Katja Heinrich

Sodbrennen - 33. Bei Isolde

 

Ob Sie es glauben oder nicht, heute besuche ich Isolde.
Der Therapeut hat mir aufgetragen, Isolde zu erklären, dass ich mit ihrer Art der Besuche bei mir Probleme habe. Das soll wohl meine Blockade lösen, Menschen meine Meinung zu sagen, auch wenn das unbequem ist. Er ist mit mir sogar verschiedene Situationen durchgegangen und hat mir dabei die Isolde gemacht.
Habe nun Probleme ihn weiter ernst zu nehmen, weil ich ihn immer als Isolde sehen werde. 
Ich rief also – ganz gegen meine Gewohnheit – bei Isolde an und habe eine Verabredung mit ihr getroffen. Fühlte mich dabei stolz wie ein normaler Mensch.
Nun ist es soweit, ich stehe vor ihrer Tür. Ich war erst einmal bei ihr, seit ich mich in meine Lebensblase zurückgezogen habe.
Isolde öffnet und ich trete ein. Als erstes werfe ich nach der Begrüßung Jacke und Schuhe in den Flur (zum ersten Mal bereue ich, dass ich keine Handtaschen trage), plappere ohne Unterlass, dass es schön ist sie zu sehen, dass ich lange nicht hier war, frage, wie es ihr geht und erzähle, ohne die Antwort abzuwarten, wie es mir geht, dass ich viel Arbeit habe und kaum weiß, wo  mir der Kopf steht und dass ich kaum zum Essen komme und daher gerade furchtbaren Hunger habe.
Irritiert folgt Isolde mir zum Kühlschrank (ihre Wohnung ist erfreulich sauber).
Ich öffne die Tür und werde fündig. Übrigens ist der Kühlschrank ebenfalls wunderbar sauber und gut sortiert!
Ich nehme mir eine Karotte, Cherrytomaten, Butter, Brot und Aufschnitt heraus, ignoriere das angefangene Glas Gurken, reiße auf der Suche nach Besteck und Schälmesser sämtliche Schubladen auf, entdecke ein frisches Glas Cornichons auf der Anrichte (ich mag die ohnehin lieber nicht so kalt), nehme mir ein paar davon und mache mir einige (viele) leckere Schnittchen zurecht. Dabei erzähle ich im Plauderton von meiner Arbeit (ich übersetze gerade einen hervorragenden norwegischen Krimi) und achte kaum auf Isolde.  
 
Mit dem Essen setze ich mich auf die Couch im Wohnzimmer. Isolde ist irgendwie auf der Strecke geblieben, daher rufe ich nach ihr und beauftrage sie sogleich, mir etwas zu trinken mitzubringen. Mit einer Flasche Cola und einem Glas kehrt sie zurück ins Zimmer und gießt mir etwas ein.
Sie ist merkwürdig still heute.
Während meines Fressanfalls, bei dem ich relativ sorglos mit der cremefarbenen Couch umgehe, entdecke ich ihr Bücherregal, das mich interessiert.
Ich springe auf (leider fällt mir dabei der Teller mit dem Brot herunter, was mich aber nicht stört) und eile an die Bücher.
Während Isolde mein Brot vom Teppich kratzt, lese ich ihr laut die Titel vor und erkläre ungefragt den Inhalt einiger Geschichten – mitsamt Ende. Der Vollständigkeit halber.
Anschließend muss ich dringend auf die Toilette. Dort stelle ich eine wirklich saubere und geschmackvolle Einrichtung fest. Leider passiert mir ein Missgeschick mit der Klorolle, die sich so ziemlich bis zum Ende abwickelt, aber dafür habe ich jetzt keine Zeit. Ich wasche mir die Hände und schüttele großzügig das Wasser von ihnen ab (hoppla, der Spiegel hängt aber niedrig!), das Handtuch verkrumpelt ein bisschen beim Benutzen, stört mich aber nicht, ich wohne hier nicht, ich gehe ja wieder.
 
Als ich ins Wohnzimmer zurückkomme, hat Isolde bereits mein Brot vom Boden gesammelt.
Gutgelaunt frage ich sie nach etwas Süßem, nach herzhaft muss immer süß folgen, und sie hat tatsächlich etwas da. Kinderriegel, die mag ich gerne. Lässig entferne ich Riegel um Riegel vom Papier und lasse es achtlos auf der Couch liegen.
Dann fällt mir eine Sammlung von Miniaturelefanten in allen Variationen in Isoldes Vitrine ins Auge. Also, die begeistern mich so sehr, dass ich die Türen öffnen und jeden einzelnen Elefanten genau betrachten muss. Isolde versucht sie anschließend wieder in ihre ursprüngliche Anordnung zu bringen.
Auch ihre Gläsersammlung betrachte ich fasziniert, einige hebe ich aus der Vitrine und studiere genauer die feine Kristallmaserung, fahre liebevoll mit dem Finger drüber.
Währenddessen plappere ich munter weiter.
Nachdem ich einen Schluck aus der Flasche getrunken habe, stelle ich fest, dass die Cola direkt aus dem Kühlschrank kommt und somit eiskalt ist. Das kann ich ja nun gar nicht haben und frage Isolde nach Cola in Zimmertemperatur, die ich sogar auch gebracht bekomme. Sehr nett von ihr. Ein Drittel der warmen Cola pumpe ich aus der Flasche ab (das Glas ignoriere ich wieder) und stelle dann fest, dass die Zeit wie im Flug vergangen ist und unser Treffen bald wiederholt werden sollte. Sprachlos nickt Isolde und geleitet mich in den Flur, wo sie mich beim Anziehen von Schuhen und Jacke stumm beobachtet.  
 
Mit fröhlichem Winken verabschiede ich mich von ihr. Beim Weggehen höre ich den Staubsauger aus Isoldes Wohnung. Der ganze Besuch hat keine zwei Stunden gedauert und mich - obwohl das in der Form von meinem Therapeuten ja nicht geplant war - zutiefst befriedigt.  
 
Aber das hat sich verselbständigt. Ehrlich!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.12.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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