Johannes Seipel

Es wird alles gut

 

Mittwoch. Hörspielprogramm für Klaus. Thema: Ehedialog. Die dünnen Wände seines Wohncontainers machten eine elektronische Übertragung aus der Nachbarwohnung in Klaus‘s Wohnraum überflüssig. Klaus war gespannt, was er heute über Eheführung lernen könnte. Schließlich war seine Hochzeit nicht mehr fern, und da wollte er doch schon auf einige Erfahrungen mit Frauen zurückblicken können.


Andrea schreit wieder einmal. Robert dagegen brüllt. Gut! Die toben sich an jedem Mittwochabend an. Schreit und brüllt nur noch heftiger. Je lauter, desto besser kann ich euch verstehen. Du liebe Zeit, das wird ja ein verbaler Atomkrieg. Ich merke schon, wie ich mich verspanne. Andrea wird jetzt schrill, Roberts Stimme klingt hohl und dumpf, als säße er in einer schwarzen, mannshohen Erdgasröhre. Ich geh‘ da richtig mit. Au weih! Andrea kreischt jetzt: Sie will endlich Roberts Kollegen kennen lernen. Oh Gott! Kriegt sie denn den Hals nie voll? Wieso eigentlich „den Hals nie voll“? Was sind denn das für Überlegungen? Ich weiß doch gar nicht wie die beiden rumturnen, und ob Andreas Hals da überhaupt eine Rolle spielt. Trotzdem treibt mir mein Gewissen die Schamröte ins Gesicht. Ja, ja ist schon gut! Gib endlich wieder ruh! Will so was auch nie wieder denken. War ja nur ein Gedankenspiel. Spielt scheinbar aber keine Rolle. Denn das Gewissen randaliert. Wahrscheinlich reizt mich Andrea eben doch, sonst hätte mir das Bild vom „Hals“ nicht einfallen können. Eine attraktive Persönlichkeit ist die Frau schon. Wenn die guckt und dabei lächelt ... Und ich weiß inzwischen auch ganz genau, wann Andrea menstruiert. Dann bewegt sie sich auch noch besonders sexy. Doch Robert ist mein Nachbar ..., der hat Hände wie Baggerschaufeln. Zwischen die möchte ich nicht geraten. Wenn Robert zum Beispiel Andreas Kopf zwischen seine Hände nimmt, kann sie sich gegen sein Vorhaben sicher nicht wehren. Robert schiebt doch glatt Andreas hübschen Kopf sonst wohin. Aber was soll‘s? Sie muss es ja nicht unbedingt sein. Obwohl Andrea meint, ich sei ihre Kragenweite, und ich der Meinung bin, an ihrem langen schlanken Hals ließe sich eine Männerseele richtig scharf machen. Außerdem nähme ich Andreas Kopf nur zwischen meine Hände, um ihre Lippen zärtlich zu küssen. Niemals würde ich von ihr verlangen, was sie nicht auch will. Habe Andrea sicher durch meine korrekte Art schon öfters frustriert. Klar! Bei mir kann sie nur in ihren Gedanken landen. Was sie intuitiv gleich gemerkt hat. Darum will meine Nachbarin ihre Attraktivität jetzt wo anders ausstellen. Und das soll der Kollege ihres Mannes sein. Ob der wohl zu Frauen nett sein kann? Wer weiß, was dieser Kerl alles von ihr verlangt. Vielleicht das gleiche wir ihr Mann Robert oder das, wozu ich Andrea nie zwingen würde. Jetzt bedauert Robert laufstark, dass er Andrea mit in seine Firma genommen habe. Röhrt, dass er sich viel hätte ersparen können. Seit Andrea den ihr noch unbekannten Kollegen mit sich im Kopf herumträgt, ist die Frau richtig zappelig geworden und bewegt sich auch außerhalb ihrer Tage sehr sexy. Andrea spricht immer noch eine deutliche Sprache. Sie verlangt jetzt, dass Robert den Kollegen mal einlädt. Zum Abendbrot, zum Fernsehen oder zum Wein. Du liebe Zeit. Wenn Roberts Andrea mal was getrunken hat, wird ihr sehr schnell ganz warm. Und dann schmeißt sie alle Klamotten in die Ecke. Hab‘ so was schon mitgehört. Zum Beispiel wenn Andrea ihre Schuhe nach Robert wirft, ihn verfehlt und diese dann gegen die Wand donnern. Kaum zu glauben. Aber: Durch unsere dünnen Container-Wände kann man hören, wenn sich Andrea in die Eva im Paradies verwandelt. Nur dieses Mal habe ich nichts Derartiges gehört. Nur Robert. Leicht übergeschnappt. Sie solle nicht immer nackt vor seiner Nase rumtanzen. Andrea ist aber auch ein freches Luder. Konnte gerade noch hören, wie sie sagte, sie übe schon mal für Roberts Kollegen. Jetzt hat meine Nachbarin aber die Tarnung aufgegeben. Ist offenbar fest entschlossen, vor einem anderen Mann die Salome zu tanzen. Und das als Akademikerin, als eine Frau Doktor. Warum wundere ich mich eigentlich über so was? Akademikerinnen sollen doch die Sinnlichsten sein. Ist offensichtlich die einzige Eigenschaft, die Erholung von geistigem Stress verspricht. Mit einer Frau Doktor oder Frau Professor sollte man mal Kaffee trinken. Warum die nur so spitz sind? Von hochgeistigen Männern dagegen hört man, sie seien Schwächlinge. Da könne sich schon mal die Erdanziehung als stärker erweisen. Jetzt weiß ich, wie Andrea so sinnlich geworden sein könnte. Als sie mit dem Studium begann, war sie als Mensch sexuell schon konditioniert. Und was sie später zur erfolgreichen Hochschulabsolventin machte, war gepauktes Wissen über Romane, Lyrik und Kurzgeschichten. Leider kann jedoch solch Angelerntes nichts gegen frühkindliche geschlechtliche Programmierungen ausrichten. Dieses Problem hat aber mein Nachbar Robert nicht. Er ist Gastwirt und Ehemann seiner literaturwissenschaftlichen Frau. Was schreit sie denn jetzt wieder, die Andrea. Ihre aufgeheizten Sinne scheinen mit ihr durchzugehen. Sie will unbedingt den Kollegen ihre Mannes kennen lernen, verlangt sie erneut. Plötzlich - Totenstille im Nachbar-Container. Sind die jetzt vielleicht tot geworden, durch die heftige Diskussion. Hat einer von ihnen die Nerven verloren? Ich weiß, Robert hat eine Waffe. Doch da hätte ich aber wenigstens einen Schuss hören müssen. Zu Roberts Waffe gibt es keinen Schalldämpfer. Wäre auch schade gewesen. Schon wegen der künftigen Mittwochabende. Doch was war das eben? Habe ich da das Wort Schlappschwanz gehört? Aber Robert doch nicht! So wie der gebaut ist ... Richtig! Da muss ich wohl verkehrt gedacht haben. Andrea meinte nämlich, Robert sei doch kein Schlappschwanz. Woher weiß sie das so plötzlich? Natürlich! Habe doch vorhin Andrea laut stöhnen gehört. Wollte schon den Notarzt rufen. Jetzt bin ich aber richtig erleichtert. Mein Robert hat der Andrea wohl gezeigt, wer hier den Speer in der Hand hält. Muss mir das unbedingt merken.


Am nächsten Morgen trafen sich Klaus und Robert in der Tiefgarage. Sofort legte Robert los: „Andrea meinte, meine Schwäche sei wohl nun vorbei. Ich stände wieder ganz ordentlich da. Deshalb brauche sie vorläufig auch keinen anderen Mann. Doch ich solle mich hüten.“


© 11-2007 joLepies

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.12.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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