Hans-Jürgen Heckmann

Das Glück kommt

In einem kleinen Ort, dessen Namen ich nicht mehr weiß, geschah zur Adventszeit Merkwürdiges: „Das Glück wird sich um Mitternacht direkt in der Dorfkirche einstellen. Aber nur dann, wenn sich um diese Zeit alle Dorfbewohner in dieser versammeln, um es zu begrüßen. Je mehr Menschen da sind, umso intensiver würde es jeden Einzelnen erreichen.“ So jedenfalls stand es auf einem einfachen Zettel, den ein geheimnisvoller alter Mann mit ergrautem Bart mit seinem Gehstock an die Tür der Dorfkirche befestigt hat. Einige Leute hatten ihn gesehen. Doch bevor sie ihm Fragen stellen konnten, war er wie weggezaubert verschwunden. Der Dorfdoktor und der Ortsvorsteher, ja sogar der Pfarrer, der ja sonst alles oder zumindest vieles weiß, konnte die Fragen hinsichtlich des rätselhaften Mannes sowie der Ankündigung auf dem Zettel nicht beantworten. Deshalb gaben sie den verunsicherten, aber auch neugierigen Bewohnern den Rat, zur angegebenen Zeit an Ort und Stelle zu sein. Dann würde jeder selbst sehen, was es mit der Sache auf sich hat.
So geschah es, daß sich die ersten Dorfbewohner schon eine Stunde vor Mitternacht in der Kirche einfanden. Es war noch dunkel – nur der Altar war beleuchtet. Dieses Licht schien jedoch mehr von den Gegenständen des Allerheiligen zu kommen als von den Kerzen, die an den Wänden brannten. Trotz des Rascheln, Knarren und andere Geräusche, welche die Ankömmlinge verursachten, schien eine geheimnisvolle Stille vorhanden zu sein. Der nicht all zu große Raum – es war ja eine Dorfkirche – füllte sich von Minute zu Minute. Es war so, als würden sogar die Menschen aus den Nachbardörfern das Glück suchen. Auf alle Fälle saßen und standen die Leute äußerst zusammen gedrückt in den Bänken, teilweise auch daneben und warteten auf das versprochene Ereignis. Die Stimmung, die sich unter den Anwesenden verbreitete, war geprägt von einer noch nie dagewesenen Harmonie und Friedfertigkeit, die von einem Herzen zum anderen überzuspringen schien. Es war, als hätte jeder seine persönlichen Sorgen oder gar jegliche Differenzen einem Anderen gegenüber vergessen. Ja – es schien eine große Einigkeit über alle hier Versammelten zu liegen.

Mitternacht war vorbei und nichts hatte sich getan. Unmut in Form von Räuspern und Gemurmel machte sich bemerkbar. Selbst der Pfarrer, der sonst immer eine Engelsgeduld hat, scharrte ungeduldig mit der Hand an seinem Kinn und an seiner Nase herum. Der Ortsvorsteher, von dem man sagte, er sei in allen ein großer Skeptiker, machte eine Gebärde als wolle er sagen „WAR WOHL NICHTS!“ oder „SCHADE UM DIE VERGEUDETE ZEIT!“

Plötzlich bewegte sich ganz hinten in der letzten Kirchenbank etwas. Ein graubärtiger, alter Mann mit einem Krückstock hatte sich erhoben. Es war der selbe Alte, der den Zettel mit der Ankündigung des Glückes an die Kirchentür befestigt hatte. Er ging langsam und bedächtig durch die schmale Gasse, die trotz der überfüllten Kirche noch vorhanden war bis vor die kleine Kanzel und stieg mühselig die 7 Stufen hinauf. Oben angekommen wartete er, bis kein Geräusch mehr zu hören war. Dann erhob er seine Stimme und auch seinen Stock, als wolle er mit ihm die Wichtigkeit seiner Worte symbolisieren, die er nun an die versammelten Menschen richtete: „Ihr wartet alle auf das Glück wie ich es Euch allen versprach! Und dies schon seit über eine Stunde! Jetzt, wo Ihr glaubt, es käme nicht, wollt Ihr gehen! Seht Euch doch um, hört in Eure Herzen ganz tief hinein!“ Dann ließ er einige Sekunden verstreichen, bis er leise aber betont sagte: „In diesem Augenblick habt Ihr das Glück gefunden!“
Die versammelten Dorfbewohner sahen sich zuerst irritiert, dann aber, als sie die Worte des alten Mannes begriffen hatten, beschämt an. Sie wollten sich bei ihm für das „Augen öffnen“ bedanken, aber die Kanzel war leer. So ging ein Jeder nach Hause und trug das Glück in sich. Der alte graubärtige Mann mit dem Gehstock wurde nie mehr gesehen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.12.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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