Klaus-Peter Behrens

Auch Drachen feiern Weihnachten (Fantasy)

 

Auch Drachen feiern Weihnachten

Eine etwas andere Weihnachtsgeschichte

 

"Diesmal darf einfach nichts schiefgehen!"

Angestrengt konzentrierte sich Maguis – Zauberlehrling im dritten Semester – auf seine Formeln. Weihnachten stand vor der Tür und wie schon in den vorangegangenen Jahren, hatte sein Meister auch diesmal wieder einmal höchst ausgefallene Weihnachtswünsche geäußert, und Magius hatte keine Ahnung, wie er die erfüllen sollte.

Mit Grausen dachte er an Ostern zurück, als sein Meister ihm aufgetragen hatte, die feuchten Gewölbe der Fakultät unter dem Aspekt des Osterfestes magisch zu trocknen. Damals war ihm die Sache völlig aus dem Ruder gelaufen. Statt feudelschwingende Osterhasen hatte er aus Versehen ein paar tanzende Feuerdämonen herbeigezaubert, die sich einen Spaß daraus gemacht hatten, die ehrwürdigen Zauberer durch die feuchten Kellergänge zu jagen. Der Keller war auf diese Weise zwar schnell trocken geworden, trotzdem hatten seine Lehrer nicht die rechte Anerkennung für seine Leistung aufbringen können. Wem eine Jahrzehnte lang gewachsene Barttracht einfach weg gesengt wird, ist eben nicht geneigt, Einsen zu vergeben. Das mußte diesmal anders werden. Schon, um es seinem Mitschüler und Widersacher Warnix zu zeigen, dem Meister der Verwandlungen, der keine Gelegenheit ausließ, um sich über Magius Fehlschläge lustig zu machen. Und so wie es aussah, würde er bald wieder ausreichend Gelegenheit dazu haben. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen dachte er daran, was sein Lehrmeister ihm zur Prüfung auferlegt hatte, das Herbeizaubern eines magischen Weihnachtsgeschöpfs. "Es gibt viele magische Geschöpfe aus den Weihnachtserzählungen", hatte Meister Marwin ihm erklärt. "Elfen, die am Nordpol basteln, fliegende Rentiere, liebreizende Feen, such dir einfach eins aus, aber wenn du wieder versagst, kannst du Weihnachten am Nordpol feiern."

Magius hatte stumm genickt und betroffen den Campus verlassen. Ausgerechnet magische Weihnachtsgeschöpfe. Schlimmer hätte es nicht kommen können. Frustriert hatte er den Hain jenseits der Fakultät durchwandert, bis er den Fischteich erreicht hatte. In der Abgeschiedenheit dieser kleinen Oase hatte er eine Weile vor sich hingegrübelt, bevor er sich daran gemacht hatte, verschiedene Zaubersprüche miteinander zu kombinieren, womit er noch immer beschäftigt war. Einen immergrünen, Weihnachtslieder singenden Weihnachtsbaum wollte er herbeizaubern. Doch das erwies sich als schwerer, als gedacht. Schließlich kam er zum Ende seiner Bemühungen und lehnte sich erschöpft mit dem Rücken an einen Baumstumpf, der sich am Ufer des kleinen Tümpels trotzig in die Höhe reckte, während er mit einer gewissen Beunruhigung nun das Ergebnis seiner letzten Beschwörung beobachtete, das nach und nach Gestalt annahm. Ein dichter Nebel, der an eine Windhose erinnerte, hatte sich neben dem Fischteich, an dessen Ufer ein paar Trauerweiden standen, gebildet und wuchs beständig weiter in die Höhe, bis er sogar die Bäume überragte. Magius bezweifelte, dass sich sein Meister unter "liebreizend" etwas in dieser Größenordnung vorgestellt hatte. Das sah schon wieder verdammt nach Ärger aus. Mit einer bösen Vorahnung beobachtete Magius, wie sich der Nebel schließlich immer mehr verdichtete und dann plötzlich in einem blendenden Blitz verschwand und dafür das Ergebnis seiner Bemühungen sichtbar wurde. Magius klappte der Unterkiefer herunter, als er erkannte, was er da heraufbeschworen hatte.

In einer wenig anmutigen Pose saß ein grün geschuppter Drache auf seinem Hinterteil inmitten des Teichs und sah sich irritiert mit seinen feuerroten Augen um, während er mit tiefer Baßstimme vergnügt "Von draußen vom Walde komme ich her" vor sich hin brummte.

Immerhin kennt er die richtigen Lieder und die Farbe stimmt auch, versuchte Magius das Positive an der Situation zu sehen, während er entsetzt den Drachen musterte, der offenkundig gerade beim Frühstück gewesen war, als Magius ihn aus seiner Welt gerissen und ihn hierher verfrachtet hatte, denn in seiner rechten Klaue hielt er noch immer etwas, das den Eindruck erweckte, vor kurzem noch "Muh" gemacht zu haben. Magius bezweifelte, dass der Drache über den plötzlichen Ortswechsel begeistert war. Doch für eine Flucht war es ohnehin zu spät, denn inzwischen hatte das liebreizende Geschöpf Magius entdeckt.

"Nachtisch", brummte der Drache erfreut und senkte sofort seinen riesigen Kopf. Eine feuerrote, gespaltene Zunge, die so gar nichts Weihnachtliches an sich hatte, erschien zwischen den Unterarm langen Zähnen. Das riß Magius aus seiner Erstarrung.

"Halt!", brüllte er empört, während ihm all die Eigenschaften durch den Kopf jagten, die er über Drachen gelesen hatte: Reizbar, goldgierig und verfressen sollten sie sein. "Ich, Magius, habe dich beschworen und bin damit dein Meister. So lautet der Kodex", behauptete er ungeniert und fragte sich, ob er nicht eine wesentliche Eigenschaft übersehen hatte. Der Drache legte überrascht den Kopf auf die Seite.

"Wo hast du denn den Unsinn her?", fragte er amüsiert. Magius wurde blass.

"Nun..", erwiderte er gedehnt, während sein Arm automatisch in Richtung der Fakultät wies, "ich habe es gelernt, in der Fakultät."

In den Augen des Drachens erschien ein verschlagener Ausdruck.

"Das bedeutet also, dass sich jenseits des Hains Häuser befinden, vielleicht eine Burg oder gar ein Schloß voller Reichtümer?"

Magius staunte über die Gerissenheit des Drachen.

"Ääähh", brachte er stockend hervor, während er sich vorstellte, wie Meister Marwin wohl reagieren würde, wenn der Drache an die Tür klopfen würde, um das ohnehin spärliche Salär der Fakultät abzukassieren. Er bezweifelte, dass sich sein Meister unter einem liebreizenden Weihnachtsgeschöpf etwas in dieser Art vorgestellt hatte. "Diesmal bin ich erledigt", rief er, als ihm das Ausmaß des Ärgers, den er da herauf beschworen hatte, bewußt wurde.

"Danke, das genügt mir", erwiderte der Drachen vergnügt, der bereits seine mächtigen Flügel zum Abflug spreizte und sich von seiner Mahlzeit trennte. Mit einem dumpfen Klatschen landeten die Überreste des Frühstücks in dem unschuldigen Teich. Offensichtlich hatte der Drache etwas Interessanteres ins Auge gefasst. "Ich glaube, ich mache deinen Landsleuten meine Aufwartung", bestätigte er Magius schlimmste Befürchtungen.

"Sie werden begeistert sein", murmelte Magius, während er dem Drachen, der sich mit eleganten Flügelschlägen erhob und jenseits des Waldes verschwand, hinterher sah. "Jetzt wäre es an der Zeit für ein Wunder", fluchte er und rannte los. Irgendetwas mußte ihm einfach einfallen, sonst konnte er seine Weihnachten in der Fremde verbringen.

Vor den Toren der Fakultät plagte sich inzwischen Warnix mit seiner Prüfungsaufgabe herum, die er am Weihnachtsabend vorführen sollte. Die eigene Verwandlung in einen typischen Weihnachtsgegenstand. Warum mußte der Meister auch immer so ausgefallene Weihnachtswünsche haben? Die Verwandlung in jede lebende Form hätte ihm keine Schwierigkeiten bereitet, doch die Verwandlung in einen toten Gegenstand war ein völlig anderes Kaliber. Erneut setzte er zum Zitieren der Zauberformel an, als ihn plötzlich ein Windstoß von den Beinen fegte. Das konnte nur Sosol sein, der die Aufgabe hatte, einen tanzenden Schneesturm vorzuführen. Da in der Gegend selten Schnee fiel, oblag es Sosol, das zu Weihnachten zu ändern. Warnix beneidete ihn nicht um diese Aufgabe.

"Kannst du nicht aufpassen", murrte er, während er sich wieder hoch rappelte, doch jede weitere Kritik blieb ihm im Hals stecken, als er die turmhohe, grün geschuppte Wand vor sich wahrnahm.

"Wie war das?", fragte der Drache grantig, der den blass gewordenen Warnix grimmig anstarrte. Doch Warnix hatte inzwischen seinen ersten Schrecken überwunden und sah eine Möglichkeit endlich zu beweisen, dass er der Mutigste von allen war.

"Hör mal", hub er mit energischer Stimme an, wobei er den warmen Drachenatem, der verdächtig nach Schwefel roch, energisch verdrängte. "Diese Fakultät steht unter meinem Schutz! Entweder unterwirfst du dich gleich, oder es gibt dieses Jahr Drachensteak zu Weihnachten." Dazu wedelte er theatralisch mit seinem Zauberstab hin und her. Verärgert zuckte der Drache zurück. Vielleicht war es an der Zeit, ein Exempel zu statuieren, überlegte er und holte tief Luft.

Inzwischen näherte sich Magius der auf einer Anhöhe thronenden Fakultät. Als er um die letzte Biegung kam, stöhnte er verzweifelt auf. Ausgerechnet Warnix hatte den Drachen zuerst entdeckt und fuchtelte nun mit seinem Zauberstab vor ihm in der Luft herum. Zu seiner Überraschung ließ sich der Drache davon aber nicht beeindrucken und hüllte Warnix stattdessen mit einem Feuerstoß aus seinem geöffneten Rachen ein. "Sie sind feuergefährlich", rief Magius entsetzt, der bei diesem Anblick wie angewurzelt stehen blieb. "Ich wußte doch, dass da noch etwas war."

Als sich der Rauch verzog, war von Warnix nichts mehr zu sehen. Das war gar nicht gut. Magius raufte sich das spärliche Haar. Wie sollte er das bloß seinem Meister beibringen? Aber was machte er sich Sorgen, ging es ihm zynisch durch den Kopf. Wahrscheinlich würde es bald ohnehin keinen Meister mehr geben, dem er etwas beichten müßte, wenn es ihm nicht gelingen sollte, diesen Irrsinn zu stoppen. Irgendetwas mußte er sich einfallen lassen, fragte sich nur, was? Da Untätigkeit ihn jedoch mit Sicherheit keinen Schritt weiterbringen würde, riß er sich entschlossen aus seiner Erstarrung und schloß in Windeseile zu dem unliebsamen Produkt seiner Zauberversuche auf, das bereits mit unübersehbarem Interesse die Mauern der Fakultät musterte. Ostentativ übersah er dabei Magius, der nervös und reichlich hilflos vor ihm zum Halten kam. Der kleine Mensch amüsierte ihn, und es machte ihm Spaß, ihn herauszufordern. Sollte er ihn jedoch zu sehr ärgern, nun, dann würde er ihn als hitzigen Gesprächspartner kennenlernen.

Inzwischen sah sich Magius verstohlen nach Warnix um. Etwas schwarze Asche verriet, dass dieser den Aggregatzustand gewechselt hatte. Unglücklich befingerte Magius daraufhin sein Zauberlehrbuch und nahm sich vor, dringend im Kapitel "Wie werde ich feuerfest" nachzulesen. Er war sicher, dass Warnix diesen Zauber beherrschte und vermutlich bald wieder hergestellt sein dürfte, auch wenn seine ohnehin schlechte Laune dann vermutlich auf dem Tiefpunkt angelangt war. Magius konnte sich gut vorstellen, wie er reagieren würde, wenn er herausbekäme, wer dieses liebreizende Geschöpf herbeigezaubert hatte. Doch darum konnte er sich später Sorgen machen. Einstweilen galt es, andere Probleme zu lösen. Also nahm er all seinen Mut zusammen, um dem Ungeheuer die Meinung zu sagen.

"Hast du nicht mehr alle Schuppen auf dem Schwanz?", schimpfte er los, immer nach dem Motto, Angriff ist die beste Verteidigung. "Zugegeben, ich bin bestimmt der letzte, der dem hier eine Träne nach weint, aber trotzdem, das geht einfach zu weit. Immerhin steht Weihnachten vor der Tür. Also sieh zu, dass du wieder dahin zurückkehrst, wo du hergekommen bist."

"Mir gefällt es hier aber. Schließlich ist bald Weihnachten, da werden eine Menge Geschenke fällig, und ich bin sicher, dass ihr alle sehr großzügig sein werdet", erwiderte der Drache boshaft. Mit einem bösen Grinsen, das mächtige Zahnreihen entblößte, senkte sich der gewaltige Drachenschädel, bis er in Augenhöhe mit Magius war. "Fang am besten schon einmal an, Geschenke einzupacken. Ich werde mich bis dahin dort hinten niederlassen." Dabei wies der Drache mit seiner rechten Klaue auf einen imposanten Turm, der aus den Reihen der windschiefen Häuser hoch herausragte. "Der Turm scheint dafür am besten geeignet zu sein. Da passt viel hinein."

Magius erbleichte, handelte es sich bei dem angestrebten, zukünftigen Lagerraum um den Wohnturm seines grantigen Lehrmeisters Marwin.

"Das kannst du nicht machen", flehte er, doch der Drache hatte sich bereits wieder abgewendet, schwang sich in die Luft und steuerte den ehrwürdigen alten Turm an. Magius fluchte, jetzt war alles verloren.

"Was war denn hier los? Ich vermeinte eben, Warnix verärgerte Stimme zu vernehmen." Aus einer Seitengasse trat Meister Marwin hervor, der zu dieser Zeit gerne einen Mittagsspaziergang abhielt. Irritiert stellte er fest, dass von Warnix weit und breit keine Spur zu sehen war. Stattdessen erspähte er Magius, der einen ausgesprochen blassen Eindruck machte.

"Aaahh, Magius, ich hoffe, du hast nichts angestellt. Hast du Warnix gesehen?"

Magius schluckte und deutete stumm auf den schwarzen Aschehaufen, der sich allmählich im Wind zerteilte. Sofort erhellte sich Marwins Gesicht.

"Bravo! Eine wahre Meisterleistung, wie er die Verwandlung hin bekommen hat, auch wenn es noch nicht das ist, was ich mir vorgestellt habe. Es wirkt so echt. Muß wirklich schwer gewesen sein", stellte er stolz fest.

"Nun, wie man es nimmt", entgegnete Magius vorsichtig, der überzeugt davon war, dass sich Warnix vermutlich auch etwas anderes vorgestellt hatte. "Er hatte ein wenig Hilfe."

"Was für Hilfe?" Marwin sah ihn mit gerunzelter Stirn an.

Magius fing an zu schwitzen. "Das ist nicht ganz einfach zu erklären", setzte er an, wurde aber von einem lauten Gepolter unterbrochen. Wie auf ein Kommando fuhren die beiden herum. Die Ursache des Lärms war unschwer auszumachen. Beim Anblick des Drachens, der wie eine Gallionsfigur mit samt dem Wohnturm Meister Marwins in einer Staubwolke verschwand, schnappte dieser erschrocken nach Luft.

"Mein Turm", keuchte er.

"Mußte sowieso mal saniert werden", murmelte Magius. Marwins Kopf fuhr zu ihm herum.

"Wo zum Teufel kommt der Drache her?", wollte er mit überschnappender Stimme wissen.

"Kam zufällig vorbei."

Zwei steile Stirnfalten verkündeten, dass Meister Marwin nicht geneigt war, seinem Schüler Glauben zu schenken. "Darüber unterhalten wir uns später." Dann drehte er sich um und rannte los, Magius folgte bedrückt.

Als sie am Rand des Marktplatzes ankamen, den einst der stolze Wohnturm zierte, war der Drache gerade damit beschäftigt, von den steinernen Überresten herunter der staunenden Bevölkerung seine Proklamationen zu verkünden.

"Geschenkesteuer wird natürlich auch ab sofort erhoben", teilte er gerade genüßlich mit. Den Gesichtsausdrücken der Anwesenden nach zu schließen, stieß dies nicht gerade auf Begeisterung. Magius wunderte sich gerade, wieso seine Landsleute nicht einfach das Weite gesucht hatten, als ihm auch schon postwendend die Erklärung hierfür geliefert wurde.

"Er hat Meister Buck den Hintern angeröstet, als er gegen ihn vorgehen wollte", erklärte ein aufgeregter Erstsemester dem empörten Marwin aus der Sicherheit einer Seitengasse heraus. "Dann hat Euch als Leiter der Fakultät abgesetzt und uns seine Weihnachtswunschliste präsentiert. Wenn wir die erfüllen, können wir einpacken."

Doch Meister Marwin ließ sich so schnell nicht einschüchtern.

"Abwarten", knurrte er. "Erst einmal brauche ich mein Zauberbuch aus der Bibliothek."

Sofort sprintete der Schüler davon, dankbar, diesem Ungetüm zu entkommen, während sich Meister Marwin ein Bild von der Situation machte. Die Blicke, die er dabei gelegentlich Magius zuwarf, ließen diesen immer blasser werden. Vielleicht wäre das der richtige Augenblick zum Auswandern. Der Nebelkontinent am anderen Ende der Welt sollte ja sehr interessant sein. Während Magius verzweifelt feststellte, dass sich seine Zukunft gerade verabschiedet hatte, stand der Großteil der Bevölkerung noch immer wie erstarrt vor dem Drachen. Magius konnte das gut nachvollziehen. Wer ging schon mit feuerfester Unterwäsche aus dem Haus? Er begrüßte es daher sehr, dass sein Meister es vorzog, sich unauffällig in die Gasse, aus der sie gekommen waren, zurückzuziehen, um das weitere Vorgehen zu überdenken. Magius folgte, wobei er den Drachen, der sich gerade für den Gedanken erwärmte, sich am Weihnachtsabend in Gold aufwiegen zu lassen, nicht aus den Augen ließ.

"Wir müssen ihn irgendwie überraschen. Fragt sich bloß, wie?", überlegte Meister Marwin mit zerfurchter Stirn, während er unablässig in der engen Gasse auf und abging. Magius hätte gerne geholfen, aber ihm fiel beim besten Willen nichts ein.

"Meister", ertönte plötzlich eine aufgeregte Stimme. Unbemerkt war hinter ihnen eine der Wachen erschienen, die offensichtlich gerade aus dem Mittagsschlaf erwacht war und noch gar nicht mitbekommen hatte, dass gerade ein lieber Weihnachtsgast eingetroffen war. "Wir haben ein Problem."

"Und wie würdest du das da bezeichnen?", erwiderte Magius bissig und zeigte mit dem Daumen die Straße hinunter, wo der Drache gerade die Christbaumsteuer einführte. Ein Schilling je Nadel erschien ihm angemessen.

"Noch ein Problem", gab die Wache unumwunden zu, die gerade für sich entschieden hatte, dass der alte Weihnachtsbaumbrauch ohnehin überholt sei. "Trotzdem ist das am Tor auch nicht ohne. Die wilde Horde ist mit tausend Mann erschienen. Sie richtet Euch die besten Weihnachtsgrüße aus und fordert Euch nebenbei zur Unterwerfung auf."

Meister Marwin stöhnte. Irgendwie war das heute nicht sein Tag. Doch im Gegensatz zu seinem Meister, sah Magius hier eine unverhoffte Möglichkeit, ihren unwillkommenen Gast loszuwerden.

"Ich glaube, ich habe eine Idee", teilte er den anderen mit einem Grinsen auf dem Gesicht mit.

Vor dem Tor wartete derweilen Brutus der Schreckliche mit seinem Adjutanten Grimm. "Du wirst sehen, die kommen hier schlotternd angekrochen, grün vor Angst und werden wie alle anderen bezahlen. Schließlich ist bald Weihnachten, und da will man seinen Frieden haben", verkündete Brutus seinem Adjutanten gerade.

"Was die Farbe anbelangt, hast du Recht", stimmte Grimm ihm mit belegter Stimme zu. "Den Rest bezweifle ich allerdings." Sein Blick hing wie gebannt am Tor der Fakultät. Wie die Schreckensfigur aus einem Alptraum zwängte sich dort gerade eine riesige, grüne Kreatur hindurch, gefolgt von einem grinsenden jungen und einem ernst dreinblickenden älteren Mann. Sie wurden begleitet von der Wache, die immer wieder nervöse Blicke auf die gewaltige Streitmacht der Horde warf, die nur ein paar Steinwürfe entfernte lagerte.

"Was zum Henker ist das denn?", flüsterte Brutus. Nervös befingerte sein Schwert. Grimm bezweifelte allerdings, dass ihm das etwas nutzen würde. Inzwischen war das Ungeheuer, das so gar nichts Weihnachtliches an sich hatte, heran und ragte wie ein Turm vor ihnen auf.

"Wie man mir berichtet hat, habt ihr vor, hier abzukassieren", knurrte der Drache, worauf Brutus der Schweiß ausbrach. Doch jetzt durfte er sich keine Blöße geben.

"Ich repräsentiere die wilde Horde und biete euch meinen Schutz an", stellte er die Angelegenheit richtig. "Der ist natürlich nicht umsonst, aber da Weihnachten vor der Tür steht, biete ich Euch einen Vorzugspreis an."

"Natürlich", murmelte der Drache sarkastisch. "Wieviel habt ihr denn bisher so eingenommen?", fragte er hinterhältig.

"Nun, mindestens 1.000 Goldtaler je befestigte Stadt, 100 je Dorf und 10 je Gehöft. Bisher haben alle im Umkreis von 100 Meilen unseren Schutz angenommen. Schließlich will man zu Weihnachten ja seinen Frieden haben", zählte er stolz die Bilanz seiner Schreckensherrschaft auf. Der Drache wandte sich daraufhin an Magius.

"Wie viele Städte, Dörfer und Gehöfte gibt es hier denn?", fragte er.

Magius überlegte kurz.

"10 Städte, 50 Dörfer und unzählige Gehöfte."

"Das macht dann rund 15.000 Goldtaler", rechnete der Drache aus. "Das trifft sich gut."

"Wieso?" Brutus sah ihn verwirrt an.

"Weil das genau die Summe ist, die für das Durchqueren dieser Ländereien mit einer solchen Streitmacht zur Weihnachtszeit fällig wird."

"Jetzt reicht es, hier zahlt nur einer, und das sind ganz gewiss nicht wir", fauchte Brutus verärgert, zog sein Schwert und streckte es senkrecht in die Luft, worauf sofort ein angriffslustiges Brüllen der Horde einsetzte, das jedoch schlagartig verstummte, als diese mit ansehen mußte, wie schnell ihrem Anführer warm ums Herz wurde.

"Andererseits klingt der Preis angesichts der steigenden Inflation ganz akzeptabel", räumte Grimm vorsichtig ein, der noch immer das Bild des in qualmenden Kleidern flüchtenden Anführers vor Augen hatte. Er hatte alles andere als glücklich ausgesehen und das zu Weihnachten! Doch für weitere Verhandlungen war es zu spät, denn in diesem Moment hatte sich die Horde von ihrem Schock erholt und griff an. Während Magius und Meister Marwin in die Sicherheit ihrer Stadt flüchteten, raste der Drache im Tiefflug auf die Horde zu und brachte den Angriff ins Wanken. Von den Zinnen aus beobachteten Magius und Meister Marwin, der verzweifelt in seinem goldenen Zauberbuch blätterte, die Schlacht. Tausend gegen einen. Irgendwie tat Magius die wilde Horde leid, dem Drachen war sie einfach nicht gewachsen. Wer nicht als Weihnachtsbraten enden wollte, trat umgehend den Rückzug an, und nach kurzer Zeit waren die Wiesen vor der Stadt wie leer gefegt. Nur ein paar zu Aschehaufen verkohlte Planwagen dokumentierten, dass hier gerade eine heftige Schlacht getobt hatte.

"Die wären wir los", seufzte Magius.

"Dafür haben wir ihn am Hals", knurrte Meister Marwin beim Anblick des Drachen, der gerade mit vor Stolz geschwellter Brust auf das Burgtor zukam und "Oh du fröhliche" vor sich hinpfiff. "Lenk ihn ab, ich bin gleich soweit."

"Wollt Ihr ihn töten?", fragte Magius nervös, der plötzlich Mitleid mit dem Drachen empfand.

"Nein, ich schicke ihn nur dahin, wo er hingehört. Also geh."

Magius machte auf dem Absatz kehrt und rannte dem Drachen entgegen.

"Das war prima", rief er, als er ihn erreichte.

"Wofür eine Sondersteuer fällig wird."

"Was willst du eigentlich mit dem ganzen Gold?"

"Einen Hort anlegen", seufzte der Drache. "Jeder von uns hat einen, nur ich nicht. Das macht mich zum Gespött meiner Art. Zu Weihachten kann ich nie große Geschenke machen. Das ist deprimierend. Ich möchte auch endlich Anerkennung, und dafür brauche ich Gold."

"Aber Anerkennung kann man auf andere Weise erlangen. Unsere ist dir gewiss, weil du die Horde besiegt hast. Ist das vielleicht nichts? Außerdem kommt es zur Weihnachtszeit nicht auf kostspielige Geschenke an, sondern darauf, besinnlich miteinander zu feiern, für den anderen da zu sein. Weihnachten ist schließlich das Fest der Liebe und nicht das Fest des Kommerzes."

Der Drache legte den Kopf schief und sah Magius nachdenklich an.

"Ich werde darüber nachdenken", erwiderte er versonnen, dann löste er sich plötzlich von einem Moment auf den anderen unter dem Jubel der Bevölkerung auf. Das letzte, was Magius von ihm in Erinnerung behielt, war der erstaunte Gesichtsausdruck, als der Drache realisierte, was mit ihm geschah. Doch Magius vermeinte auch, noch einen anderen Ausdruck auf den Zügen des Drachen bemerkt zu haben. Freude auf das bevorstehende Fest! Vielleicht hatte er ja jetzt verstanden, worauf es zur Weihnachtszeit wirklich ankommt.

"Ich hoffe, du hast nicht noch mehr Geschenke dieser Art auf Lager", ertönte plötzlich vorwurfsvoll die Stimme Meister Marwins hinter Magius, der nervös herumfuhr.

"Tut mir leid", bekundete Magius leise, wobei er es nicht wagte, seinem Meister ins Gesicht zu blicken. Nun ja, vielleicht konnte er ja auf dem Nebelkontinent von vorn anfangen. Bei zwanzig Grad Minus und Dauerschneefall konnte man dort bestimmt prima Weihnachten feiern, vorausgesetzt, man erfor nicht vorher. Marwin sah ihn spöttisch an, als ahnte er, was im Kopf seines Lehrlings vorging.

"Nun, ich habe einen neuen Weihnachtswunsch", sagte er, wobei der Magius aufmunternd auf die Schulter klopfte. "Er lautet: Wiederherstellung des Wohnturms meines Meisters in nur einer Nacht. Viel Glück." Dann drehte er sich um und ließ den verblüfften Magius stehen, dem gerade dämmerte, dass er anscheinend doch noch eine Zukunft hatte.

"Ach ja", fügte Meister Marwin hinzu und drehte sich noch einmal um, "deine Idee, den Drachen gegen die Horde einzusetzen, war genial. Das macht einiges wieder gut." Dann verschwand er in der Masse der freudig feiernden Bewohner und ließ einen grinsenden Magius zurück. So schlecht hatte sich der Tag schließlich doch nicht entwickelt. Nun mußte ihm nur noch ein Einfall kommen, wie er den völlig zerstörten Wohnturm wieder aufbauen konnte, und das Weihnachtsfest wäre gerettet. Vielleicht sollte ich ein paar magische Helfer herbeizaubern, überlegte er versonnen, während seine Finger über das Zauberbuch in seiner Tasche glitten. Die Elfen vom Nordpol sollten ja sehr hilfreich sein.....

 

 

Ach du fröhliche...

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.11.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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