und
er war sehr froh, dass er ihr nicht gesagt hatte, was er für sie empfindet.
Sie unterhielten sich einige Zeit
und nach einer Weile verabschiedete sich Toid von dem glücklichen Paar. Toid
hatte soviel erlebt, dass er erst einmal darüber nachdenken musste. Deshalb
sprang er auf einen Sonnenstrahl und ließ sich dahin treiben. Hier, auf diesem
warmen Sonnenstrahl, waren seine Gedanken ganz bei ihm. Er dachte darüber nach,
ob es besser gewesen wäre, wenn er dieses Mädchen nicht kennen gelernt hätte … sie
ging und ging ihm nicht aus dem Kopf – und das machte diese Erfahrung so
wichtig für ihn. Und er verstand, dass er nie in seine Heimatwelt zurückkehren
konnte. Und wie er so über sich und seine Gefühle nachdachte, schlief er
irgendwann ein.
Als er wieder aufwachte, befand er
sich auf der Erde. Der Planet kam ihm sofort vertraut vor. „Das kann kein
Zufall sein“, sagte er sich. Und dann beschloss Toid, mich zu besuchen. Und
nachdem Toid mir seine Geschichte erzählt hatte, fragte ich ihn, ob er nicht
traurig sei.
Und dann sagte er etwas, das ich
nie vergessen werde: „Ich bin traurig. Aber ich habe das Glück anderer gesehen
und vielleicht habe ich sogar die Liebe gespürt. Und das weckt in mir die
Hoffnung, irgendwann auch glücklich zu werden. Und dafür bin ich dankbar.“
Kaum hatte ich diesen Satz
vernommen, sah ich einen grellen Lichtstrahl am Fenster. Im nächsten Moment war
Toid verschwunden.
Du fragst, ob ich wirklich an
Lunies glaube? Ja, ich glaube an Lunies. Denn dieser Lunie hat mir etwas
zurückgegeben, das ich einst verloren hatte. Und dafür bin ich dankbar.